Das Modell Mönchengladbach
Mönchengladbach ist wahrscheinlich die erste deutsche Stadt, die flächendeckend die internationalen Fluoridrichtlinien für Kleinkinder umsetzt. Begründet ist dies im Engagement der „Zahnärzte Initiative Mönchengladbach“, kurz ZIM, der fast 95 Prozent der dort niedergelassenen Zahnärzte angehören. Der Initiative ist es ein besonderes Anliegen, Medizin und Zahnheilkunde intensiv zu vernetzen.
"ZIM trifft …"
Deshalb findet mit der Fortbildungsreihe „ZIM trifft …“ regelmäßig ein kollegialer Austausch der ortsansässigen Ärzteschaft statt. Anlass war 2008 die damalige Unzufriedenheit beider Gruppen mit den sich widersprechenden Fluoridempfehlungen der Berufsverbände. Denn Geburtskliniken und Kinderärzte verordneten Fluoridtabletten, vor deren Einnahme Zahnärzte vehement warnten – ein Zustand, der Eltern verunsicherte. Auf der ersten Veranstaltung mit dem Thema „Das Fluorid-Konzept – Prophylaxe ist mehr als Fluoridierung“ trat Prof. Dr. Thomas Attin, Leiter der Abteilung Zahnerhaltung und Kariologie der Universität Zürich, als Hauptreferent auf.
Als „Wahl-Schweizer“ ist er in keine der beiden nationalen Berufsverbände eingebunden konnte deshalb auch eine vermittelnde Moderatorenrolle übernehmen. Gleichsam warnte er, die frühkindliche Karies auf das Thema Fluorid zu minimieren – Karies sei keine Fluoridmangelerkrankung. Falls beide Gruppen ernsthaft an einer Verbesserung der örtlichen Zahngesundheit interessiert seien, bedürfe es weiterreichender Maßnahmen.
Die der Veranstaltung folgende Diskussion war emotional und intensiv. Am Ende kristallisierte sich ein Maßnahmenkatalog heraus, mit den bis heute praktizierten Inhalten:
Alle Geburtskliniken sowie alle Kinder- und Jugendärzte der Stadt verordnen keine Fluoridtabletten mehr!
Alle Geburtskliniken sowie alle Kinder- und Jugendärzte der Stadt verordnen keine Fluoridtabletten mehr!
Alle Kinder- und Jugendärzte informieren die Eltern mit der „U5“ im sechsten Lebensmonat über die frühkindliche Karies. Unterstützend überreichen sie einen von der KZV Nordrhein entwickelten Kinderzahnpass, der mögliche Prophylaxemaßnahmen in den ersten sechs Lebensjahren ansprechend illustriert – mit der Aufforderung, schon in diesem Alter einen Zahnarzt zu konsultieren.
Dann untersuchen die Zahnärzte, wenn möglich, das erst sechs Monate alte Kind und informieren die Eltern weitergehend, erheben eine Fluoridanamnese und übernehmen die Verantwortung für die folgenden Fluoridierungsmaßnahmen.
Seither organisieren sich die Zahnärzte und Kinder- und Jugendärzte in der gemeinsamen Aktion „ZIMKid“, die dafür sorgt, dass der Konsensus eingehalten wird und man sich weiter fortbildet. Inzwischen haben die Kinderärzte fast 20.000 Zahnpässe an ihre kleinen Patienten verteilt. Der präventive Erfolg scheint messbar zu sein.
Wie in den meisten deutschen Städten werden auch in Mönchengladbach von den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Prophylaxemaßnahmen durchgeführt und mit den Reihenuntersuchungen in Kindergärten und Grundschulen Daten erhoben, die später in die offiziellen Statistiken der Mundgesundheitsstudien einfließen.
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Der dmft ist unter 2
Die Statistik zeigt, dass in den vergangenen 25 Jahren der Anteil primär zahngesunder Kinder in den Kindergärten von 37,9 auf inzwischen 75,78 Prozent gestiegen ist (siehe Tabelle) – ein beachtlicher Erfolg aller an der frühkindlichen Kariesvorsorge Beteiligten. Auch die Zahngesundheit der Sechsjährigen wird von Jahr zu Jahr besser. Der durchschnittliche dmf lag dort in den Jahren 2006 bis 2009 bei etwa 2,7, verbesserte sich im Jahr 2010 deutlich und fiel im Jahr 2014 erstmalig unter zwei!
Bedenken, dass durch den Verzicht auf Tablettenfluoridierung die Zahngesundheit leiden könnte, hatten insbesondere die beteiligten Kinder- und Jugendärzte. Das Gegenteil war der Fall: Die primäre Zahngesundheit lag im Kindergartenalter zurzeit der Verschreibung von Fluoridtabletten 15 Jahre relativ konstant bei 60 Prozent. Zwei Jahre nach Aktionsstart stieg die Zahngesundheit auf 70 Prozent und bis heute auf 75 Prozent!
Diese zusätzliche Verbesserung begründet die ZIM durch das frühe Einbinden der Eltern in die Verantwortung für die Gesundheit der Kinderzähne. Die enge Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Kinder- und Jugendärzten, den Zahnärzten des ÖGD und der daran angeschlossenen Arbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege nutzt am Ende den kleinen Patienten und bildet ein festes Fundament für eine möglichst lebenslange Zahngesundheit. „Ein Erfolgsmodell par excellence“ nannte die Jury des „Wrigley Prophylaxe Preis 2015“ das Mönchengladbacher Engagement und bedachte die Aktion ZIMKid mit dem „Sonderpreis Praxis“.
Auch in der Gruppenprophylaxe geht Mönchengladbach eigene Wege beim Thema Fluorid. Nationaler Standard ist das viertel- beziehungsweise halbjährliche Auftragen von Fluoridlacken oder Gelen – unbestritten eine sinnvolle Maßnahme. Besonders hoch ist das Kariesrisiko bei Förderschülern. Deshalb fühlt sich der Arbeitskreis Jugendzahnpflege herausgefordert, dort eine noch effizientere Fluoridierung anzubieten. Die Lehrer der Förderschulen werden unterwiesen und mit in die Verantwortung einbezogen.
Anstatt der Lackfluoridierung durch Prophylaxekräfte bürsten die Lehrer gemeinsam mit ihren Schülern einmal wöchentlich ein Fluoridgel auf die Zähne – Zahnputztraining inklusive. Vorteil: Diese Maßnahme kann auch ohne schulische Hilfe ein Leben lang weitergeführt werden, hört also nicht bei abnehmender Gruppenprophylaxebetreuung auf. Auch dieses Konzept zeigt Erfolge: Obwohl die Karieserfahrung eines 9-jährigen Förderschülers doppelt so hoch ist wie die der gesamtstädtischen Vergleichsgruppe, ist die Zahngesundheit bei 15- und 16-jährigen Förderschülern sogar besser als die der anderen.
Dr. Jürgen ZitzenVorsitzender der Zahnärzte Initiative Mönchengladbach (ZIM)Dünnerstr. 50, 41066 Mönchengladbach
ZIMkid ist eine Aktion der Zahnärzte Initiative Mönchengladbach (ZIM) und der Mönchengladbacher Kinder- und Jugendärzte.