Polymorphes low-grade Adenokarzinom der Glandula sublingualis
Ein 48-jähriger Patient wurde in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universitäts- medizin Rostock durch eine niedergelassene oralchirurgische Kollegin zur Abklärung einer mutmaßlichen Raumforderung im Bereich des Mundbodens links vorgestellt.
Der Patient berichtete über eine vor drei Tagen erstmals wahrgenommene Schwellung in diesem Bereich. Schmerzen, auch postprandial, bestanden nicht, der Speichelfluss war normal. Der Patient gab keine Gewichtsabnahme, keine Appetitstörung und keine Zeichen anderer Organerkrankungen an. Fieber konnte nicht eruiert werden.
Im Rahmen der klinischen Erstuntersuchung fiel eine kleine, tastbare, nicht druckdolente Raumforderung im Bereich des Mundbodens links mit enger Lagebeziehung zu einem Torus mandibularis (Abbildung 1) auf. Es bestanden keine Einschränkungen der lingualen Mobilität oder der Sensibilität. Die Sprache war nicht beeinträchtigt. Die sonografische Untersuchung zeigte eine 12 mm x 12 mm große, echoreiche, inhomogene Raumforderung im Bereich des Mundbodens regio 34 direkt lingual des Unterkiefer- knochens (Abbildung 2) sowie zahlreiche am ehesten reaktiv vergrößerte Lymphknoten.
Eine MRT-Untersuchung des Kopfes und des Halses offenbarte eine vermehrt Kontrastmittel anreichernde Raumforderung im Bereich der Glandula sublingualis links mit einer Diffusionsstörung in der Bildgebung (Abbildung 3).
Bei Vorliegen eines Tumors unklarer Dignität der Glandula sublingualis links erfolgte daher die In-toto-Resektion in Intubationsnarkose (Abbildung 4). Hier zeigte sich ein strangartiger, derber, von einer dünnen und fragilen Kapsel umgebener Tumor, der entlang des Torus mandibularis links bis in den Mundboden lokalisiert war. Der Torus mandibulär wurde abgetragen. Die histopathologische Untersuchung des entnommenen Materials (Abbildung 5) ergab ein polymorphes low-grade Adenokarzinom mit monomorphen Zellen sowie runden bis ovalären Zellkernen bei fein körnigem Chromatin (Abbildung 6). Gemäß Beschluss des interdisziplinären Tumorboards der Universitätsmedizin Rostock wurden daher eine Nachresektion mit Entfernung der Glandula sublingualis links, selektiver Entnahme einzelner auffälliger Lymphknoten in Level I-III links sowie eine primäre Weichteilrekonstruktion mittels mikrovaskulär anastomosiertem Radialislappen vom Unterarm links durchgeführt (Abbildung 7). In dem entnommenen Torus mandibulae, der direkt dem Tumor anliegend war, ergab sich kein Hinweis auf Malignität, sodass auf eine weitere knöcherne Resektion verzichtet werden konnte. Die endgültige histopathologische Beurteilung ergab eine R0-Resektion des bekannten Adenokarzinoms der Glandula sublingualis (pT1 pN0 L0 V0 R0 low grade). Bei einer Nachbeobachtungszeit von nunmehr einem halben Jahr konnte kein Anhalt auf Rezidive/Metastasen/Zweitkarzinome gesehen werden.
Diskussion
Die Mehrzahl der Speicheldrüsentumore entsteht in der Glandula parotis (80 Prozent) beziehungsweise in der Glandula submandibularis (15 Prozent). Nur ein kleiner Teil der Speicheldrüsentumore entfällt damit auf die Glandula sublingualis und auf die kleinen Speicheldrüsen. Die überwiegende Zahl der Tumore der großen Speicheldrüsen ist gutartig, während die Mehrheit der Tumore der kleinen Speicheldrüsen bösartig ist. Patienten berichten initial häufig über ein Schwellungsgefühl, Schluckbehinderungen und gegebenenfalls Schmerzen beim Essen. Generell sollte jede Raumforderung im Bereich des Gaumens beziehungsweise nahe der Speicheldrüsen unverzüglich diagnostisch abgeklärt werden. Auch eine Größenänderung der Speicheldrüsen, die die Patienten meist durch eine neu aufgetretene Asymmetrie des Gesichts bemerken, ist ein dringlicher Grund zu Abklärung.
Polymorphe low-grade Adenokarzinome (PLGA) sind seltene Tumore der Speicheldrüsen [Freedman and Lumerman, 1983; Barnes et al., 2005], die in einem Großteil der Fälle von den kleinen Speicheldrüsen ausgehen und vor allem im Bereich des weichen Gaumens auftreten [Hannen et al., 2000].
Die erste Fallbeschreibung eines polymorphen low-grade Adenokarzinoms der Glandula sublingualis erfolgte 1998 [Blanchaert et al., 1998]. Weniger als ein Prozent aller intraoralen Speicheldrüsentumore sind polymorphe low-grade Adenokarzinome [Verma et al., 2014]. Die Patienten sind bei Eder rstdiagnosestellung im Durchschnitt 58 Jahre alt (Alterspanne: 16 bis 86 Jahre) [Elhakim et al., 2016] und es besteht – im Gegensatz zum beschriebenen Fall – eine Häufung des Auftretens beim weiblichen Geschlecht.
Je nach Untersuchung findet sich ein Verhältnis weiblicher zu männlichen Patienten von 1,8 : 1 [Elhakim et al., 2016] bis 2,15 : 1 [Patel et al., 2015] mit einer durchschnittlichen Ratio von 2 : 1 [Barnes et al., 2005]. Die PLGA weisen Lokalrezidivraten von elf Prozent bis zu 33 Prozent [Seethala et al., 2010; Kimple et al., 2014; Elhakim et al., 2016] bei einer Fernmetastasierung in einem bis vier Prozent der Fälle auf [Patel et al., 2015; Elhakim et al., 2016], so dass eine Lymphknotenausräumung nicht zwingend notwendig ist. Es wurden aber auch Fälle mit einer Fernmetastasierung in die Lunge [Olusanya et al., 2011; Shah et al., 2015] und Bauchwand [Thennavan et al., 2013] beobachtet, wobei sich Metastasen eher bei Tumorrezidiven als bei Primärfällen fanden [Sato et al., 2001]. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate beträgt 96 Prozent (Fünf-Jahres-Überlebensrate annähernd 100 Prozent) mit dem höchsten Risiko von Rezidiven in den ersten fünf Jahren [Patel et al., 2015; Elhakim et al., 2016]. Zur Diagnosesicherung sind Probeexzisionen mit ausreichend Tumormaterial beziehungsweise die Resektion des gesamten Befunds geboten, da auch Fälle von gleichzeitigem Vorliegen von benignen und malignen Speicheldrüsentumoren beschrieben wurden [Kämmerer et al., 2009].
Fazit für die Praxis
Schwellungsgefühl, Schluckbehinderungen und Schmerzen beim Essen können auch Hinweis auf das Vorliegen maligner Tumore sein.
Eine unverzügliche Abklärung von Raumforderungen im Bereich des Gaumens beziehungsweise nahe der Speicheldrüsen ist angezeigt.
Die Probebiopsie (Feinnadel- und/oder Exzisionsbiopsie) muss ausreichend Material enthalten, um die Dignität sicher einstufen zu können.
Die chirurgische Entfernung eines Adenokarzinoms der Speicheldrüsen ist das therapeutische Mittel der Wahl.
Die Therapie der Wahl ist die Tumorresektion mit signifikant höheren Zehn-Jahres-Überlebensraten bei der alleinigen chirurgischen Therapie (98 Prozent) beziehungsweise bei kombiniert chirurgischer/adjuvanter Radiotherapie (91 Prozent) gegenüber der alleinigen Radiotherapie (75 Prozent) [Patel et al., 2015]. Diese Daten – vor allem die lokalen Rezidivraten und die erhöhte Metastasierungsrate im Rezidivfall – verdeutlichen die Wichtigkeit einer R0-Resektion und der Tumornachsorge. Generell sind polymorphe low-grade Adenokarzinome bei entsprechend früher Diagnosestellung und zeitnaher Therapie mit sehr gutem Erfolg therapierbar.
Dr. Dr. Michael Dau,
Dr. Jan Liese,
PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35, 18057 Rostock
michael.dau@med.uni-rostock.de
Literaturliste
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