Repetitorium

Immunsuppression: Diagnose und Therapie

Christine Vetter
Mit ein bis zwei Fällen auf 1.000 Personen kommt eine Immunsuppression viel häufiger vor als früher angenommen – und das liegt nicht nur an der abnehmenden Abwehrkraft im Alter. Nein, die Erkrankung zeigt sich in den unterschiedlichsten Formen und wird je nach Krankheitsbild auch unterschiedlich behandelt. Erste Signale einer HIV-Infektion manifestieren sich zumeist oral.

Von einer Immunsuppression – oder einer Immunschwäche – spricht man, wenn das körpereigene Immunsystem zeitweise oder auch anhaltend nicht optimal funktioniert.

Krankheitsformen

Dabei unterscheidet man zwischen einem erworbenen und einem angeborenen Immundefektsyndrom. Ersteres geht häufig auf chronische Infektionen zurück, bei denen die Erreger oder eine lang anhaltende Behandlung mit Immunsuppressiva das Immunsystem lahmlegen.

Beim angeborenen Immundefekt zeigen sich erste Symptome meist schon im Kindesalter mit überproportional häufig und zum Teil schweren Infektionen, die nur langsam heilen. Hellhörig werden sollte man, wenn mehr als vier Infektionen pro Jahr mit Antibiotika behandelt werden, es mehrfach zu einer schweren eitrigen Otitis und/oder Sinusitiden kommt oder wiederholt zu Pneumonien und/oder tiefen Hautabszessen. Dasselbe gilt, wenn die Kinder immer wieder unter Durchfall leiden, sie mit Komplikationen auf Lebendimpfungen reagieren und wenn persistierende Candida- Infektionen an der Haut oder im Bereich der Schleimhäute entstehen. Auch ein verzögertes Wachstum kann darauf hindeuten, genauso wie eine positive Familienanamnese.

Unabhängig von manifesten Erkrankungen und der Einnahme von Immunsuppressiva fördern neben dem zunehmenden Lebensalter auch eine ungesunde Lebensweise eine geschwächte Abwehr: Schädlich sind Rauchen, eine schlechte Ernährung, exzessiver Alkoholkonsum, Schlafmangel sowie Stress einschließlich psychischer Belastungssituationen und mangelnde Bewegung.

Symptome

Die Immunschwäche macht sich zunächst meist mit einer erhöhten Infektanfälligkeit bemerkbar: Es kommt zu überproportional häufigen viralen und/oder bakteriellen Infektionen oder zu Infektionen, die ungewöhnlich schwer verlaufen oder mit denen der Körper ungewohnt lange zu kämpfen hat. Die Betroffenen fühlen sich oft müde, regelrecht erschöpft und ausgelaugt – das Gefühl kann auch über das Abklingen der akuten Infektionssymptome hinaus anhalten. Eine längerfristige Immunsuppression erhöht darüber hinaus das Risiko der Tumorbildung.

Autoimmunerkrankungen

Bei Autoimmunerkrankungen attackiert das Immunsystem körpereigene – da fälschlicherweise als fremd identifizierte – Strukturen. Dabei wird von einer genetischen Prädisposition ausgegangen, wobei sich die Erkrankung aufgrund spezieller Umweltfaktoren manifestiert. Die Zahl der Erkrankten wird allein in Deutschland, der Schweiz und Österreich auf fünf Millionen geschätzt. Die Krankheiten zeigen sich meist schon in jungen Jahren und können auf lange Sicht irreversible körperliche Schäden, wie Behinderungen nach sich ziehen, die dann oft in die Arbeitslosigkeit führen und das soziale Leben wie die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Beispiele für Autoimmunerkrankungen sind der Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa, die Hashimoto-Thyreoiditis, die rheumatoide Arthritis, der Morbus Basedow, die Myasthenia gravis, die Psoriasis und auch die Sklerodermie.

Ziel der Behandlung: die übersteigerten Immunreaktionen abzuwenden, was zwangsläufig bedeutet, dass die körpereigene Abwehr geschwächt oder sogar unterdrückt wird – daraus ergibt sich eine Immunschwäche mit allen Konsequenzen.

Medikamente

So werden den Patienten gezielt Immunsuppressiva verordnet, um das überaktive Immunsystem auszubremsen und so Krankheitssymptome zu lindern und Folgeschäden zu verhindern. Man unterscheidet zwischen klassischen Immunsuppressiva (Kortison, Cyclosporin, Methotrexat, Azathioprin und Cylophosphamid) und Medikamenten, die immunmodulierend in den Krankheitsprozess eingreifen. Letztere werden etwa auch bei MS verabreicht, da sie das Immunsystem nicht so stark beeinträchtigen wie Azathioprin oder Methotrexat.

Wie jede längerfristigen Medikation können auch Immunsuppressiva unerwünschte Nebenwirkungen verursachen.

Nebenwirkungen

Zu rechnen ist mit einer gesteigerten Infektionsanfälligkeit und einem erhöhten Krebs- risiko.

Davon abgesehen können substanzspezifische Nebenwirkungen auftreten. Allein die Liste bei Kortison: Vom Mondgesicht, Stiernacken, Gewichtszunahme und Akne über Diabetes, Osteoporose, Blutdruckanstieg, Katarakt sowie Wachstumsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Liste bei Cyclosporin A ist (verschlechterte Nierenfunktion, Blutdruckanstieg, Zittern, auffällige Leberwerte und Blutlipide, potenzielle Entwicklung eines Diabetes mellitus) nicht kürzer. Und auch wenn mit Azathioprin behandelt wird, ist mit einer Anämie, Leukopenie und Thrombopenie sowie mit Haarausfall und veränderten Leberwerten zu rechnen. Bei Tacrolimus kann sich potenziell eine Nieren- oder auch Leberfunktionsstörung entwickeln, außerdem kann es zu Schlafstörungen, Unruhe, Kopfschmerzen, Zittern der Hände, Taubheitsgefühlen, Gefühlsstörungen an Händen und Füßen sowie gastrointestinalen Begleiterscheinungen der Therapie kommen. Nutzen und Risiken einer Behandlung mit Immunsuppressiva sind in jedem Einzelfall sorgfältig abzuwägen.

Organtransplantationen

Da das Immunsystem nicht nur die Infektabwehr regelt, sondern auch die Erkennung von „Selbst“ und „Fremd“, ist nach einer Organtransplantation eine Immunsuppression zur Verhinderung von Abstoßungs- reaktionen erforderlich. Dabei wird in aller Regel ein individueller Therapieplan gemäß Gesundheitssituation und Abstoßungsrisiko erarbeitet. Häufig werden als Basistherapeutika Calcineurinhemmer wie zum Beispiel Cyclosporin oder Tacrolimus eingesetzt. Die Wirkstoffe hemmen die Aktivität des Enzyms Calcineurin, das bei der Aktivierung von Immunzellen eine Rolle spielt. Behandelt wird ferner oft mit Proliferationshemmern – Wirkstoffe, die die Zellteilung und damit die Vermehrung von Immunzellen, die die Abstoßungsreaktion triggern, unterbinden.


Aus Sicht der Zahnmedizin

Orale Candidiasis bei HIV-Patienten

AIDS ist ein erworbenes Immundefektsyndrom und charakterisiert durch eine schwere Einschränkung des Immunsystems im Rahmen einer Infektion mit dem HI- (Human Immunodeficiency) Virus. Daraus resultiert eine reduzierte Zahl an CD4-positiven Lymphozyten, die normalerweise für die Immunabwehr zuständig sind. Neben vielfältigen extraoralen Infektionen und sogar malignen Tumoren entwickeln im Rahmen der HIV-Infektion mehr als der Hälfte aller betroffenen Patienten orale Manifestationen. Bei Erstmanifestation in der Mundhöhle stellt diese eine wichtige diagnostische Lokalisation dar.

Die orale Candidiasis, verursacht durch Candida albicans und seltener durch andere Candida-Arten ist die häufigste fungal-opportunistische, mit HIV-assoziierte Infektion. Typischerweise zeigen sich ausgeprägte, dicke, weiße bis gelbliche abwischbare Plaques vor allem an der Zunge, den Wangeninnenflächen, dem Vestibulum, dem Weichgaumen und im Pharynxbereich. Neben dieser pseudomembranösen Form existieren erythematös-atrophische Varianten; auch eine Candida-Infektion im Rahmen einer Cheilitis angularis (Mundwinkelrhagade) kommt vor.

Die Symptome können gering sein (Foetor, Geschmacksstörungen, Brennen bei der Nahrungsaufnahme), allerdings können auch lebensbedrohliche, systemische Komplikationen – nicht zuletzt durch Dysphagie, Dehydratation und Mangelernährung – entstehen. Da eine Assoziation zwischen einer Candidiasis und niedrigen CD4-Lymphozytenzahlen besteht, handelt es sich bei dieser Erkrankung um ein wichtiges Warnsignal bei HIV-Patienten.

Candida kommt auch bei gesunden Patienten regelmäßig im Speichel und der oralen Mukosa vor. Somit ist die Identifikation von Candida kein Beweis für eine symptomatische Infektion. Dies erklärt auch, warum ein Abstrich meist nicht erforderlich und dieBestimmung von Antikörpern und/oder Antigen im Serum fast immer überflüssig ist. Solche – durchaus kostspieligen – Laboruntersuchungen machen erst Sinn, wenn ein medikamentöser Therapieversuch fehlgeschlagen ist.

Die Diagnose wird vielmehr in Kombination mit dem typischen klinischen Bild getroffen. Mögliche Differenzialdiagnosen können zum Beispiel der (nicht abwischbare) Lichen planus mucosae, Leukoplakien (orale Haarleukoplakie, ebenfalls mit HIV assoziiert aber durch das Ebstein Barr Virus induziert) aber auch Karzinome sein.

Die Therapie besteht vor allem aus der Gabe lokal wirksamer antifugaler Medikamente (zum Beispiel Imidazole (Miconazol als Mundgel) und Polyene (Amphotericin B als Lutschtabletten, Nystatin als Suspension)). In der Regel werden diese Medikamente vier Mal am Tag angewandt, und es wird empfohlen, den Wirkstoff so lange wie möglich im Mund zu behalten. Die Dauer der Anwendung wird nach der Wirkung vom behandelnden Arzt bestimmt. Sollte die lokale Behandlung nicht ausreichen oder der Befall bereits ausgedehnt sein, ist auch eine systemische Behandlung mit Fluconazol oder Itraconazol möglich. Weiterhin sollte der Patient angehalten werden, die Zahnbürsten öfter zu wechseln, Prothesen sorgfältig zu reinigen und eventuell desinfizierende Chlorhexidin-Mundspüllösungen anzuwenden.

Fazit für die Praxis

Eine orale Candidiasis kann eine triviale Erkrankung, zum Beispiel im Rahmen einer Prothesenstomatitis, bei schlechter Mundhygiene oder bei kohlenhydratreicher Ernährung sein. Andererseits ist eine orale Candidiasis ein wichtiger Indikator einer Immunschwäche, und es empfiehlt sich seitens des Behandlers, wachsam zu sein. Es ist sicherlich nicht falsch, den Hausarzt des Patienten nach Elimination dentaler Foki in die weitere Therapie mit einzubeziehen. Insbesondere bei HIV-positiven Patienten scheint die Diagnose einer oralen Candidiasis ein wichtiger klinischer Marker zu sein.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer, Leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie

Augustusplatz 2, 55131 Mainz

daublaen@uni-mainz.de

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-und Plastische Gesichtschirurgie derUniversität Rostock

Schillingallee 35, 18057 Rostock


Zu dieser Gruppe gehören „mTOR-Inhibitoren“ wie Everolimus und Sirolimus sowie Antimetabolite wie Azathioprin und Mycophenolat Mofetil. Weil sie antiinflammatorisch und immunsuppressiv wirken, werden zudem Kortikoide genutzt. Die Wirkstoffe werden vor allem in der ersten Phase nach der Organtransplantation in hoher Dosis verabreicht, dann aber wegen des nicht unerheblichen Risikos bei einer langfristigen Therapie möglichst nach und nach in der Dosierung reduziert. Als Immunsuppressiva nach Organtransplantationen kommen auch Antikörper in Betracht, die sich gegen bestimmte Strukturen der Immunzellen richten. Wann welche Wirkstoffe indiziert sind, und wie bei gutem Nutzen-Risiko-Verhältnis eine langfristige Immunsuppression nach einer Organtransplantation zu gestalten ist, wird je nach Patient vom jeweiligen Transplantationszentrum festgelegt.

Christine Vetter

Merkenicher Straße 224, 50975 Köln

info@christine-vetter.de

141800-flexible-1900

Christine Vetter

Medizinjournalistin
Merkenicher Straße 224,
50975 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.