Sondertilgungen – geistige Verirrung betuchter Seelen
Die Zinsen für Hypotheken sind im Keller. Das hat sich herumgesprochen. Niedrige Zinsen und geringe Tilgungen bedeuten mäßige Raten. Das scheint auch bekannt zu sein. Niedrige Raten führen zu langen Laufzeiten. Sogar diese Botschaft scheint nicht mehr neu zu sein. Ich weiß aber nicht, wie viele Akademiker sich mit solcherart Hypotheken an der Nase herumführen lassen. Die beliebte Aussage, mit Hilfe von Sondertilgungen könne die Laufzeit verkürzt werden, ist zwar richtig, in vielen Fällen aber glatter Selbstbetrug, weil die Mittel für Sondertilgungen überhaupt nicht vorhanden sind. Die Probleme werden in folgendem Fall deutlich.
Ein typisches Ehepaar, er 38 Jahre alt, sie ist 37 Jahre jung. Das Paar hat zwei Kinder. Die Tochter ist fünf Jahre, der Sohn vier Jahre alt. Das Quartett lebt seit drei Jahren im Eigenheim. Nun stecken die Eltern bis über alle Ohren in Schulden. Sie haben 1.200.000 Euro aufgenommen. Der Zins beträgt 2 Prozent. Die Tilgung liegt bei 1 Prozent. Das sind „angenehme“ Raten von 3.000 Euro pro Monat. Ich gehe davon aus, dass das Ehepaar weiß, worauf es sich eingelassen hat. Irgendwo im Anhang des Kreditvertrages steht der Hinweis, dass der Kredit etwa 660 – in Worten: sechshundertsechzig – Monate laufen wird und insgesamt 1.979.150 Euro und 9 Cent zu bezahlen sein werden. Mir geht es, wie Sie sich vorstellen können, gar nicht um die Zinsen von 779.150 Euro, sondern um die Laufzeit von 55 Jahren. Die Tilgung der Schulden bis zum 93. – auch hier zur Sicherheit in Worten: dreiundneunzigsten – Geburtstag des Vaters, ist doch im besten Sinne des Wortes eine „lebensfüllende“ Aufgabe. Oder wie sehen Sie das?
Ich habe zu diesem Fall mehrere Fragen. Sind die 3.000 Euro die finanzielle Schmerzgrenze der Familie? Wenn die Eltern finanziell Luft nach oben haben, würde ich gerne wissen, was das Ehepaar mit dieser Luft macht. Wird das Geld in Anlagen gesteckt, deren Renditen über den Kreditkosten liegen? Oder machen sich die Eltern mit dem Geld einen schönen Lenz? Falls die Eigenheimer weder Genießer noch Verschwender sind, frage ich mich, was die Leute davon abhält, bei der Tilgung von Anfang an aufs Gaspedal zu drücken. Der pauschale Kommentar, den ich in der Regel zu hören bekomme, lautet ungefähr so: „Wir sind solide Leute. Wir wollen uns finanziell nicht übernehmen. Daher haben wir niedrige Raten vereinbart. Wir haben das Recht, jährliche Sondertilgungen von bis zu 5 Prozent der Darlehenssumme leisten zu dürfen.“ Das sind lyrische Wendungen über den (un)vernünftigen Umgang mit Geld.
Ich werde bei niedrigen Monatsraten und jährlichen Sondertilgungen misstrauisch und nervös, weil diese Kombination der ideale Nährboden für Altersarmut auf hohem Niveau ist. In meinen Augen sollten die Eltern, wenn sie das Haus entschulden wollen, mit der Tilgung in 15 Jahren fertig sein. Sonst wird es eng mit der Ausbildung der Kinder oder dem Aufbau der Zusatz- rente. Die Laufzeit von 180 Monaten verlangt, wenn monatlich nur 3.000 Euro bezahlt werden, insgesamt 15 Sondertilgungen à 54.563 Euro. Hand aufs Herz: Haben die Eltern dieses Geld oder hoffen sie es zu haben? Ich hoffe natürlich, dass sie es haben, und wenn sie es haben, dass sie auf den „Mist“ mit den Sondertilgungen verzichten und in Zukunft monatliche Raten von jeweils 7.505 Euro bezahlen. Jede andere Lösung ist in meinen Augen grober Unfug. Ich betrachte niedrige Monatsraten und jährliche Sondertilgungen als geistige Verirrung betuchter Seelen, wenn ich das einmal in dieser Deutlichkeit ausdrücken darf. Oder gibt es plausible Gründe, von Januar bis November niedrige Raten und im Dezember hohe Raten zu bezahlen?
Freiwillige Sondertilgungen sind in meinen Augen sinnvoll, wenn man mit Geld rechnet, sich aber doch nicht sicher ist, ob dieses tatsächlich in die Kasse kommen wird. Bitte ziehen Sie aus dieser Aussage keine falschen Schlüsse! Ich meine nicht Geld, das hoffentlich kommen wird, um den Kredit tilgen zu können, sondern ich spreche von Geld, das kommen kann und die Laufzeit verkürzen würde. Dazwischen liegen Welten! Wer sich mit Raten von 3.000 Euro begnügt, weil er in den kommenden 15 Jahren mit einer Erbschaft rechnet, ist auf zuverlässige Erblasser angewiesen. In fünf Jahren ist eine Zahlung von 774.000 Euro erforderlich, und in zehn Jahren ist eine Zuwendung von 855.000 Euro nötig. Sonst ist die vollständige Tilgung der Schulden in 15 Jahren nicht möglich, weil die Monatsraten von 3.000 Euro nur regelmäßige Tröpfchen auf den heißen Stein sind. Ich finde es aber besser, sowohl den Zeitpunkt als auch die Höhe der Erbschaft offen zu lassen. Das nimmt den Druck, bei künftigen Familien- feiern ständig über Geld und Gesundheit sprechen zu müssen. Stattdessen plädiere ich für hohe Standardraten. Dann muss sich niemand grämen, wenn das Erbe in siebeneinhalb Jahren „lediglich“ 300.000 Euro beträgt, weil der alte Gönner vor seinem Tod noch einmal eine flotte Sohle aufs Parkett gelegt hat. Die 300.000 Euro verkürzen die Laufzeit des Kredites um 45 Monate, so dass das „schöne“ Leben in elfeinviertel Jahren beginnen kann – wenn alles so kommt wie eben beschrieben!
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