Hospitieren mit Kompetenz
Nach einer dreidimensionalen Röntgendiagnostik am Befundungsmonitor seiner Praxis arbeitet sich Dr. Falk Nagel Schritt für Schritt durch die Implantatplanung. Anschließend erläutert er die geplante Behandlung der Patienten. Der Dresdner Oralchirurg lässt sich heute dabei besonders viel Zeit, denn er hat eine Zuhörerin: Julia Zimmermann, Zahnmedizinstudentin zwischen dem neunten und dem zehnten Semester an der Technischen Universität (TU) Dresden.
Vier Weisheitszähne sind schon erledigt
Die 24-Jährige schaut ihm im Rahmen einer Hospitation einen Tag lang über die Schulter. Und nicht nur das: Sie ist auch aktiv bei den Behandlungen dabei und assistiert dem Zahnmediziner – soweit es ihre Kenntnisse zulassen. Die operative Entfernung von vier Weisheitszähnen ist schon erledigt, als nächstes steht eine Zystektomie an. Bei dem jungen Patienten wurde gerade die Betäubungsspritze gesetzt. Die Zwischenzeit nutzt Nagel, um mit der Patientin seine Implantatplanung zu besprechen. Julia Zimmermann auch da mittendrin und dabei.
Nach nur drei Stunden Hospitation hat die gebürtige Münchnerin schon reichlich „Praxisluft“ geschnuppert. „Abgesehen von den Behandlungen war ich auch bei der Teambesprechung am Morgen dabei. Eine Mitarbeiterin hat mir danach erklärt, wie der Empfang und das Bestellsystem organisiert sind und einen Einblick in die Aufbereitung des Sterilguts – was gemacht werden muss und wie lange der Vorgang dauert – habe ich auch bekommen“, erzählt die Studentin. Das Spannendste sei für sie bisher die Implantatplanung gewesen. „Es war nicht so klar, ob genügend Knochen da ist, um das Implantat zu setzen. Dr. Nagel hat mir seine Entscheidung anhand der Röntgenbilder erklärt und ich habe danach mithören können, wie er das im Patientengespräch rübergebracht hat. Das fand ich sehr informativ.“
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Den Berufsalltag hautnah erleben
Das hören Prof. Dr. Thomas Hoffmann, Direktor der Poliklinik für Parodontologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, und Dr. Mathias Wunsch, Präsident der sächsischen Landeszahnärztekammer, gern. Sie sind ihrerseits in die Praxis, die zwischen Fetscherplatz und dem Deutschem Hygienemuseum liegt, gekommen, um sich die Umsetzung des Hospitationsprogramms live anzuschauen, auf das sie gemeinsam rund zehn Jahre lang hingearbeitet haben.
„Die Möglichkeit einer fakultativen Hospitation bieten wir im Studiengang schon viele Jahre an. Der Praxisaufenthalt fand bisher nur in der Vorklinik statt“, berichtet Hoffmann, der auch Studiendekan der Zahnmedizin in Dresden ist. Dieser Zeitpunkt sei aber zu früh, um einen wirklich intensiven Einblick in den beruflichen Alltag eines Niedergelassenen zu gewinnen. „Die Studierenden können dann einfach noch zu wenig und an eine praktische Mitarbeit ist gar nicht zu denken“, so Hoffmann. Aus diesem Grund habe man das Angebot jetzt unter dem Titel „Kooperationspraxen der zahnmedizinischen Ausbildung“ erweitert.
Dabei handelt es sich um eine mehrtägige Hospitation, an der die Dresdener Zahnmedizinstudierenden in den Semesterferien zwischen dem neunten und dem zehnten Semester freiwillig teilnehmen können. Fünf Tage verbringen sie in einer Allgemeinpraxis, wo sie unter Supervision des niedergelassenen Zahnarztes Diagnostik, Prävention und Therapie durchführen, einen Tag lang assistieren sie in der Chirurgie.
Ihren Aufenthalt in der Allgemeinpraxis hat Zimmermann bereits absolviert. Sie zieht ein durchweg positives Fazit: Neben einer Zahnreinigung und einer Individualprophylaxe bei einem Kind durfte sie unter anderem eine Fissurenversiegelung und eine Füllung übernehmen. „Es freut mich, dass sich die Praxis an die Vereinbarung mit der Uni gehalten hat und uns Studierende auch wirklich behandeln lässt“, sagt sie. Es handelt sich dabei um prophylaktische Tätigkeiten.
Langer Atem ist besser als hauruck
Ohne die enge Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Kammer wäre die Idee nicht realisierbar gewesen, sagt Hoffmann. Im Hauruckverfahren ließe sich so ein Projekt nicht stemmen und selbst mit vereinten Kräften erfordere die Umsetzung einen langen Atem. Auf beiden Seiten hätten Bedenken ausgeräumt, grünes Licht eingeholt und praktikable Strukturen entwickelt werden müssen. Dazu gehörte unter anderem die Erarbeitung eines Anforderungsprofils mit Muss- und Soll-Kriterien für die Praxen, die sich als Kooperationspartner bewerben. Das Anforderungsprofil (siehe Kasten) wurde von Gemeinsamen Beirat Fortbildung der DGZMK und der BZÄK am 22. Januar verabschiedet und liegt als Empfehlung vor.
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Auf Uni- und Kammerseite mussten Hoffmann und Wunsch dabei jeweils unterschiedliche Hürden nehmen. Die größten Bedenken auf Kammerseite habe es in Sachen Versicherung gegeben. Was, wenn bei der Behandlung durch einen Studenten etwas passiert? Steht dafür die Hochschule, der Studierende oder die Einzelpraxis gerade?
„Die Kollegen wollten zurecht wissen, wie sie in diesem Fall abgesichert sind“, erzählt Wunsch. „Uns ist eine Lösung mit der Versicherungsgesellschaft gelungen, mit der die Kammer schon lange zusammenarbeitet. Das Unternehmen hat sich bereit erklärt, für den Hospitationszeitraum Haftpflichtschutz anzubieten.“ In der Verantwortung des Praxisinhabers verbleibe es aber, die Fähigkeiten des Studierenden genau einzuschätzen, bevor er Aufgaben an ihn oder sie delegiert. Und selbstverständlich könne gar nichts ohne die ausdrückliche Einwilligung des Patienten passieren.
Hoffmann musste einen langen Weg durch die Institutionen gehen, um die Hospitation von den zuständigen Landesministerien und der TU absegnen zu lassen. „Erfreulicherweise konnte ich dabei feststellen, dass ich überall offene Türen einrenne. Von der Fakultät kam sofort Unterstützung für die Idee und auch Gesundheits- und Wissenschaftsministerium gaben uns ein positives Feedback“, rekapituliert der Studiendekan Zahnmedizin.
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35 Praxen wurden gebraucht , 220 meldeten sich
Die Zahnärzte in Sachsen stehen dem Projekt laut Wunsch offen gegenüber: Um das Projekt vor zehn Jahren zu starten, wurden 35 Praxen gebraucht – auf den Aufruf der Kammer meldeten sich spontan 220. Der Einfachheit halber wurden die Hospitationen zunächst nur in Dresdener Praxen angeboten. Für die Studierenden sind sie so besonders einfach in ihr Studium zu integrieren. Mittlerweile sind auch Praxen auf dem Land integriert. „Wir wollen den Studierenden zeigen, dass die Menschen auf dem Land auch nicht anders sind als die in der Stadt und dass auf dem Land manche Aspekte unserer Arbeit sogar reizvoller sein können“, sagt Hoffmann.
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Mithilfe der Kooperationspraxen den Versuch zu wagen, die Konzentration der Berufseinsteiger auf die Großstädte zu durchbrechen, begrüßt auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK). „Generell sehen wir darin eine Möglichkeit, das Interesse an einer Niederlassung zu steigern. Die Studierenden sollen Lust bekommen, selbst Chef oder Chefin zu sein, anstatt in die Anstellung zu gehen“, hält BZÄK-Vize Prof. Dr. Christoph Benz fest, der gleichzeitig amtierender Vorsitzender des Gemeinsamen Beirats Fortbildung von DGZMK und BZÄK ist.
Nicht nur eine echte Bereicherung des Curriculums
Eine Hospitation, wie sie in Dresden angeboten wird, stellt aus Sicht der BZÄK eine klare Win-win-Situation für alle Beteiligten dar. Benz: „Sinnvolle Lehre funktioniert nur im Austausch mit der Praxis. Das Angebot bereichert in diesem Sinne das Curriculum – und durch die Nähe der Niedergelassenen zur Uni verstärkt sich möglicherweise der Zustrom von Patienten an die Hochschule.“
Die Niedergelassenen profitieren ihrerseits vom akademischen Input, den die Hospitationen und der enge Kontakt zur Uni mit sich bringen. So freut sich Nagel nicht nur darüber, dass er seine Praxis als zertifizierte Kooperationspraxis ausweisen darf – was einen positiven Effekt auf die Außenwirkung hat –, es gefällt dem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter an der TU Dresden auch, sich mit den Studierenden über den Hochschulbetrieb auszutauschen.
Doch das ist nicht alles, was ihn motiviert: „Die theoretische und praxisbezogene Wissensvermittlung an der Uni ist groß. Dennoch ist es schwer, die Praxisabläufe während der klinischen Kurse komplett zu simulieren. Als Kooperationspartner kann ich den Studierenden live einen Einblick ins spätere Berufsleben ermöglichen und als Fachpraxis auf spezifische Aspekte eingehen, von der Praxisorganisation über die Instrumentenaufbereitung bis hin zur Mitarbeiterführung. Das finde ich wichtig und es macht mir Spaß.“
Morgens sitzen auch Patienten im Wartezimmer, die gar nicht bestellt sind
Das Angebot kommt gut an. Wunsch hat im Rahmen der Berufskundevorlesung, die er an der TU Dresden hält, positive Rückmeldungen der Studierenden bekommen. „Die waren alle richtig froh, mal zu sehen, wie ein Tag in einer normalen Praxis abläuft. Dass zum Beispiel am Morgen auch Patienten im Wartezimmer sitzen, die gar nicht bestellt sind, und die man dann zwischendurch abarbeiten muss und dass das normales Tagesgeschäft ist“, berichtet er. „Ich finde es wichtig, dass wir den jungen Leuten dieses Wissen beizeiten mit auf den Weg geben.“
Doch: Einblicke in die Praxis, insbesondere ins zahnmedizinische Behandeln, stimmten viele in der akademischen Lehre skeptisch, weiß Hoffmann. Diesen Vorbehalt könne er aber nur entkräften: „Ich höre immer wieder, dass das Lehrpersonal Sorge hat, dass die Lehrmeinung durch die zahnärztliche Realität in der Praxis konterkariert wird. Ich sage: Selbst wenn dem so wäre, ist das nichts Negatives. Über die Vorgehensweise, die die Studierenden in der Praxis beobachtet haben, können die Hochschullehrer noch ein ganzes Jahr lang mit ihnen diskutieren. Sie verlieren also nicht an Einfluss, sondern vergrößern ihn.“
Als Hochschule muss man Eigeninitiative zeigen
Die zahnärztliche Approbationsordnung wurde bekanntlich seit über 60 Jahren nicht mehr grundlegend novelliert. „Als Hochschule muss man deshalb Eigeninitiative zeigen, um eine moderne Lehre anbieten zu können“, sagt Hoffmann. Praxisaufenthalte, wie sie in Dresden und an verschiedenen anderen Universitäten (siehe Kästen) für die Studierenden organisiert werden, gehören für ihn dazu. Dabei verschweigt er nicht, dass deren Umsetzung einen zusätzlichen zeitlichen Aufwand und viel Engagement aufseiten des Lehrpersonals erfordert.
Benz sieht in den Hospitationen vor dem Staatsexamen einen zentralen Hebel, um die Qualität der zahnärztlichen Ausbildung zu verbessern. Die BZÄK würde es deshalb begrüßen, wenn solche Projekte vermehrt angestoßen würden: „Wir wollen dabei auf keinen Fall in regionale Befugnisse eingreifen. Unsere Aufgabe sehen wir vielmehr darin, gute Rahmenbedingungen für Kammern und Unis zu schaffen, die etwas in diese Richtung auf die Beine stellen wollen. Wir wollen informieren und Mut machen.“
Auch wenn die individuelle Umsetzung anders aussehen kann, empfiehlt der Gemeinsame Beirat Fortbildung aber in jedem Fall ein paar Standards zu beachten, unter anderem den Aspekt „Qualität der praktischen Ausbildung“. Daher sollten die Kooperationspraxen anhand des entwickelten Anforderungsprofils ausgesucht und nach der Hospitation von den Studierenden genau evaluiert werden. „Und noch etwas erachten wir als wichtig: Der Zeitrahmen für die Hospitation sollte nicht zu kurz gehalten und der Zeitpunkt möglichst nach der Vorklinik angesetzt werden“, fügt Benz hinzu. „Dann stehen die Chancen gut, dass gewonnene Impulse bis zum Ende des Studiums nicht versanden.“
Susanne Theisen E-mail:
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