80. Geburtstag von Dr. Karl Horst Schirbort

Der Vater des Zahnarzt-Korbes

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Von seinen 80 Lebensjahren hat sich Dr. Karl Horst Schirbort rund 50 Jahre in der Berufspolitik engagiert. Der langjährige Vorstandsvorsitzende der KZBV, überzeugte Freiverbändler und Standespolitiker prägte mit seinem Kampf gegen ein staatliches Gesundheitswesen eine Ära – und bereitete den Boden für das heutige Festzuschusssystem.

„Mit begrenzten Mitteln gibt es keine unbegrenzten Leistungen“ – mit diesem Satz schrieb Dr. Karl Horst Schirbort standespolitische Geschichte. Damals in den 1990ern spitzte sich die Diskussion um die Einführung des Budgets zu, die Zahnärzteschaft diskutierte über Vertrags- und Wahlleistungen, kämpfte gegen die Sachleistung und für eine Kostenerstattung. Schirbort erwies sich in diesem Klima für seine Kollegenschaft als der richtige Mann am richtigen Ort, um die Geschicke der Vertragszahnärzteschaft zu lenken und wurde zum ehrenamtlichen Vorsitzenden der KZBV gewählt. Er blieb es von 1994 bis 2002. Zuvor bekleidete er eine Vielzahl von standespolitischen Ämtern, sowohl in der KZV Niedersachsen, dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) und auch in Kammergremien. Sein Postulat, dass Worte und Taten sich decken müssen, dass mehr Freiheit und Eigenverantwortung ins Gesundheitswesen einziehen sollen und dass Kassen und Zahnärzte „mit gleich langen Spießen“ kämpfen müssen, ist vielen in der Kollegenschaft auch heute noch in Erinnerung.

Wie er dazu kam? Das ergibt sich aus der Lebensgeschichte des am 12. April 1937 im Sudentenland geborenen Schirbort. „Das Leben prägt einen Menschen. Du bis das, was du bist, weil du bestimmte Dinge erlebt hast“, zeigt sich Schirbort überzeugt.

Kriegswirren brachten die Familie in die DDR: „Mir ist der Zahnarztberuf in die Wiege gelegt worden“, bilanziert er. „Mein Vater war Zahnarzt, als Kind und als Halbwüchsiger erinnere ich mich, dass es bei uns oft um berufliche und politische Belange ging.“ Der Vater praktizierte in einer Landpraxis in der Nähe von Halle an der Saale. Als Akademikerkind erhielt der junge Schirbort in der DDR zunächst keinen Studienplatz in Zahnmedizin.

Er gelangte 1955 nach West-Berlin, um dort an der Zahnklinik in der Aßmannshauser Straße zu studieren. Es folgte die Examenszeit während des Mauerbaus, die Approbation 1962 und die Promotion 1963. Nach der Assistentenzeit in Berlin, Geesthacht und Giffhorn ging er nach Hänigsen in Niedersachsen, gründete nach fünf Jahren eine eigene Praxis in Burgdorf, die er bis zum Ende seiner aktiven Berufstätigkeit 2009 hielt. Berufspolitisch sensibilisiert haben ihn kritische Erfahrungen aus seinem Elternhaus in der DDR, besonders was die Berufsausübung als Zahnarzt anging.

Interview zum 80. Geburtstag

„Mein Beruf ist für mich wie ein Maßanzug!“

„Andere haben manchmal Probleme damit gehabt, wie ich Dinge beurteile und wie ich gehandelt habe.“ Dr. Karl Horst Schirbort war von 1994 bis 2002 Vorstandsvorsitzender der KZBV. Zum 80. Geburtstag zieht er Bilanz.

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„Ich möchte kein staatsmedizinisches Gesundheitssystem haben, nicht nur wegen der Zahnärzteschaft, sondern vor allem wegen der Bevölkerung“, sagt Schirbort nachdrücklich und verweist auf Polikliniken und die Einschränkung der freien Arztwahl.

„Ich war noch keine zwei Jahre niedergelassen, da hatte ich mehrere Fälle in der eigenen Praxis, bei denen ich sagte, so kann es doch nicht gehen!“ Konkret ging es um eine Patientin, der die Kasse trotz fünf bestehender Zähne keinen festen Zahnersatz genehmigte, und um ein Kind, das dringend einer KFO- Behandlung bedurfte, bei dem die Kasse aber die Kosten nicht übernehmen wollte. Schirbort: „Ich bin Zahnarzt mit Leidenschaft und biete den Patienten verschiedene Therapiemöglichkeiten an. Die Kassen begründeten ihre Nichtgenehmigung dann mit dem Gebot des Ausreichenden, Wirtschaftlichen und Zweckmäßigen. Das war dann die Wurzel für mein künftiges Engagement: Ich wollte mich für die Patienten einsetzen.“

1967 ging er in die Standespolitik. „Die Maloche habe ich von der Pike auf gelernt: Ich war in verschiedenen Ausschüssen in der KZV Niedersachsen, bin in die Vertreterversammlung gekommen und dann – das bleibt ja nicht aus – kam ich in den Vorstand, erst als zweiter Vorsitzender, dann als Vorsitzender.“ Schirbort bekleidete dieses Amt von 1981 bis 2004.

Die Maloche von der Pike auf gelernt

Auch für diverse Kammergremien war Schirbort tätig. Seine standespolitische „Heimat“ ist und bleibt aber der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ). Schirbort: „Ich bin Freiverbändler mit Leib und Seele. Das Hauptthema ist, dass wir verhindern müssen, dass das Gesundheitswesen staatlich bestimmt wird – ein Thema, das mich tief bewegt.“ Schirbort trat 1967 ein und hatte von 1979 bis 1991 den Landesvorsitz Niedersachsen inne. Er kämpfte gegen das Sachleistungssystem, dessen bürokratische Vorgaben, Kontrollen und Sanktionen: „Ich habe mich immer dafür verwendet, dass mehr Freiheit ins System kommt, dass die Eigenverantwortung sowohl bei den Leistungsträgern als auch bei den Leistungsempfängern greift.“

Ihm war es wichtig, in seinen Ämtern tatsächlich die Politik umzusetzen, die er aus dem Freien Verband heraus verinnerlicht hatte. Seine kritische Distanz zu dieser Zeit kommt rückblickend. „Das habe ich aus Überzeugung mitgemacht, bis ich gemerkt habe, dass die guten Ansätze nicht mehr praktisch nachvollziehbar waren. Dass das, was wir machen wollten, gar nicht möglich war.“

Es war aus dieser FVDZ-Politik heraus folgerichtig, dass die sogenannte Korb-Idee geboren wurde. Korb, das war der Weg hin zum Ziel: die Kassenzulassung abzugeben und nur noch frei zu praktizieren. Schirbort erinnert sich: „Für den Korb bin ich zu einem großen Teil verantwortlich. Ich will mich nicht als überheblich bezeichnen, aber ich bin der Vater des Korbes gewesen. Ich habe das Modell Mitte der 80er Jahre erstmals auf einer Landesversammlung des Freien Verbandes in Niedersachsen vorgestellt. Der Korb entstand nicht, weil es uns materiell schlecht ging. Es ging um ideologische Gründe. Hauptgrund war, dass man uns immer mehr Rechte weggenommen hat.“ Das Modell fand enormes Interesse, in etlichen Ländern bildeten sich „Korb-Initiativen“.

1992 spitzte sich die Budgetdiskussion zu. Schirbort zog als Botschafter des Freien Verbandes durch das Land und warb vehement für das Ende der Kassenpraxis. Zuvor waren die Eckpunkte für das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) bekannt geworden. Im sogenannten Kompromiss von Lahnstein wollten CDU, FDP und SPD die explodierenenden Kosten im Gesundheitswesen in den Griff bekommen und hatten sich auf folgende Punkte geeinigt: Zuzahlungen durch GKV-Versicherte, Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen, mehr Wettbewerb für die Kassen – und eine jahrelang festgelegte Budgetierung der ärztlichen und zahnärztlichen Vergütung.

Schirbort formulierte damals in einem Vortrag Ende Oktober 1992 in Mainz so: „In der Praxis werden wir Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen sein und in den Ehrenämtern der Selbstverwaltung zu reinen Erfüllungsgehilfen der Ministerialbürokratie degradiert. Eine qualifizierte Zahnheilkunde wird es damit nicht geben. Wer das mit sich geschehen lassen will, muss im System der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben. Wer das alles nicht will, muss die GKV verlassen.“

Rückblickend wurde das Korb-Modell nie realisiert. Schirbort bilanziert heute: „Wir hatten schon über 50 Prozent im Korb, konnten uns aber dann berufsintern nicht einig werden, ob das reicht, deshalb haben wir das Modell nicht umgesetzt. Das Ergebnis wäre zu knapp gewesen.“ Als Vorsitzender der KZV Niedersachsen musste er sich einer besonderen Herausforderung stellen. Im Jahr 1995 erfolgte im Rahmen eines Honorarstreits mit den Kassen ein vertragsloser Zustand, vom Sozialministerium wurde vorübergehend ein Staatskommissar in der KZV eingesetzt. Die KZV habe sich hierbei stets im Rahmen des Gesetzlichen bewegt, erklärt Schirbort rückblickend. Dennoch seien hier viele Emotionen hochgekocht, bei der Kollegenschaft wie auch in der Öffentlichkeit. Schirbort: „Wir mussten Telefonterror aushalten, bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt. Es gab Anzeigen beim Finanzamt, die haltlos waren. Das ist alles im Sande verlaufen.“ Und warum das alles? Schirbort analysierte damals das Ansinnen der Politik und formulierte es im Niedersächsischen Zahnärzteblatt so: „Man will den Vorsitzenden der KZVN diskreditieren und das nicht nur in Niedersachsen, sondern vor allem auf Bundesebene.“

Denn Schirbort war damals schon Vorsitzender der KZBV. Sein Stellvertreter war Dr. Peter Kuttruff. Im Programm der neuen, 1994 gewählten KZBV-Vorstandsmannschaft aus Mitgliedern des Freien Verbandes standen unter anderem eine Neubestimmung des GKV-Leistungskataloges durch Festlegung einer „guten und ausreichenden Grundversorgung“, ein klares Bekenntnis zu Kostenerstattung und Festzuschüssen, die freie Arztwahl und die Abschaffung von Deckelung und Degression. Ein großes Thema war und blieb die Budgetproblematik. Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer forderte weiterhin die Begrenzung zahnärztlicher Leistungen, der parlamentarische Werdegang für die GKV-Neuordnungsgesetze I und II hatte begonnen. Schirbort: „Der Gesamtvorstand ist dagegen losgegangen. Damals habe ich den einfachen Satz geprägt, von dem ich nie gedacht hätte, dass er in der Politik so viel Furore macht: Mit begrenzten Mitteln gibt es keine unbegrenzten Leistungen.“

Zahnmedizin funktioniert nicht mit Erfüllungsgehilfen

Wie war das Verhältnis Schirborts zur Politik insgesamt? Der ehemalige KZBV-Vorsitzende erinnert sich: „Ich bin mit den Politikern besser ausgekommen als man denkt. Es geht nicht ohne politische Kontakte. In manchen Dingen war ich schon weiter als man nach außen vermitteln konnte.“ Unter Schirborts Ägide wurde 1996 das Bonner Hauptstadtbüro der KZBV eröffnet, die politische Lobbyarbeit wurde intensiviert, legendär waren die Sommerempfänge mit Politikern im Bonner Rheinhotel Dreesen.

Schirbort sieht die Bilanz seiner KZBV-Amtszeit positiv: „Wir haben trotz schwierigster Bedingungen Einiges hinbekommen: Die Mehrkostenregelung ist erfolgt, es gibt die Festzuschüsse (wenn auch in anderer Form, als wir uns das vorgestellt hatten), auch in der Datenfrage haben wir mit der Sensibilisierung des Datenschutzbeauftragten damals eine Menge erreicht, wobei wir es geschafft haben , die Medien auf unsere Seite zu ziehen. Wir haben viel bewegt in diesem KZBV-Vorstand, selbst Dinge, die wir nicht für möglich gehalten haben. Aber: Es war leider nicht die Änderung des Systems in toto, so wie wir uns das vorgestellt hatten.“

Das Korbmodell

Die Idee des Korbes tauchte erstmals 1903 auf dem 31. Deutschen Ärztetag in Köln auf. Es geht um die kollektive Rückgabe der Kassenzulassung von Ärzten und Zahnärzten und einen Ausstieg aus dem System der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Näheres ist geregelt in § 95 b SGB V. Wenn mehr als 50 Prozent aller Vertragsärzte und/oder -zahnärzte in einem Zulassungsbezirk ihre Zulassung zurückgeben, geht dort der Sicherstellungsauftrag auf die Kassen über, die dann versuchen werden, in Form von Einzel- oder Gruppenverträgen die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Verträge mit den ausgestiegenen Ärzte sind nicht zulässig. Die Zulassung kann frühestens nach sechs Jahren wieder erteilt werden. Bei der Rückgabe der Zulassung gilt Vertraulichkeit, verwaltet wird der Prozess über einen Treuhänder oder Notar.

Das Korbmodell im zahnärztlichen Bereich ist ein Ur-Thema des FVDZ. Bei den Ärzten kämpften Ende der 2000er Jahre der Vorsitzende des bayerischen Hausärzteverbandes, Dr. Wolfgang Hoppenthaller, und der Vorsitzende des MEDI-Verbundes, Dr. Werner Baumgärnter, – erfolglos – für den Ausstieg aus der GKV.

Die heutige gesundheitspolitische Entwicklung – die Einschränkung der Selbstverwaltung im GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz mit dem Staatskommissar light, die Diskussion um die Bürgerversicherung oder die wachsende Bürokratie – erscheint ihm wie ein Déjà-vu: „Die Probleme, die wir heute haben, stehen schon seit Jahrzehnten auf der Agenda. Der Kampf gegen die Eingriffe des Staates in die Selbstverwaltung, gegen die Einheitsversicherung und Sachleistung geht weiter.“

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