Patienten mit Down-Syndrom
Neben den verschiedenen allgemeinmedizinischen Besonderheiten können Patienten mit Down-Syndrom (DS) häufig von folgenden zahnmedizinischen Befunden betroffen sein, die dann einer konservierenden, parodontologischen oder kieferorthopädischen Therapie bedürfen.
Hierzu zählen:
pathologische Funktionsmuster der orofazialen Muskulatur bereits ab der Geburt, Hypotonie mit Pseudomakroglossie, offener Mundhaltung und protrahierter Zungen- ruhelage, Habits (Nuckeln an der Zunge), später auch Bruxismus
Salivation nach extraoral
Anomalien der Anatomie der Zunge (etwa Diastase, lingua plicata)
Verzögerungen des Zahnwechsels
Veränderungen der Zahnzahl (signifikant mehr Hypodontien sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer ebenso wie signifkant mehr Impaktionen, beschrieben werden ebenfalls Hyperdontien)
Modifikationen der Zahnform (vermehrt hier auch Hypoplasien in Form von Zapfenzähnen wie auch Taurodontismus)
Anomalien der Zahn- und Kieferstellung (Dysgnathien, die signifikant erhöht sind, insbesondere durch verstärkte anteriore sagittale Schädelbasisverkürzungen mit Kreuzbiss, der signifikant häufiger auftritt, sowie mit offenem Biss)
Alterationen der Gaumenkonfiguration
Parodontitis
Karies und auch nicht kariesbedingte Zahnhartsubstanzveränderungen
Diagnostik
Hintergrund zur Leitlinie
Die optimale medizinische Betreuung von Patienten mit Down-Syndrom (DS) ist eine interdisziplinäre Kooperation unterschiedlicher medizinischer/zahnmedizinischer Ansätze. Hierzu Handlungsempfehlungen für die Vorsorge, Diagnostik, Therapie und Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen mit DS zu entwickeln, war Ziel der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. Tilman R. Rohrer, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum des Saarlandes und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes.
Die von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) herausgegebene Leitlinie wurde interdisziplinär im Konsensusverfahren unter der Mitwirkung von 25 Fachgesellschaften beziehungsweise Organisationen erstellt. Seitens der zahnmedizinischen Fachgebiete waren die DGZMK, die DGKFO und die DGKiZ in die Leitlinienarbeit eingebunden.
Daher wird folgende Diagnostik empfohlen:
Beurteilung der Morphologie der orofazialen Weichgewebe, ihrer Ruhelage und Funktionsmuster (inklusive möglicher Habits), der Salivation, der Mundhygiene, des Zahnstatus, der Einzelkiefer und der Bisslage
gegebenfalls Röntgen
Einschätzung der Kooperation von Eltern und Kind
gegebenenfalls ist zur umfassenden Beurteilung der orofazialen Region eine phoniatrisch-pädaudiologische beziehungsweise HNO-ärztliche Mitbeurteilung erforderlich.
Therapieempfehlungen
Im Konsensverfahren wurden dazu folgende Therapieempfehlungen erarbeitet und verabschiedet:
Eltern von Kindern mit DS sollten frühzeitig, vorzugsweise vor dem Durchbruch des ersten Milchzahns, mit ihrem Kind bei einem erfahrenen Therapeuten/Zahnarzt/Kieferorthopäden/Kinderarzt/SPZ vorstellig und informiert werden über Möglichkeiten der Prävention und Therapie (Mundhygiene besonders bei eingeschränkter Kooperationsfähigkeit, Ernährung inklusive Gebrauch von Saugerflaschen, Fluoridierungsmaßnahmen, Zahnentwicklung).
Durch Kieferorthopäden und spezialisierte Physiotherapeuten/Logopäden sollte geprüft werden, ob eine pathologische Mund- und Zungenhaltung und damit die Indikation zur Versorgung mit einer Stimulationsplatte vorliegt. Sollte diese Indikation gestellt werden, wurde die Anwendung der Platte auf Basis der bisher verfügbaren Literatur stets durch eine funktionelle orofaziale Therapie begleitet. Wichtig ist dabei die regelmäßige Beratung der das Kind betreuenden Personen.
Eine prophylaktische Stimulationsplattentherapie bei physiologischer Mund- und Zungenhaltung ist zu vermeiden, da die Behandlung für Kinder und Eltern eine zusätzliche zeitliche Belastung darstellt.
Besteht ein pathologischer parodontaler Befund sollte die Einleitung einer systematischen Parodontitistherapie unter Berücksichtigung der Kooperationsfähigkeit erfolgen.
Besteht ein pathologischer kieferorthopädischer Befund sollte die Einleitung einer kieferorthopädischen Therapie unter Berücksichtigung des Alters und der Kooperationsfähigkeit erfolgen.
Der funktionellen Harmonisierung kommt aufgrund von Form und Funktionsrelationen zusätzlich eine besondere Bedeutung zu, da die oben beschriebenen dysfunktionellen Komponenten die für DS charakteristischen skelettalen (transversal und sagittal unterentwickelte Maxilla) und dentalen (Engstand und Verlagerung) Anomalien unterhalten. Daher ist in vielen Fällen bereits im Milch- oder frühen Wechselgebiss eine kieferorthopädische Frühbehandlung mittels herausnehmbarer Geräte oder festsitzender Gaumennahterweiterungsapparaturen – gegebenenfalls in Kombination mit einer Gesichtsmaske – indiziert. Kieferorthopädische Studien zeigten neben der skelettalen Harmonisierung auch eine Verbesserung der Nasenatmung.
Je nach Art und Ausprägung der Anomalie sowie des individuellen Funktionsbefunds und unter Berücksichtigung der allgemeinen, der speziellen und der Familienanamnese sowie des mentalen Alters und somit des individuell vorliegenden Kooperationslevels sollte die kieferorthopädische Intervention organisiert werden, da positive Effekte für die Kinder mit DS nicht nur durch die Verbesserung der Motorik und Reduktion der Kreuzbissgefahr via Stimulationsplattentherapie erzielt werden, sondern im weiteren Verlauf zum Beispiel auch durch die signifkante Erweiterung der Nasenpassage via kieferorthopädischer Frühbehandlung bereits im Milchgebiss bei einer transversalen Enge des Oberkiefers, via Frühbehandlung bei vorliegenden Anomalien des progenen Formenkreises (frontaler und/oder zirkulärer Kreuzbiss), via Normalbehandlung zu Beginn des späten Wechselgebisses zur Korrektur bei – gegebenenfalls vorliegenden – Anomalien der Klasse II sowie via Therapie bei Zahndurchbruchsstörungen (Verlagerung von permanenten Zähnen) und via Erwachsenenbehandlung gegebenenfalls mit einer kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Intervention bei zu starker Ausprägung oder nicht erfolgter früherer kieferorthopädischer Therapie. Alle kieferorthopädischen Ansätze vereinen das Ziel der Harmonisierung der kraniofazialen Anatomie mit sekundärer Verbesserung der Funktion.
Aufgrund klinischer Expertise sollten Kinder mit DS jeden Alters, die auffällige Mundfunktionen wie eine Zungenprotrusion aufweisen, eine orofaziale, ganzkörperlich orientierte Therapie erhalten. Dabei lohnt sich zur Unterstützung zusätzlich eine Stimulationsplatte nach Castillo Morales®. Je ausgeprägter die orofazialen Auffälligkeiten sind, desto mehr profitieren die Kinder von der Therapie. Auch Kinder mit geringeren Symptomen können eine Verbesserung nach Therapie zeigen. Für eine Therapieentscheidung sollten Faktoren wie die Kooperation des Kindes und/oder der Familie in Betracht gezogen werden.
Univ.-Prof. Dr. med. dent. Ariane Hohoff
Poliklinik für Kieferorthopädie
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster
Univ.-Prof. Dr. med. dent. Heike Korbmacher-Steiner
Klinik für Kieferorthopädie
Philipps Universität Marburg
Georg-Voigt-Str. 3, 35039 Marburg
Dr. med. dent. Julian Schmoeckel
Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde
Universitätsmedizin Greifswald
Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald
Dr. med. dent. Anna Wolff
Poliklinik für Zahnerhaltungskunde
Universitätsklinikum Heidelberg
INF 400, 69120 Heidelberg
anna.wolff@med.uni-heidelberg.de