Der fremde Patient
Verfügen einige Hilfesuchende über Englisch- oder Französischkenntnisse, kann der Großteil nur mithilfe von Dolmetschern kommunizieren. Sofern dabei Verwandte zum Einsatz kommen, muss die Gesprächsführung sehr zurückhaltend geführt werden:
Aufgrund familiärer Hierarchien oder kultureller Prägungen werden möglicherweise intime Fragen beziehungsweise Themen nicht korrekt übersetzt. So führt beispielsweise das bereits im alten Ägypten greifbare und im islamischen Kulturkreis noch heute gültige theurgische Modell zur Stigmatisierung von Kranken, da göttliche Bestrafung als Ursache von körperlichen Gebrechen und eine Krankheit oft als „Gottes Wille“ angesehen werden.
Traumatisierte Patienten: Arbeit für Humanmediziner
Sind Zeichen einer Traumatisierung erkennbar, ist die Überweisung an einen Humanmediziner zur Einleitung weiterer Maßnahmen geboten – eigene Therapieversuche sind rechtlich bedenklich. Im Hinblick auf die bereits erwähnte mögliche Stigmatisierung sollten in diesem Zusammenhang keine Begriffe verwendet werden, die auf eine psychische Erkrankung der Betroffenen schließen lassen.
Zur Vermeidung von Missverständnissen hat sich die Verwendung von Anamnesebögen und Informationsmaterial in unterschiedlichen Sprachen bewährt (zu finden auf www.zm-online.de). Werden in Praxen Symbolbilder zur Erläuterung von Behandlungen genutzt, muss beachtet werden, dass Araber – im Gegensatz zu Europäern – von rechts nach links lesen, und die Reihenfolge entsprechender Aufklärungsbilder angepasst werden.
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Unterschiede in der Begrüßungszeremonie
Wie äußern sich nun kulturelle Unterschiede?
Ein wichtiges Beispiel für unser kulturell standardisiertes, stark ritualisiertes und eng an bestimmte Situationen gebundenes Verhalten ist die „Begrüßungszeremonie“. Während im deutschen Kulturkreis bei Begegnungen automatisch Hände geschüttelt werden, ist dies in anderen Regionen völlig unüblich. In vielen arabischen Kulturkreisen ist es etwa geradezu verpönt, einer Frau die Hand zu reichen, wohingegen bei einigen Völkern das Verweigern des Handschlags Abneigung symbolisiert. An dieser Stelle noch ein wichtiger Hinweis für Linkshänder: In Arabien gilt die linke Hand als unrein!
Streng gläubige Moslems werden es unter keinen Umständen tolerieren, dass ein Mann ihre Ehefrau bei Untersuchungs- oder Behandlungsvorgängen berührt. In solchen Fällen sollte eine Mitarbeiterin hinzugezogen werden. Zusätzlich sollten in Gesprächen, gerade mit Frauen, lange und intensive Blickkontakte vermieden werden. Während dieses Verhalten in Deutschland Interesse am Gesprächspartner signalisiert, gilt dies in arabischen Kulturen als unhöflich und als Verletzung der Privatsphäre.
Religiöse Vorgaben bei der Medikamentenverordnung
Bei der Verordnung von Medikamenten sind religiöse Vorgaben zu respektieren. Produkte mit Bestandteilen von Schweinen sind zwingend zu vermeiden. Darunter fallen Hartkapselpräparate wie Clindamycin oder Amoxicillin, die zur Stabilisierung aus Schweinekollagen hergestellte Gelatine enthalten. Wenn möglich, sind als Alternative Filmtabletten zu verordnen. Weitere zu vermeidende Präparate sind Gelastyp und Solcoseryl, wobei letzteres zwar überwiegend aus Kalbsblutbestandteilen hergestellt wird, aber ebenfalls einen Gelatineanteil aufweist. Ist die Gabe eines der aufgeführten Mittel zwingend notwendig, muss der Patient entsprechend aufgeklärt werden, um ihm im Sinne der Patientenautonomie die Möglichkeit zu geben, die Einnahme von vornherein abzulehnen oder Vor- und Nachteile abzuwägen. Auf keinen Fall darf eine Medikamentenverordnung ohne ausreichende Informationen zu Inhaltsstoffen erfolgen.
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Berühren ist tabu – sensible Zone Kopf
Zur Vermeidung interkultureller Konflikte ist es notwendig, nonverbale Kommunikationssignale frühzeitig zu erkennen, eine mögliche Verstimmung des Kommunikationspartners zu analysieren und das eigene Verhalten entsprechend anzupassen. Dazu ein Beispiel: Während Zahnbehandlungen streicheln Behandler oder das Assistenzpersonal Kindern zur Beruhigung oftmals über den Kopf. Dabei kann es passieren, dass anwesende Eltern immer unruhiger und nervöser werden. Als Erklärung sind die unterschiedlichen Einordnungen des Rituals zu sehen. Gilt es in Europa überwiegend als Ausdruck von Empathie (gegenüber dem verunsicherten Kind), verstehen einige Kulturen den Kopf als „Sitz des Geistes“ und damit als absolute Tabuzone.
Zur Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung sind die Erkennung vergleichbarer Kommunikationssignale und die Anpassung der eigenen Verhaltensmuster unabdingbar. Grundbedingung für diese Technik ist ein gewisses Maß an Selbstwahrnehmung. Unsicherheiten können durch gezieltes Fragen abgebaut werden. Das wird im Allgemeinen als sehr gute Möglichkeit angesehen, interkulturelle Probleme zu vermeiden. Andererseits birgt diese Strategie die Gefahr, dass Tabuthemen angesprochen werden, die dann eine weitere Kommunikation unmöglich machen.
Menschen abseits der Stereotype
Besonders hüten sollte man sich vor voreiligen Schlüssen, die auf eine stereotype Einordnung Einzelner zurückzuführen sind. Bei allen geschilderten Techniken ist es ratsam, sich selbst treu zu bleiben. Eine übertriebene Anpassung, ungelenk bemühte Höflichkeitsbezeugungen und die Übernahme von kulturspezifischen (Begrüßungs-) Ritualen werden in den meisten Fällen als gut gemeinter Versuch, teilweise aber auch als lächerlich und beleidigend bewertet. Insgesamt gilt, dass trotz einiger Hürden die Scheu vor der Behandlung von Menschen aus anderen Kulturkreisen unangebracht ist.
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Oberfeldarzt Dr. André MüllerschönLeiter der ZahnarztgruppeSanitätsversorgungszentrum NeubibergUniversität der Bundeswehr München
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