Die Herausbildung der Spezialdisziplinen
Die heutige Zahnheilkunde ist ganz wesentlich charakterisiert durch die Existenz mehrerer Spezialdisziplinen, die in der jüngeren Vergangenheit zur Etablierung entsprechender Lehrstühle an den Medizinischen Fakultäten geführt haben. Dies betrifft die Zahnerhaltung (auch: Konservierende Zahnheilkunde), die Zahnärztliche Prothetik (inklusive Werkstoffkunde beziehungsweise Biomaterialien), die Kieferorthopädie sowie die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Wobei letztere insofern in die Medizin hineinragt, als ihre Ausübung abgeschlossene Ausbildungen und Approbationen in Zahnmedizin und in Medizin voraussetzt.
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Je nach gewähltem Ordnungssystem, universitärem Standort und fachlichem Blickwinkel sind weitere Einzeldisziplinen zu nennen wie etwa die zumeist formal der Zahnerhaltung zugeordnete Parodontologie, die hinsichtlich des Tätigkeitsfeldes mit der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie verwandte Oralchirurgie und die an der Nahtstelle von Chirurgie und Prothetik angesiedelte zahnärztliche Implantologie. Auch das Lebensalter kann eine Differenzierungsgrundlage bilden: Hiernach kann unterschieden werden zwischen einer Kinderzahnheilkunde (Kinderstomatologie), der herkömmlichen (Erwachsenen-)Zahnheilkunde und einer Alterszahnheilkunde (Alterszahnmedizin, Seniorenzahnmedizin). Legt man wiederum das Verzeichnis der derzeit existierenden, mit der DGZMK assoziierten zahnärztlichen Fachgruppierungen zugrunde, können mittlerweile mehr als 30 Bereiche differenziert werden.
19. Jahrhundert – Zeitalter der Spezialisierung
In zeitlicher Hinsicht konzentriert sich der vorliegende Beitrag im Wesentlichen auf zentrale Weichenstellungen und wegweisende Entwicklungen zwischen 1800 und 1950. Jüngere Entwicklungen werden nicht oder allenfalls punktuell angesprochen [Groß, 1994; Hoffmann-Axthelm, 1973; Strübig, 1989].
Wie Hans-Heinz Eulner bereits 1970 überzeugend herausarbeitete, gilt das 19. Jahrhundert als das Zeitalter der Entwicklung der medizinischen Spezialfächer. Freilich setzte sich diese Ausdifferenzierung im 20. Jahrhundert fort – sie führte und führt in vielen Bereichen zu immer neuen Subdisziplinen und Spezialisierungen [Eulner, 1970].
Auch in der Zahnheilkunde nahm dieser Prozess der Differenzierung im 19. Jahrhundert Fahrt auf. Bis dahin stellte die Zahnbehandlung in den allermeisten Fällen lediglich eine ultima ratio dar. Mit anderen Worten: Zahnbehandler wurden zumeist nur aufgesucht, wenn massive Zahnprobleme beziehungsweise -schmerzen vorlagen. Die Therapie beschränkte sich überwiegend auf die Extraktion schadhafter Zähne, war also zumeist nicht kurativ, sondern auf Schmerzbeseitigung ausgerichtet [Groß, 2005].
###more### ###title### Die Zahnerhaltung ###title### ###more###
Die Zahnerhaltung
Bis 1800 beschränkten sich zahnerhaltende Maßnahmen – sofern sie überhaupt ergriffen wurden – auf die Entfernung von Zahnstein, das Glätten von Zahnkanten, das (eher seltene) Auffüllen von Zahndefekten mit Folien aus Blei (lat. plumbum – vergleiche „plombieren“), Gold oder Zinn beziehungsweise das Kautern der Pulpa mit glühenden Instrumenten [Groß, 1994; Hoffmann-Axthelm, 1973; Strübig, 1989]. Auch die Zahnerhaltung beziehungsweise die konservierende Zahnheilkunde konnte dementsprechend erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wesentliche fachliche Grundlagen und Alleinstellungsmerkmale ausbilden.
Der Begriff „Zahnerhaltung“ steht aus heutiger Sicht für therapeutische Maßnahmen, die der Erhaltung der natürlichen Zähne dienen. Dazu zählen die Prävention, die Diagnostik und Therapie von erkrankten beziehungsweise geschädigten Zähnen, namentlich die zahnmedizinische Prophylaxe, die Karies- beziehungsweise Füllungstherapie, zahnerhaltende Maßnahmen mittels Teilkronen und die Endodontie. Dieses Spektrum spiegelt sich auch wieder in der Binnendifferenzierung der heutigen „Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung“ (DGZ), die einen Verbund von drei eigenständigen Gruppierungen darstellt: der „Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin“ (DGPZM), der „Deutschen Gesellschaft für Restaurative und Regenerative Zahnerhaltung“ (DGR²Z) und der „Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie“ (DGET). Auch die Behandlung von Zahnbetterkrankungen gehörte ursprünglich zum Bereich der Zahnerhaltung, wenngleich die Parodontologie heute mehrheitlich als eigenständige zahnärztliche Spezialdisziplin wahrgenommen wird.
Generell gilt: Wenn man auf Entwicklungen in der (Zahn)Heilkunde blickt, ist es wichtig, zwischen der Zeit der Erstbeschreibung und dem Zeitpunkt der Etablierung einer neuen Methode, eines neuen Materials oder eines neuen Instrumentariums zu differenzieren:
Viele Hilfsmittel und Gerätschaften, die heutzutage die konservierende Zahnheilkunde charakterisieren, konnten sich erst zwischen 1800 und 1950 durchsetzen, obwohl zum Teil erheblich frühere Erstbeschreibungen nachweislich sind.
Ebenso wegweisend wie bohrtechnische Innovationen wurden einzelne wissenschaftliche Erkenntnisse, die am Ende des 19. Jahrhunderts erzielt und verbreitet wurden: Einen großen Fortschritt in der internationalen Kariesforschung stellte etwa Willowby D. Millers 1889 veröffentlichtes Buch „Die Mikroorganismen der Mundhöhle“ dar. Miller erkannte die Zahnkaries als chemisch-parasitären Vorgang. Nur wenige Wochen nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen (1896) ließ Otto Walkhoff von seinen eigenen Zähnen erste Röntgenaufnahmen herstellen und leitete damit die Ära der zahnärztlichen Radiologie ein. Im selben Jahr publizierte Miller mit dem „Lehrbuch der Conservirenden Zahnheilkunde“ (1896) – das erste zum Standardwerk avancierte Buch, das sich spezifisch der Zahnerhaltung widmete. Füllungen aus Goldfolie waren zu diesem Zeitpunkt das bevorzugte Füllungsmaterial. In Millers Lehrbuch wurden dem Gold bezeichnenderweise 48 Seiten gewidmet, während das Amalgam nur auf sechs Seiten beschrieben war.
Die ersten fluoridhaltigen Mundpflegeprodukte (Zahnpasta, Zahnpulver und Mundwasser) wurden ebenfalls um die Jahrhundertwende hergestellt, fanden jedoch erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts breite Anwendung. In den 1930er-Jahren konnte zudem der DMF-Index etabliert werden. Er wurde in der Folgezeit – in modifizierter und weiterentwickelter Form – zum Maßstab für die Zahngesundheit in der Bevölkerung. Die Einführung des Index läutete zugleich die Ära der oralen Epidemiologie ein.
Auch für die Endodontie gilt, dass die frühen Versuche der Nervbehandlung bereits viele Jahrhunderte zurückliegen – dennoch fallen wiederum viele entscheidene wissenschaftliche und klinische Entwicklungen in die Zeit zwischen 1840 und 1960. Nur wenige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Als Erfinder der Exstirpationsnadel und der damit verbundenen Vitalexstirpation gilt Edward Maynard (1840). In den 1880er-Jahren wurden die ersten konfektionierten Guttapercha-Stifte auf den Markt gebracht. Die Triopaste (Paraformaldehyd, Trikresol und Kreolin) wurde 1889 von Alfred Gysi eingeführt. Er empfahl auch die Verwendung von Wasserstoffperoxid (H2O2) zur Desinfektion, während sich Natriumhypochlorit (NaOCl) als Spüllösung erst nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzte. Wenig später führte Walkhoff die nach ihm benannte Jodoform-Paste in die Endodontie ein. Sie war zusätzlich mit Chlorphenol-Kampfer-Menthol (ChKM) versetzt.
###more### ###title### Die Parodontologie ###title### ###more###
Die Parodontologie
Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Parodontologie – die Lehre vom Zahnhalteapparat (Parodontium), seiner Erkrankungen und deren Behandlung – ein. Die Behandlung von Zahnbetterkrankungen wurde lange Zeit als Teil der „Zahnerhaltung“ angesehen, entwickelte sich jedoch zunehmend zu einer Spezialdisziplin. Besagte Entwicklung führte vereinzelt zur Etablierung eigenständiger Lehrstühle. In der Mehrzahl der Fälle blieb das Fach Parodontologie je- doch zumindest formal-organisatorisch den Lehrstühlen für Zahnerhaltung zugeordnet [Schlagenhauf, 2009; Groß, 1994: Hoffmann-Axthelm, 1973; Strübig, 1989].
Auch im Bereich der Parodontologie ist zu unterscheiden zwischen frühen Erstbeschreibungen und der breiten Etablierung der Subdisziplin. Der älteste Hinweis auf Parodontalerkrankungen stammt vermutlich von Aulus Cornelius Celsus und reicht damit bis in die Antike zurück. Auch Pierre Fauchard beschrieb im 18. Jahrhundert klinische Symptome einer Parodontitis – wenngleich die Begrifflichkeit bis weit ins 20. Jahrhundert umstritten blieb. 1921 führte Oskar Weski den Begriff Parodontose als Sammelbegriff für alle (entzündlichen und nicht-entzündlichen) Zahnbetterkrankungen ein – ein Begriff, der bekanntlich bis heute in der Bevölkerung weit verbreitet ist, während sich innerhalb der Fachdisziplin spätestens in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Differenzierung zwischen Parodontitis (für entzündliche Erkrankungen) und Parodontose (für den höchst seltenen rein atrophischen Gewebsschwund) durchsetzte.
Heutzutage kommt dem Terminus technicus „Parodontose“ nur noch medizinhistorische Bedeutung zu. Viele Parodontologen führen die wissenschaftlichen Anfänge des Faches auf den US-Amerikaner John Mankey Riggs zurück, der seit den 1850er-Jahren die zentrale Rolle der Mundhygiene für Zahnbetterkrankungen sowie eine penible Zahnsteinentfernung mit Débridement und anschließender Zahnpolitur als therapeutische Maßnahmen propagierte und so die entzündlichen Erscheinungen deutlich eindämmen konnte. 1922 veröffentlichten Paul R. Stillman und John Oppie McCall mit „A Textbook of clinical periodontia“ ein zentrales Lehrbuch dieses jungen Faches. Stillman entwickelte dabei auch die nach ihm benannte Zahnputztechnik und wurde Namensgeber der von ihm beschriebenen Stillmanspalte („Stillman’s cleft“). Charles Cassedy Bass entwickelte ebenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die nach ihm benannte Zahnputztechnik und leistete so ebenfalls einen wichtigen – wenngleich unter Zeitgenossen kontrovers diskutierten – Beitrag.
Im Jahr 1924 gründeten Oskar Weski, Hans Sachs und Robert Neumann die Arbeitsgemeinschaft für Paradentosen-Forschung (ARPA). Sie schrieb sich unter anderem die Standardisierung der Befunderhebung (inklusive Dokumentation von Zahnbetterkrankungen) und der Fachterminologie auf die Fahnen („Parodontosestatus“) und leistete so einen wichtigen Beitrag zur Aufwärtsentwicklung des um Anerkennung ringenden Spezialfachs. 1929 konnte die ARPA zudem die erste Ausgabe ihrer Fachzeitschrift „Paradentium“ herausgeben, drei Jahre später erfolgte die Gründung der ARPA Internationale, die unter anderem Zahnärzte aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, der Schweiz und der Tschechoslowakei versammelte.
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bedeutete – neben den verheerenden weltpolitischen und ethischen Implikationen – auch für die deutsche Parodontologie einen Rückschlag, da gerade die nun verfolgten beziehungsweise zur Emigration gezwungen jüdischen Zahnärzte (neben vielen anderen auch Gottlieb, Hirschfeld, Kantorowicz, Sachs) vor 1933 maßgeblich zur Etablierung des Faches beigetragen hatten. Einen weiteren Meilenstein lieferten die eigentlich in der orthopädischen Forschung verorteten Wissenschaftler Lloyd A. Hurley und Frank E. Stinchfield: Sie schufen 1959 die Grundlagen der Guided Tissue Regeneration (gesteuerte Geweberegeneration, GTR), die in der Folgezeit auch für die Parodontologie fruchtbar gemacht werden konnte. So wurden spezifische Membranen etwa aus Polytetrafluoräthylen (PTFE) entwickelt, die an geeigneter Stelle eingepflanzt wurden und werden, um eine gesteuerte Neubildung des im Zuge der Erkrankung verloren gegangenen Gewebes zu induzieren. Hauptziel der GTR war und ist dementsprechend die Wachstumsförderung geschädigter Gewebe des Zahnhalteapparats. Schon 1957 hatte Dentsply mit dem Cavitron ein Gerät zur Zahnsteinentfernung mittels Ultraschall auf den Markt gebracht, das auch im Rahmen der Parodontalbehandlung zum Einsatz kam. Und 1969 wurde der Parodontalstatus erstmals obligate Grundlage einer GKV-finanzierten systematischen Parodontaltherapie.
###more### ###title### Die Prothetik ###title### ###more###
Die Prothetik
Die Zahnärztliche Prothetik beschäftigt sich traditionell schwerpunktmäßig mit der oralen Rehabilitation nach Zahnverlust und weitgehender Zahnhartsubstanzschädigung. Sie bezieht heutzutage alle damit zusammenhängenden biologischen, funktionellen, psychosozialen, materialkundlichen und technologischen Aspekte mit ein.
Die Versuche, verloren gegangene Zähne beziehungsweise Zahnreihen zu ersetzen, sind so alt wie die Menschheitsgeschichte [Hoffmann-Axthelm, 1973]. Als Materialien dienten je nach Epoche, Kulturkreis und finanziellen Rahmenbedingungen Elfenbein, Knochen, Nilpferd- oder Walroßzähne, aber auch Zähne menschlicher Leichen. In der Regel waren die hiermit angefertigten Prothesen funktionell ungenügend, zudem haftete den Zähnen aufgrund des organischen Materials häufig rasch ein unangenehmer Geruch an [Eichner, 1959; Groß, 1994; Hoffmann-Axthelm, 1970a-c und 1973; Strübig, 1989].
Auch die zahnärztliche Prothetik etablierte sich letztlich erst im 19. Jahrhundert als wissenschaftliche Disziplin, wenngleich insbesondere Pierre Fauchard und Philipp Pfaff im 18. Jahrhundert mit ihren Publikationen hierfür bereits wichtige Grundlagen legten. Eine echte Schrittmacherfunktion kam Anfang des 19. Jahrhunderts dem italienischen Zahnarzt Giuseppangelo Fonzi zu: Er ließ erstmals einzelne Porzellanzähne herstellen, die er dann mittels Metallstiften fest mit der Prothesenbasis verband. Fonzi vollzog damit den entscheidenden Schritt zu einem neuzeitlichen Zahnersatz und zur gewerblichen Produktion von künstlichen Zähnen. 1844 begann Samuel Stockton White (S. S. White) in den USA mit der massenhaften Herstellung von Porzellanzähnen.
1839 erfand Charles Goodyear die Vulkanisation – ein Verfahren, mit dem Kautschuk widerstandsfähig gemacht wird und das bald in die zahnärztliche Prothetik Einzug hielt. Vulkanisierter Kautschuk wurde nun für die Produktion von Prothesenbasen genutzt, in die die Porzellanzähne integriert werden konnten. Allerdings wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein Saugnäpfe in Oberkieferprothesen eingearbeitet, wobei diese nicht selten erhebliche Defekte am Kiefer verursachten. Erst die breitflächige Etablierung der Funktionsabformung zur Erzeugung einer Saugwirkung setzte dieser Fehlentwicklung ein Ende.
Vor der Etablierung von Kautschuk kamen neben Elfenbein auch Gold beziehungsweise Gold-Platin-Legierungen (Platin war bis ins 19. Jahrhundert hinein ein eher preiswertes Metall) als Werkstoffe für die Prothesenbasis zum Einsatz – hier allerdings mit meist dürftigem Erfolg. Metalle beziehungsweise Metalllegierungen traten in der Zahnheilkunde dennoch einen Siegeszug an: So wurde 1912 eine rostfreie Chrom-Nickel-Stahl-Legierung entwickelt, die kaltverformbar war. Sie ermöglichte die Herstellung von Edelstahl-Prothesen im Prägeverfahren. Bald konnten sich Kobalt-Chrom-Legierungen als Werkstoffe etablieren. Sie erwiesen sich als weitgehend korrosionsbeständig und wurden zum Ausgangspunkt für viele weitere Legierungen mit immer neuen verbesserten Eigenschaften.
Bei den Einzelzahnkronen dominierten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Goldkronen, die jedoch insbesondere in der Front ästhetisch dürftige Ergebnisse lieferten. Die Jacketkrone (Mantelkrone aus Vollkeramik) geht auf den Detroiter Zahnarzt Charles Henry Land zurück (1889 Patentanmeldung). Der in Dresden praktizierende Zahnarzt Newell Sill Jenkins entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts das nach ihm benannte Porzellan-Email („Jenkins Porcelain Enamel“), das mit der Zeit für Porzellaninlays und bei Zahnkronen und -brücken eingesetzt wurde und damit einen wesentlichen Beitrag zur ästhetischen Zahnheilkunde darstellte. Für die Herstellung sorgte die von Jenkins gegründete Manufaktur Klewe Co. Allerdings erwies sich die Bruchfestigkeit des Porzellans als eher gering, so dass man nach einer Kombination von Metallgerüst und Aufbrennkeramik suchte. Die betreffenden Forschungen führten jedoch erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Durchbruch.
Bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelte William H. Taggert eine Gussmaschine und eine Einbettmasse, mit der ein direkt modelliertes Gussobjekt mittels „Lost-wax casting“ (Wachsausschmelzverfahren) in Metall überführt werden konnte. Die höchst massgenauen Kronen beziehungsweise Gußkörper hielten jedoch erst Mitte des 20. Jahrhunderts in breiter Form Einzug in die Zahnheilkunde.
Bereits 1858 hatten die Dresdner Sylvestre Augustin Rostaing de Rostagni und Charles Augustin Rostaing den Zinkphosphatzement entwickelt, der zwar eigentlich als Füllungsmaterial vorgesehen war, letztlich aber zu einem erfolgreichen Befestigungsmaterial avancierte. Auch hier folgten zahlreiche Produktvarianten, darunter der ab 1892 von der Berliner Harvard Dental Company vermarktete Harvard Zement.
Der Prothesenkunststoff Polymethylmethacrylat (PMMA) wurde Ende der 1920er-Jahre entwickelt. In der Folgezeit kamen verschiedene Werkstoffvarianten auf Kunststoffbasis auf den Markt, die insbesondere mit dem Werkstoff Kautschuk konkurrierten und letzteren spätestens nach der Jahrhundertmitte als Prothesenmaterial zurückdrängten.
Auch die Entwicklung moderner Artikulatoren lässt sich ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen: William Gibson Arlington Bonwill aus Philadelphia entwickelte 1864 einen Artikulator, der die Kiefergelenksbewegungen zuverlässig simulieren konnte. Dazu wurden Gipsmodelle des Ober- und des Unterkiefers in Okklusionsstellung in den Artikulator montiert. Bonwill führte zudem den Terminus „Artikulation“ ein und wurde Namensgeber des „Bonwill-Dreiecks“. Auch der um 1910 von Alfred Gysi entwickelte Gysi-Simplex-Artikulator konnte sich behaupten. Ähnliches galt für den Whip-Mix-Artikulator und für den Schul-Artikulator-München (SAM).
Bei den Abformmaterialien stand am Ende des 19. Jahrhunderts neben dem bereits oben beschriebenen Guttapercha auch das 1856 entwickelte Stent zur Verfügung. Das nach dem Londoner Zahnarzt Charles T. Stent benannte thermoplastische Material bestand aus Harz, Wachs, Talkum und Farbstoff und löste die bis dahin gebräuchlichen Materialien Bienenwachs und Gips ab.
Der britische Pharmazeut Edward Curtis Stanford, der 1880 Alginsäure aus Braunalgen extrahierte, gilt als Entdecker des Alginats. Allerdings wurden die Alginate erst 1940 als Abformmaterial in die Zahnheilkunde eingeführt. Anfang der 1950er-Jahre kamen elastomere Materialien dazu. Seitdem folgten zahlreiche Varianten und Derivate, die die Qualität der Abformungen insgesamt wesentlich verbesserten.
###more### ###title### Die Kieferorthopädie ###title### ###more###
Die Kieferorthopädie
Die Kieferorthopädie (KFO) ist das Spezialgebiet der Zahnheilkunde, das sich mit der Prävention, Erkennung und Behandlung von Fehlstellungen der Kiefer und der Zähne beschäftigt. In der ehemaligen DDR etablierte sich hierfür auch die Bezeichnung „Orthopädische Stomatologie“.
Kieferorthopädische Themen tauchen bereits bei antiken Autoren – namentlich bei Aulus Cornelius Celsus – wie auch bei Autoren aus nachfolgenden Epochen auf, etwa im 18. Jahrhundert bei Pierre Fauchard und John Hunter. Dennoch wurde die Kieferorthopädie erst im 19. und insbesondere im 20. Jahrhundert auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt [Bernklau-Bertzbach, 1981; Groß, 1994: Hoffmann-Axthelm, 1973; Strübig, 1989].
Zu den neuzeitlichen Protagonisten des Faches gehörten in der ersten Hälfte des 19. Säkulums Georg Carabelli, der 1842 eine Klassifizierung der Okklusionsarten vorschlug, und Edward Maynard, der 1843 Gummizüge zur Zahnregulierung vorstellte. Wegweisende Publikationen über Kieferorthopädie wurden jedoch erst am Ende des 19. Jahrhunderts von Norman William Kingsley (1880) und von Edward H. Angle (1890) veröffentlicht – beide werden bis heute vielfach als „Väter der Kieferorthopädie“ genannt.
Kingsley vertrat u.a. das „jumping the bite“, worunter die Umstellung des Unterkiefers von einem Rückbiss in einen Normalbiss zu verstehen ist. Angle wiederum veröffentlichte 1898 ein Lehrbuch über Okklusionsanomalien, das rasch zu einem Standardwerk avancierte. Zudem gründete er 1901 die American Society of Orthodontia, die in der Folgezeit auch der europäischen Kieferorthopädie wichtige wissenschaftliche und fachpolitische Impulse verlieh. Angle differenzierte und klassifizierte 1899 die nachweislichen Formen der Malokklusion. Bis heute spielt die Einteilung der Okklusion nach „Angle-Klassen“ in der kieferorthopädischen Diagnostik eine maßgebliche Rolle. Die Multibandtechnik wurde bereits 1868 durch W. Erie Magill eingeleitet. Er gehörte zu den ersten Zahnärzten, der orthodontische Bänder auf Zähnen aufbrachte und so einer künftigen Standardbehandlung den Weg bereitete. Das Konzept herausnehmbarer kieferorthopädischer Apparaturen geht demgegenüber auf den amerikanischen Zahnarzt George B. Crozat und seinem deutschen Kollegen Albert Wiebrecht zurück: Die als Crozat-Gerät in die Geschichte eingegangene Apparatur wurde 1919 eingeführt. Hier wurden die bei festsitzenden Band-Bogen-Apparaturen üblichen Befestigungsbänder durch Halteklammern, wie man sie aus der zahnärztlichen Prothetik kannte, ersetzt. Vorzüge dieser Methode waren aus Patientensicht eine erleichterte Mundhygiene und aus Behandlersicht die Möglichkeit, das Gerät nachzujustieren. Auch die Gefahr von Resorptionen im Bereich der Zahnwurzel war reduziert; andererseits kam hier der Mitarbeit und Therapietreue der Patienten eine besonders wichtige Rolle zu.
Maßgeblichen Anteil an der Etablierung und Verbreitung der festen Zahnspange hatte wiederum Angle, auf den der urspüngliche Standard der Edge-Wise Technik – der Eingliederung von Brackets zur Befestigung von Drahtbögen – zurückgeht. Eine Weiterentwicklung im Bereich der Band- Bogen-Apparaturen bedeutete der 1937 von Joseph E. Johnson auf Chrom-Nickel-Stahl-Basis entwickelte Zwillingsbogen (Twin Wire Arch). Verbesserte Materialien führten in den 1950er-Jahren zur „Light-Wire-Technik“ mit verringerten Drahtstärken. Elsdon Storey und Percy Raymond Begg gehörten zu den Protagonisten dieser Technik. Auch die Fernröntgenaufnahme wurde zu einem wichtigen Element der kieferorthopädischen Diagnostik und Therapieplanung.
Herbert Hofrath hatte bereits 1931 im ersten Jahrgang der Fachzeitschrift „Fortschritte der Orthodontie“ auf die Potenziale dieser Röntgenaufnahme hingeweisen. Der US-Amerikaner Birdsall Holly Broadbent machte sich in jener Zeit ebenfalls um die Weiterentwicklung der betreffenden Technik verdient.
In den 1920er- und 1930er-Jahren widmeten sich Karl Häupl und Viggo Andresen den Wechselwirkungen zwischen der oralen Muskulatur und dentalen Fehlstellungen. Besagtes Untersuchungsfeld ging als „Funktionskieferorthopädie“ in die Geschichte der KFO ein. Zum prototypischen Behandlungsmittel wurde der Aktivator, dem bis heute zahlreiche Varianten folgten. Ebenfalls in dieser Zeitphase (1920) entwickelte Charles Hawley den Retainer, um Zähne am Therapieende in ihrer Position zu halten. 1945 etablierte der Kieferorthopäde Harold D. Kesling seinerseits ein Verfahren, bei dem Zahnfehlstellungen mit transparenten Kunststoffschienen korrigiert werden konnten (Aligner-Therapie).
In Deutschland hatte das Fach spätestens mit dem Jahr 1927 einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren: In diesem Jahr war es Alfred Kantorowicz geglückt, die Kieferorthopädie in die Schulzahnklinik zu integrieren und das Fachgebiet so einer breiten Bevölkerungsgruppe zugänglich und damit auch bekannt zu machen. Weitere Etappen auf dem Weg zu einer Etablierung der Fachdisziplin in Deutschland wurden 1955 und 1972 vollzogen: 1955 wurde die Kieferorthopädie an deutschen medizinischen Fakultäten in die Gruppe der Prüfungsfächer und 1972 in den Leistungskatalog (BEMA) der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen.
###more### ###title### MKG-Chirurgie und Oralchirurgie ###title### ###more###
MKG-Chirurgie und Oralchirurgie
Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) ist das medizinische Fachgebiet, das die Prävention, Diagnostik, Therapie und die funktionelle wie ästhetische Rehabilitation von Erkrankungen, Verletzungen, Fehlbildungen und Formveränderungen der Zähne, der Mundhöhle, der Kiefer und des Gesichts umfasst und somit auch plastisch-chirurgische Tätigkeiten mit einbezieht. Sie wird, wie oben erwähnt, von doppelapprobierten Behandlern vertreten. Um nach absolviertem Medizin- und Zahnheilkundestudium in Deutschland den Facharzt für MKG-Chirurgie zu erlangen, bedarf es zudem einer fünfjährigen Weiterbildungszeit. Davon abzugrenzen ist das Fach Oralchirurgie. Bei letzterem handelt es sich um approbierte Zahnärzte, die nach ihrem Studium eine vierjährige Weiterbildungszeit absolviert haben, die zu einem „Fachzahnarzt für Oralchirurgie“ führt. Das von einem Oralchirurgen abgedeckte Arbeitsfeld weist Schnittflächen mit dem des MKG-Chirurgen auf. Es umfasst die Chirurgie des Zahn-, Mund- und Kieferbereichs. Der plastisch-chirurgische Bereich gehört demgegenüber nicht zu seinem unmittelbaren Aufgabengebiet.
Unter den chirurgischen Fachgebieten gehörte die Kieferchirurgie lange Zeit zu den Randfächern. Ihre Aufwärtsentwicklung steht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg und seinen zahlreichen Kriegsverwundeten, die einen besonderen Bedarf an die Versorgung von Kiefer- und Gesichtsverletzungen stellten [Groß, 1994: Hoffmann-Axthelm, 1973, 1976 und 1995; Reinert, 2009; Strübig, 1989]. Maßgebliche Grundlagen hierfür wurden gleichwohl im 19. Jahrhundert gelegt – sowohl im Bereich der „großen“ Kieferchirurgie als auch im Bereich der chirugischen Zahnentfernung.
In der Zahnchirurgie dominierten bis an die Wende zum 19. Jahrhundert Pelikan, Zahnschlüssel, Geißfuß und Zahnzangen, wobei letztere spätestens seit den 1840er-Jahren deutlich an Stellenwert gewannen. Ursächlich für diese Entwicklung war der Londoner Zahnarzt John Tomes, der 1941 einen maßgeblichen Beitrag „On the Construction and Application of Forceps for Extracting Teeth“ publizierte. 1846 erschien eine Übersetzung der vorgenannten Arbeit in der ersten deutschsprachigen Fachzeitschrift „Der Zahnarzt“. Tomes bereitete den Weg zur Entwicklung anatomisch geformter Zahnzangen, die sich sehr viel besser an den Zahn anlegen und handhaben ließen als die bis dahin verfügbaren Modelle. Er empfahl für jede Zahngattung eine spezifische Zange.
Dabei verjüngten sich die Branchen zum Ende hin, um den Zahn bis unter das Zahnfleisch greifen zu können. Für die Entfernung von Wurzeln empfahl er den geraden beziehungsweise den gebogenen Hebel. Grundsätzlich vertrat er die Maxime, dass ein Zahn stets in toto entfernt werden müsse – ein Grundsatz, der zuvor über viele Jahrhunderte nicht konsequent beachtet wurde, wie Bezeichnungen wie „Zähne brechen“ oder „Zahnbrecher“ deutlich machen [Groß, 2005]. Gleichzeitig sprach sich Tomes gegen den Einsatz des Schlüssels aus. Ihm kam zu Gute, dass er in Jean-Marie Evrard einen exzellenten Instrumentenmacher vorfand, der seine Konstruktionsskizzen kongenial umzusetzen vermochte. 1905 gelang es dann dem Münchner Professor Jakob Berten, die Tomesschen Zangen weiter zu optimieren. Bertens Formen haben im Wesentlichen bis heute Bestand.
Zu den Wegbereitern der „großen“ Kieferchirurgie gehörte der US-amerikanische Arzt Simon P. Hullihen. Er rief um die Mitte des 19. Jahrhunderts in West Virginia eine Spezialklinik ins Leben, in der er Lippen- Kiefer-Gaumenspalten, Mundhöhlenkarzinome und Kieferhöhlen operierte. Hullihen hatte sich auf autodaktischem Weg praktisches zahnärztliches Wissen angeeignet und erhielt aufgrund seiner herausragenden Verdienste später den DDS h.c. – den zahnärztlichen Doktortitel ehrenhalber. Ähnlich wirkmächtig war der Arzt und Zahnarzt James Edmund Garretson (1828–1895), dessen Klinik für Oral Surgery in Philadelphia an das dortige Dental College angegliedert war. Er trat 1869 mit dem Lehrbuch „System of Oral Surgery“ hervor, das das zeitgenössische Lehrbuchwissen des Faches versammelte und so die Etablierung und Verselbstständigung des Fachs Kieferchirurgie weiter vorantrieb.
Spätestens mit der Anwendung von Kautschuk schienen ging die Kieferbruchbehandlung von der Allgemeinchirurgie in die Hände des auf Kiefererkrankungen spezialisierten (Zahn)Arztes über, zumal im zahnärztlichen Bereich die besten Vorerfahrungen mit der Anwendung des Kautschuks bestanden. Die Amerikaner Thomas Brian Gunning und James Baxter Bean dürften in den 1860er-Jahren zu den ersten Anwendern dieses Verfahrens gehört haben, das rasch zahlreiche Nachahmer fand. Dabei wurden verschiedene Formen der Fixierung der zumeist beide Zahnreihen umfassenden Kautschukschiene erprobt, so etwa mittels einer Kinnschleuder oder mittels extraoraler Bügel. Das letztgenannte Verfahren wurde 1880 von Norman W. Kingsley eingeführt. Wegbereiter der „modernen“ Drahtschienenverbände waren der Londoner Zahnarzt Gurnell E. Hammond (1872) und sein Berliner Kollege Carl Sauer (1881). Der Nestor der Kieferorthopädie, Edward H. Angle, empfahl seinerseits 1900 die Fixierung des gebrochenen Unterkiefers am Oberkiefer mittels orthodontischer Bänder.
Frühe Beiträge zur Wurzelspitzenresektion lieferten seit 1865 Emile Magitot und seit 1876 John Nutting Farrar. Letzterer bohrte einen Kanal zum Apex dentis, führte aber keine Apektomie durch. Meyer Louis Rhein nahm bereits 1890 Wurzelamputationen bei freiliegenden Molarenwurzeln vor. Aber auch der Deutsche Carl Partsch (1855–1932) trat seit 1895 durch Arbeiten zur Wurzelspitzenresektion hervor. Der eigentlich für Chirurgie habilitierte Partsch war 1890 zum Direktor des in Breslau neu gegründeten Zahnärztlichen Instituts ernannt worden und gilt aus heutiger Sicht als Vater der zahnärztlichen Chirurgie. Er entwickelte zwei Operationsmethoden der Wurzelspitzenresektion, namentlich die Zystostomie (Partsch I, 1892) und die Zystektomie (Partsch II, 1910). Beide wurden rasch zu Standardmethoden. Hinzu kam der 1905 im Rahmen dieser Operationstechniken eingeführte Bogenschnitt nach Partsch.
Nach 1914 führten die vielen Kriegsverletzungen von Soldaten und Zivilisten nicht nur zu einem Zuwachs an behandlungsbedüftigen Patienten und einer steigenden Nachfrage nach spezialisierten Chirurgen, sondern auch zur Etablierung spezialisierter Einrichtungen. Bereits 1914 konnte in Wien die erste Kieferklinik Europas zur Versorgung der Kriegsverletzten gegründet werden. Initiator war der Chirurg Anton Freiherr von Eiselsberg (1860–1939), erster Klinikleiter wurde dessen Schüler Hans Pichler. 1918 wurde die Kieferstation in Düsseldorf zur „Westdeutschen Kieferklinik“ aufgewertet – der ersten Kieferklinik auf deutschem Boden. Leiter war der Kieferchirurg August Lindemann. Er wurde 1935 erster Ordinarius für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten in Deutschland. Von 1948 bis 1950 war er zudem Rektor der Medizinischen Akademie Düsseldorf. 1925 wurde in Berlin im Rudolf-Virchow-Krankenhaus die zweite deutsche kieferchirurgische Fachklinik ins Leben gerufen. Als Leiter fungierte Martin Waßmund. Die dritte Spezialklinik folgte 1930 an der Charité Berlin. Ihr stand Georg Axhausen vor. Bereits 1924 war der „Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“ eingeführt worden. Die doppelapprobierten Fachärzte mussten im Anschluss an die beiden Studiengänge eine zunächst dreijährige Facharztausbildung durchlaufen. Zuvor hatten der Nachweis von Doppelstudium und Doppelapprobation ausgereicht. In der Ära des „Dritten Reichs“ wurde die Berufsbezeichnung dann zunehmend verunklart: So gab es sowohl den Facharzt für Zahn, Mund- und Kieferkrankheiten für Doppelapprobierte als auch den Fachzahnarzt für Kieferkrankheiten für Einfachapprobierte.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete zugleich auch das Ende der Kriegschirurgie. Wenngleich die Kieferchirurgen nach dem Kriegsende zunächst noch einige Jahre mit der Versorgung und Nachsorge schwerer Kiefer- und Gesichtsverletzten befasst waren, änderte sich der Tätigkeitsbereich dahingehend, dass der Anteil der traumatisch bedingten Fälle merklich zurückging. 1950 wurde in der Bundesrepublik der Verband der Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten e.V. ins Leben gerufen. Ab 1951 traten Kieferchirurgen mit qualifizierter Ausbildung unter der Bezeichnung „Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie“ auf. Hier blieb die Tätigkeit als (Mund-)Kiefer-Gesichtschirurg an die Doppelapprobation gebunden, während dieser Weg in der DDR 1977 verlassen und stattdessen ein Fachzahnarzt für Kieferchirurgie eingeführt wurde.
###more### ###title### Implantologie ###title### ###more###
Implantologie
Die zahnärztliche Implantatologie ist an der Nahtstelle von Chirurgie und Prothetik angesiedelt. Sie befasst sich im strengen Wortsinn mit der Insertion (Einsetzen) von Zahnimplantaten in den Kieferknochen; zumeist wird hierunter aber auch die implantatbezogene Suprakonstruktion verstanden, da sie sich technisch von konventionellen Suprakonstruktionen unterscheidet und insofern spezifische Anforderungen an den (implantat)prothetisch tätigen Zahnarzt stellt.
Die zahnärztliche Implantologie ist – unbeschadet von älteren Vorarbeiten – im Wesentlichen eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts (Brinkmann/Brinkmann 1995; Tänzler, 1998; Groß, 2014). Der fachliche Durchbruch wurde dabei erst deutlich nach der Jahrhundertmitte – und damit nach dem Untersuchungszeitraum dieses Beitrags – erzielt. Dennoch wurden bereits in den 1930er-Jahren Vitallium als biokompatibler Implantatwerkstoff vorgestellt. Das erste Vitallium-Schraubenimplantat konnte 1937 von Alvin Strock eingesetzt werden. Zu den Wegbereitern der Implantologie gehörte auch Manlio Formigini, der Helikoidalschrauben aus Tantal empfahl. Es folgten Raphaël Cherchève, Jacques Scialom und Ernst-Helmut Pruin, die ebenfalls Schrauben beziehungsweise Nadelimplantate propagierten. Als nicht tragfähig erwiesenen sich die subperiostalen Gerüstimplantate, die 1937 von Müller entwickelt worden waren und in der Jahrhundertmitte Anwendung fanden.
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Letztlich war es der Schwede Per-Ingvar Brånemark, der ab 1967 durch seine Arbeiten zur Osseointegration (gemeint ist ein funktionell-struktureller Verbund zwischen Knochengewebe und Implantatoberfläche), zur Biokompatibilität der Titanoberfläche und späterhin durch seine grundlegenden Publikationen zur zahnärztlichen Implantologie den Durchbruch dieses Arbeitsgebiets und den Siegeszug des Implantatwerkstoffs Titan markierte. Ende der 1960er-Jahre wurden zunächst von wenigen, hauptsächlich in eigener Praxis niedergelassenen Zahnärzten Zahnimplantate eingesetzt – vielfach noch gegen den Widerstand vieler Universitätskliniken und Kieferchirurgen. Erst in den nachfolgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Implantologie dank fortgesetzter technischer Verbesserungen sukzessive zu einem der zukunftsträchtigsten Teilgebiete der Zahnheilkunde.
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Fachzahnärzte im Überblick
Betrachtet man die historische Ausdifferenzierung der Spezialdisziplinen innerhalb der Zahnheilkunde nicht aus der Sicht der Entwicklungen und Entdeckungen, sondern aus der Perspektive der fachlichen Weiterbildungsmöglichkeiten [Staehle, 2010], so fällt auf, dass die erste offizielle zahnmedizinische Fachqualifikation den Doppelapprobierten vorbehalten war: Der Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten mit einer dreijährigen Fachausbildung wurde, wie oben erwähnt, bereits 1924 eingeführt. Im „Dritten Reich“ wurden dann die ersten fachzahnärztlichen Qualifikationen festgeschrieben (1935): Hierbei handelte es sich um die Bezeichnungen „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ und „Fachzahnarzt für Kieferchirurgie“. Nach ärztlicher Kritik an der Benennung „Fachzahnarzt für Kieferchirurgie“ wurde letztere 1942 in „Fachzahnarzt für Kieferkrankheiten“ abgeändert. Die Bezeichnung „Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“ war demgegenüber weiterhin Doppelapprobierten vorbehalten [Stuck, 1944]. Trotz dieser Änderung fiel es primär den Patienten schwer, die fachlichen und qualifikatorischen Unterschiede zwischen beiden Gruppierungen nachzuvollziehen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Teilung Deutschlands kam es auch zu unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Gebiet der Berufsbezeichnung und der Weiterbildungsmöglichkeiten. Dies betraf sowohl die Doppelapprobierten als auch die weitergebildeten Zahnärzte. So wurden den doppelapprobierten Kieferchirurgen in der Bundesrepublik seit 1951 die Bezeichnung „Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie“ zuerkannt. 1976 folgte dann die Bezeichnung „Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie“. In der DDR wurde den Doppelapprobierten zunächst ähnlich wie in der BRD die Qualifikation zu einem kieferchirurgischen Facharzt ermöglicht. 1977 wurde jedoch der auf der Grundlage der Doppelapprobation vergebene kieferchirurgische Facharzt abgeschafft und in Anlehnung an andere Staaten ein Fachzahnarzt für Kieferchirurgie eingeführt.
Allgemeinzahnärztlich tätige Behandler führten in der DDR die Bezeichnung Stomatologe. Das Studium wurde hier in der Regel mit einer Diplomarbeit abgeschlossen (Dipl.-Stom. = Diplom-Stomatologe). Danach war es zeitweise möglich, eine Weiterbildung zum Fachzahnarzt für allgemeine Stomatologie (1961) zu durchlaufen. Daneben existierten in der DDR der Fachzahnarzt für Kinderstomatologie (1961), der Fachzahnarzt für orthopädische Stomatologie, der Fachzahnarzt für Sozialhygiene (1975) und der Fachzahnarzt für Kieferchirurgie (1977). Nach der Wiedervereinigung wurden diese fachzahnärztlichen Qualifikationen abgeschafft. Sie konnten und können jedoch von den Absolventen weiter geführt werden. Ohne faktische Bedeutung blieben die 1983 in der DDR etablierten Fachzahnärzte in theoretisch-experimenteller Medizin beziehungsweise Mikrobiologie.
In der Bundesrepublik wurden neben dem bereits seit 1935 existenten Fachzahnarzt für Kieferorthopädie der Fachzahnarzt für Oralchirurgie (1975), der Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen (1975), der Fachzahnarzt für Parodontologie (1983, nur im Geltungsbereich der Landeszahnärztekammer Westfalen-Lippe) sowie der Fachzahnarzt für Allgemeine Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (2008, nur im Geltungsbereich der Landeszahnärztekammer Brandenburg) eingeführt.
Derzeit finden sich einerseits weitreichende Tendenzen der Auffächerung – erkennbar an den rezenten Spezialisierungsprogrammen mancher wissenschaftlicher Fachgesellschaften und zunehmenden postgradualen Masterausbildungen bis hin zu umstrittenen, vorwiegend kommerziell motivierten Spezial-Zertifikaten fraglicher Qualität – und auf der anderen Seite anhaltende standespolitische Bemühungen, der befürchteten „Zersplitterung“ der Zahnärzteschaft entgegenzuwirken. Auch hier wird die nähere Zukunft zeigen, welchen Weg die akademische Zahnheilkunde nimmt.
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinMedizinische Fakultät und Universitätsklinik der RWTH Aachen E-mail: