Sie haben die Wahl!
„Bei allem Verständnis für die übliche Wahlkampfpolemik müssen wir genau hinschauen, was auf der jeweiligen Agenda der Parteien steht. Das haben wir mit unseren Wahlprüfsteinen getan."
In drei Wochen ist Bundestagswahl. Nun ist Wahlkampf für den Bürger selten vergnügungssteuerpflichtig. Da freut man sich über jede Stilblüte. Deshalb nur eine Kostprobe. „Amerika first? Ilgen Förster!“ Immerhin gelang dem Husumer Abgeordneten mit diesem platten Wortwitz bundesweite Aufmerksamkeit, zumal er noch im roten Sakko und Wikingeraxt auf einen Baum einhacken wollte, auf dessen Rinde das Gesicht des amerikanischen Präsidenten prangte.
Im Wahlkampf muss zugespitzt werden, um Gehör zu finden. Wichtiger ist jedoch die Frage, was in den vier Jahren danach auf der Agenda der Parteien zur Weiter‧entwicklung des Gesundheitswesens im Allgemeinen und der Zahnmedizin im Speziellen stehen wird. Wir haben deshalb an die im Bundestag bzw. bis zur vorletzten Legislaturperiode vertretenen Parteien auf Basis der Agenda Mundgesundheit – das Grundsatzprogramm der Vertragszahnärzteschaft für 2017 bis 2021 – sechs Fragen gestellt. Die Antworten geben Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine kompakte Übersicht darüber, was parteienseitig auf uns zukommen wird. Und das ist alles andere als ein „Weiter so“.
Ein Großteil des Wahlkampfs dreht sich um „Gerechtigkeit“. Dabei ist es in Deutschland im Jahre 2017 gar nicht so einfach, angesichts der in erheblichem Maß erfolgenden Umverteilung überhaupt noch Stimmen-relevante Gerechtigkeitslücken zu entdecken. Da ist es naheliegend, sich erneut auf das funktionierende System der Krankenversicherung – Stichwort Bürgerversicherung – einzuschießen. Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, wollen einige Parteien das bewährte duale System kippen. Es mag auf den ersten Blick gerechter erscheinen, wenn alle Bürger ohne Ausnahme in eine Versicherung einzahlen. Und es wird landläufig ja noch „gerechter“, wenn alle Versicherten die gleiche Leistung bekommen. Dafür wird gern das Wort Basisleistung verwendet, was aber nichts anderes impliziert, als dass es weitere Leistungen geben wird. Welche werden das sein und wie kommt man an diese?
Wer diese Überlegungen für lediglich theoretisch hält, sei daran erinnert, dass in Hamburg die regierende Koalition aus SPD und Grünen bereits den ersten Axthieb in das duale System geschlagen hat. Dort haben die Beamten nun die Wahl zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung, zwischen Arbeitgeberanteil oder Beihilfeanspruch. Noch können sich die Hamburger Beamten für die persönlich wirtschaftlichste Lösung entscheiden. Doch wie lange noch? Eines sollte klar sein: Solange die in einer Studie der Bertelsmann Stiftung behaupteten 60 Milliarden Einsparpotenzial für die öffentliche Hand beim Wechsel der Beamten in eine – wie auch immer geartete – gesetzliche Kranken‧versicherung im Raum stehen, werden parallele Strukturen unwahrscheinlich.
Apropos Wirtschaftlichkeit: Bis heute konnten die Befürworter des Systemwechsels den Nachweis nicht erbringen, dass es für die Versicherten günstiger wird. Dass es aber zu erheblichen Einnahmeausfällen aufseiten der Leistungserbringer kommen wird, ist so gut wie sicher. Wie soll dann die Versorgung in der Fläche sichergestellt werden? Wie der zahnmedizinische Fortschritt stattfinden? Auch dazu hört man seitens der Bürgerversicherungs-Protagonisten nichts. Ich habe an der Sinnhaftigkeit der Bürgerversicherung mehr als große Zweifel, denn der Wettbewerb wird abgeschafft und durch staatliche Lenkung ersetzt werden.
Auf diesem Weg wollen auch die gesetz‧lichen Krankenkassen voranschreiten. Anders kann die Einlassung des GKV-Spitzenverbands in seinem Positionspapier für die 19. Legislaturperiode nicht interpretiert werden. Unter der Überschrift „Zahnmedizin – Schutz vor finanzieller Überforderung für GKV-Versicherte“ wird erneut versucht, das Festzuschuss-System massiv zu diskreditieren. „Die finanzielle Überforderung der Versicherten muss beendet werden.“ Das ist ganz starker Tobak. Worum es wirklich geht, zeigt der folgende Satz: „Um Transparenz über das Versorgungsgeschehen herstellen zu können, sollten die Krankenkassen sowohl bei der Planung als auch bei der Abrechnung Kenntnis über die außervertraglichen Leistungen erhalten.“ Transparenz als Deckmäntelchen für absolute Kontrolle und in der Konsequenz dann zentrale Steuerung – ob all das die Versorgung der Patienten besser werden lässt, bezweifle ich ernsthaft.
Dr. Wolfgang Eßer