„Man braucht Mut. Und den hab ich.“
zm-online: Herr Dr. Schinnenburg, Sie sind vor 36 Jahren in die FDP eingetreten. Was hätte der damals 22-jährige Wieland gesagt, wenn man ihm prognostiziert hätte, dass er mal dem Deutschen Bundestag angehören würde?
Dr. Wieland Schinnenburg: Völlig ausgeschlossen! Wirklich undenkbar. Selbst die Hamburger Bürgerschaft war für mich schon eine große Ehre und es gab mir immer so ein Kribbeln, Abgeordneter in einem Landesparlament zu sein. Jetzt im Bundesparlament zu sitzen, ist natürlich noch einmal eine ganz andere Nummer.
Wie werden Ihre ersten Wochen als Abgeordneter aussehen?
Knapp drei Wochen werde ich ja auch noch als Zahnarzt tätig sein. Danach wird meine Praxis zurückgebaut, die Handwerker habe ich schon beauftragt. Und dann werde ich immer öfter in Berlin sein. Im Moment ist das nur tageweise der Fall. Morgen bin ich zum Beispiel wieder in der Praxis, übermorgen wieder in Berlin. Mein letzter Arbeitstag als Zahnarzt ist der 5. November, ein Sonntag. Ganz zum Schluss mache ich noch einmal Notdienst.
Werden Sie die Tätigkeit vermissen?
Die Behandlung selbst ja und auch viele meiner Patienten, die jetzt noch einmal vorbeikommen und mir Glück wünschen. Einen kaputten Zahn würde ich immer noch unheimlich gerne reparieren. Was ich wenig vermisse, ist die Bürokratie, also dass ich fast die Hälfte der Zeit in meiner Zahnarztpraxis nicht mit schönen Brücken und Kronen, sondern mit irgendwelchen Widrigkeiten verbracht habe. Einen Teil des Inventars habe ich schon verkauft, den Rest werde ich jetzt noch verkaufen und dann wird die Praxis geschlossen.
Haben Sie Ihr Abgeordnetenbüro schon bezogen und schon Mitarbeiter gefunden?
Teilweise. Ich habe ja zwei Büros, eins in Hamburg, eins in Berlin. Und ich hatte auch in der Bürgerschaft schon zwei Mitarbeiter, die jetzt mein Hamburger Wahlkreisbüro führen werden. Für Berlin habe ich gerade heute Mittag eine Büroleiterin eingestellt, eine sehr erfahrene Frau, die den ganzen Politikbetrieb in Berlin gut kennt. Da wird sicherlich noch jemand dazukommen.
Sie haben eine ungewöhnliche Vita: Zwei Jahre nach der Gründung Ihrer Praxis haben Sie ein Jura-Studium begonnen, sind heute Volljurist mit eigener Kanzlei. Wie kam es dazu?
Aus Interesse. Ich habe das ursprünglich gemacht im Sinne eines Studium generale. Und da ich damals schon ein politisch interessierter Mensch war, habe mich für Verfassungsrecht interessiert und deshalb dann den kleinen Schein in „Öffentlichem Recht“ gemacht. So bin ich da reingerutscht. Dann habe ich von Semester zu Semester neu entschieden, noch ein bisschen was zu machen. Ich hatte also gar nicht das primäre Ziel, in Jura den Abschluss zu machen.
Am Ende benötigten Sie nur fünf Jahre bis zum ersten Staatsexamen.
Ja, ich war am Ende sogar ein Semester schneller fertig als die anderen, obwohl ich nebenbei noch eine Zahnarztpraxis hatte. Ich war immer schon gut organisiert, schon während des Zahnmedizinstudiums saß ich im Studentenparlament und im Bundesvorstand der Jungen Liberalen, damals zusammen mit Guido Westerwelle.
In einer Jamaika-Koalition wären Sie in der Regierungsverantwortung und gleichzeitig Teil eines politischen Experiments. Was kommt da auf Sie zu?
Es wird nicht einfach sein. Mit den Grünen und der CSU – mit der Betonung auf „S“ – haben wir ganz gewaltig Probleme. Wir sind eine Partei, die auf individuelle Selbstgestaltung des Lebens setzt und die Grünen machen das genaue Gegenteil, nämlich mithilfe des Staates dafür sorgen, dass die Welt gut wird. Es wird sehr harte Verhandlungen geben, die auch scheitern können. Es gibt keine Garantie.
Mit dem Einzug der AfD wird allgemein der Verfall der Debattenkultur gefürchtet. Wie bewerten Sie diese Sorge vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen aus der Hamburger Bürgerschaft, in der seit 2015 sieben Abgeordnete der AfD sitzen?
Ich habe in der Tat in den letzten 2,5 Jahren meine Erfahrungen mit der AfD gesammelt – und die sind katastrophal. Die AfD macht ab und zu mal Showdebatten, meistens zum Thema Ausländer, gleichzeitig wird die Ausschussarbeit, also die eigentliche Arbeit eines Parlaments, oft verweigert. Im Gesundheitsausschuss der Hamburger Bürgerschaft ist die AfD in einem Drittel der Sitzungen überhaupt nicht präsent, geschweige denn, dass sie etwas sagt. Ich hoffe, dass wird im Bundestag besser.
Zum Glück wird das Wort ja nach Fraktionsstärke vergeben, und da die AfD die drittstärkste und wir die viertstärkste sind, reden wir – und das heißt auch ich – immer direkt nach den AfD-Kandidaten. Die können sich warm anziehen, ich kann ganz gut reden und werde zur Not alles auseinandernehmen, was die da erzählen.
In welchem Ausschuss würden Sie gern arbeiten?
Da bin ich offen. Das wird meine Fraktion mit 80 Personen entscheiden. Das kann ich also noch nicht sagen.
In der Fraktion sind sie einer von 80, im Bundestag einer von 700 Abgeordneten. Da kam man schnell untergehen. Sind Sie ein bisschen aufgeregt?
Auf jeden Fall bin ich aufgeregt. Wenn ich am nächsten Dienstag in der konstituierenden Sitzung sitze, werde ich eine Gänsehaut bekommen, weil ich eine große Verantwortung spüre. Das deutsche Volk hat mich ja beauftragt, es vier Jahre zu vertreten. Auch wenn ich in der Bundespolitik noch nicht groß hervorgetreten bin, verstehe das als Anforderung an mich. Man muss gute Arbeit leisten, dann wird man irgendwann auch anerkannt und kann mehr Einfluss nehmen. Das ist einfach die Frage, was man persönlich bringt.
In Hamburg haben Sie sich immer für den Abbau unnötiger Bürokratie stark gemacht, deren Auswüchse auch in der Zahnärzteschaft beklagt werden. Was können Sie als Politiker mit Praxishintergrund künftig dagegen tun?
Es ist ja so, dass alle Gesetze auf Bundesebene im Deutschen Bundestag beschlossen werden – da kann man sicher mitreden. Ich sehe genau das als meine Aufgabe an. Aber am Ende brauche ich auch die Unterstützung der Bürger, denn Bürokratie ist immer eine Reaktion auf Misstrauen. Nach jeder Meldung im Stil von „die Ärzte oder Zahnärzte haben wieder Mist gemacht“ warte ich schon drauf, dass ein Jahr später eine neue Regelung kommt, um diejenigen mehr zu kontrollieren.
Dass ich gegen Bürokratie bin, sagt nicht viel. Dass ich für eine Vertrauenskultur bin schon eher. Leider haben wir in Deutschland zunehmend eine Misstrauenskultur, nicht nur gegenüber Zahnärzten. Wenn ich in meinen Berufsleben vielleicht 30.000 Zahnfüllungen gemacht habe und zehn davon schlecht waren, kann die Folge doch nicht sein, dass jede Füllung künftig von einem Beamten kontrolliert werden muss.
Wie kann man diese Vertrauenskultur in der Gesellschaft wieder stärken?
Das ist schwer. Ich hatte in Hamburg eine Diskussion, nachdem ein Kind angefahren worden war. Sofort sollte dort eine Ampel hin, obwohl zuvor 30 Jahre nichts passiert war. Da muss man den Mut haben zu sagen: „Das ist ganz traurig, dass dein Kind schwer verletzt wurde, aber wir werden hier keine Ampel aufstellen – es sei denn, es gibt wissenschaftliche Analysen, die bescheinigen, dass es ein gefährliche Stelle ist.“ Man braucht Mut, der öffentlichen Meinung auch mal zu widersprechen. Und den habe ich
Wo sind Ihrer Meinung nach die Baustellen im Gesundheitswesen, für deren Beseitigung es Mut bräuchte?
In unserem Wahlprogramm steht, dass wir die Budgetierung aufheben wollen. Ich kann mir auch nicht erklären, warum ausgerechnet in einem Bereich, wo es um menschliche Gesundheit geht, budgetiert wird. Die Bürokraten, vor allem bei den Kassen, werden sagen, dass wir uns das nicht leisten können. Fakt ist aber, dass die mehr als zehn Milliarden Euro für ihre eigene Verwaltung ausgeben. Wenn man diese Ausgaben halbieren könnte, wäre fünf Milliarden frei und man könnte zumindest bei Ärzten und Zahnärzten das Budget locker aufheben.
Sie sind verheiratet und haben drei Kinder. Was sagen Sie dazu, dass überall, also auch bei den Zahnärzten, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert wird?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir erreichen wollen, das fähige, erfolgreiche Menschen auch Kinder kriegen, müssen wir etwas tun. Die armen Schichten haben ja nach wie vor keinen Mangel an Kindern, aber die Hälfte der Akademiker-Frauen bekommt keine. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen.
Für Zahnärzte liegt eine mögliche Lösung sicher in Praxen mit mehreren Behandlern, was aber auch nicht immer einfach ist. In meiner Tätigkeit als Mediator erlebe ich immer wieder, dass es in diesen Konstruktionen Streit gibt. Der Staat kann hier nur wenig machen, vor allem müssen die Leute selbst etwas tun – indem sie sich entscheiden „Ja, ich will berufstätig sein und trotzdem Kinder haben“.