Die Digitalisierung des Gesundheitswesens (2)

Was sie meinen, wenn sie E-Health sagen

Die Zahl der elektronischen Anwendungen im Gesundheitsbereich steigt und steigt. Doch was bringen die eigentlich? Was geht schon, was wäre möglich? Wer ist wie in die Entwicklung eingebunden? Wer hat welches Interesse? Sortierung tut not. Involviert sind zahlreiche Akteure – im zweiten Teil geht es um die Motive der Krankenkassen, gesetzliche wie private.

+++ 25. april 2016: patientenvertreter fordern auf einer e-health-konferenz der cdu/csu-bundestagsfraktion eine art stiftung gesundheitstest für e-health-produkte +++

+++ barmer gek nennt aktualisierung des fernbehandlungsverbots „zielführend“ +++

+++ 19. februar 2016: gkv-spitzenverband will nur telemedizinische leistungen, die nachweislich die versorgung verbessern +++

+++ 09. februar 2016, safer-internet-konferenz, justizminister heiko maas: „kein mensch darf zum objekt eines algorithmus werden“ +++

Den Krankenkassen geht es um die digitale Vermessung des Menschen. Sie wollen wissen, wie lange man sich die Zähne putzt oder geschlafen hat, die Blutdruckwerte oder wie viel Schritte man am Tag zurückgelegt hat. Daten, Daten, Daten! Die notwendigen Apps (Messinstrumente) werden von den Kassen oft gleich mitgeliefert.

Und die Nachfrage der Patienten/Versicherten ist groß: Glaubt man Herstellern und Lobbyvertretern, besitzen immer mehr Menschen Apps, die in Fitnessarmbändern, Smartphones oder -watches integriert sind. Laut einer Studie des IT-Verbands Bitkom vom 23. April 2015 zeichnet bereits jeder dritte Deutsche über sogenannte Wearables seine Gesundheitsdaten auf – für viele ist die Selbst-Vermessung längst Alltag. 65 Prozent der Versicherten sind sogar bereit, ihreDaten anonym von Gesundheitsinstitutionen sammeln zu lassen, um Verbesserungen bei der Entdeckung und Behandlung von Krankheiten zu erreichen – so eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest vom 20. Januar dieses Jahres. So weit scheint alles zusammenzupassen. Stimmt das wirklich?

Schon heute werten die Kassen systematisch Abrechnungsdaten ihrer Versicherten aus, damit sie möglichst wirtschaftlich haushalten können. Allerdings bietet die Datensammel-Lust per App Versicherungsunternehmen noch mehr Möglichkeiten, an Informationen heranzukommen. Entscheidend ist dabei, wie man das Engagement im E-Health-Bereich, das von der Herausgabe einer App bis zu Angeboten telemedizinischer Anwendungen reicht, mit Anreizsystemen für die Versicherten zusammenführen kann, um Einsparmöglichkeiten zu eruieren, die Effizienz der Versichertenbeiträge zu erhöhen oder um Prämien zu individualisieren.

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Die GKV

Grundsätzlich steht der Spitzenverband der GKV der Anwendung von telemedizinischen Verfahren „positiv gegenüber“, wie es in einem Positionspapier vom Februar 2016 heißt. So stellte etwa die AOK Nordost auf einem Gesundheits-IT-Symposium der Telemed-Initiative Anfang Februar in Potsdam ein Bonus- und Prämienprogramm vor, das über App funktioniert. Die Argumentation ist die altbekannte: Es soll die Versicherten vorrangig zu einem gesunden Lebensstil motivieren, sagt die Kasse. Daher winken den Versicherten für sportliche Aktivitäten oder medizinische Vorsorge auch Prämien.

„Wir können Krankheiten besser beobachten“Laut TK-Chef Jens Baas ist die TechnikerKrankenkasse ein starker Befürworter eines zukünftigen sogenannten Patientenfaches. Was ist das? Die Patienten erhalten ab 2018 einen Anspruch darauf, dass ihre auf derelektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten in ein elektronisches Patientenfach aufgenommen werden. Patienten können auf diese Weise ihre Daten künftig online auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen. Baas plädierte in der Süddeutschen Zeitung vom 07. Februar dafür, dort neben medizinischen Angaben wie Befunden, Röntgenbildern oder Laborwerten auch Daten von Fitness-Trackern aufzunehmen. So könnten Krankheiten besser beobachtet und dem Versicherten leichter Prognosen über die gesundheitliche Entwicklung gegeben werden. Allerdings: Der Patient solle selbst entscheiden, ob er dies möchte.

Kritiker indes fragen, was passiert, wenn bei einem Kassenwechsel die Daten möglicherweise nicht mitgenommen werden können. Dies dürfte nicht nur die Entscheidung für einen Wechsel erschweren, sondern es würde auch das, was als Service daherkommt, zur Fessel für den Versicherten und zum Patientenbindungsinstrument für die Kasse.

„Die Patienten werden Herr ihrer Daten“Die Kasse ficht die Kritik nicht an: Der Trend zu „Wearables“ und „Selftracking“ sei eben keine Spielerei, sondern stärke den selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Umgang mit der Gesundheit, lobt sie die gewonnene Patientensouveränität. „Die Technik entwickelt sich viel rasanter als der gesetzliche Rahmen – hier müssen wir nachsteuern“, so Baas. Einige Ärzte aber sehen die Pläne der TK kritisch: Franz Bartmann, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, hält Tracking-Daten in Patientenakten gar für „Datenmüll“. Die vorwiegenden Nutzer seien leistungsbereite junge Menschen, die meist kein Fall für den Arzt seien

„Telemedizin spart Zeit und ist entlastend“Die DAK-Gesundheit bietet einen Videochat mit Ärzten an: DAK-Versicherte können sich von zu Hause aus von Fachärzten in einem speziellen Videochat beraten lassen. „Das spart Zeit und verhindert auch die Ansteckungsgefahr im Wartezimmer, vor allem für Eltern kleiner Kinder ist dies entlastend“, sagt Herbert Rebscher, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. Der Datenschutz werde dabei gemäß den gesetzlichen Regelungen eingehalten. Weder Angehörige noch die Mediziner oder die Kasse würden erfahren, was besprochen wird. Den Ärzten wiederum lägen keine Unterlagen der Kasse vor.

Das Problem daran: Das Angebot ruft ein anderes Thema auf den Plan, das mit telemedizinischen Angeboten in Verbindung steht – das Fernbehandlungsverbot. Ärzte dürfen im Videochat nicht behandeln und keine Diagnose stellen. Das Berufsrecht setzt voraus, dass sich der Arzt ein unmittelbares Bild des Patienten durch die eigene Wahrnehmung verschafft. Berufsrechtswidrig ist es daher, den Patienten ohne physischen Kontakt zu behandeln. Möglich ist dagegen, unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien einen konsiliarischen Rat zu geben.

„Wir wollen die Versorgung verbessern“Auch die Barmer ist dabei: Seit Januar bietet die Kasse beispielsweise das telemedizinische Konsiliararztsystem „PädExpert“ im Rahmen ihres Kinder- und Jugend-Programms an, das die Versorgung von Heranwachsenden verbessern soll, die unter seltenen und chronischen Erkrankungen leiden. Generell unter stütze die Barmer die Internetmedizin, sofern diese „einen konkreten Mehrwert für den Patienten“ habe und diesen „in einer grundlegenden Evaluation nachweisen“ könne, so Barmer-Vorstand Dr. Mani Rafii. Ziel müsse  ein echter Nutzen für die Patienten sein, ohne dass diese die Hoheit über ihre Daten verlieren.

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Die Privaten

„Wir können Prämien gewähren“Wer in Zukunft über die Daten entscheidet, darüber liefert ein Programm des Privatversicherers Generali Auskunft. Wie in der GKV sollen gesundheitsbewussten Versicherten Rabatte gewährt werden. Generali geht aber einen – entscheidenden – Schritt weiter: Der Versicherer möchte für Kunden, die eine Risiko-Lebensversicherung oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen, Daten zu deren Fitness und Lebensstil verwerten. Zur Systematik wird diese Methode, wenn sie auf Krankenversicherungen angewandt wird: So soll der einen Bonus erhalten, der im Supermarkt gesund einkauft, körperliche Aktivität per Armband nachweist oder regelmäßig ins Fitness-Studio geht.

„Wir coachen die Gesundheit“Der Kreislauf „Datensammlung durch den Versicherten – Datenauswertung durch den Versicherer – Intervention des Versicherers“ macht deutlich, dass sich die privaten wie gesetzlichen Kassen in einer neuen Rolle präsentieren: Die Unternehmen bieten sich den Versicherten nicht nur als institutionalisierte  Krankheitsverwalter, sondern als aktive Gesundheitscoaches an. Das mag gut fürs Image sein, gut für die Autonomie des Patienten ist es nicht, warnen Kritiker.

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Gegenargumente

Problem: QualitätDoch die Angebote und Gesundheitsprogramme von Krankenversicherungen sind umstritten. Das Bundesversicherungsamt (BVA) hat bereits 2015 in seinem Tätigkeitsberichtbericht Bonuszahlungen an Versicherte aufgrund von Fitnessdaten kritisiert. Das BVA monierte nicht nur datenschutzrechtliche Bestimmungen, sondern auch die Qualität der Messmethoden, mit denen die Fitness-Apps Daten erfassen. Da mit den Apps und Armbändern nur die quantitative Aktivität gemessen wird, könnten qualitative Daten nicht erhoben werden.

Problem: DatenschutzVerbraucherschützer und Patientenvertreter warnen: Oft würden Apps genutzt, ohne die Risiken für das Persönlichkeitsrecht zu kennen. Dies gaben die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern auf ihrer Jahrestagung im April in Schwerin zu bedenken. Für das Persönlichkeitsrecht riskante Datenverwendungen sollten für die Nutzer auf einen Blick erkennbar sein, so die Datenschützer.

Auch Justizminister Heiko Maas (SPD) wendet sich gegen einen Datenmissbrauch und warnt die Kassen vor zu viel Datenhunger. Niemand dürfe „faktisch dazu gezwungen werden, Daten zu veröffentlichen“. Wichtig sei, „frei und selbstbestimmt“ entscheiden zu können.

Problem: SolidaritätAuch die Stiftung Patientenschutz hat Einwände: „Wer nicht mitmacht, ist schnell identifiziert und diskriminiert“, kritisierte deren Chef Eugen Brysch. Gerade alte oder kranke Mitglieder seien die Verlierer, wenn Krankenkassen neue Tarifmodelle für ihre gesunden Kunden anbieten. Sie müssten die Marketing-Zeche bezahlen. Das führe das System der Solidarität in der gesetzlichen Kassen völlig ad absurdum.

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