Nicht ohne zahnärztliches Konsil

Chronisch granulierende Parodontitis nach Partsch

Hans-Werner Bertelsen
,
Dieser Fall dokumentiert eine mehrjährige Patientenodyssee. Eine Zyste wurde zwar als solche behandelt, es wurde aber nicht weiter nach der Ursache gesucht. Diese war odontogen. Alles wäre so einfach gewesen.

Eine chronische Entzündung einer Zahnwurzelspitze (apikale Parodontitis) kann weitgehend ohne die typischen Symptome – etwa Aufbissempfindlichkeit oder Perkussionsempfindlichkeit – auftreten. Oftmals ist der chronische, häufig klinisch stumme Verlauf einer apikalen Parodontitis durch die Bildung einer kleinen Zyste, die sich als Ausdruck einer intakten Immunantwort auf den periapikalen Bereich beschränkt, gekennzeichnet.

Diese sogenannten radikulären Zysten werden zumeist erst zufällig im Rahmen einer Röntgenroutine entdeckt. Ist die Immunabwehr des Patienten reduziert oder durch eine limitierte Mikroperfusion, zum Beispiel bei Diabetes, eingeschränkt, kann es zu einer Ausbreitung in die benachbarten Logen oder zu einer extraoralen Fistelbildung kommen (chronisch granulierende Parodontitis nach Partsch). Langjährige Verläufe sind beschrieben [Kunkel, M., Reichert, T.: zm 95, Nr. 4, 16.2.2005]

Im vorliegenden Fall wurde die Fistelbildung nicht mit einer odontogenen Ursache verknüpft und daher nicht kausal therapiert. So wurden dem Patienten erst nach einem über zweijährigen Leidensweg, nachdem er insgesamt viermal operiert worden war, die beiden, als ursächliche Infektionsquelle anzusehenden Zähne, extrahiert.

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Der Fall im Zeitraffer

  • Juli 2013: Eine kirschkerngroße perimandibuläre Induration wird rechts, unterhalb des Kinns, am Halsansatz deutlich.

  • Drei Monate nach Beginn der Beschwerden erfolgt die erste Röntgendiagnostik (OPT). Sie zeigt keine Besonderheiten.

  • Vier Monate nach Beginn: Eine Sonografie und eine Probeexzision zur Dignitätsabklärung des wachsenden Tumors werden durchgeführt. Die operative Entfernung des Tumors wird geplant.

  • Sechs Monate nach Beginn: Es erfolgt die operative Entfernung des Tumors bei klarer Abgrenzung der regionalen Lymphknoten.

  • Neun Monate nach Beginn: Erneut tritt ein derb tastbarer Tumor auf. Die Diagnose nach Durchführung der Magnetresonanz-tomografie lautet: „Geringgradig vergrößerter LK (1,1 cm) mit deutlicher Diffusionsrestriktion, ödematöse Infiltration des um gebenden subcutanen Fettgewebes und eine umgebende entzündlich veränderte Lymphadenitis. Keine Raumforderung in der Drüse selbst“. Es erfolgt ein Behandlungsversuch mittels Antibiose, jedoch ohne Besserung.

  • Zwölf Monate nach Beginn: Es erfolgt eine Re-OP, in der der Tumor und der benachbarte Lymphknoten entfernt werden. Der histologische Befund zeigt keine Malignität.

  • 14 Monate nach Beginn: Wieder werden vom Patienten eine Einziehung sowie eine blutige Sekretion im Bereich der OP-Narbe beobachtet.

  • 16 Monate nach Beginn: Es erfolgt eine zweite Re-OP mit Wundrevision mit Exstirpation einer Halsfistel. Die postoperative Diagnose lautet: „Partiell plattenepithelial ausgekleideter Fistelgang mit einer mäßiggradigen chronisch-vernarbenden, aber auch florider, kleinherdig phlegmonöser Entzündung. Keine Malignität“

  • Zustand 18 Monate nach Beginn (Abbildung 1)

  • 20 Monate nach Beginn: Es erfolgt eine Verätzung der Gewebewucherung mit Silbernitrat-Ätzstift („Höllenstein“). Diese wird wiederholt. Die weitere Wundbehandlung wird mit Salben durchgeführt (Abbildung 2).

  • 21 Monate nach Beginn: In der Nachschau wird die Wundheilung als so gut wie abgeschlossen beurteilt, da nur noch wenige Quadratmillimeter zuheilen mussten. Ein weiterer Termin schien nicht mehr erforderlich zu sein.

  • 22 Monate nach Beginn: Aufgrund einer erneuten Gewebeausstülpung meldet sich der Patient in der Praxis. Die Diagnose lautet Halsfistel. Es erfolgt die Planung eines neuen OP-Termins zur Fistelexzision.

  • 23 Monate nach Beginn: Wundrevision mit Exstirpation einer Halsfistel. Die postoperative Wundheilung erfolgt zuerst vollständig ohne jede Blutungen.

  • Zustand 24 Monate nach Beginn (Abbildung 3)

  • 25 Monate nach Beginn: Die OP-Narbe öffnet sich plötzlich zweimalig mit Eiteraustritt (Abbildung 4).

Die Behandlung besteht aus einer fortgesetzten Desinfektion und einer Salbenbehandlung. Der sonografische Befund zeigt eine mit Eiter gefüllte Unterkieferloge.

  • 27 Monate nach Beginn: Das zahnärztliche Konsil erfolgt. Der Röntgenbefund (OPT) zeigt eine diffuse Aufhellung periradikulär 45, eine interradikuläre Aufhellung 47 sowie eine periapikale Aufhellung der mesialen Wurzelanteile 47 (Abbildung 5).

Die Therapie ist relativ einfach: Der ankylosierte 45 wird entfernt, ebenso erfolgt die Extraktion von 47 (Abbildungen 6 bis 9).

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Fazit

Langjährige Verläufe ergeben sich oft durch die Verkennung odontogener Einflüsse. Als häufigste Fehldiagnosen ohne Berücksichtigung odontogener Ursachen resultieren hierbei Tumore im Kopf- und im Halsbereich. Auch wird nach Perforation und Fistelbildung eine chronisch granulierende Parodontitis nach Partsch häufig mit einer kutanen Infektion verwechselt.

Eine Nichtberücksichtigung odontogener Ursachen kann, wie in diesem Fall, dadurch regelrechte Behandlungsmartyrien nach sich ziehen.

Dr. Hans-Werner BertelsenAmbulante Klinik am St. Joseph-StiftSchwachhauser Heerstr. 54, 28209 Bremenbertelsen@t-online.de

Prof. Dr. Wolfgang BerglerHNO-Klinik St. Joseph-StiftSchwachhauser Heerstr. 54, 28209 BremenWBergler@sjs-bremen.de

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