Der besondere Fall aus CIRS dent – Jeder Zahn zählt!

Kein Zögern bei Verdacht auf ein Mundhöhlenkarzinom

Die Heilungsaussichten von Mundhöhlenkarzinomen sinken signifikant, je später der Tumor erkannt und behandelt wird. Deshalb kommen der frühzeitigen Diagnose und der Überweisung zum Spezialisten große Bedeutung zu. Jeder Zeitverzug in Verdachtsfällen sollte vermieden werden. Im nachfolgenden Fall erscheint ein Patient mit einer ulzerierenden, auf Berührung blutenden Veränderung am rechten Zungenrand in der Praxis. Der Befund erscheint stark malignitätsverdächtig, eine chirurgische Biopsie verzögert sich, die zwischenzeitlich durchgeführte Bürstenbiopsie liefert ein negatives Ergebnis. Darauf war jedoch kein Verlass, wie der Bericht aus CIRS dent zeigt.

Was war passiert?

Der Patient erschien in der Praxis mit einer ulzerierenden, sehr schmerzhaften und auf Berührung blutenden Veränderung am rechten Zungenrand, die nach seinen Angaben schon seit mindestens zwei Wochen bestand. Der Befund war für den Zahnarzt stark malignitätsverdächtig, deshalb wurde von der Praxis direkt ein Termin in der folgenden Woche bei einem Kieferchirurgen vereinbart. Da die nächste kieferchirurgische Praxis weit entfernt ist, zögerte der Patient, diesen Weg auf sich zu nehmen. Es wurde jedoch sofort eine Bürstenbiopsie durchgeführt und es erfolgte eine Desinfektion mit Betaisodona und die Anweisung zur Spülung mit Bloxaphte®zur Schmerzlinderung.

Wenige Tage später stellte sich der Patient wieder vor und gab eine deutliche Besserung und wesentlich weniger Schmerzen an, er könne jetzt auch wieder essen und bat, den Termin in der Kieferchirurgie abzusagen. Im Hinblick auf den zu erwartenden Befund der Bürstenbiopsie wurde dem entsprochen. Zehn Tage später erhielt die Zahnarztpraxis das Ergebnis der Pathologie: „Negativ für epitheliale Atypien. Massiv bakterielle Besiedlung, Entzündung, Blut“.

CIRS dent – Jeder Zahn zählt!

So kann ich mitmachen

„CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ ist ein Online-Berichts- und Lernsystem von Zahnärzten für Zahnärzte. Auf der Website www.cirsdent-jzz.de können angemeldete Kollegen auf freiwilliger Basis, anonym und sanktionsfrei über unerwünschte Ereignisse aus ihrem Praxisalltag berichten, sich informieren und austauschen. Ziel ist, so aus den eigenen Erfahrungen und denen anderer Zahnärzte zu lernen. Damit leistet jeder Teilnehmer einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit. Mehr als 4.800 Zahnärzte haben sich bereits registriert und mehr als 100 Berichte eingestellt. Machen auch Sie mit – es lohnt sich!

Zur Anforderung eines neuen Registrierungsschlüssels, etwa im Fall eines Verlusts, können sich Praxisinhaber an ihre zuständige KZV oder an cirsdent@kzbv.de wenden. Privatzahnärztlich tätige Kollegen und die Leiter universitärer zahnärztlicher Einrichtungen erhalten die Registrierungsschlüssel von ihrer Zahnärztekammer.

Dieser Befund wurde dem Patienten telefonisch übermittelt. Er wurde informiert, dass diese Veränderung in den nächsten zwei Wochen abklingen sollte, und ein Kontrolltermin vereinbart. Am Vortag des Kontrolltermins rief die Ehefrau des Patienten an, sagte den Termin ab und erklärte, dass sie mit ihrem Mann in der Notaufnahme des Krankenhauses gewesen und dort „Zungenkrebs“ diagnostiziert worden sei.

Was war das Ergebnis?

Es lag ein exulzeriertes Plattenepithelkarzinom vor, ohne Lymphknotenbefund. Die Terminabsage in der kieferchirurgischen Praxis führte zu einer Verzögerung von zwei Wochen.

Gründe für das Ereignis?

Die Fehleranalyse des Berichterstatters erbrachte drei wesentliche Ursachen:

  1. Obwohl seit Jahren routinemäßig bei jeder Untersuchung die Zunge untersucht wird, gab es keine Prozess- beziehungsweise Ablaufbeschreibung für den Umgang mit einem verdächtigen Befund (zum Beispiel Überweisung an Hausarzt/HNO/Kieferchirurgie, Zeitplan, etc.), außer einer Bürstenbiopsie.

  2. Psychologisch bestand eine große Hürde, dem aufgrund der Entfernung zur kieferchirurgischen Praxis (und eventuell aus anderen Gründen) zögerlichen Patienten den Ernst des Befunds und die Bedeutung einer weiteren Abklärung deutlich zu machen. Dabei fragt man sich, ob es gegenüber dem Patienten vertretbar ist, einen Verdacht zu äußern, wenn man sich selbst nicht sicher ist.

  3. Die Bürstenbiopsie hat ein falsches Ergebnis geliefert.

Hätte man das Ereignis aus Sicht des Berichtenden verhindern können?

  1. Hier wird die Bedeutung eines Praxis-Qualitätsmanagements deutlich. Die Praxis erstellt nun ein Merkblatt mit Ansprechpartnern und Überweisungswegen für solche (zum Glück seltenen) Fälle, das regelmäßig aktualisiert wird. Bei Bedarf liegt dann ein klares Ablaufschema vor.

  2. Eine Kommunikationsstrategie muss erarbeitet und eingeübt werden, die den Patienten nicht unnötig beunruhigt, gleichzeitig aber professionell die Dringlichkeit einer Abklärung aufzeigt. Gespräche mit Kollegen können sicher helfen.

  3. Vor Anwendung der Bürstenzytologie muss ein Gespräch mit dem Pathologen geführt werden, um seine Expertise in Bezug auf die Bürstenzytologie zu eruieren. Ist diese gewährleistet, muss man dem falschen Ergebnis der Bürstenbiopsie auf den Grund gehen (Plausibilität): Ein Abstrich im Mund-Rachen-Raum ist kein geeignetes Mittel zur Abklärung beim Verdacht auf maligne Erkrankungen! CAVE: Wenn eine falsche Lokalisation ausgesucht wird, kann der Pathologe keine atypischen oder dysplastischen Zellen erkennen. Die in diesem Fall möglicherweise korrekt durchgeführte, jedoch an einer falschen Stelle entnommene Bürstenzytologie verhinderte somit eine schnelle Überweisung zum MKG-Chirurgen (doctor‘s delay).

Kommentar

Was kann man aus dem Ereignis lernen?

Die Bürstenbiopsie sollte nicht angewandt werden, wenn schon der Verdacht auf ein tumoröses Geschehen vorliegt – dann ist immer die Überweisung zur chirurgischen Biopsie mit histopathologischer Untersuchung (nach wie vor Goldstandard) angeraten.

  1. Begrenzung der Bürstenbiopsie auf die Diagnostik der homogenen Leukoplakien: Die Bürstenbiopsie muss richtig angewandt werden, neben oberflächlichen Zellen müssen auch Zellen aus tieferen Schichten gewonnen werden – sonst steigt die Wahrscheinlichkeit für falsch negative Ergebnisse mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Prognose und den weiteren Verlauf. Bemerkung: Ein Pathologe, der sieht, dass nicht alle Zellschichten getroffen wurden, übermittelt dem Behandler den Befund „Unzureichendes Material, Wiederholung angeraten“.

  2. Patienten mit Läsionen mit Karzinomverdacht müssen zur weiterführenden Diagnostik an eine kieferchirurgische Fachpraxis überwiesen werden.

  3. Die klinische Erfahrung zeigt, dass nicht selten selbst chirurgische Biopsien mehrfach wiederholt werden müssen, um ein Karzinom nachzuweisen. Bei Unklarheiten ist deshalb die sofortige Überweisung zum Spezialisten die für den Patienten sicherste Lösung.

Kommentar des CIRS dent-Fachberaterteams.

Literatur zum Thema

S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms“, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen

Medizinischen Fachgesellschaften e.V., 2012, Download: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/007–100OL.html S2k-Leitlinie der DGZMK, „Diagnostik und Management von Vorläuferläsionen des oralen  Plattenepithelkarzinoms in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“, 2010 (zurzeit in Überarbeitung)

A. M. Schmidt-Westhausen, L. Daniel, H. Ebhardt: Die Bürstenbiopsie in der Diagnostik – Eine retrospektive Studie basierend auf der S2k-Leitlinie der DGZMK, DZZ 2016; 71(3) 226-232

Schwerpunkthema „Mundhöhlenkrebs“, IGZ

Die Alternative 2014/03, Download: http://www.i-g-z.de/index_htm_files/IGZ_2014–03.pdf

Weitergehende Hilfe

Die DGZMK bietet eine Mundschleimhautberatung an. Per E-Mail können Sie Befunddaten und Fotos dorthin senden, die von Experten begutachtet werden. Sie erhalten dann eine Verhaltensempfehlung und – wenn möglich – eine Arbeitsdiagnose. Der Service ist für DGZMK-Mitglieder kostenlos. Info: www.dgzmk.de/zahnaerzte/mitgliederservice/mundschleimhaut-beratung.html Einen ähnlich strukturierten Service bietet die KZV Brandenburg ihren Mitgliedern an. Info-Tel.: 0331/2977-0

CIRS dent

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