Die Stars der Reserve
„Ich blicke auf insgesamt 16 positive Jahre bei der Bundeswehr zurück. Es war für mich gar keine Frage, danach als Reservist aktiv zu werden.“ Zahnarzt Dr. Holger Diehm, 46 Jahre alt, hat sich vor zehn Jahren im baden-württembergischen Titisee-Neustadt in eigener Praxis niedergelassen – seit viereinhalb Jahren steht er zusätzlich wieder im Dienst der Bundeswehr: als Reservist in der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit.
Wenn es in Deutschland zu Katastrophen kommt, die die Kapazitäten von Polizei, THW, Feuerwehr und Rettungsdienst übersteigen, kann die Bundeswehr die zivilen Behörden bei der Schadensbewältigung unterstützen. Im Rahmen dieser „Zivil-Militärischen Zusammenarbeit“ – kurz ZMZ – stützt sich die Bundeswehr auf ein Netzwerk aus Reservisten – wie Zahnarzt Dr. Holger Diehm. „Bislang konnte ich noch keine eigenen Einsatzerfahrungen als Reservist sammeln“, erläutert Diehm, „wie man aber immer wieder sieht, gibt es doch häufig Ereignisse, die eine Unterstützung der Bundeswehr nötig machen.“
Wie die Hochwasserkatastrophe in Magdeburg-Rothensee 2013: Das Wasser der Elbe stieg in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt bis auf 7,48 Meter – etwa 70 Zentimeter höher noch als 2002. Damals verursachte die Flut nur geringe Schäden. 2013 jedoch mussten ganze Stadtteile evakuiert werden – ohne Einsatz der Reservisten wäre dies nicht möglich gewesen.
„Der Zahnarzt ist der perfekte Reservist“
Knapp 600 Kilometer von Titisee-Neustadt entfernt ist Generalarzt Dr. Andreas Hölscher in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, gerade in einer Besprechung. Hölscher ist stellvertretender Kommandeur Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung und Inspizient für Reservistenangelegenheiten und Beauftragter für ZMZ im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr. Er koordiniert die Einsätze der Reservedienstleistenden.
Zu seinen Leuten zählen Spitzensportler, Personalmanager, Studenten, Journalisten sowie vor allem Ärzte und Zahnärzte. „Wahrscheinlich, weil es gerade bei Zahnärzten und Reservisten eine große Schnittmenge gibt“, vermutet Hölscher und listet auf, warum Zahnärzte besonders qualifiziert sind. Erstens: Der Zahnarzt ist unmittelbar kurativ am Patienten tätig und dabei gezwungen, situationsbezogen flexibel zu agieren. Zweitens: Prothetische Versorgungen beispielsweise werden vom Zahnarzt im Sinne einer langfristigen Nachhaltigkeit geplant. Drittens: Ein Zahnarzt führt als Arbeitgeber und Unternehmer seine Mitarbeiter. Durch strategische Planung muss er den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens sicherstellen. Viertens: Der Umgang mit Mitarbeitern und Patienten erfordert die Fähigkeit, konstruktiv und zielgerichtet zu kommunizieren. All diese Punkte sind nach Hölscher wertvoll, wenn es darum geht, die Behörden im Katastrophenfall zu beraten und zwischen Bundeswehr und den zivilen Akteuren zu vermitteln. „Der Zahnarzt ist hier nicht in seiner ureigenen Funktion als Behandler gefragt – wohl aber als Organisator, Berater und Vermittler.“
Genau diese Funktionen erfüllt Zahnarzt Dr. Holger Diehm aus Baden-Württemberg. Er wurde im Juli 2012 als Beauftragter Sanitätsstabsoffizier der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen beordert. Das heißt, im Fall einer Katastrophe soll er die Möglichkeiten, wie die Bundeswehr gemäß Artikel 35 Grundgesetz subsidiär tätig werden könnte, darstellen können. Er formuliert die Anforderungen und leitet sie an die entsprechenden Stellen wie das Landeskommando weiter. In mehreren Lehrgängen wurde Diehm speziell für diese Tätigkeit ausgebildet.
Für den Zahnarzt ist die Bundeswehr nicht unbekannt. Nach seinem Abitur trat Diehm in die Laufbahn der Sanitätsoffizieranwärter Fachrichtung Zahnmedizin ein. Auf die militärische Vorausbildung folgte das Studium der Zahnmedizin. Mit dem Abschluss in der Tasche begann der aktive Dienst in der Truppe als Zahnarzt – auch einen Auslandseinsatz in Afghanistan absolvierte er als Kompaniechef in dieser Zeit. Diehm kennt die Führungs- und Organisationsstruktur der Bundeswehr. Für Reservisten ohne Vorerfahrung gilt: Wer noch keinen Dienst bei der Bundeswehr geleistet hat, muss ihn nachholen.
Wer der Truppe dienen will, muss in die Akademie
Die dreijährige Basisausbildung im Bereich der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit ist für alle gleich und in verschiedene Lehrgänge gegliedert. „Diese umfassen sowohl sanitätsdienstliche Themen als auch eine allgemeine Stabsdienstausbildung“, erklärt Generalarzt Hölscher. Ein Teil der Ausbildung erfolgt an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Diese Lehrgänge sind alle als einwöchige Blöcke konzipiert und können über den Zeitraum von drei Jahren absolviert werden, so dass eine flexible Planung möglich ist“, erläutert er. „Ist es der Wunsch des Reservisten und sind ausreichend freie Lehrgangsplätze verfügbar, ist es auch möglich, die Ausbildung binnen eines Jahres abzuschließen.“
„Es gibt Gründe genug, als Reservist tätig zu sein“
Damit der Reservist nicht mit dem Praxisinhaber kollidiert, versucht die Bundeswehr, Aus- und Weiterbildungen in die Zeit von Freitag- bis Sonntagnachmittag zu legen.
Nach Abschluss der Ausbildung reduziert sich der Zeitaufwand auf regelmäßige Übungen und die Kontaktpflege mit den zivilen Partnern. „Hier kommt es auf das persönliche Engagement an“, weiß Hölscher. „So haben wir Reservisten, die sehr aktiv sind und aus eigenem Antrieb viel Zeit mitbringen, während andere aufgrund ihrer beruflichen und persönlichen Verpflichtungen nur zwei bis drei Tage pro Jahr erübrigen können. Glücklicherweise sind wir in der Lage, sehr flexibel vorzugehen, sobald die Ausbildung durchlaufen ist.“
Diehm kennt den Konflikt zwischen Praxis, Familienzeit und Ehrenamt. „Es ist leider nicht immer möglich, alle Ausbildungsmaßnahmen zu besuchen – besonders, wenn diese unter der Woche stattfinden. Hier steht die selbstständige Tätigkeit in der Praxis, die seine wirtschaftliche Grundlage ist, in Konkurrenz zur Tätigkeit als Reservist. Die Ausbildung an Wochenenden ist zwar praxisfreundlicher, auf der anderen Seite aber nicht gerade familienfreundlich“, sagt der vierfache Vater. „Es gehört schon eine gehörige Portion Idealismus dazu, wenn man sich für eine derartige Tätigkeit zur Verfügung stellt. Was für mich aber nie ein Thema war, da ich immer leidenschaftlich und aus voller Überzeugung Soldat war und es auch in Zukunft sein werde.“
Diehm steht, wie er sagt, „voll und ganz“ hinter der Bundeswehr – die Abwechslung zum alltäglichen Beruf, das militärische Umfeld, die Kameradschaft, die Herausforderung jenseits des Behandelns, das Engagement – machen für ihn den Reiz aus. „Ein weiterer Attraktivitätsfaktor ist sicherlich die Möglichkeit, einen umfassenden Einblick in den Bevölkerungsschutz seines Landkreises zu bekommen und sich einzubringen“, schätzt Hölscher. „Dies ist eine klassische Win-win-Situation, denn die Bundeswehr profitiert natürlich davon, dass die Reservisten im Regelfall fest in das soziale Netzwerk ihres Umfelds eingebunden sind und so als Mittler dienen. Auf der anderen Seite ermöglicht das ZMZ-Netzwerk den Reservisten einen bundesweiten fachlichen Austausch mit Kollegen, Ärzten, Veterinären, Apothekern aller Fachschwerpunkte“, meint Hölscher. Zudem werden auch die Weiterbildungen der ZMZ regelmäßig durch medizinische Fachvorträge von Referenten aus Forschung und Lehre ergänzt. Diese werden durch die Kammern zertifiziert und gehen so in die geforderte fachliche Fortbildung der Kammern und KZVen mit ein. Die Vorteile sieht auch Diehm. Und doch ist seine Motivation als Reservist in der Bundeswehr aktiv zu sein, eine ganz persönliche: „Es ist die Verbundenheit zur Bundeswehr, positive Erfahrungen und die Erkenntnis, dass die Tätigkeit eventuell einmal sehr wichtig sein kann. Das sind Gründe genug, als Reservist tätig zu sein.“