Ausweitung der Compliance-Leitlinie der KZBV
Zum Hintergrund: Mit dem am 04.06.2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen hat der Gesetzgeber die neuen Straftatbestände der Bestechlichkeit und der Bestechung im Gesundheitswesen eingeführt (§§ 299a und 299b des Strafgesetzbuches – StGB), um eine vermeintlich bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen. Die abstrakte und äußerst unbestimmte Fassung dieser neuen Strafnormen lässt allerdings vielfach nur schwer erkennen, welche Vorgehensweisen neuerdings strafbar sind und welche nicht. Aufgrund der daraus resultierenden Verunsicherung in der Zahnärzteschaft hat die KZBV ihre Compliance-Leitlinie um strafrechtliche Inhalte ergänzt und entsprechend ausgeweitet (abgedruckt in diesem Heft auf den Seiten 92 bis 104).
Korruption im Gesundheitswesen
Korruption, d.h. das Missbrauchen anvertrauter Macht zur Erzielung privater Vorteile, kann wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch im Gesundheitswesen stattfinden. Dort besteht sie – vereinfacht gesagt – in dem missbräuchlichen „Verkauf“ patientenbezogener Entscheidungen von Heilberuflern an davon profitierende Dritte dergestalt, dass diese dem Heilberufler für ihre Bevorzugung einen Vorteil zufließen lassen. Um zu verhindern, dass insoweit Zahnärzte ihre Behandlungsentscheidungen nicht allein an medizinischen Aspekten mit Blick auf das Patientenwohl, sondern an sachfremden wirtschaftlichen Eigeninte ressen ausrichten, waren derartige Verhaltensweisen bisher schon durch das Berufs- sowie das Sozialrecht, etwa auf Grundlage von § 2 Abs. 7 und 8 der Musterberufsordnung sowie durch § 73 Abs. 7, § 128 Abs. 2 Satz 3 SGB V, untersagt und sind durch die Kammern und die KZVen konsequent verfolgt und geahndet worden.
Gleichwohl sah der Gesetzgeber angesichts einer vom Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 22.06.2012 diagnostizierten Strafbarkeitslücke die Notwendigkeit, Korruption im Gesundheitswesen auch strafrechtlich sanktionieren zu können. Daher wurden mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen zum 04.06.2016 die Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§§ 299a und 299b) in das Strafgesetzbuch (StGB) eingefügt.
Diese neuen Strafbarkeitsregelungen sollen nunmehr die Verschaffung von wirtschaftlichen oder auch nur immateriellen Vorteilen unterbinden bzw. bestrafen, die als Gegenleistung dafür gewährt werden, dass bei einer zahnärztlichen Entscheidung (z.B. Patientenzuführung oder Bezug von zahntechnischen Leistungen für Patienten) ein anderer, etwa ein anderer Leistungserbringer oder ein gewerbliches Zahntechnik- Labor, im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt wird. Eine „Unlauterkeit“ in diesem Sinne kann dabei insbesondere aus dem Verstoß gegen berufs- oder sozialrechtliche Regelungen resultieren. Dem vorteilsnehmenden Zahnarzt fällt dann Bestechlichkeit zur Last, dem Vorteilsgewährenden Bestechung.
Der Zahnarzt sollte sich angesichts dieser Zielsetzung der §§ 299a, 299b StGB vor Augen halten, dass für Heilberufler jedenfalls hinsichtlich patientenbezogener Unternehmensentscheidungen deutlich geringere Grenzen für die Erzielung von wirtschaftlichen und sonstigen Vorteilen vonseiten Dritter gezogen sind als für andere Geschäftsinhaber. Was bei Letzteren ggf. noch unternehmerische Geschicklichkeit ist, kann für den Zahnarzt unter Umständen schon als korruptes Verhalten geahndet werden.
Ausweitung der Compliance-Leitlinie
Trotz massiver Kritik und Intervention vonseiten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat der Gesetzgeber die neuen Strafnormen äußerst unbestimmt formuliert. Dadurch ist es jedenfalls abseits „klassischer“ Korruptionskonstellationen, wie etwa der Zahlung von „Provisionen“ durch Pharma- oder Medizinproduktehersteller für die Verschreibung gerade ihrer Produkte, vielfach nur schwer erkennbar, welche Verhaltensweisen von den neuen Strafnormen erfasst werden und welche nicht.
Die hieraus resultierende Verunsicherung innerhalb der Zahnärzteschaft haben die Vertreterversammlung und den Vorstand der KZBV bewogen, die Compliance- Leitlinie der KZBV (siehe zu dieser bereits den Beitrag in der zm-Ausgabe 03/2015) über die dort bisher thematisierten vertragszahnarztrechtlichen Pflichten hinaus um diesbezügliche strafrechtliche Inhalte zu ergänzen. Neben den neuen Korruptions-Strafnomen werden dabei der Vollständigkeit halber auch bisher schon bestehende Strafbarkeitsrisiken, die bei der Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten drohen können (insb. solche wegen Betruges gemäß § 263 StGB) thematisiert.
Über die Compliance-Leitlinie soll den Vertragszahnärzten somit nunmehr auch in Bezug auf strafrechtliche Risiken, die im Zusammenhang mit ihren neben das Berufsrecht tretenden vertragszahnärzt- lichen Pflichten bestehen können, der grundsätzliche rechtliche Rahmen für die ordnungsgemäße Erfüllbarkeit ihres Berufes aufgezeigt werden. Die Leitlinie dient insoweit als Empfehlung und Orientierungshilfe, um Rechtsunsicherheiten sowie rechtliche Risiken zu verringern.
Die konkrete Umsetzung dieser Pflichten bleibt dabei in der Verantwortung des Zahnarztes. Dies gilt umso mehr, als die Leitlinie zwar einen Orientierungsrahmen ziehen, trotz ihrer exemplarischen Konkretisierungen aber nicht sämtliche Einzelfälle in deren Vielgestaltigkeit abdecken oder antizipieren kann. Die strafrechtlichen Ausweitungen der Leitlinie erfassen vor allem wesentliche Fallkonstellationen, hinsichtlich derer die Rechtsunsicherheit infolge der neuen Strafnormen besonders groß ist und/oder welche nach Einschätzung der KZBV ggf. ein besonderes rechtliches Gefahrenpotential in sich bergen, nunmehr strafbar zu sein. Nur, weil eine bestimmte Fallkonstellation nicht in der Leitlinie genannt ist, kann daraus nicht zwingend auf deren Straflosigkeit geschlossen werden. Gerade hinsichtlich der neu hinzutretenden strafrechtlichen Bewertungen ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um rechtliche Risikoprognosen der KZBV zu bisher nicht näher durch die Rechtsprechung ausgeformten Straftatbeständen handelt, deren letzt- verbindliche Interpretation den Strafgerichten obliegt.
Die strikte Beachtung der in der Leitlinie dargestellten vertragszahnärztlichen Pflichten wird indes – ebenso wie die parallele Beachtung des Berufsrechts – in der Regel davor schützen, mit dem Strafrecht einschließlich den neuen Straftatbeständen der §§ 299a, 299b StGB in Berührung zu kommen und sich hiernach strafbar zu machen.
Im Zweifelsfalle Vorsicht walten lassen
Verbleiben nach Lektüre der Compliance-Leitlinie oder ergänzend auch der von KZBV und BZÄK parallel erstellten Informationsbroschüre* zu den neuen Korruptions-Strafnormen der §§ 299a, 299b StGB Zweifel, ob ein bestimmtes Vorgehen strafbar oder straflos ist, sollte um individuelle juristische Beratung, z.B. durch einen spezialisierten Rechtsanwalt, nachgesucht sowie gegebenenfalls abgewogen werden, ob allein schon das greifbare Risiko einer Strafbarkeit bzw. Strafverfolgung mit allen damit ggf. verbundenen Implikationen (z.B. Praxisdurchsuchungen, öffentliche Stigmatisierung) es wert ist, an dem betreffenden Verhalten und den damit ggf. erzielbaren Vorteilen festzuhalten, selbst wenn es sich später vor Gericht eventuell doch als letztendlich straflos erweisen sollte.
Die ausgeweitete Neufassung der Compliance-Leitlinie der KZBV ist auf den Seiten 92 bis 104 in der Rubrik „Bekanntmachungen“ abgedruckt.
Dr. Markus Zimmermann, Stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung der KZBV
*) Die Broschüre „Rechtsgrundlagen und Hinweise für die Zahnarztpraxis – Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ ist herausgegeben von KZBV und BZÄK und steht auf deren Websites zum Download zurVerfügung.