Behandeln - mit Erfahrung und Technologie
Karies
Stellen Sie sich vor, Sie schauen durch ein Mikroskop in eine tiefe Kavität. Gefiltertes Licht zeigt Ihnen in hoher Auflösung und farblich markiert die kariöse Zahnsubstanz. Polarisiertes Licht sorgt vor der Füllungstherapie für die korrekte Farbbestimmung. Die integrierte Kamera fotografiert auf Knopfdruck und überträgt die Bilder drahtlos an die Praxissoftware: Ein neues Dentalmikroskop verbindet erstmals verschiedene Diagnostik-Modi mit optischer Vergrößerung (Zeiss, ab 28.000 Euro) (Abbildungen 1 und 2).
Noch einmal Kariesdiagnostik: Befunde aus einem lichtbasierten, also röntgenfreien, System lassen sich ab sofort in die Röntgensoftware übertragen (DiagnoCam, KaVo). Der optimale Abstand zur Zahnsubstanz wird angezeigt, außerdem gibt es ein neues Zahnschema für Milchzähne. Präparationen können mit dem ersten drehzahlkontrollierten Luftantrieb erfolgen (WH).
Die Schrumpfung schrumpft weiter
Komposite
Weiter entwickelte Monomere für ein Komposit-Füllungsmaterial erlauben laut Anbieter einen Volumenschrumpf von unter 1 Prozent (Shofu). Die Füller basieren auf einer Glasionomer-artigen Reaktion (S-PRG), die schon im Rahmen der Produktion abläuft. Eine kariespräventive Wirkung der enthaltenen Strontium- und Fluoridionen ist nicht nachgewiesen. Selbiges gilt auch für ein mineralisches „Glass-Carbomer mit Fluorapatit“ (GCP Dental), das laut Anbieter dentinähnliche Eigenschaften besitzt und ähnlich wie Trikalziumphoshat-basierte Materialien (zum Beispiel von Septodont) als Aufbaumaterial für tiefe Kavitäten positioniert wird.
Endodontie
Für endodontische Behandlungen wurde ein System mit gedruckten Schablonen auf der Basis von DVT-Aufnahmen vorgestellt (Sicat, Produkt noch nicht erhältlich) (Abbildung 3). Interessant könnten die Schablonen vor allem für chirurgische Behandlungen sein, zum Beispiel für geführte Wurzelspitzenresektionen mit minimiertem Knochenfenster. Orthograd soll sich der Substanzabtrag für die Zugangspräparation reduzieren lassen. Laut Anbieterinformation erlaubt „die Fusionierung von Röntgendaten die gleichzeitige Navigation in 2-D und in 3-D“.
Röntgen
Neueste DVT-Geräte punkten mit einer verbesserten Auflösung (Morita) – und sollen Patientenbewegungen kompensieren können (3Shape, Planmeca). Die Auflösung liegt aber immer noch um den Faktor 8 bis 10 unter derjenigen von digitalen Zahnfilmen [Schulze R.: Der Freie Zahnarzt, Themenheft „wissen kompakt“, 2014]. Hilfreich im Sinne der Strahlenhygiene ist sicher ein neuer Kindermodus (Morita).
IDS 2017
Größer, internationaler
Über 155.000 Besucher aus 157 Ländern bedeuten für die IDS 2017 eine Steigerung von 12 Prozent. Der Zuwachs kam vor allem aus dem Ausland, mit einem Anteil von jetzt 60 Prozent.Bei den Ausstellern stieg die Zahl auf über 2.300 aus 59 Ländern, davon mehr als ein Viertel aus Deutschland. Aussteller und Besucher äußerten sich laut Messebefragung mehrheitlich sehr zufrieden.
Eine sorgfältige Indikationsstellung ist unverändert von höchster Bedeutung. So bewirkt eine hoch aufgelöste Aufnahme mit 5 cm x 5 cm Untersuchungsfeld – bei einem als strahlungsarm beworbenen Gerät – eine Effektivdosis von rund 60 µSv, ein 11 cm x 10 cm großes Feld mit geringer Auflösung dagegen nur rund 15 µSv (Information: Dentsply Sirona) (vgl. auch das Interview mit Dr. Bösemeyer auf S. 42). Panoramaschicht-Aufnahmen (2-D) bewirken eine Dosis von etwa 10 µSv [Schulze R.: Der Freie Zahnarzt, Themenheft „wissen kompakt“, 2014].]. In Köln erstmals vorgestellte 2-D- und 3-D-Kombigeräte (zum Beispiel Dürr, KaVo) dürften im Praxisalltag indikationsgerechte Entscheidungen erleichtern.
Es geht in Richtung totale Integration
Digitalisierung
Die Patientin checkt mit ihrer Smartwatch ein, ihre Daten werden automatisch geladen und auf dem Behandlungsplatz-Monitor angezeigt (Planmeca). Während der Behandlung misst das Gerät Herzfrequenz, Lungenfunktion und Körpertemperatur (Abbildung 4). Sind Restaurationen notwendig, sendet die Einheit Röntgen- und intraorale Scandaten drahtlos an Fräs- oder 3-D-Druckmaschinen – in der Praxis oder im externen Labor. Umfangreiche digitale, in Behandlungsgeräte integrierte Lösungen bieten zum Beispiel auch Dentsply Sirona und KaVo.
Wie in Köln live demonstriert, werden bei Planmeca zudem alle verwendeten Instrumente und Produkte, zum Beispiel Implantate oder Handinstrumente, mit verbleiben der Sterilitätsdauer und Lagerbestand an der Einheit angezeigt. Ob die Software Daten von separaten Hygienemanagement- und Materialwirtschafts-Systemen problemlos einlesen kann, sollte indes vorab geklärt werden.
Hygiene
Für die Einstufung nach Risikoklassen und eine „vollautomatische“ Hygiene dokumentation wurde in Köln ein Produkt vorgestellt, bei dem die Daten in der Cloud gespeichert werden (Sego). Laut Anbieter ist es das einzige, das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert wurde. Ein anderes Produkt verbindet Hygiene- und Material-Management und ist mit Touchscreen bedienbar (Dios). Kontaktlose Spender erleichtern eine qualitätsgesicherte Händedesinfektion (Infratronic) (Abbildung 5). Die Geräte sind – im Gegensatz zu preisgünstigen Hebelspendern – mit allen gängigen Behältern kompatibel.
In Zukunft chairside?
Prothetik
Zahnheilkunde bedeutet für viele zuerst Restaurationen. Entsprechend begegneten dem Messebesucher auf Schritt und Tritt prothetische Produkte und Implantate. Auffällig war die zunehmende Zahl von Chairside-Systemen für Kronen und kleine Brücken an einem Tag. Stellvertretend sei Ivoclar Vivadent genannt, mit einem neuen, praxis(labor-)gerechten Fräsgerät, das sich besonders gut für Lithiumdisilikat eignen soll (Abbildung 6).
Das Schrittmacher-System Cerec (Dentsply Sirona) deckt seit einiger Zeit implantologische, orthodontische und zunehmend auch endodontische Indikationen ab. Funktionsschienen und Bohrschablonen können schon heute „chairside“ oder im (Praxis-)Labor hergestellt werden. Als Nächstes folgen vermutlich individuelle Abformlöffel und definitive Titanabutments (bereits möglich mit Cerec InLab). Vorgestellt wurde eine Vielzahl von neuen und weiterentwickelten 3-D-Druckern.
Die Materialien sind aber weiterhin nur für temporäre Werkstücke zugelassen.
Durch die Gingiva scannen
Digitale Abformung
Neu bei den Intraoral scannern: ein kabelloses Gerät (3Shape) und ein für Ende 2017 angekündigter Scanner auf Infrarotbasis, mit dem erstmals subgingivale Präparationsgrenzen darstellbar sind (Voco). Vor digitalen Abformungen könnte also darauf verzichtet werden, überschüssiges Gewebe chirurgisch zu entfernen.
Ob die Qualität der Restaurationen dadurch in allen Fällen gefördert wird, bleibt abzuwarten. Neue Abformmaterialien, zum Beispiel mit Retraktionswirkung (Centrix), sprechen für die bleibende Bedeutung analoger Methoden. Wer hier Material sparen möchte, kann mit verkürzten Mischkanülen arbeiten, auch für Befestigungsmaterialien (Abbildung 7).
Arbeitsabläufe werden bei den digital gestützten Totalprothesen-Systemen nach und nach optimiert (Abbildung 8, Aufmacher). So bietet Vita eine Hybridlösung mit CAD/CAM-Basis, in die Konfektionszähne geklebt werden. Zusätzlich lassen sich aus einer Zahnbibliothek funktionelle Varianten umsetzen, die mit 3Shape, Exocad und Dental Wings kompatibel sind. Die Abformungen bleiben wegen der Weichgewebsdehnung analog.
Ästhetisch noch nicht auf höchstem Niveau dürften reine CAD/CAM-Systeme sein, bei denen auch der Zahnkranz ausgefräst wird (zum Beispiel Ivoclar Vivadent, Merz Dental). Die Werkstücke kommen aber sehr glatt aus der Maschine, die bisherige Schmutzarbeit mit Fräsen, Ausarbeiten und Polieren könnte bald Vergangenheit sein. Interessant ist, wie die Industrie digitale Schritte mit analogen Werkzeugen und Arbeitsabläufen verknüpft.
Polierkelche ade?
Prophylaxe
Wenn sich zurzeit ein Megatrend etabliert, dann ist es die Prophylaxe. In vielen Fachzeitschriften beträgt der Anteil von Anzeigen, die mit häuslicher oder professioneller Prävention zusammenhängen, mehr als 50 Prozent. Auf der IDS wurde der Großteil der Halle 10.2 von Ausstellern aus diesem Bereich beherrscht – die Stände werden von Jahr zu Jahr größer. Vielleicht werden eines Tages keine CAD/CAM-Systeme mehr benötigt, Totalprothesen könnten die Ausnahme werden [vgl. die aktuelle DMS-Studie].
Wie erwartet kam es auf der IDS zu einem Line-up neuester Geräte, Instrumente und Materialien für die PZR. Von Einmal-Winkelstück-Aufsätzen für Kinder mit einem Netto-Stückpreis von 64 Cent (Young Innovations) bis zu Hightech-Kombigeräten mit Ultraschall- und Airpolishing-Ausrüstung (neu von EMS und NSK) gibt es eine enorme Bandbreite. Ebenfalls neue, preisgünstige Prophylaxe-Winkelstücke von KaVo arbeiten erstmals mit winkelbegrenzter 70-Grad-Rotation. Damit soll das unangenehme Verspritzen von Polierpaste vermieden werden.
Neu ist auch, dass die Reihenfolge bei der professionellen Zahnreinigung umgekehrt werden soll: Airpolishing-Pionier EMS empfiehlt, zunächst den Biofilm bis 4 mm subgingival mit einem feinkörnigen Pulver zu entfernen (Abbildung 9). Erst dann wird der verbliebene Zahnstein mit Ultraschall abgetragen. Vorteile seien eine bessere Sichtbarkeit des Zahnsteins und ein saubereres Arbeiten nach Entfernung des infektiösen Biofilms. Eine anschließende Politur mit Gummikelchen sei nicht notwendig. Zur Wirksamkeit der Einzelschritte gibt es klinische Studien und Konsenspapiere, auch für den subgingivalen Bereich.
Zirkonoxid macht Titan Konkurrenz
Implantate
Wenn Zähne trotz Prävention und restaurativer Bemühungen nicht mehr zu halten sind, können sie zum Beispiel durch Implantate ersetzt werden. Neben Camlog (Abbildung 10) präsentierten auch Straumann und Dentalpoint neue, zweiteilige Zirkonoxid-Implantate. Die Aufbauten werden jeweils verschraubt, Camlog bietet die Alternative Zirkonoxid oder (definitives) PEEK.
Ein neuartiges Zirkonoxid-Implantat, das laut Anbieter mithilfe von „Plättchen aus seltenen Erden“ „elastisch-zähe“ Eigenschaften hat, soll eine hohe Osseointegrationsfähigkeit ohne Frakturrisiko aufweisen (Champions Implants). PEEK-Implantate sind ebenfalls erhältlich (Sisomm), erfordern aber offenbar eine spezielle Handhabung beim Inserieren – und müssen im koronalen Abschnitt durch Abutments stabilisiert werden. Klinische Daten zu Nicht-Titan-Implantaten sind bisher nur begrenzt verfügbar.
„Wurzelkanalsysteme sind dreidimensional“
Während der Messe befragte der Autor seinen Kollegen Dr. Wenk Bösemeyer (Oldenburg) zur Planung mit 3D Endo (Dentsply Sirona).
Wann benötigen Sie in der Endodontie ein DVT?
Bösemeyer: Vor allem bei Revisionen, aber auch primär zum Beispiel bei Oberkiefermolaren. Diese haben häufig zwei mesiobukkale Kanäle, Anastomosen und andere Abweichungen. Die dreidimensionale Darstellung erleichtert ganz wesentlich meine Behandlungsplanung. Und meinen Patienten kann ich die Therapie viel besser erklären.
Ist die Strahlenbelastung nicht zu hoch?
Natürlich wäge ich in jedem Einzelfall ab. Die effektive Dosis hängt übrigens auch von der Lokalisation ab und ist im Oberkiefer nur etwa halb so hoch wie im Unterkiefer. Dort befinden sich strahlungsempfindliche Organe wie die Schilddrüse [Pauwels R, Eur J Radiol 2012]. Im zweiten Schritt messe ich endometrisch, wobei sich häufig nur geringe Abweichungen ergeben.
Mithilfe einer ausgeklügelten Aufbau-Mechanik lassen sich bei einem neuen konfektionierten Stegkonzept moderate Abweichungen zwischen der geplanten und der endgültigen Implantatposition ausgleichen (Nobel Biocare). Das System ist für die Versorgung von drei Implantaten vorgesehen und zwischen abnehmbaren Lösungen für die Versorgung von zwei Implantaten und dem All-on-4-Konzept positioniert. Eine multizentrische Fünf-Jahres-Studie begann im April 2016.
Prothetisch orientierte Rückwärtsplanung funktioniert am sichersten CAD/CAM-gestützt, mit guter Präzision allerdings nur bei ausreichendem Restzahnbestand. In nicht-dentalen chirurgischen Disziplinen setzen sich zunehmend stereoskopische Navigationssysteme durch. Optische Marker helfen, den Eingriff zu kontrollieren. In Köln entdeckte der Autor zwei Systeme, mit denen Implantate nach DVT-basierter Planung ohne Bohrschablonen „navigiert“ gesetzt werden können (Claronav, Minivadent).
Funktionsdiagnostik
Dasselbe Prinzip wird auch in der Funktionsdiagnostik eingesetzt, wobei nach der Festlegung von Bezugsebenen auf Röntgenaufnahmen verzichtet werden kann (MODJaw). Mit optischer Funktionsaufzeichnung arbeiten auch eingeführte (orangedental) oder in Entwicklung befindliche Systeme (Planmeca).
Myofunktionelle Konzepte
Schlafstörungen sind laut DAK-Gesundheitsreport ein wachsendes Problem. Ursache ist häufig eine Atemwegs-Obstruktion, die sich je nach Fall durch Vorverlagerung des Unterkiefers mit Schienensystemen behandeln lässt (zum Beispiel Scheu Dental, Sicat). Vor einer Therapie ist eine Diagnose durch einen Schlafmediziner oder schlafmedizinisch ausgebildeten Kieferorthopäden oder Zahnarzt notwendig.
Auch Kinder sind häufig betroffen, mit zum Teil schwerwiegenden Auswirkungen auf die dentofaziale, die körperliche und die psychosoziale Entwicklung. In Köln wurden im Rahmen der Speaker‘s Corner in gleich zwei Vorträgen Hintergründe und therapeutische Konzepte vorgestellt (Healthy Start, Myofunctional Research). Die sinnvolle Prävention umfasst einerseits eine geeignete Ernährung, andererseits myofunktionell wirksame Geräte (zum Beispiel Dr. Hinz Dental) (Abbildungen 11 und 12). Der BEMA enthält für myofunktionelle Konzepte leider keine Positionen, weder für kieferorthopädische noch für schlaftherapeutische Frühbehandlung.
Unterwegs in Parallel-Universen
Die IDS war mit ihren zwölf Messehallen und dem wenig intuitiven Grundriss – wie immer – ein wenig unübersichtlich. Neben zahnärztlichen Endverbrauchern wenden sich die Aussteller auch an Fräszentren oder Anbieter, die zum Beispiel Komposite, Endo-Feilen oder Material-Ronden zur Komplettierung ihrer Produktpalette zukaufen. Zudem finden sich Parallel-Universen von Ausstellern zum Beispiel aus Ostasien, die ausschließlich regionale Märkte ansprechen.
Das macht aber zugleich einen Teil des Reizes der Internationalen Dental-Schau aus: Sie ist ein riesiger Fundus, ermöglicht eine fantastische Entdeckungsreise durch die ständig wachsende Welt zahnmedizinischer Produkte und Therapie-Angebote – dazu gehört auch topmodische Praxiskleidung, zum Beispiel in italienischem Design (Abbildung 13). Wer bei Prävention, Diagnostik und Therapie den Überblick behalten möchte, kommt um die IDS nicht herum.
Dr. med. dent. Jan H. Koch, Dentaljournalist
Dr. Jan H. Koch ist freier Autor der zm. Er arbeitet zudem als Berater für einzelne der genannten Firmen, hat sich aber um eine fachlich zentrierte Darstellung bemüht.