Repetitorium: Typ-2-Diabetes

Wenn der Zucker im Blut bleibt

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Christine Vetter
Beim Diabetes mellitus werden verschiedene Krankheitsformen unterschieden. In der Zahnarztpraxis weitaus am häufigsten anzutreffen sind Patienten mit einem Typ-2-Diabetes, einer Erkrankung, bei der die Körperzellen zunehmend unempfindlich auf das körpereigene Insulin reagieren. Die Folge: Die Blutzuckerwerte steigen – ebenso das Risiko für Folgeerkrankungen: allen voran Herz- und Gefäßerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Während der Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung darstellt, handelt es sich beim Typ-2-Diabetes um eine Stoffwechselstörung, die auf einer genetisch bedingten multifaktoriellen Krankheitsbereitschaft beruht. Die Manifestation der Erkrankung wird durch Risikofaktoren getriggert. Hierzu gehört neben der familiären Belastung und einem höheren Lebensalter vor allem das Vorliegen eines metabolischen Syndroms – sprich das Zusammentreffen verschiedener Risikofaktoren wie einer Hypertonie, einer Dyslipoproteinämie, einer Adipositas und einer gestörten Glukosetoleranz und/oder einer Insulinresistenz.

Symptome

Häufige Symptome des Typ-2-Diabetes sind starke Durstgefühle, häufiges Wasserlassen, ein Gefühl von Müdigkeit und Abgeschlagenheit, eine trockene, juckende Haut, ein ungewollter Gewichtsverlust, schlecht heilende Wunden und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Die Symptome sind allerdings unspezifisch und werden oft nicht als Zeichen einer diabetischen Stoffwechsellage wahrgenommen. Das erklärt, warum der Diabetes häufig als eine Art Zufallsbefund diagnostiziert wird. Dabei handelt es sich um eine Volkskrankheit, die Zahl der Betroffenen wird hierzulande auf etwa acht Millionen geschätzt. Sie steigt seit Jahren stetig an, ohne dass ein Ende dieser Entwicklung abzusehen ist.

Eine Modifikation des Lebensstils ist unerlässlich

Zur Behandlung wie auch zur Prävention der Erkrankung wird von den Experten eine Modifikation des Lebensstils hin zu einer gesunden Lebensweise – mit ausreichend Bewegung, ausgewogener, gesunder Ernährung, Normalisierung des Körpergewichts sowie Nikotinverzicht – empfohlen. Bereits manifeste Begleiterkrankungen wie eine Hypertonie und/oder eine Dyslipoproteinämie sollten zudem konsequent behandelt werden.

Zielkorridore

Davon abgesehen werden (anders als früher üblich) in der aktuellen Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) zum Typ-2-Diabetes nicht mehr einheitliche Behandlungs-Zielwerte formuliert. Die Therapieziele richten sich vielmehr nach der Krankheitskonstellation und der individuellen Situation des Patienten – Lebensalter, Krankheitsentwicklung und bereits vorliegende Folgeerkrankungen des Diabetes.

In der NVL werden daher sogenannte Zielkorridore angegeben. Sie sind als Information für den Arzt, die diabetologisch geschulte Fachkraft und auch den Patienten gedacht und geben Anhaltspunkte darüber, welcher Zielkorridor nach dem derzeitigen medizinischen Wissensstand im Regelfall angestrebt werden sollte. Davon unabhängig kann das Vereinbaren individueller Therapieziele, die möglicherweise sogar vom Zielkorridor abweichen, zwischen Arzt und Patient ratsam sein. Die individuellen Therapieziele sollten jeweils der Lebenssituation des Typ-2-Diabetikers angepasst, mindestens einmal jährlich überprüft und möglicherweise – so heißt es in der NVL – an die sich ändernden individuellen Gegebenheiten adaptiert werden.

Behandlungsziele

  • die Reduktion des Risikos für kardiale, zerebrovaskuläre und sonstige makro- wie aber auch mikroangiopathische Folgekomplikationen wie die Erblindung, die Notwendigkeit einer Dialyse und das Auftreten einer Neuropathie

  • die Vermeidung und Behandlung des diabetischen Fußsyndroms

  • die Vermeidung und Behandlung von Symptomen durch die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung

  • das Behandeln und die Besserung von Begleitkrankheiten

  • die Reduktion von Morbidität und Mortalität

  • der Erhalt und/oder die Wiederherstellung der Lebensqualität

  • die Minimierung von Nebenwirkungen der Therapie und der Belastungen des Patienten durch die Therapie

  • die Kompetenzsteigerung, also das Empowerment der Patienten im Umgang mit der Erkrankung

  • die Verminderung eines Krankheitsstigmas

  • die Förderung der Therapieadhärenz

Die Zeit der allgemeinen Zielwerte ist vorbei

Als Parameter, an denen sich die Therapieziele orientieren, bieten sich die Nüchternblutzuckerwerte (NBZ-Wert), der postprandiale Blutzucker und das HbA1c an, das Auskunft über die längerfristige Qualität der Blutzuckereinstellung gibt. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte zur Prävention von Folgekomplikationen laut NVL ein HbA1c-Korridor von 6,5 bis 7,5 Prozent angestrebt werden. Eine Absenkung des HbA1c-Wertes auf unter 6,5 Prozent ist nur ratsam, wenn die Reduktion durch eine alleinige Änderung des Lebensstils erreichbar ist oder durch Medikamente, die nicht mit einem erhöhten Risiko für relevante Nebenwirkungen, wie etwa das Auftreten einer schweren Hypoglykämie, eines Gewichtsanstiegs, einer Herzinsuffizienz oder einer Pankreatitis assoziiert sind.

Bei der Nüchternblutglukose wird als Orientierungsgröße ein Wert von 100-125 mg/dl und beim postprandialen Blutzucker ein Wert von 140-199 mg/dl empfohlen.

Auch hinsichtlich der Parameter des metabolischen Syndroms gibt die NVL Empfehlungen: Demnach sollte das LDL-Cholesterin auf einen Zielwert 100 mg/dl gesenkt werden bei möglichst fixer Statindosis. Bei Übergewicht sollte eine Gewichtsreduktion erfolgen und zwar bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 27 bis 35 kg/m2 um etwa fünf Prozent des Körpergewichts, bei einem BMI 35 kg/m2 um zehn Prozent des Körpergewichts.

In puncto Blutdruck rät die NVL zu einer Einstellung auf systolisch unter 140 mm Hg und diastolisch idealerweise um 80 mm Hg. Die Empfehlungen implizieren, dass die jeweiligen Werte regelmäßig erfasst werden, um gegebenenfalls korrigierend ins Therapieregime eingreifen zu können.

Nicht nur hinsichtlich der Risikofaktoren, sondern auch im Hinblick auf potenzielle Folgeerkrankungen des Typ-2-Diabetes ist ein regelmäßiges Screening wichtig. Dazu gehört auch eine Untersuchung der Nieren, um eine sich entwickelnde diabetische Nephropathie rechtzeitig zu erkennen oder das Screening auf Fußläsionen mit Blick auf den diabetischen Fuß. Einmal jährlich sollte zudem eine augenärztliche Untersuchung veranlasst werden, um eine diabetische Retinopathie frühzeitig zu erfassen.

Ein besonderes Risiko stellt allerdings die Entwicklung von makrovaskulären Komplikationen dar, so dass das Herz-Kreislauf-Risiko des Patienten regelmäßig zu überwachen ist.

Therapie

Unerlässlich ist bei allen Typ-2-Diabetikern eine adäquate Basistherapie mit Schulung, Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie einer Raucherentwöhnung und das Erlernen von Stressbewältigungsstrategien. Reicht das nicht aus, ist in der zweiten Stufe eine medikamentöse Monotherapie angezeigt. Als Ergebnis sollte der HbA1c-Zielkorridor von 6,5 bis 7,5 Prozent erreicht werden. Ist das nicht innerhalb von drei bis sechs Monaten der Fall, ist entsprechend der Angaben in der NVL eine Insulintherapie oder eine Zweifachkombination oraler Antidiabetika indiziert. Nach weiteren drei bis sechs Monaten ohne befriedigenden Therapieerfolg sind eine intensivierte Insulintherapie und eine weitergehende Kombinationstherapie bei den oralen Antidiabetika zu erwägen.

Bei der medikamentösen Therapie gilt Metformin aufgrund der belegten Wirksamkeit hinsichtlich Stoffwechseleinstellung, makrovaskulärer Risikoreduktion sowie weiterer günstiger Eigenschaften, insbesondere des geringen Einflusses auf Gewicht und Hypoglykämierate als Mittel der ersten Wahl. Es ist unter der Therapie mit gastrointestinalen Nebenwirkungen zu rechnen sowie mit Geschmacksveränderungen. Zu beachten ist zudem das Risiko einer potenziell letalen Laktatazidose.

Die Therapie muss regelmäßig nachjustiert werden

Bei einer Metformin-Unverträglichkeit oder Kontraindikation kommt die Verordnung eines DPP-4-Inhibitors, eines SGLT-2-Inhibitors, eines Glinids, eines Glukosidasehemmers, eines Sulfonylharnstoffs oder Insulin infrage. Bei einer Zweifachkombination ist auch die Behandlung mit einem GLP-1- Rezeptoragonisten in Betracht zu ziehen.

Bei allen Antidiabetika sind dabei Besonderheiten zu berücksichtigen. So lässt bei den Sulfonylharnstoffen die klinische Wirksamkeit üblicherweise im Behandlungsverlauf nach, so dass diese Substanzen als Langzeitmonotherapie des Typ-2-Diabetes laut NVL nur bedingt geeignet sind. Es ist unter den Sulfonylharnstoffen zudem mit Hypoglykämien und mit einer Gewichtszunahme zu rechnen. Günstiger beurteilt werden die DPP-4-Inhibitoren (Dipeptidyl-Pepdtidase- 4-Inhibitoren) und Glitine, da sie im Gegensatz zum Sulfonylharnstoff aufgrund ihrer Wirkweise kein intrinsisches Hypoglykämierisiko bedingen. Allerdings wurde das Risiko der Entwicklung einer Pankreatitis und eventuell auch eines Pankreastumors diskutiert.

Aus Sicht der Zahnmedizin: Der Diabetiker

Bei der zahnärztlichen Behandlung von Patienten mit einem Diabetes mellitus können metabolische Entgleisungen im Sinne einer Hypo- oder einer Hyperglykämie von relevanter Bedeutung sein.

Die Hypoglykämie stellt eine akute Notfallsituation dar. Sie tritt sowohl bei Typ-I- als auch bei Typ-II-Patienten auf. Symptome können bei einem Blutglukosespiegel von < 70 mg/dl beobachtet werden. Von einer schweren Hypoglykämie wird bei Werten < 40 bis 50 mg/dl ausgegangen. Die Symptomatik ist sehr unterschiedlich und differiert zwischen den Patienten.

Man unterscheidet autonome – etwa Heißhunger, Übelkeit, Nervosität, Schwitzen, Tachykardie – und neuroglykopene Symptome – etwa Verwirrtheit, Doppelbilder, mangelnde Koordination, Sprachstörungen, Bewusstseinsverlust und Unruhe. Außerdem können nicht spezifische Symptome und primitive Automatismen wie zum Beispiel aggressives Verhalten, Grimassieren und Schmatzen auftreten. Letztendlich kommt es bei länger ausbleibender Kohlenhydratzufuhr zur Somnolenz und zentralen Atem- und Kreislaufstörung.

Vor zahnärztlichen Behandlungen, auch vor operativen Eingriffen, sollte daher sowohl die normale Medikation, aber auch die entsprechende Nahrungsaufnahme erfolgen. Eine unnötig lange Weichteilanästhesie, die mit einer Nahrungskarenz gekoppelt ist, sollte vermieden werden. Ein perioperatives Monitoring des Blutglukosespiegels hilft, Veränderungen frühzeitig zu erkennen.

Bei einer akuten Hypoglykämie sollte der Patient solange er ansprechbar und kooperationsfähig ist, etwa 20 g Glukose oral zu sich nehmen. Bei eingetrübten und bewusstlosen Patienten ist aufgrund der Aspirationsgefahr eine intravenöse Glukosegabe indiziert. Weitere Blutzuckerkontrollen sind erforderlich, um eine weitere Substitution zu steuern.Ist eine Blutzuckermessung zur Sicherung der klinischen Diagnose nicht möglich, sollte dennoch Glukose verabreicht werden. So kann ex juvantibus die Diagnose bestätigt und bei ausbleibendem Erfolg die Diagnostik erweitert werden.

Der Diabetes mellitus stellt eine relative Kontraindikation für die Adrenalingabe im Rahmen der Lokalanästhesie dar. Adrenalin führt aufgrund der Effekte auf die Glykogenreserven zu einer Erhöhung des Glukosespiegels. Der Anstieg ist jedoch bei reduzierter Adrenalinkonzentration (maximal 1:200.000) milde bis moderat ausgeprägt und zeitlich limitiert.Bei der Therapie mit Metformin, das häufig initial als Antidiabetikum eingesetzt wird, kann eine lange Nüchternzeit zu einer Laktatazidose führen. Daher soll es vor einer Narkose abgesetzt werden. Im Rahmen von zahnärztlichen Behandlungen unter Lokalanästhesie ist dies jedoch nicht erforderlich.

Anhaltend hohe Glukosewerte führen zu typischen Gewebe- und Organschädigungen, die sich auch negativ auf die zahnärztliche Behandlung auswirken. So können Wundheilungsstörungen infolge der Mikroangiopathie auftreten. Die Infekthäufigkeit steigt und der Verlauf ist foudroyanter. Die Indikation für eine antibiotische Prophylaxe ist daher bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen großzügiger zu stellen.

Auch der Erfolg einer implantologischen Behandlung scheint von der Stoffwechsellage der Patienten abzuhängen. Die Literaturübersicht zur neu erstellten Leitlinie deutet auf eine eingeschränkte Osseointegration, ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Periimplantitis und eine höhere Verlustrate bei schlecht eingestellten Diabetikern hin. Auch hier wirken sich der Einsatz von Antibiotika und Chlorhexitidin positiv auf den Implantaterfolg aus. Bei gut eingestellten Diabetikern (Hba1c < 6,5 Prozent) war die Komplikationsrate vergleichbar mit gesunden Patienten.

Die S3-Leitlinie „Zahnimplantate bei Diabetes mellitus“ finden Sie auf der Website der AWMF.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer

Leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
daublaen@uni-mainz.de

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA

Leiter der zahnärztlich-chirurgischen Poliklinik
sowie
Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35, 18057 Rostock

Eine weitere häufig genutzte Strategie ist die Insulintherapie, wobei Insulin laut NVL das älteste und effektivste Medikament zur Glukosesenkung darstellt. Heutzutage werden der Leitlinie zufolge fast nur noch Humaninsuline und daraus entwickelte Insulinanaloga angewandt. Sie lassen sich in Gruppen einordnen, die sich hinsichtlich ihrer Wirkungskinetik unterscheiden. Zur Gruppe der Humaninsuline gehören die sogenannten Normalinsuline und die Verzögerungsinsuline (NPH-Insuline, Neutrales Protamin Hagedorn). Zur Gruppe der Insulinanaloga zählen die kurzwirksamen Insulinanaloga Insulin lispro, Insulin aspart und Insulin glulisin sowie die langwirksamen Insulinanaloga Insulin glargin und Insulin detemir. Darüber hinaus gibt es auch Mischinsuline.

Eine Indikation zur Insulintherapie besteht, wenn durch alleinige Lebensstiländerungen und eine Therapie mit oralen Antidiabetika das individuelle Therapieziel nicht erreicht wird oder wenn Kontraindikationen gegen orale Antidiabetika bestehen. Bei initialer Stoffwechseldekompensation kann eine primäre Insulintherapie, gegebenenfalls temporär, erforderlich sein, heißt es in der Leitlinie. Bevor eine Insulintherapie begonnen wird, sollte allerdings geprüft werden, ob die Ursache der unzureichenden Stoffwechseleinstellung auf einem bis dato nicht erkannten Autoimmundiabetes beruht, ob andere Faktoren wie beispielsweise ein Infekt oder eine mangelnde Compliance das Versagen der oralen Diabetestherapie bedingen oder ob tatsächlich ein echtes Therapieversagen bei oralen Antidiabetika vorliegt.

Eine weitere Indikation zur Insulintherapie besteht ferner bei schwangeren Frauen mit Typ-2-Diabetes sowie bei Frauen mit Gestationsdiabetes, die durch eine alleinige Ernährungsumstellung keine optimale Stoffwechseleinstellung erreichen.

Christine Vetter, Wissenschafts- und Medizinjournalistin

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Christine Vetter

Medizinjournalistin
Merkenicher Straße 224,
50975 Köln

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