Editorial

Niemand hat die Absicht, eine …

Wenn Sie sich jetzt noch eine ins Falsett gehende Stimme vorstellen, ist sofort klar, dass es sich nur um das berühmte Zitat von Walter Ulbricht handeln kann: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ Das Ergebnis ist bekannt: Keinen Monat nach der berühmten Pressekonferenz im Juni 1961 begannen die Mauerarbeiten in Berlin. Es lohnt sich, die Frage der Journalistin und die Antwort Ulbrichts im Original zu lesen, hier zitiert nach Wikipedia, Stichwort ‚Walter Ulbricht‘:

„Annamarie Doherr: ‚Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?‘ Darauf Ulbricht: ‚Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen, und ihre Arbeitskraft dafür voll ausgenutzt wird, voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!‘“

Nun ist die zm bekanntermaßen parteipolitisch neutral, was allerdings nicht bedeutet, der Politik abhold zu sein. Wie auch, ist doch die politische Kontaktpflege, oder besser die (Mit-)Gestaltung des für KZBV und BZÄK relevanten politischen Raumes, eine der vordringlichen Aufgaben beider Organisationen. Und so ist auch selbstverständlich, dass sich anlässlich so wichtiger Ereignisse wie der Vertreterversammlung der KZBV und der Bundesversammlung der BZÄK Politiker vor allem aus dem Bundesgesundheitsministerium einfinden und die aktuelle politische Sachlage aus ihrer Sicht erläutern. Man sollte dann auch ganz genau hinhören – siehe obiges Beispiel. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, der auf dem Deutschen Zahnärztetag sprach, oder Staatssekretärin Anette Widmann-Mauz auf der KZBV-VV, mühten sich in ihren Reden, den Eindruck zu entkräften, den sie aufgrund des Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes (GKV-SVSG) vorher selbst erzeugt hatten. Nämlich den des tiefgreifenden Misstrauens gegenüber den Körperschaften. Nein, die Fachaufsicht komme nun doch nicht, und auch sonst sei in dem Gesetz alles klargestellt worden, denn die KBV als Verursacher der Malaise würde nun auch hinsichtlich mancher der im Gesetz geplanten Maßnahmen direkt genannt.

Also ein Sieg unserer Körperschaft? Mitnichten. Bis auf die Rücknahme der Fachaufsicht ändert sich nämlich so gut wie nichts. Der aus meiner Sicht zentrale Hebel, in die Körperschaften eingreifen zu können, bleibt bestehen: Die Eingriffsmöglichkeit des BMG in den Haushalt! Wer den Haushalt bestimmen kann, hat die Macht. So einfach ist das. Die Maßnahmen können Sie in aller Kürze in den zm 22/2016 auf den Seiten 36 bis 37 nachlesen.

Eine Folge hat das GKV-SVSG, obwohl noch nicht verabschiedet, bereits gezeitigt: den tiefen Graben zwischen den Körperschaften und dem Gesundheitsministerium. Viel, sehr viel Vertrauen ist zwischen den Handelnden verloren gegangen. Eine Situation, die der aus Sachsen stammende Vorsitzende der BZÄK-Bundesversammlung, Dr. Thomas Breyer, in seinen einleitenden Worten vor der Rede von Gesundheitsminister Gröhe so beschrieb: „Das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz hat uns schwer getroffen. Warum sagt die Politik nicht offen, es sei bisher toll gewesen mit der Selbstverwaltung, aber für die Zukunft plane sie anderes. Aber wie gerade, von hinten in die Kniekehle, das ist nicht akzeptabel. Als ‚gelernter Ossi‘ höre ich dies so: Niemand wolle eine Fachaufsicht errichten.“

Die Antwort von Hermann Gröhe war politisch hoch professionell: Er dankte für die engagierte Begrüßung, erwiderte das Ulbricht-Zitat mit der Bemerkung, dass sich die rheinische Tradition der Büttenrede offensichtlich auch auf die östliche Seite Deutschlands ausgeweitet habe. Diese Sorgen werde er ansprechen.

Ein tiefer Graben wirkt auch nicht anders als eine Mauer …

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