30 Prozent sind 30 Prozent
Die Kalkulation mit Hochprozentigem ist für viele Menschen selbst in nüchternem Zustand höhere Mathematik. Das halten Sie für üble Nachrede? Dann sollten wir die Probe aufs Exempel machen. Fangen wir bei Ihnen an, meine Damen. Ihr schönes Depot ist im vergangenen Jahr um 50 Prozent eingebrochen. Nun sind Sie guter Hoffnung, dass das Depot wieder den alten Stand erreichen wird. Um wie viel muss der Wert steigen? Ich vertraue darauf, dass Sie nicht auf 50 Prozent tippen, sondern mindestens 100 Prozent fordern. Sonst hülfe in der Tat nur Likör!
Nun zu Ihnen, meine Herren! Sie haben vor zwei Jahren dem Verwalter der Hausbank diskret 200.000 Euro anvertraut. Nach einem Jahr ist der Wert des Depots auf 160.000 Euro gesunken. Darüber waren Sie so verärgert, dass Sie die Hälfte abgezogen haben. Nun hat der Verwalter den Wert der verbliebenen 80.000 Euro auf 120.000 Euro gesteigert, so dass Sie sich fragen, ob der kalte Entzug richtig war. Ich weiß nicht, wie Sie rechnen. Falls Sie der Meinung sind, das Depot habe im ersten Jahr genau 20 Prozent verloren, liegen Sie richtig. Sie haben auch Recht, wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, der Wert des Depots sei im zweiten Jahr um 50 Prozent gestiegen. Wenn Sie jetzt aber (minus) 20 Prozent und (plus) 50 Prozent addieren und durch zwei (Jahre) dividieren, sind Sie (leider) auf dem Holzweg. Die jährliche Rendite beträgt 9,54 Prozent pro Jahr, so dass der Verwalter in meinen Augen gute Arbeit geleistet hat.
Heikel wird die Geschichte, wenn sich Paare in die Haare geraten, weil jeder mit anderen Prozenten rechnet. Ich will Ihnen das Problem am Beispiel vermögender Zahnärzte schildern. Der Mann ist 70 Jahre alt, die Frau ist 65 Jahre jung. Sie haben 500.000 Euro auf dem Konto. Der Ehemann bezieht aus dem Versorgungswerk eine monatliche Nettorente von 3.000 Euro. Die Anleihen haben einen Wert von 160.000 Euro. Das Eigenheim ist 450.000 Euro wert, die Ferienwohnung etwa 150.000 Euro. Die Aktien haben einen Kurswert von 200.000 Euro.
Das Ehepaar macht sich Gedanken, wie die halbe Million „besser“ angelegt werden kann. Der Vermögensverwalter der Hausbank fragt nach der Aufteilung. Wie viel Prozent sollen in Anleihen fließen, wie viel sollen in Aktien investiert werden? Die beiden wollen sich nicht festlegen. Irgendwann wird es dem Verwalter zu bunt, er macht den Vorschlag, 70 Prozent in Anleihen und 30 Prozent in Aktien zu stecken. Damit können sich die beiden anfreunden, weil es um Beträge von 350.000 und 150.000 Euro geht, doch was halten Sie, liebe Leser, von diesem Vorschlag?
Ich halte sowohl die Prozentsätze als auch die Anlagebeträge für fragwürdig. Der erste Posten in der Vermögensbilanz ist das Bargeld von 500.000 Euro. Der zweite Posten ist die Rente. Sie hat einen Wert von 3.000 Euro mal 12 Monate mal 15 Jahre. Hinzu kommen die Anleihen von 160.000 Euro. Die Immobilien sind der vierte Posten. Das Eigenheim und die Ferienwohnung sind 600.000 Euro wert. Abgerundet wird die Bilanz durch die Aktien mit ihrem Wert von 200.000 Euro. Das sind unterm Strich rund 2.000.000 Euro.
Sie mögen mich für meschugge halten, wie es im Jiddischen heißt, wenn jemand von der Norm abweicht, doch in meinen Augen geht es nicht um die Frage, wie 500.000 Euro anzulegen sind, sondern es geht um die Überlegung, wie das Gesamtvermögen von 2.000.000 Euro „sinnvoll“ strukturiert wird. Ich plädiere für 5 – 35 – 30 – 30. Das sind nicht Ihre zukünftigen Traummaße, sondern die Prozentwerte, wie das Gesamtvermögen auf vier Gruppen aufgeteilt wird. In Euro heißt das, dass 100.000 Euro als Bargeld in der Kasse liegen bleiben. 700.000 Euro werden in Anleihen investiert. Für die Immobilien sind 600.000 Euro vorgesehen und der restliche Betrag, also weitere 600.000 Euro, fließt in Aktien.
Die Realisierung des Konzepts wird auf großen Widerstand stoßen. Die 500.000 Euro müssen zu einem Fünftel (100.000 Euro) auf ein Geldmarktkonto und zu vier Fünfteln (400.000 Euro) in Aktien angelegt werden! Bei den Anleihen, Renten und Immobilien bleibt alles beim Alten. Hier darf nichts verändert werden, weil die aktuellen Werte und die künftigen Zahlen identisch sind.
Der wunde Punkt ist die Aufstockung der Aktien um 400.000 Euro. Die Anleger sind zwar mit dem Vorschlag einverstanden, 30 Prozent in Aktien anzulegen, aber zwischen 30 Prozent von 500.000 Euro und 30 Prozent von 2.000.000 Euro liegen doch Welten, im vorliegenden Fall 450.000 Euro. Ich weiß aus Erfahrung, dass Anleger in diesem Alter, so wohlhabend sie sein mögen, gewaltige Schwierigkeiten haben, den absoluten Aktienbetrag zu verdreifachen. Die einen sind plötzlich der Meinung, der neue Betrag sei viel zu hoch, die anderen vertreten die Auffassung, bei diesen Kursen sei der Einstieg in Aktien finanzieller Selbstmord. Ich sehe das gelassen(er): 30 Prozent sind 30 Prozent, und 30 Prozent von 2.000.000 Euro sind 600.000 Euro. Die Wahrscheinlichkeit, diesen Betrag zu 100 Prozent in den Sand zu setzen, ist bei breiter Streuung gering. Sollte der Wert von 3.000 oder 4.000 Unternehmen in 13 Jahren über Nacht auf null Euro fallen, werden wir mit höchster Wahrscheinlichkeit vor anderen Problemen stehen!
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