So werden Katastrophenopfer identifiziert
Die Kommission wird immer dann zurate gezogen, wenn im In- oder Ausland eine größere Anzahl auch deutscher Opfer zu vermuten ist, wie etwa bei der Tsunamikatastrophe (2004), bei den Unglücken in Ramstein, Brühl, Eschede (1998) oder bei den Flugzeugabstürzen in Überlingen (2002) und MH 17 in der Ukraine im Jahr 2014.
Der letzte Einsatz der Identifizierungskommission erfolgte im Dezember 2016 nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Die Entscheidung für einen Einsatz der Kommission fällt immer der Präsident des Bundeskriminalamts.
Entstehungsgeschichte
1972 gab es ein großes Flugzeugunglück in Santa Cruz de Tenerife, als Unterstützung waren damals viele Beamte des Bundeskriminalamts zur Identifizierung der deutschen Opfer vor Ort. Die bei diesem Einsatz gesammelten Erfahrungen führten letzt- lich zur Errichtung einer Identifizierungskommission beim Bundeskriminalamt. Seit dieser Zeit wurden insgesamt 45 Einsätze im In- und Ausland durchgeführt.
Der bei Weitem größte und längste fand im Zusammenhang mit dem Seebeben statt, das sich Weihnachten 2004 nordwestlich von Sumatra (Indonesien) ereignet hatte. Der durch das Beben ausgelösten Flutwelle fielen Tausende Menschen zum Opfer, darunter viele deutsche Touristen. Zusammen mit den Identifizierungskommissionen anderer Staaten konnten in Sri Lanka und Thailand etwa 2.900 Personen identifiziert werden, darunter 539 deutsche Staatsangehörige und Personen mit Deutschlandbezug. Der Einsatz – mit mehr als 630 Spezialisten des Bundeskriminalamts und der einzelnen Länderpolizeidienststellen, Rechtsmedizinern sowie Zahnärzten – dauerte rund 14 Monate.
Um eine zweifelsfreie Identifizierung der Opfer zu gewährleisten, wird der höchstmögliche Qualitätsstandard (sogenannter IDKO-Standard) angelegt. Für den Identifizierungsprozess werden ausschließlich wissenschaftlich fundierte, 100-prozentig sichere und damit eindeutige Methoden angewendet. Die Kommission setzt dabei die geltenden Interpol-Richtlinien im Bereich der Opferidentifizierung um.
Identifizierungsprozess
Jeder Identifizierungsprozess besteht grundsätzlich aus den drei Bereichen Post-mortem(PM)-Befunderhebung, Ante-mortem(AM)-Befunderhebung und Auswertung (Datenmatching AM/PM).
PM-Befunderhebung
Im Rahmen der PM-Befunderhebung dokumentieren die IDKO-Mitarbeiter alle an den geborgenen Leichen(teilen) noch zu erhebenden postmortalen Daten und tragen diese dann in das sogenannte Interpol-PM-Formular ein. Die darin zu dokumentierenden Daten gliedern sich in primäre Identifizierungsmerkmale (DNA, Fingerabdrücke, Zahnstatus) sowie sekundäre Identifizierungsmerkmale (körperliche Beschreibung, medizinische Befunde, Bekleidung, Effekte und mehr).
Die IDKO des BKA erfasst die Post-mortem-Daten digital. Diese werden sofort in Interpol-PM-Formulare eingegeben, die die Identifizierungssoftware „DVI System International“ des dänischen Unternehmens Plass Data für die internationalen DVI(Disaster Victim Identification)-Teams vorhält – innerhalb der Software sind die „dental codes“ implementiert. Diese Codes wurden vorab durch die Mitglieder der FOSWG (Forensic Odontology Sub-Working Group) bei Interpol abgestimmt.
Eine PM-Befunderhebung findet regelmäßig am Schadensort selbst oder zumindest in dessen Nähe (im sogenannten Regionalen Einsatzabschnitt) statt.
AM-Befunderhebung
Gleichzeitig und parallel hierzu wird in Wiesbaden eine AM-Befunderhebung durchgeführt. Dafür werden die örtlich zuständigen Polizeidienststellen der Bundesländer – nach Klärung der konkreten Vermisstenlage in der Vermisstenstelle des BKA – über die zuständigen Landeskriminalämter aufgefordert, die entsprechenden primären/sekundären Identifizierungsmerkmale dieser vermissten Personen mithilfe des Interpol-AM-Formulars zu erheben, zu dokumentieren und nach Wiesbaden zu übermitteln.
Datenmatching AM/PM
Dort werden die Daten aufbereitet, genau analysiert (wie Extraktion und Typisierung von DNA aus übersandten Proben durch das Kriminaltechnische Institut (KTI) des BKA) und schließlich vervollständigt. Alle Ergebnisse werden ebenfalls in die oben beschriebene Identifizierungssoftware eingepflegt und damit IT-gestützt im „DVI System International“ unter Hinzuziehung weiterer Systeme (AFIS) abgeglichen. Dieser Prozess wird durch Fachkräfte (daktyloskopische Sachverständige, forensische Zahnmediziner, DNA-Spezialisten) unterstützt und überprüft.
Nur in dem Fall, dass mindestens ein primäres Identifizierungsmerkmal – Zahnstatus, Daktyloskopie oder DNA – übereinstimmt und die Auswertung aller vorliegenden sekundären Informationen (Asservate, Bekleidung, medizinische Befunde, körperliche Beschreibung etc.) ohne Widersprüche verläuft, wird eine sichere Identifizierung ausgesprochen.
Was die Zahnärzte leisten
Seit vielen Jahren arbeitet die IDKO mit zivilen Zahnärzten sowie mit forensischen Zahnmedizinern der Bundeswehr zusammen. Etabliert hat sich ein Kernteam von rund 20 Medizinern, die regelmäßig an Aus- und Fortbildungungsmaßnahmen in diesem speziellen Themenbereich teilnehmen, um auf ihren Einsatz in der Echtlage bestmöglich vorbereitet zu sein.
Besonderes Augenmerk wird dabei auf den sicheren Umgang mit der Identifizierungssoftware sowie auf die Eingabe und Qualitätssicherung der „dental codes“ gelegt. Diese Zahncodes wurden im Rahmen einer internationalen Arbeitsgruppe bei Interpol festgelegt, um im Katastrophenfall den Zahnstatus in der Software zu erfassen und zum Matching zu bringen.
Durch Fachkoordinatoren aus dem Bereich der forensischen Zahnmedizin wird die IDKO bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Einsätzen unterstützt und auch bei konzeptionellen Fragestellungen beratend begleitet.
Als eines der drei primären Identifikationsmerkmale und mit der Möglichkeit, zeitnah eine sichere Identifizierung herbeizuführen, kommt dem Bereich der Zahnmedizin eine besondere Bedeutung zu. Angewiesen ist die IDKO dabei auf die reibungslose Zusammenarbeit mit den für die Vermissten zuständigen Zahnarztpraxen. Die örtlich zuständigen Polizeidienststellen suchen im Katastrophenfall die jeweiligen Praxen auf, um dort entsprechendes Ante-mortem- Material zu den vermissten Personen zu erheben. Neben der Erfassung des aktuellen Zahnstatus werden u. a. auch Originalbehandlungskarten, Lichtabbildung- und Röntgenaufnahmen (analog und digital), Abdrücke und Gipsmodelle, Schienen und Bissregistrate, Provisorien, kieferorthopädische Geräte sowie Prothesen nachgefragt. All diese Informationen werden dann im Rahmen der Auswertung mit den zeitgleich erhobenen Post-mortem-Daten abgeglichen und letztlich zur Identifizierung gebracht.
Personalstruktur
Gegenwärtig gehören der Identifizierungskommission, die im BKA als sogenannte „Aufruf“-einheit geführt wird, rund 120 aktive Mitglieder aus dem BKA selbst an. Dies sind Beamte sowie Tarifbeschäftigte mit Spezialkenntnissen, die nach einem Auswahlverfahren, nach einem gesundheitlichen Tauglichkeitstest und mit dem erforderlichen Impfstatus auf freiwilliger Basis nebenamtlich mitarbeiten. Im Einsatzfall wird darüber hinaus auf einen Pool von externen Spezialisten (Rechtsmediziner, forensische Zahnärzte, psychosoziale Fachkräfte) zurückgegriffen. Aus diesem Personenkreis wird dann die geeignete Helfertruppe für den jeweiligen Einsatz bedarfsgerecht zusammengestellt und nach Zustimmung des betroffenen Staates oder auf Anforderung der zuständigen Inlands-Behörde schnellstmöglich an den Einsatzort gebracht. Ein Einsatz kann im Rahmen eines Volleinsatzes (Durchführung des kompletten Identifizierungsprozesses) oder eines Beratungseinsatzes (Beratung der zuständigen Behörden bei der Bewältigung der Großschadenslage hinsichtlich Opferidentifizierung) erfolgen.
Rechtliche Grundlagen
Die gesetzliche Aufgabenzuweisung für die IDKO ergibt sich aus dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG), grundsätzlich § 2 Abs. 4 BKAG sowie zusätzlich, je nach Art und Örtlichkeit der Großschadenslage (In-/Ausland), durch weitere Paragrafen.
Die Kommissionsmitglieder müssen regelmäßig an theoretischen und praktischen Fortbildungen sowie an (inter)nationalen Übungsszenarien teilnehmen, um eine permanente Einsatzfähigkeit zu gewährleisten. Möglich ist, sich für spezielle Kompetenzen – zum Beispiel zum Sektionsassistenten, Zahnprotokollanten und mehr – ausbilden zu lassen.
Isabel Riege
Kriminalhauptkommissarin
Lydia Arnhold
Kriminaloberkommissarin
Bundeskriminalamt Wiesbaden
KT11 – IDKO Identifizierungskommission
Thaerstr. 11, 65193 Wiesbaden
idko@bka.bund.de
Die Autoren haben diesen Beitrag als Vortrag bei der 40. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odonto-Stomatologie (AKFOS) Ende 2016 in Mainz gehalten.