Grüne Prophylaxe
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist über 300 Jahre alt und stammt aus der Baumzucht. Mittlerweile hat das Wort das enge Feld der Waldwirtschaft längst verlassen und Karriere gemacht. „Nachhaltig“, „grün“ oder „öko“ sind aber nicht klar definiert, als gut klingende Label können sie für alles Mögliche stehen. Manchmal steckt echte Ressourcenschonung dahinter, manchmal nur ein Hauch Wellness – oder blankes Marketing. Das ist auch in der Zahnmedizin der Fall.
2003 gründeten Dr. Fred und Ina Pockrass in den USA eine der ersten „grünen“ Zahnarztpraxen. Fünf Jahre später riefen sie die Eco-Dentistry Association (EDA) mit ins Leben. Das Ziel der Vereinigung: sich in der Zahnärzteschaft für Umweltschutz stark zu machen. Die EDA organisiert Kurse, bietet Zertifizierungen für Praxen und Produkte an und will ökologisch bewusste Patienten mit passenden Zahnärzten zusammenbringen. Auch beim Kongress der World Dental Federation 2016 in Posen stand „Green Dentistry“ mit auf dem Programm. Es tut sich also was in Sachen Nachhaltigkeit. Auch in Deutschland?
Es riecht so gut nach Holz!
Eine entsprechende Organisation existiert (noch) nicht. Aber viele Zahnärzte zeigen grüne Eigeninitiative – in welcher Form auch immer. Da ist der Neubau im brandenburgischen Schöneiche, komplett aus heimischem Lärchenholz und geschmückt mit einem Gründach. „Ich selbst lebe sehr ökologisch“, sagt Bauherrin Dr. Heike Kretschmar, „was ich esse, wo ich privat wohne und wie ich mit meinen Patienten umgehe. Da lag es nahe, auch die neue Praxis ökologisch zu bauen.“ Seit dem vergangenen Jahr bilden Dr. Kretschmar und ihre Tochter Elisabeth von Tschirnhaus eine Praxisgemeinschaft. Mit der lichten, angenehmen Atmosphäre des Grünbaus sind beide Zahnärztinnen sehr zufrieden. Das gilt auch für die Patienten. „Viele sagen beim Reinkommen: ‚Ach, das riecht hier so schön nach Holz!‘“
Oder die Berliner Zahnarztpraxis „Am Kreuzberg“, die auf Ökostrom setzt und als Fördermitglied den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) unterstützt. Auch digitales Röntgen und der Verzicht auf Amalgam liegen im Trend – vermehrt weisen Praxen auf ihren Webseiten auf eine solche Umstellung hin und präsentieren so das eigene Nachhaltigkeitsbewusstsein.
Die grüne Hausnummer
Im saarländischen St. Ingbert gibt es sogar eine Praxis, die eine EMAS-Zertifizierung angestrebt hat. EMAS ist eine Umweltinitiative der Europäischen Union, bei der Unternehmen ihre Ökobilanz messen lassen und verbessern können. Dr. Regine Carl und Dr. Wolfgang Carl wagten sich an die vielen Hürden dieser hochrangigen Zertifizierung, die allerdings reichlich Bürokratie mit sich bringt: „EMAS ist eigentlich auf Großbetriebe und den Mittelstand mit entsprechenden personellen Ressourcen ausgerichtet – für Kleinbetriebe ist es definitiv zu aufwendig. Die Beschäftigung mit dem System hat uns aber durchaus inspiriert“, sagt das Zahnärzte-Ehepaar. So kam es, dass heute zwar doch keine EU-Urkunde die St. Ingberter Praxis schmückt, aber eine „Grüne Hausnummer“. Die Grüne Hausnummer, die inzwischen nicht nur im Saarland verliehen wird, ist ein Prädikat für umweltgerechtes Bauen.
Dass Zahnerhaltung und Umweltschutz gut zusammenpassen, davon waren die Carls schon immer überzeugt: „Nachhaltigkeit ist in der Zahnheilkunde definitiv nichts Neues: Vorbeugen ist besser als Bohren – der Spruch ist doch schon lange bekannt.“ Das heißt dann im ökologischen Kontext: Energie sparen, Müll reduzieren und Natur erhalten.
Dabei liegt die Praxis Carl in einem 1975 errichteten Betonbau – eine eher ungewöhnliche Umgebung für ein grünes Vorzeigeprojekt. Die Verwandlung begann vor 20 Jahren, weil sich die Praxis im Sommer zu sehr aufheizte. Es gab zwei Lösungsmöglichkeiten für das Problem: „Man kann dafür eine Klimaanlage installieren und die CO2-Bilanz typischerweise verschlechtern – oder ein Gründach und diese verbessern. Beide Optionen funktionieren, wir haben uns für das Gründach entschieden. Und danach haben wir die Umgestaltung eines Betonbaus einfach sportlich gesehen.“
Gebäude fressen Ressourcen
Zu den nächsten Schritten gehörte die Optimierung von Energieversorgung und Wärmeschutz durch zusätzliche Fassadenbegrünung, den Einbau einer Brennwertheizung und die Nutzung von Solartechnik für die Warmwassererzeugung. Das macht sich bezahlt, wie das Ehepaar berichtet: „Die Heizkosten sind drastisch gesunken, um mehr als 30 Prozent, die Energiekosten im letzten Jahrzehnt insgesamt stabil geblieben, inflationsbereinigt also tendenziell gesunken.“
Auch bei den verwendeten Produkten achten die Zahnärzte auf Umweltverträglichkeit und Abfallbilanz: So kommen zum Beispiel Sterilgutlagercontainer statt Einmalverpackungen zum Einsatz, Carpulensysteme zur Lokalanästhesie statt Einmalspritzen. Die Röntgentechnik läuft digital. Für weitere Maßnahmen bleiben Regine und Wolfgang Carl offen. Eine geplante Photovoltaik-Anlage zur gesamten Stromerzeugung erwies sich im Augenblick steuerlich als zu kompliziert. Doch auch Kleinigkeiten arbeiten mit an der Ökobilanz: etwa die Anschaffung einer Zeitschaltuhr für ein Untertisch-Warmwassergerät. Da die Toiletten der Praxis nicht durch die solarthermische Anlage mitversorgt werden konnten, überlegten sich die St. Ingberter Zahnärzte etwas anderes: „Das Warmwassergerät muss ja nicht 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche durchheizen. Also haben wir uns für weniger als zehn Euro im Baumarkt eine Zeitschaltuhr besorgt und die Praxiszeiten einprogrammiert.“ Der Spareffekt ist vielleicht nicht gigantisch, aber auch ein kleiner ökologischer Gewinn kann befriedigend sein.
Es gibt viele Wege zur grünen Zahnarztpraxis – ob nun aufwendig gebaut wird oder man die vermeintlich kleinen Dinge des täglichen Betriebs verändert. Dass einige wenige Zahnarztpraxen zur ökologischen Vorhut zählen, beweisen Projekte wie das Holzhaus von Schöneiche oder die Praxis Mondzorg im niederländischen Middenmeer. Mondzorg wurde aus dem Holz heimischer Bäume errichtet, nutzt ein Gründach und Efeu zur Klimaregulierung und natürliche Stoffe auf der Grundlage von Holzfasern und Muscheln für die Dämmung. Die Praxis sieht aus wie ein Ferienhaus – und die Patienten lieben es.
Wer umbaut, nutzt die graue Energie
Wie genau könnte eine „Green Dentistry“ aussehen? Zunächst ein Blick aufs große Ganze: Am Anfang stellt sich oft die Frage „Neubau oder Umbau?“. Hier gilt: Umbauen ist nachhaltiger. Denn in jedem existierenden Bau steckt schon all die Energie, die zu seiner Errichtung „verbraucht“ wurde – man nennt das graue Energie. Die Baustoffe wurden bereits hergestellt, transportiert und verbaut, der Boden versiegelt. Die Modernisierung eines bestehenden Gebäudes schont aber nicht nur Ressourcen. Auch der Standort ist bereits erschlossen und Teil einer gewachsenen Baukultur. Das Gebäude wirkt vertraut – ein Pluspunkt für die Akzeptanz bei den zukünftigen Patienten.
Aber: Vorsicht vor Schadstoffen und anderen Altlasten. Belastende Stoffe wie Asbest, Formaldehyd, Pestizide Co. sind in heutigen Baumaterialien zwar verboten, können beim Umbau aber wieder ans Tageslicht kommen und zum – eventuell kostspieligen – Sanierungsfall werden. Das bestehende Gebäude sollte also zunächst einmal auf seine baubiologische Gesundheit untersucht werden – und dann auf seinen Energieverbrauch. Was muss in Wärme- und Schallschutz investiert werden?
Und wie hoch ist der Aufwand, um den vorhandenen Grundriss mit den Erfordernissen einer Zahnarztpraxis in Einklang zu bringen? Wie sieht es mit der Barrierefreiheit aus? Auf Nachhaltigkeit spezialisierte Architekten lassen sich über die Architektenkammern der Länder ausfindig machen. Meist gibt es hierfür eine Listenführung. Auch unterhalten die Kammern in allen größeren Städten Angebote für kostenfreie Initialberatungen. Wichtig für Bauherren ist, sich Experten zu suchen, die den Überblick im Dschungel der gerade aktuellen Förderungen und Zuschüsse haben. Wo wird etwa ein Gründach bezuschusst? Wo winken handfeste Steuervorteile? Und wo gibt es vielleicht öffentlichkeitswirksame Initiativen wie die Grüne Hausnummer?
„Energieberatungen werden unter anderem ebenso unterstützt wie Beratungen zur Nachhaltigkeit, beispielsweise durch das bafa, die KfW oder länderbezogene Förderungen“, erklärt Architekt Ulrich Jung von der Bayerischen Architektenkammer. Eins steht fest: Bewusst Ressourcen-schonend zu bauen, erfordert zunächst einmal eine gründlichere Planung. Auch die Investitionskosten können höher liegen. In der Regel werden sie aber durch niedrigere Nutzungskosten wieder ausgeglichen. Und am Ende steht eine grüne Immobilie, deren Wert wächst, auch wenn Rohstoff- und Energiepreise steigen.
Wer neu baut, kann gestalten
Wer neu baut, hat große gestalterische Freiheiten. Doch auch hier heißt es: Besonders nachhaltig ist ein Standort mit hoher Besiedlungsdichte und guter Infrastruktur. Von Vorteil sind die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Fußgängerfreundlichkeit innerhalb der Stadt. Ein Pendlerparkplatz, ein Supermarkt oder andere Versorgungseinrichtungen in Reichweite können dazu beitragen, dass Autofahrer verschiedene Termine auf einmal erledigen. Das ist nicht nur zeitsparend, es reduziert auch die CO2-Emmissionen. Vorhandene Fahrradwege tragen zu umweltfreundlicher Mobilität bei – und solide Fahrradständer zum Komfort für radelnde Patienten und Mitarbeiter.
Wird für den Neubau ein bereits bestehendes Gebäude abgerissen, dann sollte gelten: Bauschutt ist kein Müll, sondern ein Wertstoff. Idealerweise wird er von einem Anbieter übernommen, der für das Recycling der verschiedenen Stoffe sorgt. Wer am bislang unberührten Standort baut, sollte versuchen, den Eingriff in die Vegetation so gering wie möglich zu halten. Welche Bäume müssen wirklich gefällt werden? Und welche können dem Gebäude mit ihrem Schatten im Sommer als natürliche Kühlung dienen?
Ab in die Sonne
Auch die genaue Planung der Praxisgröße zahlt sich aus. Viel freier Raum wirkt zwar optisch luxuriös, aber: Kleiner ist effizienter. Beim Bau werden weniger Materialien verwendet und im laufenden Betrieb entstehen weniger Kosten durch Heizung, Kühlung und Beleuchtung. Und kürzere Wege innerhalb der Praxis sind gut für die Produktivität.
Eine wichtige Entscheidung fällt mit der Positionierung des Neubaus. Die Orientierung nach Himmelsrichtungen hat nicht nur Auswirkungen auf eine schöne oder nicht so schöne Aussicht. Sie spielt vor allem eine Rolle, falls die neue Praxis in ein Niedrigenergiehaus einziehen oder von Solarenergie profitieren soll. Das natürliche Licht wird am besten genutzt, wenn die längste Achse des Gebäudes parallel zur Sonnenbewegung ausgerichtet ist.
Sonneneinstrahlung – unterstützt von strategisch gut platzierten Fenstern – kann nicht nur helfen, die Energiekosten zu senken. Sie wird generell als angenehm und beruhigend empfunden. Gleiches gilt für ein bepflanztes Dach. Das Grün ist nicht nur ansprechend und wirkt der allgemeinen Boden-Versiegelung entgegen, es isoliert auch auf energiesparende Weise. Und der Pflegeaufwand dieser frei wachsenden Klimaanlage hält sich in Grenzen, wie Gründachbesitzer berichten. Wem das trotzdem zu bunt ist, der kann auf ein Dach in weißer oder heller Farbe zurückgreifen, das die Sonne im Sommer reflektiert und die Praxis nicht in eine Sauna verwandelt.
Baustoffe: think global, buy local
Ob Neubau oder Umbau – es ist von Vorteil, sich seine Baustoffe selbst aussuchen zu können. So können aufwendig produzierte Materialien wie Stahl, Beton oder Kunststoff durch biobasierte Alternativen aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzt werden – am besten gesundheitlich unbedenkliche und lokal hergestellte, die keine langen Transportwege zurücklegen und die heimische Wirtschaft unterstützen. Und recyclingfähige. Denn das ökologische Ideal nennt sich „Cradle to Cradle“ – von der Wiege zurück zur Wiege. Dabei werden natürliche Materialien wie Holz bei einem späteren Abbruch des Gebäudes wieder in die Rohstoffkette eingebracht. Ökosiegel und Fachberater helfen bei der Auswahl der geeigneten Stoffe und Hersteller.
Unterstützung bieten hier die Architektenkammern der Länder, etwa mit WECOBIS (www.wecobis.de), dem ökologischen Baustoffinformationssystem der Bayerischen Kammer. „Im Modul Planungs- und Ausschreibungshilfen findet man dort materialökologische Anforderungen für verschiedene Baustoffgruppen“, sagt Architektin Petra Wurmer-Weiß von der Beratungsstelle BEN. „Was den Innenausbau betrifft, findet man in WECOBIS zum Beispiel Anforderungen an Bodenbeläge, Klebstoffe, Verlegewerkstoffe, Dichtstoffe und Oberflächenbeschichtungen wie Wandfarben und Lacke. Ob diese Materialien immer die erforderlichen Eigenschaften hinsichtlich Hygiene in Praxisräumen erfüllen, muss im Einzelfall geprüft werden.“ Ein wichtiger Punkt: Hygienebestimmungen gehen vor Ökobilanz! Sie müssen sich aber nicht immer ausschließen.
Zwischen High End und secondhand
Was die Auswahl von Fußbodenbelägen, Oberflächenmaterialien oder Möbeln betrifft, empfiehlt der US-amerikanische Innenarchitekt James Küster, zwischen Aufenthaltsbereichen (für Patienten und Praxismitarbeiter) und Arbeitsbereichen mit hohen Hygieneanforderungen (wie Behandlungszimmer oder Labor) zu unterscheiden.
Küster, ein Spezialist für nachhaltig designte Zahnarztpraxen, propagiert einen bakteriostatischen Linoleumboden und Quarz als umweltfreundliche Alternativen zu fleckfreiem Stahl. Linoleum besteht weitgehend aus Naturstoffen, hat weder schädliche Ausdünstungen noch ist er mit Weichmachern durchsetzt. Anders als etwa PVC kann Linoleum nach Ablauf der Lebensdauer zerkleinert und kompostiert werden. Auch der Secondhand-Gedanke bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten, etwa bei Möbeln, Türen und Türrahmen. Das heißt heute „Vintage“ – und es hat seinen ganz eigenen Charme, wenn Kronleuchter oder Bilderrahmen ihre eigene Atmosphäre in die Praxis bringen.
Wie schon bei den Baustoffen lautet die Grundregel für alle neu gekauften Produkte: Sie sollten ökologisch gesund produziert und langlebig sein, eine möglichst hohe Recyclingfähigkeit haben und nicht erst lange Verkehrswege zurücklegen müssen.
Das edle Mahagoniholz mag den Empfangstresen enorm aufwerten, sein ökologischer Fußabdruck ist übertrieben groß. Beim Strom Sparen helfen am besten ein Standort und eine Fensterplatzierung, die so viel natürliches Licht wie möglich bieten. In Sachen künstliche Beleuchtung haben LEDs die beste Bilanz: Sie halten lange, verbrauchen im Vergleich zur Glühbirne erheblich weniger Elektrizität und kommen ohne giftige Chemikalien aus. Auch Tageslichtsensoren, die das benötigte künstliche Licht je nach Sonnenlichteinfall anpassen, senken den Energieverbrauch. Ebenso ein programmierbarer Thermostat, um die Praxis nicht übermäßig zu beheizen oder zu kühlen – und natürlich eine gute Dämmung und Isolierung. Einige Zahnarztpraxen weisen inzwischen auf ihren Webseiten darauf hin, dass sie reinen Ökostrom beziehen. Das spart zwar augenblicklich keine Kosten, ist aber ein Nachhaltigkeitsplus und wird vielleicht auch von den Patienten wahrgenommen und geschätzt.
So spart die Praxis Strom
Eine Option zur Warmwassererzeugung für die Praxisversorgung ist eine solarthermische Anlage. Der gesamte Wasserbrauch lässt sich durch die Installation von Dual-Flush-Toiletten und hygienischen Bewegungssensor-Wasserhähnen reduzieren. Und für manche Praxen kommt bei Neubau oder Renovierung auch eine Zisterne für das Brauchwasser der Toilettenspülungen infrage.
Wer allerdings darüber nachdenkt, per Photovoltaik seinen eigenen Strom zu gewinnen, sollte sich erst steuertechnisch schlau machen, wie das Beispiel der St. Ingberter Zahnärzte zeigt. „Unsere Zahnarztpraxis verbraucht im Jahr etwa 12.000 Kilowattstunden Strom. Das ist schon relevant. Also haben wir uns überlegt: Wenn wir den Strom selbst produzieren, dann können wir ihn auch selber benutzen“, sagt Wolfgang Carl. Doch der Steuerberater warnte, dass der selbst gewonnene überschüssige Strom auch ins Netz eingespeist werden muss. Damit wird der stolze Photovoltaik-Betreiber aber automatisch zum Unternehmer und somit tendenziell gewerbe- und mehrwertsteuerpflichtig. Nur, falls die Praxis ohnehin schon der Gewerbe- und Mehrwertsteuerpflicht unterliegt, lohnt sich die technische Aufrüstung.
Reduce – Reuse – Recycle
Aber auch kleine Veränderungen im Praxisalltag summieren sich. Etwa am Empfang: Da frisst ein endlos vor sich hin laufender Screensaver kontinuierlich Energie, während ein früheres Umschalten auf den schwarzen Bildschirm günstiger wäre. Digitale Kommunikation, wo immer möglich, spart Papier – und der Gebrauch von Recyclingpapier schont Ressourcen.
Achten Sie beim Kauf neuer elektronischer Geräte auf Umweltlabel, ob das Computer oder Drucker sind – oder auch der Kühlschrank im Mitarbeiterraum. Und wie sieht es mit der Mülltrennung aus – oder schöner gesagt: dem Abfallmanagement? Meist lässt sich noch etwas verbessern. So landen zum Beispiel in der St. Ingberter Praxis benutzte Papierhandtücher nicht im Restmüll, denn sie lassen sich kompostieren und sind in der Regel keimarm. Am Behandlungsstuhl könnten Becher aus Recycling-fähigem Material die üblichen Plastikbecher ersetzen. Und der Kauf von Großpackungen reduziert die Müllbilanz.
Wer weniger umweltschädliche Stoffe verwenden möchte, kann, wo immer es geht, auf biologisch abbaubare Reinigungsprodukte umsteigen, mit digitalem Röntgen die Entwicklerchemikalien sparen und komplett auf Amalgam verzichten. Manchen Bestrebungen zur Abfallvermeidung und Nachhaltigkeit stehen in einer Zahnarztpraxis allerdings die Hygienebestimmungen entgegen – ein echter Spagat. „Der Trend in der Hygiene geht leider eher zu Einmalprodukten wie zum Beispiel Einmal-Absaugkanülen oder -Sprayaufsätzen“, sagt Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der Zahnärztekammer Berlin. „Europa- und deutschlandweit werden Zahnärztinnen und Zahnärzte ständig mit neuen Hygienevorschriften konfrontiert. Diese Gesetze und Verordnungen machen eine ‚nachhaltige‘ Hygiene in unseren Praxen bedauerlicherweise fast unmöglich.“
Auch Wolfgang Carl betont: „Im Zweifelsfall ist Hygiene das Wichtigste. Aber die Hygienekontrollen und Praxisbegehungen durch die entsprechenden Behörden sind teilweise auch überzogen, überbürokratisiert und nicht immer von Sachkenntnis geprägt. Man muss sich als Praxisinhaber überlegen: Wo positioniere ich mich da?“
Etwa beim Thema Einwegprodukte. „Wenn ich etwas einschweiße, zum Beispiel eine Extraktionszange, dann produziere ich zusätzlichen Einwegmüll. Wenn ich einen Sterilgutlagercontainer verwende, muss ich natürlich den Container auch sterilisieren, aber das ist kein großer Mehraufwand und ich reduziere dadurch Müll. Unter Umständen spare ich sogar Aufwand und Arbeitszeit unserer Mitarbeiterinnen, die nicht mehr jede Zange einzeln einschweißen müssen.“ Und was zahntechnische Arbeitsgeräte betrifft, wünscht sich „Green Dentistry“-Experte Küster ein Umdenken der Gerätehersteller. Denn erst wenn die Industrie die Nachhaltigkeit mitdenkt, kommt sie ganz automatisch in jeder Praxis an.
Eine Frage der Verantwortung
Ob sie es nun ökologische Zahnmedizin nennen, Green Dentistry oder Bio-Praxis – viele Zahnärzte machen sich nicht nur über die Schonung der natürlichen Ressourcen im Mund Gedanken, sondern auch außerhalb. Das hat Vorteile: einmal ganz handfest auf der Ebene der Betriebskosten und bei einer möglichen Wertsteigerung des Gebäudes. Außerdem wissen manche Patienten die soziale und ökologische Unternehmensverantwortung sehr zu schätzen. Und der nachhaltige Blick bringt das schöne Gefühl mit sich, Richtung Zukunft zu denken. Prophylaxe eben.
Sonja Schultz,
Fachredakteurin aus Berlin