Der Innovationsfonds

Geniestreich oder Fehlkonstruktion?

Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) entscheidet von 2016 bis 2019 darüber, welche neuen Versorgungsformen und -forschungsprojekte mit Blick auf Übernahme in die Regelversorgung gefördert werden. Die ersten Förderschwerpunkte stehen jetzt fest. Doch ist der 1,2 Milliarden Euro schwere Innovationsfonds tatsächlich ein Motor für innovative Versorgung?

Mit dem Innovationsausschuss und dem Innovationsfonds wurde ein bis dato einzigartiges Konstrukt im Gesundheitswesen geschaffen. Aufgabe des Innovationsausschusses ist es, als ersten Bereich neue Versorgungsformen zu fördern, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen. Für diese Projekte stehen bis 2019 jährlich 75 Prozent des Innovationsfonds, also 225 Millionen Euro, zur Verfügung. Gefördert werden Vorhaben, die eine Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung zum Ziel haben und hinreichendes Potenzial aufweisen, dauerhaft in die Versorgung aufgenommen zu werden.

Ausgeschlossen von der Förderung sind reine Produktinnovationen. Leistungen zur Krankenbehandlung hingegen, die bislang nicht vom Leistungsrecht umfasst sind, sind voll förderfähig. Bei der Antragstellung ist in der Regel eine Krankenkasse zu beteiligen. Entscheidend ist, ob die Anträge den noch festzusetzenden Förderkriterien entsprechen.

Für die Förderung neuer Versorgungsformen hat der Gesetzgeber bereits einige Kriterien vorgegeben:

• Verbesserung der Versorgungsqualität und Versorgungseffizienz

• Behebung von Versorgungsdefiziten

• Optimierung der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen, Versorgungseinrichtungen und Berufsgruppen

• interdisziplinäre und fachübergreifende Versorgungsmodelle

• Übertragbarkeit der Erkenntnisse, insbesondere auf andere Regionen oder Indikationen

• Verhältnismäßigkeit von Implementierungskosten und Nutzen

• Evaluierbarkeit

Als zweiten Bereich werden Projekte zur Versorgungsforschung gefördert, sofern sie Erkenntnisse zur Verbesserung der bestehenden Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung bringen. Unter Versorgungsforschung wird dabei die wissenschaftliche Untersuchung der bestehenden Versorgung des Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen verstanden. Auch werden Projekte gefördert, die bestehende Selektivverträge und Verträge zur Integrierten Versorgung evaluieren. Hierfür werden jährlich 75 Millionen Euro bereitgestellt. Die Finanzierung des Fonds erfolgt insgesamt hälftig durch die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds und durch die am Risikostrukturausgleich teilnehmenden Krankenkassen. Der Kreis der Antragsberechtigten ist bewusst offen gehalten.

Gebildet wird der Innovationsausschuss aus drei Vertretern des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen, jeweils einem Vertreter der KBV, der KZBV und der DKG, dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA sowie zwei Vertretern aus dem BMG und einem Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Patientenvertreter erhalten ein Mitberatungs- und Antragsrecht.

Für den wissenschaftlichen und versorgungspraktischen Sachverstand in die Beratungsverfahren soll ein Expertenbeirat sorgen, dessen Empfehlungen der Innovationsausschuss in seine Entscheidungen einzubeziehen hat. Prof. Dr. Katrin Hertrampf, MPH, zuständig für Prävention und Versorgung in der Zahnheilkunde der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel, ist Mitglied des Beirats und bringt hier zahnmedizinische Expertise ein.

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Die Förderschwerpunkte

Am 18. Februar 2016 hat der Innovationsausschuss nun die Weichen für die ersten Förderverfahren gestellt, konkrete Förderschwerpunkte beschlossen und mit der Erarbeitung von Förderbekanntmachungen begonnen. Die Bekanntmachungen konkretisieren die Anforderungen, die die Förderanträge zu erfüllen haben. Sowohl für die neuen Versorgungsformen als auch für die Versorgungsforschung hat der Innovationsausschuss für die erste Förderwelle 2016 jeweils einen themenoffenen und mehrere themenspezifische Förderschwerpunkte definiert.

Der themenspezifische Teil des Förderbereichs „neue Versorgungsformen“ greift folgende Schwerpunkte auf:

• Versorgungsmodelle in strukturschwachen

oder ländlichen Gebieten

• Modellprojekte zur Arzneimitteltherapie sowie Arzneimitteltherapiesicherheit

• Versorgungsmodelle unter Nutzung von Telemedizin, Telematik und E-Health

• Versorgungsmodelle für spezielle Patientengruppen wie ältere Menschen, psychisch Erkrankte, Pflegebedürftige, Kinder und Jugendliche oder Menschen mit seltenen Erkrankungen.

Der themenspezifische Teil des Förderbereichs „Versorgungsforschung“ enthält diese Schwerpunkte:

• Weiterentwicklung der QS und Patientensicherheit in der Versorgung

• Verbesserung von Instrumenten zur Messung von Lebensqualität für bestimmte Patientengruppen

• Innovative Konzepte patientenorientierter

Pflege unter Berücksichtigung der Arbeitsteilung und der Schnittstellen sowie der Integration ausländischer anerkannter Pflegefachkräfte in den Versorgungsalltag

• Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit der GKV-Versorgung

• Ursachen, Umfang und Auswirkung administrativer und bürokratischer Anforderungen auf die Patientenversorgung sowie Entwicklung geeigneter Lösungsansätze

• Einsatz und Verknüpfung von Routinedaten zur Verbesserung der Versorgung.

Sobald die dazugehörigen Förderbekanntmachungen beschlossen sind, steht einer Antragsstellung grundsätzlich nichts mehr im Wege.

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Die Schwachstellen

Auch wenn die Entscheidung des Gesetzgebers, Versorgungsinnovationen und deren Erforschung mit 1,2 Milliarden Euro zu fördern, grundsätzlich zu begrüßen ist, zeigen sich bei näherem Hinsehen doch einige Schwachstellen, die das Gesamtbild deutlich eintrüben. Zum einen: die Laufzeitbegrenzung von vier Jahren. Es ist überaus fraglich, ob in der begrenzten Zeit tatsächlich ausreichend Erkenntnisse gewonnen werden können, damit die geförderten Projekte in die Regelversorgung überführt werden können. Dieser Erkenntnisgewinn und die Umsetzung in die breite Versorgung ist jedoch das eigentliche Ziel der gesamten Förderung.

Ohne valide Aussagen aus den Förderungen wird eine Übernahme in die Kollektivversorgung kaum zu vertreten und damit möglich sein. Der Einsatz der Finanzmittel wäre somit verfehlt. Dazu hat der Gesetzgeber eine weitere über-aus kritisch zu bewertende Entscheidung getroffen. Die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel von insgesamt 300 Millionen Euro sind gemäß § 92a Absatz 3 Satz 5 SGB V nicht auf das folgende Haushaltsjahr übertragbar. Sie sind anteilig an den Gesundheitsfonds (Liquiditätsreserve) und die Krankenkassen zurückzuführen. Dem Innovationsausschuss wird damit die Möglichkeit genommen, Rücklagen zu bilden, um größere Projekte über mehrere Jahre zu fördern. Er ist gezwungen, seine Mittel haushaltsjahrgebunden auszugeben. Hieraus könnte eine de facto zwangsweise Förderung auch von Projekten resultieren, die ohne den „Ausgabendruck“ aufgrund mangelnder Qualität nicht gefördert worden wären.

Angesichts des zu erwartenden engen Zeitkorridors zwischen Veröffentlichung der Förderbekanntmachungen und der Entscheidungen des Innovationsausschusses über die einzelnen Förderanträge kann dies zu einer Zeitverzögerung und generell zu Komplikationen bei der Umsetzung führen, die mit der ohnehin limitierten Laufzeit des Innovationsfonds kollidieren könnten.

###more### ###title### Chancen für die Zahnmedizin ###title### ###more###

Chancen für die Zahnmedizin

Obwohl die Zahnmedizin bislang nicht unbedingt im Fokus sektorübergreifender Versorgungsmodelle steht, können sich auch für die zahnärztliche Versorgung Chancen, denn der sektorübergreifende Bezug ist keine zwingende Voraussetzung für eine Förderung. Auch sektorspezifische Versorgungsmodelle sind damit grundsätzlich förderfähig. Interessant ist dies etwa für Projekte, die besondere Patientengruppen wie Kinder oder Pflegebedürftige im Fokus haben. Auch der Ansatz sektorübergreifender Versorgung kann für die Zahnärzteschaft Möglichkeiten bieten – beispielsweise bei der Versorgung multimorbider Patienten, bei der eine enge Abstimmung aller beteiligten Professionen überaus sinnvoll ist.

Der Erkenntnisgewinn

Ob der Innovationsfonds die an ihn gestellten Erwartungen erfüllen wird, bleibt abzuwarten. Die erwähnten Konstruktionsschwächen haben den Start nicht einfacher gemacht. Selbst wenn der Innovationsausschuss zeitnah über Förderanträge entscheiden sollte, wird der Erfolg erst zu dem Zeitpunkt sichtbar werden, an dem Projekte tatsächlich neue Erkenntnisse zu Tage fördern und Eingang in die Gesamtversorgung finden. Sollte der Erkenntnisgewinn gering sein oder eine Übernahme positiver Ergebnisse in die Regelversorgung aus übergeordneten Gründen nicht erfolgen, müssten die 1,2 Milliarden Euro als reine Subvention selektvivvertraglicher Versorgungsmodelle bewertet werden. Dies wäre ein überaus ernüchterndes Ergebnis. Wenn jedoch die Bereitschaft besteht, positive Ergebnisse aus der Förderung und der Evaluation der bestehenden Versorgung tatsächlich umzusetzen, könnte der Fonds seinen Namen als Beförderer von Innovationen zu Recht tragen.

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RA Christian Nobmann

Leiter der Abteilung Koordination G-BA der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung

Behrenstr. 42

10117 Berlin

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