Er wusste, was er tat
Walter Hoffmann Axthelm wurde am 29. April 1908 in Berlin-Friedenau als Walter Hoffmann geboren. Im Jahr 1939 entschloss er sich „seinen unverwechselbaren Doppelnamen“ anzunehmen, der in dieser veränderten Form aber erst 1952 durch den Magistrat von Groß-Berlin offiziell bestätigt wurde [Hoffmann Axthelm, 2012].
Später verschwieg er die Namensänderung bei Auskünften zu den Jahren 1933 bis 1945 im Zusammenhang mit seiner Person. Seine Eltern waren der Kaufmann Karl Hoffmann (1870–1933) und Anna Hoffmann, geborene Axthelm (1878–1972). 1927 schrieb er sich für ein Studium der Zahnmedizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität ein, das er mit dem Staatsexamen 1931 an der Berliner Universität beendete. Im selben Jahr legte er seine Dissertation „Über die Beteiligung der Schleimhaut bei der Hauttuberkulose“ vor [Hoffmann Axthelm, 1931].
In seiner „Chronik über das eigene Leben“ begann er das Jahr 1933 mit der lapidaren Bemerkung: „[…] nun hatten wir also das Dritte Reich“ [Hoffmann Axthelm, 1990]. In Berlin wurde er Zeuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten: „[...] alles ging seinen Gang“ [Hoffmann Axthelm, 1990]. Im Mai 1933 erwarb er eine Praxis in der nordwestlich von Berlin gelegenen Stadt Perleberg. Der Ort wurde von ihm als „saubere, etwas verschlafene Landstadt mit damals knapp zehntausend Einwohnern“ beschrieben [Hoffmann Axthelm, 1990]. Dort gab es aber bereits eine rege breitenwirksame machtpolitische Tätigkeit.
Vor Ort existierte in der Bäckerstr. 20 ein Büro der NSDAP-Kreisleitung [Kannengießer, 1940]. Eben dort befand sich auch seine neue Praxis. Hoffmann Axthelm verschwieg diese Adressenkoinzidenz konsequent in seiner Chronik. 1933 ist auch das Jahr weiterer persönlicher Entscheidungen: Mit seinem freiwilligen Eintritt in das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK, eine paramilitärische Unterorganisation der NSDAP) im Oktober 1933 kam er der Aufforderung seiner inzwischen gleichgeschalteten Studentenverbindung „Gothia“ zuvor.
Das KZ ließ er unerwähnt
Wie alle deutschen Zahnärzte war auch Hoffmann Axthelm Mitglied im Reichsverband der Zahnärzte Deutschlands e.V. [Heinrich, 1938]. Wegen seines Berufs wurde er innerhalb des NSKK mit der Stelle eines Standartenzahnarztes „beliehen“ [Hoffmann Axthelm, 1990]. Das Bestehen eines provisorischen Konzentrationslagers in Perleberg von Mai bis Juni 1933, in dem auch 15 Perleberger Bürger einsaßen, hielt er in seiner Chronik ebenso wenig für erwähnenswert. 1935 heiratete er seine Kollegin Gerda Hemmerling, die am 20. April an einer Lungenembolie nach der Geburt ihrer Tochter Gisela starb. „Im gleichen Augenblick dröhnte aus dem benachbarten Hotel der Gesang unserer neuen Nationalhymne, des Horst-Wessel-Liedes. Man feierte den Geburtstag des Führers“ [Hoffmann Axthelm, 1990].
Für die „Leistungen“ Adolf Hitlers fand er anerkennende Worte und nannte sie „Mut zur Tat“. Die November-Pogrome und antijüdischen Aktivitäten in Perleberg 1938 erlebte Hoffmann Axthelm subjektiv ganz anders, als in umfangreichen Akten des Stadtarchivs nachgelesen werden kann. Wie andernorts im Deutschen Reich sollte auch „Perleberg zu einer judenfreien Stadt“ gemacht werden [Kannengießer, 1938]. Die aktenkundige Zerstörungswut der Sturmabteilung (SA) und die Gräuel gegenüber der jüdischen Gemeinde erfuhren von ihm eine gänzlich verharmlosende Darstellung.
Hitler hatte „Mut zur Tat“
1938 traf Hoffmann Axthelm seine spätere zweite Ehefrau Irmtraut Milisch. Hoffmann Axthelm heiratete in eine streng preußisch-nationalkonservative Familie, was ihm persönlich sehr nutzte. Schwiegervater Leopold Milisch war Generalmajor der Deutschen Wehrmacht und Träger des Ordens „Pour le Mérite“ – über die Familie seiner Frau und ihm nahestehender Freunde verfügte er bis Kriegsende über private Kontakte zu hochrangigen Staatsbeamten und bekennenden Nationalsozialisten.
Der Krieg begann für ihn „verspätet“ am 2. Dezember 1939 bei der motorisierten Artillerie-Ersatz-Abteilung 75 in Eberswalde. Hier kam er zum ersten Mal mit polnischen Kriegsgefangenen in Kontakt, die zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt wurden – für ihn „Landarbeiter“, die er mit einem Kollegen seiner Einheit „medizinisch“ betreute.
Mithilfe eines Empfehlungsschreibens seines „väterlichen Freundes“ Dr. Wilke aus Perleberg, der als Kreiswart beim Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB, neben SA und SS auch dritte Kampforganisation der NSDAP) arbeitete, gelang es ihm, von Eberswalde ans Reservelazarett 122 in Berlin-Tempelhof versetzt zu werden. Dort traf er auf seinen neuen Chef, der ihn zu seinem persönlichen Assistenten ernannte: Karl Schuchardt. Im katholischen St. Norbert Krankenhaus assistierte ihm Hoffmann Axthelm bei seinen Operationen.
In der eigenen Praxis am Belle Alliance Platz 1 operierte er zusammen mit Schuchardt auch die Nazi-Prominenz. Schuchardt operierte Hermann Göring,dessen Ehefrau Emmi sowie Magda Goebbels, die Ehefrau des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels [Goebbels, 1943].
Noch in einem Brief aus den letzten Kriegstagen an seine Frau schildert Hoffmann Axthelm die vom Fanatismus getriebene und überzeugte Nationalsozialistin Magda Goebbels als einen reizenden Menschen, dem ein solch tragisches Ende wirklich nicht zu wünschen gewesen wäre.
Schuchardt war es auch, der Hoffmann Axthelm dem Leiter der Kieferchirurgischen Abteilung am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin, Martin Waßmund, 1942 als Vertreter empfahl. Jener hatte sich dadurch profiliert, dass er in seinem „Lehrbuch der praktischen Chirurgie des Mundes und der Kiefer“ sich in einem Kapitel ausschließlich mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ beschäftigte. Dabei forderte er mehr als das Gesetz verlangte, nämlich grundsätzlich die Zwangssterilisation für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten-Symptomträger [Waßmund, 1939]. Hoffmann Axthelm erinnerte sich in seiner Rückschau nicht an die ideologisch-rassitisch geprägten Aussagen und Forderungen Waßmunds, sondern nur an einen wohlwollend auftretenden Kollegen.
Als vom 16. bis zum 18. Mai 1944 im SS-Lazarett Hohenlychen die 4. Arbeitstagung Ost der Beratenden Militärärzte stattfand, wurde er von Schuchardt als sein persönlicher Assistent in die höchsten Wehrmachts- und SS-Kreise eingeführt. Hoffmann Axthelm arbeitete seit Anfang Mai 1944 unter seiner Leitung im Kriegslazarett Görden, das eng mit der Landesanstalt bei der „Behandlung“ verletzter und traumatisierter Wehrmachtssoldaten zusammenarbeitete. Hoffmann Axthelm beschrieb die Zugreise aus dem zerbombten Berlin dorthin als ein Schaulaufen medizinischer Prominenz mit wohlklingenden Namen.
Außer dem Gastgeber, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS, Prof. Dr. med. Karl Gebhardt, der von ihm gänzlich unerwähnt bleibt, fanden sich auf den Vortrags- und Anwesenheitslisten auch die Namen der Hitler in seinem Vernichtungskrieg unterstützenden Wehrmachtmediziner. Ungenannt blieben von Hoffmann Axthelm auch die in diesen Kreisen seit 1943 bekannten verbrecherischen Versuche Gebhardts an Lagerinsassinnen des KZ Ravensbrück.
Hohenlychen ist für ihn nur verklärend die „große orthopädische Spezialklinik“. Bei den Recherchen zu Hoffmann Axthelm konnte den noch vorhandenen Lazarettbüchern aus Görden und Berlin-Tempelhof entnommen werden, dass viele verletzte Wehrmachtssoldaten als psychisch traumatisiert galten [Krankenbuchlager Berlin, 2014]. Nicht wenige wurden zum Kriegsende aus beiden Lazaretten in die Landesanstalt Görden verlegt. Häufig war ihr letzter Verbleib ungeklärt. Noch zu Beginn des Jahres 1945 verlegte Hoffmann Axthelm pflichtbewusst verletzte Soldaten aus dem Tempelhofer Lazarett nach Görden und sogar an die Front zurück. Ausführliche Briefe an seine Frau bezeugen das.
Hoffmann Axthelms Sohn, Diether Hoffmann Axthelm, bestätigte auf Nachfragen des Autors, dass sein Vater sehr wohl gewusst habe, was in Görden geschehen war. Dieses Kapitel zur Person des Kieferchirurgen und späteren Medizinhistorikers Walter Hoffmann Axthelm endet daher mit einem Zitat von Hannah Ahrendt: „Wir sind auch für unseren Gehorsam verantwortlich.“
ZA Stefan Paprotka
Praxis J. Schalge-Al-Dilaimi
Stadtrandstr. 507, 13589 Berlin