Das Meer wäscht alles Übel ab
Vor vier Wochen hatte ich Ihnen angekündigt, mir Gedanken darüber zu machen, die Schreiberei an den Nagel zu hängen, um mich um „anlehnungsbedürftige Zahnärztinnen“ und ihre Millionen zu kümmern.
Ich habe mir die Sache bei Champagner und Hummer in der Bretagne durch den Kopf gehen lassen. Nun weiß ich, was ich geahnt habe: Das ist nichts für mich! Ich schaffe es nicht, betuchten Damen für banale Gespräche über Geld jedes Jahr mehrere Tausender aus der Tasche zu ziehen. Malheureusement!
Ich bleibe Analytiker und Schreiber. Bei mir gibt’s zu Jahresbeginn keine Prognosen, sondern klare Worte. Wenn’s um Ihr gutes Geld geht, kann ich Ihnen nur kurz und bündig zurufen: Nu man bloß nich in’ Tüdel geraten! Und wenn in Ihnen Unruhe aufkommt, was Sie in diesem Jahr mit Ihrem vielen Geld machen sollen, empfehle ich Ihnen fünf Dinge: Fahren Sie zwei Wochen ans Meer, marschieren Sie jeden Tag bei Wind und Wetter, lassen Sie den Blick in die Ferne schweifen, gönnen Sie sich hinterher – nur – einen Armagnac, um so nüchtern wie möglich Bilanz zu ziehen. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.
Ich werde Ihnen jetzt nicht zum 15. Mal schildern, wie man eine Privatbilanz austellt. Das werden Sie doch allein schaffen, oder? Falls eine kleine Auffrischung nötig ist, rate ich Ihnen, mit dem Bargeld anzufangen. Bitte zählen Sie zusammen, was auf Ihren verschiedenen Giro-, Spar- und Termingeldkonten herumliegt: 100.000 Euro?
Dann sind die Kurswerte der Anleihen und die Rückkaufswerte der Kapitalversicherungen an der Reihe: 200.000 Euro? Bitte vergessen Sie auf keinen Fall die Barwerte der Rentenansprüche: 400.000 Euro? Die Immobilien mögen 900.000 Euro wert sein? Die Marktwerte aller Aktien liegen bei 200.000 Euro? Das Gold könnte zur Zeit für 100.000 Euro versilbert werden?
Das sind insgesamt 1,9 Millionen Euro. Bevor Sie bei den vielen Nullen jetzt vor lauter Schreck auf härtere Getränke umsteigen, zählen Sie zur Sicherheit noch einmal in Ruhe nach. Wenn das Ihre Zahlen sind, sind Sie einskommaneunfacher Millionär! Fangen Sie jetzt um Himmels willen nicht an, sich für diesen Reichtum zu rechtfertigen! Ich weiß doch, wie hart Sie dafür gearbeitet haben. Sie sind keinem Menschen Rechenschaft schuldig! Bitte gehen Sie auch nicht, wie in Schwaben üblich, in den Keller, um sich nach allen Regeln der Kunst schämen zu können. Ich gönne Ihnen den Reichtum von Herzen!
Können Sie sich stattdessen vorstellen, dass es für Sie im Bereich des Möglichen liegt, einfach nichts zu sagen und sich über die 1.900.000 Euro zu freuen – einfach so, ohne Wenn und Aber? Sie mögen mich für einen Spinner halten, doch ich habe mich bei Asterix und Obelix so gut erholt, dass ich dieses Urteil ertragen würde. Ja, ich wünsche Ihnen, zwei Wochen jeden Tag am Rand der Steilküsten zu sitzen und mit dem Gefühl, dass Sie (k)ein kleiner Fisch sind, aufs Meer hinaus zu blicken.
Das Meer wasche alle Übel vom Menschen ab, wusste Euripides, der griechische Dramatiker, im fünften Jahrhundert vor Christus zu berichten. Ich weiß nicht, ob der Gelehrte bei diesem Satz (auch) an Geld gedacht hat, doch falls er das nicht getan haben sollte, erlaube ich mir, den Kummer und die Sorge über Geld zum menschlichen Übel hinzuzählen zu dürfen. D’accord?
Ich habe den Verdacht, dass achteinhalb von zehn Zahnärzten – also 85 Prozent – nicht in der Lage sind, sich eine Stunde „bewusst und konzentriert“ über ihren Wohlstand zu freuen. Irgendwann kommt in diesen 60 Minuten die Angst auf, das Geld ganz oder teilweise zu verlieren, irgendwann wird in dieser „Mußestunde“ die Frage auftauchen, was aus dem Vermögen in Zukunft werden wird. Bestimmt wissen Sie, dass Ihnen diese Frage kein Mensch dieser Welt beantworten kann, doch können Sie – Hand aufs Herz – diese Ohnmacht auch ertragen?
Wir können nicht sagen, wie sich die Renditen festverzinslicher Anleihen entwickeln werden. Wir wissen nicht, wie die Immobilienpreise in Castrop-Rauxel am 1. Mai 2017 aussehen werden. Niemand kann uns darlegen, wo der DAX am 11. November 2017 stehen wird.
Und überhaupt: Diese Flüchtlinge, diese Geldschwemme, diese Inflation, diese Politiker! In diesem Jahr wird die Welt, ich sage es Ihnen ganz im Vertrauen, nach der Bundestagswahl untergehen. Bitte setzen Sie sich also vorher nochmals ans Meer und schauen Sie auf die Wellen. Die kommen, die gehen, mal langsamer, mal schneller, und Sie werden merken, dass Prognosen wertlos sind. Das Leben macht, was es will, und Sie dürfen diesem Leben eine Weile zusehen, mehr aber auch nicht.
Ich will Ihnen mit diesem „Fatalismus“ nicht auf die Zehen treten, sondern Sie wachrütteln. Die Beschäftigung mit Geld ist langweilig und öde. Sorgen Sie für ein- fache Strukturen. Verteilen Sie das Geld auf viele Anlagen. Verlassen Sie sich auch 2017 weder auf Banker noch auf Sterndeuter. Achten Sie auf die Kosten. Und bedenken Sie, dass die Zahnmedizin nicht der Nabel der Welt ist. Dann haben Sie gute Aussichten, auch 2017 ohne Schäden zu überstehen.
Je vous souhaite bonne chance!
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