Interview

„Der Papiertiger muss auch springen können!“

Wie sollen die 300 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds aus Sicht der Kassen am besten eingesetzt werden?

Martin Litsch:

Aus unserer Sicht ist es nur die zweitbeste Lösung, die Mittel aus dem Innovationsfonds zentral über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zuzuteilen. Dass von dort aus sektorenübergreifende Prozessinnovationen ausgehen, ist angesichts der sektoralen Legitimation und Interessen des G-BA kaum zu erwarten. Und der Aufbau der notwendigen „Förderbürokratie“ verläuft langsam und ist kostspielig. Hier wäre es sinnvoller gewesen, die Entscheidungen über innovative Projekte dezentral bei den Kassen mit ihren Versorgungsvertragspartnern anzusiedeln.

Im Übrigen dürften die Mittel dort am effektivsten eingesetzt werden, wo es die seit Jahren bekannten Strukturprobleme in der Versorgung gibt. Deshalb sollten prozess- oder strukturinnovative Vorhaben den Vorrang haben, das heißt, Koordination und Kooperation an den Schnittstellen der Versorgung müssen im Interesse der Versicherten vorangebracht werden. Innovationen, die im Wesentlichen dazu dienen, produktbezogene Erkenntnisse, zum Beispiel zu Medizinprodukten oder Arzneimittel zu liefern (Produktinnovationen), sollten hingegen nicht gefördert werden, genauso wenig wie Prozessinnovationen, die die bestehenden Sektorgrenzen weiter zementieren.

Wo sehen Sie die Balance zwischen zielgerichtetem Mitteleinsatz und den besten Innovationen für Versicherte?

Gibt es da einen Widerspruch? Wenn es tatsächlich die besten Innovationen für Versicherte sind, dann wären die Mittel ja auch richtig eingesetzt. „Innovation“ ist kein Selbstzweck, sie muss auf die Verbesserung der Gesundheitsversorgung abzielen und wirtschaftlich sein.

Wie schätzen Sie den Kostenaufwand der Krankenkassen bei der späteren Umsetzung von innovativen Projekten ein – und was sollte für die Kassen als Nutzen dabei gewährleistet sein?

Die Neuausrichtung und Umsetzung der Versorgung ist immer mit erheblichem Aufwand sowohl für die Krankenkassen als auch für die beteiligten Gesundheitspartner verbunden. Diesen zusätzlichen Aufwand beziehungsweise die zusätzlichen Kosten, die nicht von den Vergütungssystemen der Regelversorgung übernommen werden, soll der Innovationsfonds tragen. Der Nutzen ist für die Kassen klar definiert: Die geförderten Vorhaben müssen die Versorgungsqualität und -effizienz für die Versicherten steigern. Und nach der Förderphase dürfen nicht höhere Kosten in der Regelversorgung hängen bleiben.

Welche Rolle spielen die Leistungserbringer bei der Umsetzung?

Eine zentrale. Wenn die Gesundheitspartner nicht mitziehen, sind innovative Projekte zum Scheitern verurteilt. Es reicht nicht aus, gute Ideen auf das Papier zu schreiben. Der sprichwörtliche „Papiertiger“ muss auch springen können, um in der Versorgungsrealität anzukommen. Hierfür brauchen die Krankenkassen professionelle, verlässliche und umsetzungsstarke Vertragspartner auf Leistungserbringerseite, die bereit sind, über die heutigen Sektorgrenzen hinweg vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.

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