Flüchtlingshilfe in der Berliner Notunterkunft

„Dolmetscher übernehmen das Absaugen“

Die Notunterkunft Olympiapark in Berlin-Charlottenburg wurde im September 2015 eröffnet. Vier Wochen nach der Eröffnung wurden bereits etwa 4.500 Flüchtlinge durchgeschleust. Zu Anfang gab es in den Sporthallen weder einen medizinischen noch einen zahnärztlichen Bereich. Die Zahnärztin Sabine Schweden hat den zahnärztlichen Stützpunkt aufgebaut. Regelmäßig behandelt sie dort Flüchtlinge. Im zm-Interview spricht sie über ihre Arbeit, chronische Mangelzustände vor Ort und die Rolle der Politik.

Mit welchen Zahnproblemen kommen Flüchtlinge zu Ihnen?

ZÄ Sabine Schweden:Häufig kommen Pulpitiden und Gingivitiden vor, weil Menschen auf der Flucht nicht unbedingt an eine Zahnbürste denken. Deswegen haben wir auch sehr viel Chlorhexamed hier. Wir behandeln Zahnprobleme, die in jeder normalen Zahnarztpraxis vorkommen. Extrahieren können wir hier jedoch nicht, da wir kein Röntgengerät haben – das ist ein Problem.

Zur Schmerzentlastung können wir nur Not-Trepanationen machen. Hinzu kommt, dass wir anamnestisch ein wenig eingeschränkt sind, weil es hier an Dolmetschern mangelt.

Welche Behandlungen sind denn möglich?

Wir machen Perkussionstests, Vitalitätstests, Exkavieren und Trepanieren. Manchmal sind provisorische Füllungen nötig. Hierfür nutze ich Carboxylat-Zement, da dieses Material nicht so feuchtigkeitsempfindlich ist. Schließlich arbeitet man ohne Assistenz. Es kam schon vor, dass Dolmetscher das Absaugen übernehmen mussten.

Wie viele Flüchtlinge wurden bisher behandelt?

Bereits vier Wochen nach der Eröffnung im September 2015 hatten 1.500 Menschen ärztliche und/oder zahnärztliche Hilfe gesucht.

Wie überwinden Sie die Sprachbarrieren?

Da die Wenigsten Englisch sprechen, sind Dolmetscher für die Anamnese sehr bedeutsam. Ohne Dolmetscher könnten wir keine Allergien abfragen, alternative Medikamente stehen uns aber auch nur bedingt zur Verfügung. Bei der Gabe von Antibiotika und Ibuprofen mussten wir sehr vorsichtig sein, da die Menschen von der Flucht noch sehr geschwächt waren, wenig Nahrung zu sich genommen hatten und das deutsche Essen noch nicht gewöhnt waren. Daraus hätten bedenkliche Komplikationen entstehen können. Deshalb sind Dolmetscher für unsere Tätigkeit enorm wichtig.

In Kürze sollen eigens für den medizinischen Bereich der Notunterkunft Dolmetscher arbeiten. Problematisch ist nur, dass diese Notunterkunft sehr spät entstanden ist, so dass die verfügbaren Dolmetscher bereits an anderen Unterkünften und Standorten, wie zum Beispiel am Landesamt für Gesundheit und Soziales, tätig sind.

Die Ausstattung des Behandlungsraums ist gespendet worden. Von welchen Einrichtungen werden Sie und Ihre Kollegen unterstützt?

Sämtliche Medikamente bekommen wir aus der Hauptapotheke der Charité. Das Malteserkrankenhaus spendet Einmalartikel, Flächen- und Instrumentendesinfektionsmittel. Vermittelt wurde dieser Kontakt vom Gesundheitsamt Berlin-Charlottenburg. Auch die Zahnärztekammer Berlin bezahlt diverse Einmalinstrumente und Materialien aus einem eigens für die Flüchtlingshilfe angelegten Spendenkonto. Im September gab es hier gar nichts. Wir hatten nur einen kleinen Klappstuhl. Das Gesundheitsamt Berlin-Charlottenburg ist übrigens die einzige Behörde Berlins, die bisher geholfen hat. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut und das Gesundheitsamt ist für unseren Einsatz sehr dankbar.

Wie oft sind Sie in der Notunterkunft tätig und wie organisieren sich die Helfer untereinander?

Am Anfang war ich fast jeden Tag für eine Stunde vor oder nach der Arbeit hier. Momentan bin ich zweimal pro Woche für etwa zwei Stunden hier. Der medizinische Bereich ist von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Am Anfang gab es einen festen Stamm von fünf Zahnärzten. Mithilfe von Dienstplänen haben wir unsere Einsätze organisiert. Das funktioniert immer noch ganz gut. Schließlich müssen sieben Tage abgedeckt werden. Allerdings ist die Fluktuation sehr hoch. Die Anzahl der Kollegen hat sich zum Ende 2015 verringert, da die Kollegen der Meinung waren, dass der Senat die Zuständigkeiten klären und Lösungen liefern sollte.

Inwieweit wird Ihre ehrenamtliche Tätigkeit honoriert?

Gar nicht, weil wir unregistrierte Menschen behandeln und eine Helferin würde nicht versichert sein. Das ist die Crux! Es gibt viele Menschen, die gern helfen wollen, aber versicherungstechnisch ist das unmöglich, da wir uns im medizinischen Niemandsland befinden. Hier greift eigentlich nur der Nothelferparagraf. Wir haben keine Rechtsgrundlage.

Und das ist meiner Meinung nach auch immer noch die Problematik beim Senat. Vonseiten der KZV-Führung wird für diesen Standort verhandelt, weil bisher schon extreme Leistungen erbracht worden sind. Auch in vielen Zahnarztpraxen wurde unentgeltlich geholfen. Es ist an der Zeit, dass die Arbeit der Freiwilligen honoriert wird.

Welche Materialien und Geräte benötigen Sie vor Ort besonders dringend?

Es mangelt an Vielem. Ich hatte gehofft, dass der Senat uns Materialien und Geräte zur Verfügung stellt. Das war so vereinbart. Auf die Geräte und Materialien warte ich bis heute.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Für diesen Standort müsste man sich wünschen, dass er geschlossen wird, damit ein neuer Standort gefunden wird, der eine menschenwürdige Unterbringung sowie eine bessere medizinische Versorgung ermöglicht. Zudem wäre es wünschenswert, wenn die Registrierung der Flüchtlinge vor Ort stattfindet, so dass diese nicht hin und her gefahren werden müssen. Das kostet viel Geld, zudem stresst es die traumatisierten Menschen unnötig.

Was motiviert Sie trotz des scheinbaren Versagens der Politik, ehrenamtlich tätig zu sein?

Zum einem bin ich motiviert, weil ich jeden Tag an der Notunterkunft vorbeikomme, da ich in der Nähe wohne. Das heißt, ich kann mich dem Elend nicht verschließen. Zum anderen motiviert mich das Versagen der Politik an diesem Standort. Es wurde viel versprochen und nichts eingehalten. Und gerade weil ich ehrenamtlich arbeite, also kein Befehlsempfänger und nicht auf das Honorar angewiesen bin, kann ich den Zuständigen aus der Politik auf die Füße treten. Wir werden hier helfen, solange es nötig ist.

Die zm hat Frau Schweden am 15. Februar 2016 in der Notunterkunft getroffen.

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