Die richtige Nahttechnik für mehr Wundstabilität
Das zahnärztliche Behandlungsspektrum wird in zunehmendem Maße von der Durchführung rekonstruktiver Eingriffe zur Augmentation von Hart- und Weichgewebe in der Parodontal- und Implantatchirurgie geprägt. Die Realisierung schneller und komplikationsloser Wundheilungsergebnisse kristallisiert sich dabei mehr und mehr als Schlüssel zum Erfolg heraus. Die gelungene Integration der in diesem Zusammenhang häufig zur Anwendung kommenden Transplantate und Augmentationsmaterialien hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab – im Besonderen von der Blutversorgung im Operationsbereich, vom Verhindern bakterieller Infektionen und vom Erzielen einer möglichst hohen Wundstabilität.
Das Erreichen einer primären Wundheilung gilt aus diesem Grund (in der Mehrheit der Fälle) als das Maß aller Dinge [Burkhardt/Lang, 2014; 2015]. Aus biologischer Sicht unterscheiden sich die primäre und die sekundäre Wundheilung prinzipiell nicht voneinander – beide führen letztlich zum Verschluss der Wunde. Jedoch gibt es bezüglich der Chronologie der einzelnen Wundheilungsphasen und hinsichtlich der Qualität der am Ende resultierenden Gewebe gravierende Unterschiede [Wong et al., 1996].
Die primäre Wundheilung ist das Maß der Dinge
Wesentliche Voraussetzungen für eine primäre Heilung sind glatte, gut durchblutete, spannungsfrei aneinander liegende und präzise adaptierte Wundränder. Eine auf diese Weise primär verschlossene Wunde zeichnet sich durch ein stabiles, dünnes Blutkoagulum zwischen den Wundrändern sowie durch nur wenige bis gar keine anämischen Gewebebezirke aus. Im Gegensatz dazu erfolgt die Wundheilung bei nicht primär verschlossenen Wundrändern sekundär unter Ausbildung von Reparationsgewebe.
Häufig verursachen nach dem Nahtverschluss zu stark auf die Lappen einwirkende Zugkräfte, nicht präzise geknüpfte und sich deshalb lösende Nähte oder durch eine lokale Minderdurchblutung der Gewebe hervorgerufene Nekrosen der Wundränder einen sekundären Wundheilungsverlauf einer zunächst primär verschlossenen Wunde [Wikesjo/Nilveus, 1990]. Gerade im intraoralen Bereich sind solche Wunden in hohem Maße einer bakteriellen Kontamination ausgeliefert, die nicht selten die Grundlage für kompromittierte Behandlungsergebnisse mit Volumendefekten, fibrotischen Gewebearealen und hypertrophischen Narbenbildungen darstellen kann [Bhattacharya et al., 2014].
Ein tief greifendes Verständnis für die Bedeutung des Wundheilungsverlaufs hinsichtlich der erfolgreichen Durchführung jeglicher rekonstruktiv-chirurgischen Eingriffe sowie die Identifizierung und Kontrolle der die Wundheilung beeinflussenden Faktoren bekommen vor diesem Hintergrund aus klinischer Sicht eine elementare Wichtigkeit. Im Rahmen der rekonstruktiven Parodontal- und Implantatchirurgie sind es vor allem technikbezogene Faktoren, die dem Behandler die Möglichkeit geben, das Wundheilungsergebnis unmittelbar positiv zu beeinflussen.
Der chirurgische Nahtverschluss spielt in diesem Zusammenhang eine mitunter entscheidende Rolle [Burkhardt/Lang, 2010].
Welchen Anker nehme ich für die Naht?
Im Mittelpunkt der im Folgenden beschriebenen Auswahl häufig zur Anwendung kommender Nahttechniken steht die immer währende klinische Herausforderung, eine möglichst stabile Wunde zu schaffen, ohne dabei die Blutversorgung im Operationsbereich wesentlich zu beeinträchtigen. Offensichtlich ist, dass eine ausreichende Stabilisierung der Wundränder kaum gelingen kann, solange ausschließlich bewegliche Lappenanteile in den Nahtverlauf eingebunden werden. Die Auswahl und Durchführung einer für die entsprechende klinische Situation geeigneten Nahttechnik ist deshalb wesentlich durch die Suche nach Ankern für die Naht zur Erzielung einer bestmöglichen Wundstabilisierung geprägt.
Als solche Anker können natürliche Strukturen wie beispielsweise die Zähne, die Gingiva, die mastikatorische Mukosa des Gaumens oder das Periost dienen. Es kommen aber auch künstliche, beispielsweise aus Composite angefertigte Retentionen infrage.
Die Entlastungsnaht
Entlastungsnähte werden immer in Kombination mit Verschlussnähten angewendet und etablieren eine spannungsfreie Adaptation der Lappenenden bereits vor der Durchführung der eigentlichen Verschlussnähte. Während Verschlussnähte alleine eher zu einer punktförmigen Lappenadaptation führen, resultiert aus einer Kombination von Verschluss- und Entlastungsnähten ein inniger und flächiger Kontakt der Lappenenden. Die Präzision und die mechanische Stabilität des Nahtverschlusses werden erhöht, was insbesondere von Bedeutung ist, wenn durch ein größeres postoperatives Ödem eine erhöhte Spannung der Lappenenden zu erwarten oder das Wundgebiet während der postoperativen Phase zwangsläufig mechanischen Belastungen im Rahmen von Sprech- und Kaubewegungen ausgesetzt ist. Entlastungsnähte werden vor dem Legen der Verschlussnähte geknüpft, wobei die Nähte hierbei gekreuzt oder parallel verlaufen und relativ zur Inzisionslinie entweder horizontal oder vertikal angelegt sein können. Zudem kann die Schnittlinie entweder auf externe oder auf interne Weise überbrückt werden [Burkhardt/Lang, 2015]. Die in der Parodontal- und Implantatchirurgie am häufigsten zur Anwendung kommende Entlastungsnaht ist die intern verlaufende, horizontale Matratzennaht, die parallel oder gekreuzt über die Inzisionslinie verlaufen kann (Abbildungen 1 und 2).
Die Einzelschlingnaht
Die regenerative Parodontalbehandlung tiefer infraalveolärer Knochendefekte erfordert interdental häufig eine Inzisionsführung im Sinne einer „simplified papilla preservation technique“, schräg von bukkal nach oral durch die Papille [Cortellini et al., 1999]. Da hierbei der Interdentalraum zur Durchführung korrekt orientierter Einzelknopfnähte kaum zugänglich ist, hat sich in diesen Fällen zur Erzielung einer präzisen Lappenadaption die Durchführung von Einzelschlingnähten bewährt. Die Wunde wird in diesen Fällen durch die in den Nahtverlauf einbezogene mastikatorische Mukosa des Gaumens beziehungsweise durch die Gingiva der lingualen Schleimhaut stabilisiert (Abbildungen 3 und 4).
Zusammenfassung
In der rekonstruktiven Parodontal- und Implantatchirurgie stehen heute komplikationslose Wundheilungsabläufe während der frühen postoperativen Heilungsphase – klinisch wie wissenschaftlich – im Mittelpunkt des Interesses als Schlüssel zu erfolgreichen Behandlungsresultaten. Die zentrale Herausforderung in den meisten Fällen ist dabei, eine primäre Wundheilung zu erzielen. Die Suche nach Ankern, die zur Erzielung einer bestmöglichen Wundstabilität in den Nahtverlauf eingebunden werden können, ist deshalb oftmals ein entscheidender Schritt für den Erfolg.
Dr. med. dent. Otto Zuhr
Praxis für Zahnheilkunde Hürzeler/Zuhr
Rosenkavalierplatz 18, 81673 München
und
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main
Poliklinik für Parodontologie
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt a. M.
o.zuhr@huerzelerzuhr.com
ZA Dodji Lukas Akakpo
Praxis für Zahnheilkunde Hürzeler/Zuhr
Rosenkavalierplatz 18, 81673 München
Prof. Dr. med. dent. Markus Hürzeler
Praxis für Zahnheilkunde Hürzeler/Zuhr
Rosenkavalierplatz 18, 81673 München
und
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Universitätsklinikum Freiburg
Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Die ausführliche Originalfassung dieses Beitrags ist in „IMPLANTOLOGIE“ 2016, Heft 3, Seite 281–294, erschienen. Der gekürzte Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Quintessenz-Verlags.