Marktwächter soll es richten
Ein Ultraschall zur Früherkennung von Eierstockkrebs, ein PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs, Blutegel gegen Kniearthrose, die Glaukom-Untersuchung beim Augenarzt oder Eigenbluttherapie – sie alle haben eines gemeinsam: Es handelt sich um Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die nicht über die gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden. Der Patienten muss folglich selbst in die Tasche greifen. So lange es IGeL-Leistungen gibt, so lange monieren Verbraucherschützer den Verkaufsdruck in den Praxen. Vielen Kassen befinden die Selbstzahler-Angebote generell für unnötig. Ärzte sehen das ganz anders: „IGeL können im individuellen Patientenfall durchaus sinnvoll sein“, betont die KBV auf Nachfrage von zm. Und auch betriebswirtschaftlich spielen sie für Ärzte eine Rolle.
Nach Ansicht der Augenärzte sind IGeL in der Praxis sogar unverzichtbar: „Hochwertige Medizin ist heute nur noch mit Selbstzahlerleistungen möglich“, erklärt Dr. Georg Eckert, Sprecher des Berufsverbandes der Augenärzte auf Nachfrage von zm. „Die Gesetzliche Krankenversicherung finanziert per Auftrag nur Leistungen nach dem ’WANZ’-Prinzip – also ’wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig’. Das Kriterium ’ausreichend’ deckt hochwertige und für den Patienten medizinisch sinnvolle Leistungen in ihrer Gesamtheit nicht mehr ab. Hier spielen IGeL eine große Rolle. Eine hochwertige Versorgung der Patienten ist nur mit leistungsfähigen Praxen möglich, die auf Selbstzahlerleistungen zurückgreifen können.“
Die SPD sieht das anders und will die Fülle von IGeL-Angeboten in Arztpraxen reduzieren. In einem Entwurf der parteiinternen Programmarbeitsgruppe Umwelt-, Klima und Verbraucherschutz zur Vorbereitung für die nächste Bundestagswahl heißt es: „Die Flut kostenpflichtiger, medizinisch aber oft überflüssiger IGeL-Leistungen wollen wir eindämmen. In den Praxen müssen vereinheitlichte Informationen ausgehängt werden, warum IGeL-Leistungen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, weil zum Beispiel der medizinische Sinn zweifelhaft ist.“ Ohne einen schriftlichen Behandlungsvertrag und verbindliche schriftliche Aussagen zu Nutzen und Risiken der IGeL über ein Produktinformationsblatt dürfe eine Zahlungspflicht des Patienten gar nicht erst entstehen. Dazu schlägt die Partei vor, einen sogenannten „Marktwächter Gesundheit“, ein Warnsystem aus dem Verbraucherschutz, einzurichten. Die Begründung:
Die IGeL unterlägen keiner Überwachung, sondern seien allein in die Verantwortung des Arztes gestellt. Systematische Wettbewerbsverstöße oder andere Benachteiligungen von Verbrauchern seien nur über systemastische Marktbeobachtungen und Eingriffsmöglichkeiten zu erkennen. Hier solle der „Marktwächter Gesundheit“ helfen.
Schon in anderen Bereichen habe die SPD ein Marktwächter-Modell etablieren können, schreibt die FAZ in einem Bericht über die SPD-Pläne (15.8.2016). So existieren seit März 2015 – gefördert vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und koordiniert durch den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) – die beiden Projekte „Marktwächter Finanzen“ und „Marktwächter Digitale Welt“. Der Marktwächter im Bereich Finanzen hat derzeit Lebensversicherungen und Bauspargeschäfte im Fokus. Im Bereich Digitale Welt sind es Video- und Musik-Streaming-Dienste sowie Buchungs- und Vergleichsportale.
Timo Beyer, Pressereferent beim vzbv, skizziert auf Nachfrage von zm die Arbeitsweise der aktuellen Marktwächter so: „Verbraucher melden uns Beschwerden und Hinweise in bundesweit rund 200 Beratungsstellen und über das Portal (www.marktwaechter.de). Diese Informationen werden in einer bundesweiten Datenbank gesammelt und anschließend durch Experten in Schwerpunkt-Verbraucherzentralen analysiert. Stellen wir dadurch strukturelle Probleme fest, können wir beispielsweise Verbraucher gezielt warnen, Untersuchungen oder Abmahnungen einleiten.“
Laut vzbv funktioniert dies erfolgreich: Die Verbraucherschützer haben bereits mehrere Rechtsverstöße festgestellt und Unternehmen in 12 Fällen abgemahnt. Der Homeshopping-Anbieter Mediaspar habe beispielsweise eine Unterlassungserklärung wegen irreführender Werbung abgegeben. Ferner konnten die Marktwächter-Teams feststellen, dass die jährlichen Standmitteilungen von Lebensversicherungen oft intransparent sind und teilweise nicht einmal den rechtlichen Anforderungen genügen.
Was im Bereich Finanzen und Digitale Welt demnach funktioniert, soll nach Wünschen der SPD also auch auf den Gesundheitsbereich angewendet werden. Es sei nur „folgerichtig, dass sich die Verbraucherzentralen mit dem Sinn und Unsinn individueller Gesundheitsleistungen befassten“, wird SPD-Politikerin Elvira Drobinski-Weiß in der FAZ zu den Plänen der Partei zitiert.
Noch mehr Bürokratie
Harsche Kritik kommt vom CDU-Wirtschaftsrat: Die Partei plane mit dem „Marktwächter Gesundheit“ noch mehr Bürokratie für die Praxen ohne Mehrwert für die Patienten.
Das Ganze laufe auf eine „Bevormundung und Entmündigung des Patienten“ hinaus, verbreitete Generalsekretär Wolfgang Steiger über die Webseite seiner Organisation. Patienten könnten sich auch heute schon umfassend über IGeL informieren und beraten lassen. Neben dem Arzt des Vertrauens stünden hierfür die Beratungsstellen der Krankenkassen und die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) zur Verfügung.
Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob ein Marktwächter im Gesundheitsbereich überhaupt einen Mehrwert bieten kann, wenn es um die Beratung über IGeL geht. Denn: Den Stellenwert von Beratung und seriöser Informationen über IGeL hat die Ärzteschaft selber bereits in die politische Diskussion gebracht. 2012 hatte die Bundesärztekammer, gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin und zahlreichen ärztlichen Fachverbänden, einen Ratgeber zu IGeL erarbeitet (www.igel-check.de), der laufend aktualisiert wird (zuletzt 2015). Der Ratgeber bietet zum einen Checklisten für Patienten, aus denen hervorgeht, auf was sie beim Angebot einer IGeL-Leistung achten sollen. Zum anderen soll er für Ärzte als Leitfaden dienen, um bei der Beratung Missverständnisse zu vermeiden.
Mit diesem Ratgeber reagierte die Ärzteschaft auch auf den jährlich erscheinenden IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes (MDS). Der IGeL-Monitor hat sich zum Ziel gesetzt, einzelne IGeL wissenschaftlich fundiert zu bewerten, um Versicherte in die Lage zu versetzen, sich für oder gegen die IGeL zu entscheiden.
Die Bundesärztekammer sieht dieses Ansinnen jedoch kritisch: „Problematisch sind vor allem die offenbar rein politisch motivierten Auswahl der bewerteten IGeL und die nicht kommunizierten Kriterien, nach denen IGeL zur Bewertung ausgewählt werden“, hatte BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank Montgomery bei der Veröffentlichung der letzten Neuauflage des Ratgebers betont.