Fremdkörper in der Kieferhöhle
Eine 45-jährige Patientin stellte sich erstmalig im Mai 2016 nach Überweisung durch den behandelnden Hauszahnarzt mit der Bitte um Abklärung einer radiologisch suspekten Verschattung im Bereich der
Kieferhöhle links in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universität Rostock vor.
Die allgemeine Anamnese ergab eine Hypothyreose sowie rezidivierende Migräneanfälle. Des Weiteren gab die Patientin Allergien gegenüber diversen Kontrastmitteln und Novaminsulfon an. Die durch den Hauszahnarzt angefertigte Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1) zeigte – neben mehreren kleinen metalldichten Verschattungen im Bereich der Wurzeln von 24, 25, 26 – eine C-förmige knochendichte Läsion im Bereich des Daches der linken Kieferhöhle.
Da die Patientin seit mehreren Wochen über leichte Schmerzen und ein Druckgefühl im Bereich der Kieferhöhle linksseitig sowie eingeschränkte Nasenatmung klagte, wurde ein CT des Mittelgesichtes ohne Kontrastmittel erstellt. Die Auswertung des Selbigen zeigte neben einer linkskonvexen Septumdeviation sowie einer mediobasalen Schleimhautschwellung in beiden Kieferhöhlen, den vermuteten Fremdkörper in Höhe des Daches der linken Kieferhöhle eingebettet in einen den Fremdkörper umgebenden Weichgewebssaum (Abbildungen 2 und 3).
Da nähere Information zum Ablauf der Wurzelkanalbehandlung an 24, 25 und 26 (vor etwa zehn Jahren) nicht verfügbar waren, entschieden wir uns gemeinsam mit dem Hauszahnarzt für eine Wurzelspitzen- resektion an 24 und 25 sowie für die Extraktion von 26 und Entfernung des Fremdkörpers aus der linken Kieferhöhle. Aufgrund der erfahrungsgemäß zu erwartenden Komplexität solcher Eingriffe erfolgte die weitere Behandlung unter stationären Bedingungen. Der geplante Eingriff wurde mit antibiotischer Abschirmung (i.v. 3 x 3g Ampicillin/Sulbactam für fünf Tage) unter Intubationsnarkose durchgeführt.
Im linken Oberkiefer wurde zunächst mittels Piezochirurgie-Gerät mit der Wurzelspitzenresektion an den Zähnen 24 und 25 begonnen. Dabei wurden die Wurzelspitzen jeweils um 3 bis 4 mm gekürzt, eine retrograde Kanalaufbereitung und eine retrograde Wurzelkanalfüllung durchgeführt sowie Granulationsgewebe und altes Wurzelfüllmaterial periapikal entfernt (Abbildung 4). Die Kavitäten wurden im Anschluss intensiv mit NaCl gespült.
Im nächsten Schritt konnte der Zahn 26 minimalinvasiv entfernt und das unmittelbar apikal liegende Wurzelfüllmaterial sowie Granulationsgewebe exkochleiert werden (Abbildungen 5 und 6). Hiernach konnte im Bereich der fazialen Kieferhöhlenwand links – unter erneuter Verwendung des Piezochirurgie-Gerätes ein Knochendeckel angelegt werden. Da die Schneider’sche-Membran bei der Zahnentfernung rupturierte, war bereits nach vorsichtiger Luxation des Knochendeckels ein breiter Zugang zur Kieferhöhle vorhanden.
Im Folgenden wurde zunächst der am Dach der Kieferhöhle vermutete Fremdkörper endoskopisch aufgesucht und samt dem ihn umgebenden Granulationsgewebe entfernt (Abbildung 7). Anschließend wurde die Kieferhöhle mehrfach mit NaCl-Lösung gespült. Da sich die Kieferhöhlenschleimhaut polypös darstellte und der Nasengang komplett verlegt war, musste ein Fenster zum unteren Nasengang angelegt und ein entsprechendes Drainageröhrchen angebracht werden. Teile des gewonnenen autologen Knochens wurde zur Stabilisierung des Alveolenbodens und zur Ridge Preservation regio 26 verwendet. Der Knochendeckel wurde anschließend reponiert und mit resorbierbaren Nähten befestigt. Abschließend erfolgte der spannungsfreie und speicheldichte Wundverschluss.
Die histologische Aufbereitung des entfernten Materials ergab eine mäßig chronische, gering granulierende und fibrosierende sowie pseudopolypöse Sinusitis maxillaris ohne Anhalt auf eine Aspergillose. Bei dem geborgenen Objekt handelte es sich um einen fast 1,5 Zentimeter langen, C-förmig gebogenen Stift, welcher in dieser Form zur Warm-3D-Obturation von Wurzelkanälen Verwendung findet. Die postoperativ angefertigte Panoramaschichtaufnahme zeigt die vollständige Entfernung des Fremdkörpers aus der Kieferhöhle (Abbildung 9).
Bereits wenige Tage nach dem Eingriff waren die Beschwerden rückläufig und die Patientin konnte in gutem Allgemein- zustand aus der Klinik entlassen werden. Am 14. postoperativen Tag fand die Nahtentfernung statt, und nach einer weiteren Woche wurde das Drainageröhrchen entfernt.
Im Rahmen der Nachkontrolle zeigten sich die initial beschriebenen Beschwerden der Patientin vollständig rückläufig. Nach Konsolidierung der knöchernen Situation in regio 26 (mindestens sechs Monate) kann mit der Planung einer implantatgetragenen Lückenversorgung begonnen werden.
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Diskussion
Von einer akuten Sinusitis maxillaris spricht man bei einer Dauer von weniger als acht Wochen oder weniger als vier Episoden pro Jahr beim Erwachsenen. Bei Kindern dürfen die Symptome maximal zwölf Wochen anhalten oder sechsmal pro Jahr auftreten. Länger dauernde oder häufigere Kieferhöhlenentzündungen mit residualen Symptomen sind als chronische Sinusitis definiert [Lund, 1995].
Bei akuten Entzündungsprozessen kommt es zu einer Steigerung der Sekretproduktion und einer Zunahme der Sekretviskosität. Die Breite der Gelschicht nimmt zu und der das Sekret transportierende Zilienschlag wird weniger effektiv. Simultan kommt es zu einer Lähmung und Desorientierung der Zilienschläge. Im Verlauf kann es zu Mukosaläsionen mit der Folge einer Unterbrechung der geordneten Sekrettransportwege kommen.
Die Kieferhöhlenschleimhaut schwillt an, was im Bereich des Ostiums zu einer Verengung oder sogar Verlegung führen kann. Letztlich steigt die Gefahr einer Mukostase; der Abtransport von Fremdkörpern oder Keimen kann sistieren. Beim Übergang in das chronische Stadium kann es zu einer Proliferation der Kieferhöhlenschleimhaut mit Ausbildung einer Polyposis kommen. Die polypös veränderte Schleimhaut ist in der Regel auf die Wände begrenzt, kann aber in Extremfällen das gesamte Lumen ausfüllen, über das natürliche Ostium in die Nasenhaupthöhle oder bei Vorliegen einer Mund-Antrum-Verbindung (MAV) in die Mundhöhle prolabieren [Ugincius, 2006; Krimmel Reinert, 2014b; Reinert Krimmel, 2014; Akhlaghi, 2015].
Im Rahmen der Unterscheidung zwischen einer rhinogenen und einer odontogenen Kieferhöhlenentzündung kommt der Ana-mneseerhebung eine entscheidende Bedeutung zu. Bei etwa 30 Prozent aller Kieferhöhlenentzündungen handelt es sich um eine odontogene Sinusitis maxillaris. Dies gilt vor allem bei einseitiger Lokalisation, wohingegen der simultane Befall beider Kieferhöhlen eher auf eine rhinogene Ätiologie hinweist. Als häufigste Ursachen finden sich Mund-Antrum-Verbindungen nach Zahnextraktionen (60 bis 76 Prozent), apikale Parodontiden sowie odontogene Zysten. In die Kieferhöhle verlagerte Fremdkörper wie Wurzelreste, nicht osseointegrierte Implantate und zunehmend auch alloplastisches Knochenersatzmaterial können ebenfalls eine Sinusitis maxillaris induzieren [Reinert, 2009].
Bei der Sinusitis maxillaris haben die Patienten Schmerzen und ein Druckgefühl im Bereich der Kieferhöhle, das sich beim Bücken verstärkt [Reichert, 2009]. Sie klagen über den Ausfluss von schleimigem oder eitrigem Nasensekret, bei der odontogenen Sinusitis in der Regel einseitig. Im akuten Stadium können die Patienten Fieber haben und in einem reduzierten Allgemeinzustand sein, während in einem chronischen Stadium alle Symptome abgeschwächt und diffuser wirken können.
Vorausgegangene halsnasenohrenärztliche oder zahnärztliche Maßnahmen sollten erfragt werden. Die Röntgendiagnostik umfasst die konventionellen zahnärztlichen Aufnahmen wie den Zahnfilm und/oder die Panoramaschichtaufnahme. Hier lassen sich odontogene Ursachen identifizieren und partiell die Kieferhöhle beurteilen. In der speziellen Diagnostik der Kieferhöhle hat in den vergangenen Jahren die dreidimensionale Bildgebung (CT, DVT) die konventionelle Nasennebenhöhlenaufnahme weitgehend verdrängt [Reichert, 2009; Krimmel u. Reinert, 2014b]. Mit dem deutlich besseren Weichgewebskontrast gehört die Magnetresonanztomografie (MRT) zu einem weiteren, ergänzenden bildgebenden Verfahren [Keutel, 2014].
Die Therapie der Sinusitis maxillaris ist immer kausal ausgerichtet. Im Fall einer odontogenen Sinusitis bedeutet dies deshalb stets die Sanierung des odontogenen Focus. Weiter ist jede Therapie auf eine Wiederherstellung einer normalen Belüftung und Drainage der Kieferhöhle ausgerichtet, um die mukoziliäre Clearance wiederherzustellen. Dabei muss die Kieferhöhlenschleimhaut erhalten werden [Krimmel Reinert, 2014b].
Bei der akuten bakteriellen Sinusitis maxillaris haben Antibiotika einen nachweisbaren therapeutischen Effekt. Empfohlen werden Aminopenicilline mit Beta-Lactamase-Inhibitoren oder Cephalosporine der zweiten oder der dritten Generation. Für die therapeutische Wirksamkeit von abschwellenden Nasentropfen oder Sekretolytika gibt es keine Evidenz. Abschwellende Nasentropfen lindern lediglich symptomatisch die begleitende nasale Obstruktion. Antihistaminika können bei einer allergischen Prädisposition hilfreich sein.
Bei der chronischen Sinusitis maxillaris gibt es keinen Nachweis, dass Antibiotika eine Wirksamkeit haben. Gleiches gilt wieder für abschwellende Nasentropfen und Sekretolytika. Lediglich topisch angewandte Steroide scheinen hier einen positiven Effekt zu haben. Analgetika dienen nur der symptomatischen Schmerztherapie [Bachert, 2003; Brook, 2006; Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, 2008; Reichert, 2009; Krimmel Reinert, 2014b].
Über viele Jahrzehnte war die osteoklastische, transantrale Kieferhöhlenoperation nach Caldwell-Luc die Standardoperation bei der Sinusitis maxillaris [Caldwell, 1893]. Bei diesem Eingriff wurde die Kieferhöhle über einen transoralen, vestibulären und osteoklastischen Zugang über die faziale Wand eröffnet. Im Weiteren wurde die gesamte Kieferhöhlenschleimhaut entfernt und die Kieferhöhle breit zum unteren Nasengang hin gefenstert.
Diese Technik ist heute für die Therapie entzündlicher Kieferhöhlenerkrankungen obsolet, da sie die physiologischen Grundlagen der mukoziliären Clearance und der Drainage über den mittleren Nasengang nicht berücksichtigt. Für die Manipulation im Lumen der Kieferhöhle haben sich osteoplastische und schleimhauterhaltende Methoden durchgesetzt. Minimalinvasiv kann über eine bestehende MAV oder über ein kleines Bohrloch in der fazialen Wand die Kieferhöhle endoskopisch untersucht und bei Bedarf eine Biopsie gewonnen werden.
Für umfangreichere Maßnahmen, wie die Entfernung einer odontogenen Zyste, eines Aspergilloms von autologem oder alloplastischem Augmentationsmaterial oder eines dislozierten Zahnes werden faziale Kieferhöhlendeckel mit der Mikrostichsäge oder unter Verwendung einer Piezoeinheit präpariert und anschließend wieder replantiert.
In der Technik nach Feldmann [Feldmann, 1978] wird der Knochendeckel vollständig entnommen und bei der Replantation mit Fäden fixiert, bei der Technik nach Abello [Abello, 1958] wird der Knochendeckel im Bereich des kranialen Verlaufs infrakturiert und abschließend zurückgeklappt. Lindorf [Lindorf, 1974] hat die konvergierende und damit facettierte Osteotomie des Knochendeckels beschrieben, um damit eine Dislokation des Knochendeckels in das Kieferhöhlenlumen zu vermeiden.
Allen Techniken gemeinsam ist, dass die Kieferhöhlenschleimhaut erhalten wird und es zu keinem knöchernen Defekt in der fazialen Kieferhöhlenwand kommt [Krimmel Reinert, 2014b]. Zur temporären Verbesserung der Belüftung der Kieferhöhle kann eine Drainage zum unteren Nasengang angelegt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das natürliche Kieferhöhlenostium keine Pathologika aufweist. Bei einer Einengung oder einer Verlegung des Kieferhöhlenostiums im mittleren Nasengang ist eine Infundibulotomie indiziert.
Hierbei wird endoskopisch-transnasal das natürliche Kieferhöhlenostium im mittleren Nasengang dargestellt und erweitert [Stammberger, 1986]. Aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zur medialen Orbitawand und zur Schädelbasis erfordert dieser Eingriff eine besondere Übung. Die Fensterung im mittleren Nasengang berücksichtigt dabei die physiologischen Wege der mukoziliären Clearance [Krimmel Reinert, 2014a].
Dr. Ingo Buttchereit, Fachzahnarzt für OralchirurgieTätigkeitsschwerpunkt Implantologie und Parodontologie
PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MAOberärztlicher Leiter der zahnärztlich- chirurgischen Poliklinik sowieOberarzt der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin RostockSchillingallee 35, 18057 Rostock, E-mail: <i/>