Editorial

Ohne Evidenz geht nichts – oder fast alles

Man möge mir meinen etwas emotionalen Einstieg verzeihen: Aber kann mir bitte jemand erklären, warum die Regeln in unserem Gesundheitssystem von einigen wenigen „Playern“, wie es so schön Neudeutsch heißt, im eigenen Sinn ausgelegt oder schlicht und einfach ignoriert werden können? Evidenz ist so ein Thema. Und diese wird in Deutschland maßgeblich vom IQWiG bestimmt. An das ermittelte Ergebnis haben sich Leistungserbringer und -träger zu halten. Letztere eher weniger. 

Die Zahnärzteschaft hat es mit der Bewertung der PAR erleben dürfen, wie aus weltweit anerkannten therapeutischen Standards in der Parodontologie nach der Bewertung der Studienlage eine im Sinne der gelebten Evidenzdefinition des Instituts „nachrangige“ Therapie wurde. Mit der Folge, dass zusätzliche Mittel für die Finanzierung der Therapie dieser Volkskrankheit seitens der Krankenkassen – sagen wir es so – zukünftig nur sehr schwierig zu realisieren sein werden. Ist das nun Pech für die Zahnmedizin oder eher für die Paro-Patienten? 

Das IQWiG führt neben der Qualität ja auch die Wirtschaftlichkeit in seinem Namen. Und so stehen der IQWiG´sche Nachweis des Evidenzlevels und die Bereitschaft der Krankenkassen zur Kostenübernahme in einem unmittelbaren Verhältnis. Von der Kraft und Wirkung dieser Allianz können die Heilberufe, aber auch die Pharmaindustrie, ein Lied singen. Zum Glück werden die Entscheidungen über neue Leistungen zulasten des GKV-Systems jedoch im G-BA getroffen. Und das ist auch gut so, denn mit der Bruderschaft im Geiste der Wissenschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeit ist es nicht so weit her, wenn es um Marketingmaßnahmen geht, die den Kassen zusätzliche Versicherte bescheren sollen. 
So kann der BarmerGEK-Chef Christoph Straub unwidersprochen der Homöopathie das Wort reden. In der Zeitschrift Focus und dann von allen Nachrichtenagenturen verbreitet führte er aus, „dass es in der Medizin immer wieder Phänomene wie den Placeboeffekt gibt, die sich nicht mit eindeutigem naturwissenschaftlichem Nutzennachweis klären lassen.“ Letzteres ist soweit richtig, nur ist der Placeboeffekt eben kein Spezifikum der Homöopathie. Aber ich schrieb ja von Marketing. Und da ist es wahrlich keine neue Erkenntnis, dass es in unserer Gesellschaft nicht nur eine große, sondern eine steigende Nachfrage nach alternativen Behandlungsformen gibt. Und so kam Straub zu dem Schluss: „Wir leben in einer pluralen Gesellschaft, die diese Behandlungsform wünscht. Ich bin dafür, dass wir in Verbindung mit der Schulmedizin diese Therapie über Ärzte mit einer Zusatzausbildung auch erbringen.“ Zitatende. 

Das ist mal ein argumentativer Kniff. Mittels entsprechender Zusatzausbildung für die Ärzte mutiert die Homöopathie zu einem Analogon der Schulmedizin und fände somit Eingang in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Und wenn die Krankenkassen diese Therapie erbringen, wird Evidenz als wesentliche Basis des Handelns eh nebensächlich. Ich bin schon gespannt darauf, wie das ganze qualitäts‧sichernde Armentarium seinen Einsatz zur Prüfung des homöopathischen Tuns in der Arztpraxis finden wird. 

Tja, eine Moral gibt es in der Geschichte nicht, nur die Feststellung des ersten Kanzlers: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. 

Aber was soll dann aus den Heilpraktikern werden? Dazu hat sich aktuell der Münsteraner Kreis um die Medizinethikerin Prof. Bettina Schöne-Seifert seine Gedanken gemacht. Die Handlungsoptionen: Beschränkungslösung, Arztzentrierte Lotsenlösung und Abschaffungslösung. Letztere nimmt als Maßgabe die Neustrukturierung der Bundesdeutschen Zahnheilkunde aus dem Jahr 1952, als der Ausbildungsberuf des Dentisten zugunsten des akademisch ausgebildeten Zahnarztes abgeschafft wurde. Egal wie, in der Konsequenz soll es, so der Vorschlag, den Heilpraktikerberuf nicht mehr geben.

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