Okklusion und Implantate
Zum Ersatz verloren gegangener Zähne stellt implantatgetragener Zahnersatz ein etabliertes Therapiemittel der modernen Zahnmedizin dar. Um der stetig steigenden Patientenzahl gerecht zu werden und dabei eine möglichst gute Langzeitstabilität sicherzustellen, ist es sinnvoll, die einwirkenden Kräfte zu verstehen und in die prothetische Behandlung zu integrieren.
So versucht Weinberg, Überbelastungen und ein frühzeitiges Versagen der Implantate durch eine vertikale Krafteinwirkung und eine daraus resultierende Reduktion des ansetzenden Torque zu vermeiden [Weinberg, 1998]. In diesem Zusammenhang ist Torque als Drehmoment zu verstehen, das nach Zipprich et al. an der Implantat-Abutment-Verbindung ansetzt (Abbildungen 1 und 2).
Im Zuge dessen beschreibt Weinberg das Zusammenwirken bestimmter Faktoren bei der Belastung dentaler Implantate. Dabei sind die Implantatposition, das Abutmentdesign und die Höckerinklination Faktoren, die die Krafteinwirkung auf das Implantat bestimmen und durch die zahnärztliche Behandlung direkt beeinflusst werden können [Weinberg, 2001].
Die modifizierte okklusale Gestaltung des implantatgetragenen Zahnersatzes soll einen möglichst parallel zum Implantat ansetzenden Kraftarm ermöglichen. Demnach führt eine Reduzierung der Höckerneigung zu einer axialeren Belastung des Implantats (Abbildung 3). Eine Verzahnung der implantatgetragenen Suprastrukturen im Oberkiefer im Kopf- (zweiter Prämolar) oder gar im Kreuzbiss (ab dem ersten Molar) soll die exzentrischen Kräfte weiter minimieren.
Vor der prothetischen Versorgung kann im Zuge dessen eine Abflachung des antagonistischen lingualen Höckers notwendig sein. Um darüber hinaus weiterhin die vertikal einwirkenden Kräfte durch antagonistische Höcker zu reduzieren, sollten die Okklusalflächen 1,5 mm große horizontale Fossae aufweisen [Weinberg, 2001]. Dies macht auch das Anpassen der bereits vorhandenen antagonistischen Restaurationen notwendig [Weinberg, 2001]. Extraaxiale Belastungen implantatgetragener Inzisivi im Oberkiefer sollen durch einen horizontalen lingualen Stopp verhindert werden. In der dynamischen Okklusion bestimmt die jeweilige Patientensituation, ob eine balancierte oder eine eckzahngeführte Okklusion angewendet wird.
Diese Richtlinien werden von weiteren Autoren wie Chen et al., Escalante Vasquez und Gross aufgegriffen und teilweise ergänzt. So wird zur weiteren Reduzierung einer extraaxialen Krafteinwirkung eine verringerte Ausdehnung der Okklusalfläche in bukko-lingualer Richtung angeraten, um zusätzlich übermäßige statische und dynamische Kräfte auf das Implantat zu verhindern [Chen et al., 2008; Escalante Vasquez, 2013; Gross, 2008; Sheridan et al., 2016].
In diesem Zusammenhang wird häufig auf die stark eingeschränkte Kompensationsfähigkeit und die stark eingeschränkte Taktilität eines dentalen Implantats durch das Fehlen eines parodontalen Ligaments sowie auf die negativen Auswirkungen einer Supraokklusion auf periimplantären Knochen und das Implantat verwiesen. Im Folgenden soll überprüft werden, ob diese Ansichten und vorgestellten Richtlinien den heutigen Erkenntnissen entsprechen und inwiefern sie noch Gültigkeit besitzen.
Supraokklusion und Knochenabbau
Während dem natürlichen Zahn durch die Befestigung über parodontale Fasern und der damit verbundenen Mobilität die Fähigkeit zugeschrieben wird, okklusale Belastungen zu erkennen, auszugleichen und sich an neue okklusale Situationen anzupassen, zeigt ein osseointegriertes Implantat mit weitaus niedrigeren Werten eine stark eingeschränkte Mobilität und Kompensationsfähigkeit [Chen et al., 2008; Escalante Vasquez, 2013].
Diverse Tierstudien überprüfen dabei einen möglichen Zusammenhang zwischen okklusalem Trauma und periimplantärem Knochenabbau. Dabei konnten Duyck et al. an Kaninchen zeigen, dass übermäßige dynamische Belastungen zu Knochendefekten um osseointegierte Implantate herum führen können, sie den Kontakt zwischen Implantat und Knochen jedoch nicht signifikant verringern [Duyck et al., 2001].
Darüber hinaus äußern Miyata et al. in einer weiteren Tierstudie zwar die Vermutung, dass eine Supraokklusion auch ohne eine periimplantäre Entzündung eine mögliche Ursache von Knochenabbau sein könnte, finden dafür aber keinen Nachweis [Miyata et al., 2000]. Ebenso kann bei Heitz-Mayfield et al. unter entzündungsfreien Bedingungen kein marginaler Knochenverlust durch eine übermäßige okklusale Beanspruchung osseo integrierter Implantate provoziert werden [Heitz-Mayfield et al., 2004].
Kozlovsky et al. haben den Zusammenhang zwischen Supraokklusion und plaqueinduziertem, periimplantärem Knochenabbau bei Hunden überprüft. Die Untersuchung zeigt eine statistisch signifikante verstärkte Knochenresorption bei einer Kombination aus plaqueinduzierter Entzündung und okklusaler Überbelastung [Kozlovsky et al., 2007]. Der so aufgezeigte Zusammenhang findet weitere Unterstützung in der Literatur [Isidor, 1997; Naert et al., 2012]. Hingegen fehlt eine klare Aussage darüber, ob ein Knochenrückgang durch das alleinige Vorliegen einer Supraokklusion entsteht. Davon abgesehen konnten auch bei humanen Untersuchungen keine klaren Nachweise dafür gefunden werden [Naert et al., 2012].
Obgleich Mattheos et al. eine entstandene Mobilität bereits osseointegrierter Implantate in Abwesenheit von Plaque und Entzündungszeichen beschreiben, die durch bloßes Beseitigen der okklusalen Belastung behoben wurde [Mattheos et al., 2013], weist ein 2016 veröffentlichter Review von Graves et al. darauf hin, dass zum heutigen Zeitpunkt kein eindeutiger Zusammenhang zu finden ist [Graves et al., 2016].
Taktilität dentaler Implantate
Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb implantatgetragene Konstruktionen einer solchen okklusalen Überbelastung über längere Zeit ausgesetzt sein können. Hier hält sich die These, dass Implantate wegen des fehlenden parodontalen Ligaments okklusale Vorkontakte nicht beziehungsweise nur bedingt wahrnehmen und deshalb eine traumatische Okklusion bestehen kann.
Dem widerspricht der Begriff der „Osseo- perzeption“, der die Taktilität dentaler Implantate beschreibt [Klineberg et al., 1999]. Rezeptoren in der Muskulatur, in der Gingiva, im Kiefergelenk und im Periost ermöglichen eine taktile Sensibilität osseointegrierter Implantate, trotz Abwesenheit eines parodontalen Ligaments.
Enkling et al. haben dies in einer klinischen Studie überprüft. Hierzu wurden natürliche Antagonisten implantatgetragener Einzelzahnkronen sowie die dazu korrespondierenden Zähne der kontralateralen Seite mit natürlichen Antagonisten lokal anästhesiert. Messungen unter Zuhilfenahme von Folien unterschiedlicher Dicke konnten im direkten Vergleich eine implantateigene Taktilität bestätigen [Enkling et al., 2012]. Darüber hinaus haben Enkling et al. in einer weiteren Studie die Taktilität bei einer Zahn-zu-Zahn- sowie bei einer Zahn-zu-Implantat-Beziehung untersucht und dabei ähnliche Werte festgestellt [Enkling et al., 2007].
Zur weiteren Verbesserung dieser nachgewiesenen Taktilität empfehlen Tokmakidis et al. jedoch, bei einer umfangreichen implantatgetragenen Prothetik natürliche Zähne nach Möglichkeit zu erhalten und einzubeziehen [Tokmakidis et al., 2009].
Eine Metaanalyse von Muddugangadhar et al. zeigt dabei allerdings höhere Fehlerraten bei kombiniert zahn- und implantatgetragenem Zahnersatz als bei rein implantatgetragenen Varianten, so dass der Einsatz einer solchen Konstruktion mit höchster Sorgfalt erfolgen sollte [Muddugangadhar et al., 2015]. Zusätzliche taktile Informationen der Mundschleimhaut kommen darüber hinaus kombiniert gingival- und implantatgetragenen Deckprothesen zugute [Tokmakidis et al., 2009]. Folglich können inter-okklusale Kontakte sowohl bei festsitzendem als auch bei herausnehmbarem implantatverankertem Zahnersatz wahrgenommen und bei der Adjustierung der Okklusion am Patientenstuhl berücksichtigt werden.
Planung des implantat-getragenen Zahnersatzes
Demnach ermöglicht die „Osseoperzeption“ eine implantateigene Empfindung der okklusalen Situation. Im Zuge der Osseointegration bleibt die zahneigene Kompensationsfähigkeit jedoch aus, was laut Weinberg bei Überbelastungen Auswirkungen am Implantat haben und durch Modifikation der Okklusalfläche ausgeglichen werden kann [Weinberg, 1998]. Nach heutigem Stand zeigt sich jedoch weniger ein Versagen des Implantats. Vielmehr kommt es als Folge der Fehlbelastung zu Frakturen der prothetischen Versorgung (zum Beispiel Chipping), der Abutmentschraube oder des Abutments [Chen et al., 2008; Escalante Vasquez et al., 2013; Fu et al., 2012; Kim et al., 2005].
So kann als weitere Ursache (okklusaler) Fehlbelastung auch eine parafunktionelle Aktivität vorliegen. Bezogen auf Bruxismus können Brandt et al. diesen zwar als Risikofaktor nicht gänzlich ausschließen, bezeichnen die Studienlage aber als „vage“ und schließen unter Einhaltung bestimmter Vorgaben implantatgetragenen Zahnersatz im parafunktionell aktiven Gebiss nicht aus [Brandt et al., 2015]. Hier ist es nach Abschluss der prothetischen Versorgung sinnvoll, einen neuen Aufbissbehelf im Sinne einer Night-guard-Schiene anzufertigen [Gross, 2008].
Darüber hinaus kann jedoch auch eine ungünstig gewählte Implantatposition dazu führen, dass kein regelrechtes Einwirken der Kräfte möglich ist und Scherkräfte entstehen. Deshalb sollte vor einer implantologischen und prothetischen Behandlung ein aktueller zahnärztlicher Befund mit Abklärung einer eventuellen CMD-Symptomatik erfolgen. Unter Beachtung der jeweiligen Befunde können vorhandene Parafunktionen und notwendige Vorbehandlungen in den Behandlungsplan integriert werden. Im Zuge dessen ermöglichen konventionelle beziehungsweise digitale Modelle eine optimale Planung des späteren implantatgetragenen Zahnersatzes [Belser et al., 2000].
Weiterhin erlaubt ein „Backward Planning“, die später gewünschte Okklusion bei der Positionierung der Implantate zu berücksichtigen und so bereits vor Insertion einer Fehlbelastung zuvorzukommen. Eine ausreichende Anzahl und die richtige Verteilung der Pfeiler führt darüber hinaus zu einer gleichmäßigen Kraftübertragung von okklusal verursachtem Stress auf den lokalen Knochen, was negative Auswirkungen auf das umliegende Gewebe vermeidet und die Prognose damit verbessert [Duyck et al., 2000].
Folglich ist eine Implantation in der ursprünglichen Zahnachse anzustreben, obgleich bei festsitzendem Zahnersatz laut Koutouzis et al. im Vergleich von axial und schräg gesetzten Implantaten keine statistisch signifikante Korrelation zwischen Implantatinklination und periimplantärem Knochenverlust vorliegt [Koutouzis et al., 2007]. Lin et al. zeigen jedoch, dass eine bessere Belastungsverteilung bei axial gesetzten Implantaten möglich ist [Lin et al., 2008].
Die Implantatposition und die Inklination werden allerdings auch durch die vorliegenden anatomischen Verhältnisse beeinflusst, was die Insertion in der gewünschten Achse nicht immer möglich macht. Angulierte Abutments helfen zwar, abweichende Achsen auszugleichen, werden jedoch kontrovers diskutiert [Cavallaro et al., 2011]. So beschreiben Sethi et al. gleiche Überlebensraten bei Abutments mit unterschiedlicher Abwinkelung [Sethi et al., 2000].
Weiterhin können Tian et al. zufolge Abutments mit passender Angulation die einwirkenden Belastungen auf den umliegenden Knochen reduzieren [Tian et al., 2012]. Dem widersprechen Clelland et al. und Kao et al., die eine höhere Beanspruchung des kortikalen Knochens bei steigender Angulation des Aufbaus beschreiben [Clelland et al., 1995; Kao et al., 2008]. Laut Al-Ghafli et al. setzt eine steigende Angulation der Implantate jedoch die Langzeitstabilität bei implantatgetragenen Deckprothesen herab, da ein häufigerer Austausch der Komponenten notwendig ist [Al- Ghafli et al., 2009].
So kann bei okklusal belasteten Implantaten neben der richtigen Position und der richtigen Abutmentangulation auch durch die Wahl des richtigen Implantatsystems mit entsprechender Implantat-Abutment-Verbindung Einfluss auf die Langzeitstabilität genommen werden. So korreliert laut einer In-vitro-Studie von Dittmer et al. die Belastbarkeit direkt mit der Art der Verbindung [Dittmer et al., 2011], wobei nach innen verlagerte Verbindungen durch zyklische Belastungen einen signifikant höheren Frakturwiderstand aufweisen als externe [Coray et al., 2016].
Eine weitere In-vitro-Studie untersucht die Frakturresistenz von Zirkon- und Titanabutments mit innen liegender Implantat-Abutment-Verbindung [Foong et al., 2013]. In einem Kaukraftsimulator wurden intraorale Belastungen auf implantatgetragene Frontzahnkronen imitiert. Dabei zeigten sich bei Titanabutments Frakturen und plastische Verformungen der Schraube sowie plastische Verformungen des Abutments und des Implantats. Das Zirkonabutment zeigt wiederum Frakturen im apikalen Bereich des Aufbaus. Im Zuge der Untersuchung haben beide Abutmenttypen im Bereich der physiologischen Belastung versagt, wobei die Überlebensrate der Titanabutments aber signifikant höher liegt als die der zirkongefertigten Variante. Shabanpour et al. können darüber hinaus – unter statischer Belastung – einen Zusammenhang zwischen der Widerstandsfähigkeit eines Abutments und dessen Durchmesser nachweisen, wobei sich die Frakturresistenz mit steigendem Durchmesser erhöht [Shabanpour et al., 2015].
Demzufolge ist vor allem die Kombination eines Zirkonabutments mit einem schmalen Implantat mit größter Sorgfalt anzuwenden. Weiterhin wird die Empfehlung ausgesprochen, Zirkonabutments nur schwachen okklusalen Belastungen auszusetzen.
Okklusion
So wird im Allgemeinen durch eine exakt adjustierte Okklusion positiv Einfluss auf die Langzeitprognose zahn- und implantatgetragenen Zahnersatzes genommen. Zur Gestaltung der Okklusalfläche gibt es dabei unterschiedliche Konzepte, wobei das biomechanische Aufwachskonzept nach Polz häufig Anwendung findet. Es widerspricht jedoch einigen Empfehlungen Weinbergs, sodass hier das Verhältnis zwischen Fossae und Höckern und die dadurch entstehenden Fissuren das natürliche Vorbild korrekt nachahmen sollen. Sogenannte Rucksäcke erlauben eine zentrale Abstützung, ein schnelles Diskludieren bei dynamischer Okklusion sowie eine axiale Krafteinwirkung. Darüber hinaus ermöglicht ein okklusaler Kompass, die vorhandenen Bewegungsmuster und den „immediate side shift“ nachzuvollziehen und damit eine anatomisch korrekte Nachbildung bei prothetischer Neuversorgung [Schunke, 2010].
Mit dieser funktionsorientierten Gestaltungsweise und unter Berücksichtigung der individuellen Patientensituation ist es auch bei implantatgetragenen Suprastrukturen möglich, Kontaktpunkte gleichmäßig über die volle Größe der okklusalen Fläche zu erstrecken, ohne dabei den Wunsch nach axialer Belastung zu vernachlässigen [Lotzmann, 1995]. Auch wenn Klineberg et al. kein bestimmtes okklusales Design empfehlen können, kommen sie zu dem Schluss, implantatgetragene Suprastrukturen wie zahngetragenen Zahnersatz zu behandeln und ein effektives Konzept anzuwenden, das einen hohen Patientenkomfort bietet und eine physiologische Belastung gewährleistet [Klineberg et al., 2007].
Die Gestaltung nach dem anatomischen Vorbild entspricht diesen Anforderungen und bringt zudem eine verbesserte Ästhetik mit sich. Denn ein benanntes Ziel der modernen Zahnmedizin ist es, den Zahnersatz ohne sichtbaren Unterschied zu den natürlichen Zähnen anzugleichen. Die von Weinberg im Seitenzahnbereich angeratene Verzahnung im Kopf- beziehungsweise im Kreuzbiss kann jedoch zu einem sichtbar vergrößerten Bukkalkorridor und zu einem unharmonischen Verlauf des Zahnbogens führen. Eine verringerte Ausdehnung in bukko-lingualer Richtung verstärkt diesen Effekt zusätzlich, beeinflusst zudem das Emergenzprofil negativ und führt durch die verkleinerte Kaufläche zu einer reduzierten Kauleistung. Die vollanatomisch konstruierte Suprastruktur ermöglicht folglich eine naturidentische Rekonstruktion, einen erhöhten Kaukomfort und eine gleichmäßige Kraftübertragung, die nicht nur durch statische, sondern auch durch dynamische Kontakte beeinflusst wird. Hierzu stehen bei entsprechender Indikation unterschiedliche dynamische Okklusionskonzepte zur Verfügung. Im natürlich bezahnten Gebiss wird eine dynamische Führung im Front-Eckzahn-Bereich angestrebt [Singh et al., 2014]. In der Teilprothetik wird häufig eine unilateral balancierte Okklusion angewendet.
Die bilateral balancierte Okklusion findet vermehrt in der Totalprothetik Anwendung. Sie soll dabei zu einer höheren Stabilität der Prothese bei exzentrischen Bewegungen mit einer Verbesserung der Kauleistung, zu einer zentralen Belastung des Knochens und dadurch zu einer geringeren Knochenatrophie führen [Peroz et al., 2003]. Neuere Untersuchungen befürworten jedoch den Einsatz der eckzahngeführten dynamischen Okklusion bei gingival getragenen Totalprothesen, die im Vergleich zur bilateralen Alternative äquivalente bis bessere Beurteilungen zeigen [Farias-Neto et al., 2013; Peroz et al., 2003; Schierz et al., 2016].
Um die Einsetzbarkeit auch bei implantatgetragenen Deckprothesen zu überprüfen, wurden in einer klinischen Cross-over-Studie von Abdelhamid et al. die Auswirkungen auf den Musculus masseter durch eine bilateral balancierte sowie eckzahngeführte dynamische Führung untersucht [Abdelhamid et al., 2015].
Die elektromyografisch erfasste Muskelaktivität zeigte hierbei keine statistisch signifikanten Unterschiede und weist damit die eckzahngeführte Okklusion als alternatives Konzept aus. Darüber hinaus verliert die bilateral balancierte Okklusion an Bedeutung, da der benannte Vorteil zur Erhöhung der Stabilität einer Totalprothese durch Verankerung des Zahnersatzes auf Implantaten in den Hintergrund gerät. Weiterhin ermöglicht die eckzahngeführte Okklusion nicht nur bei herausnehmbarem Zahnersatz neben einem geringeren zahntechnischen und zahnärztlichen Aufwand eine Reduzierung der exzentrischen Kräfte auf weitere Zahn- und Implantatpfeiler. So kann die dynamische Eckzahnführung bei herausnehmbarem und bei festsitzendem Zahnersatz standardmäßig empfohlen werden, auch wenn laut Kim et al. und Mericske-Stern et al. die Wahl des Okklusionsprinzips vom Pfeilerangebot, von der antagonistischen Bezahnung und von der geplanten Verankerungsart des implantatgetragenen Zahnersatzes abhängt [Kim et al., 2005; Mericske- Stern et al., 2000].
Um dies umsetzen zu können, sollte bei der Planung vor einer Implantation überprüft werden, ob eine eckzahngestützte Führung vorhanden ist beziehungsweise wie und ob diese realisierbar ist (Aufbau der Eckzähne durch Kronen oder keramische Führungsflächen). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Eckzahn durch einen implantatgestützten Zahnersatz zu ersetzen. Um hier trotz der erhöhten Belastung eine gute Prognose zu gewährleisten, ist die Betrachtung des natürlichen Zahnes sinnvoll. Dabei fällt auf, dass der Caninus seine für die Führung notwendige Stabilität durch die feste Verankerung einer langen Wurzel erhält. Um diese Stabilität auf das Implantat zu übertragen, ist auf eine ausreichende Länge, einen ausreichenden Durchmesser des Implantats und auf ausreichend periimplantären Knochen zu achten [Gross, 2008].
Zusammenfassung und Ausblick
So wurden Weinbergs Richtlinien zur Gestaltung der Okklusalfläche ursprünglich zum Schutz der dentalen Implantate und des periimplantären Knochens erstellt. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass das alleinige Vorliegen einer Supraokklusion keinen nachgewiesenen Einfluss auf den periimplantären Knochen hat.
Übermäßige okklusale Belastungen können zwar durch eine implantateigene Taktilität wahrgenommen werden, führen jedoch zu Auswirkungen an der Implantat- Abutment-Verbindung und am darauf verankerten Zahnersatz.
Dabei bedingen statische Belastungen in den vorgebrachten In-vitro-Studien Frakturen beziehungsweise Deformationen der Schraube oder des Abutments. Das Implantat an sich ist nur selten Opfer zyklischer Belastungen. Somit schützt eine reduzierte Ausdehnung der Kaufläche nicht das Implantat. Vielmehr wird die Implantat-Abutment-Verbindung entlastet, die Fehlbelastungen am wenigsten toleriert. Diese kann durch den Einsatz eines angemessenen Implantat- und Abutmentdurchmessers sowie Abutmentmaterials vor frühzeitiger Materialermüdung geschützt und eine ausreichende Unterstützung der Suprastruktur sichergestellt werden.
Dies lässt die Gestaltung der Kaufläche nach vollanatomischem Vorbild mit regelrechter Okklusion zu, was darüber hinaus eine verbesserte Ästhetik, eine verbesserte Kaufunktion und eine verbesserte Kraftübertragung ermöglicht (Abbildungen 4, 5a und 5b).
Dr. Anna Kunzmann
OÄ Dr. Silvia Brandt
Univ.-Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer
Zentrum der ZMK (Carolinum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M.
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
kunzmann@med.uni-frankfurt.de
Okklusion gestalten: Alle Artikel zur Fortbildung
Okklusion und Prothetik - mit CME
Das Würzburger Autorenteam Prof. Dr. Marc Schmitter, PD Dr. Nikolaos Nikitas Giannakopoulos, Dr. Sophia Terebesi, Prof. Dr. Hans J. Schindler und Dr. Daniel Hellmann diskutiert die Frage, wie zeitgemäße Okklusionskonzepte vor dem Hintergrund neuer Materialien und Verfahrenstechniken aussehen sollten. Für die prothetische Rehabilitation empfehlen sie die Wiederherstellung eines individuellen und interferenzfreien Kauflächenreliefs.
Okklusion und Bruxismus - mit CME
Bruxismus gilt als Risikofaktor für eine erhöhte Abnutzung der Zähne und das Versagen von Restaurationen und Zahnersatz. Darum ist es die Aufgabe des Zahnarztes, eine Bruxismusaktivität zu erkennen, präventive Maßnahmen einzuleiten und Restaurationen und Zahnersatz so zu planen, dass sie den erhöhten Belastungen standhalten. Dr. Matthias Lange, Berlin, beschreibt die zwei gängigen Strategien: Verkleinerung der wirksamen Okklusalflächen und Verwendung widerstandsfähiger Materalien und Konstruktionen.
Okklusion - Kultur versus Natur
Für eine komplett andere Auseinandersetzung mit dem Thema Okklusion – aus der Perspektive der Evolutionsforschung – plädieren Prof. Dr. Kurt Alt, Basel/Krems, Dr. Ottmar Kullmer, Frankfurt, und Prof. Jens Türp, Basel: Die Abnutzungsvorgänge/ Hartgewebeveränderungen dürfen nicht länger als pathologisch bezeichnet werden. Vielmehr ist die „perfekte“, evoluiv bewährte, abasionsbedingte Okklusion der heutigen statischen, „zementierten“ Okklusion vorzuziehen.
Okklusion und Rehabilitation
Konträr dazu argumentieren Prof. Dr. Alfons Hugger, Düsseldorf, und Prof. Dr. Hans-Jürgen Schindler, Würzburg, dass die unterschiedlichen Lebensphasen eines Menschen eine Rehabilitation der Okklusion verlangen. Die profilierte Kauflächengestaltung dient der notwendigen Wiederherstellung eines kompromittierten Kausystems. Vor allem die Patientenpopulation 60+ braucht eine akzentuierte Gesaltung, um die neuro-muskulären Defizite auszugleichen.
Literaturliste
Abdelhamid AM, Hanno KI, Imam MH. A prospective cross-over study to evaluate the effect of two different occlusal concepts on the masseter muscle activity in implant-retained mandibular overdentures. Int J Implant Dent 2015;1:32. journalimplantdent.springeropen.com/articles/10.1186/s40729-015-0034-y (Stand 13.02.2017)
Al-Ghafli SA, Michalakis KX, Hirayama H, Kang K. The in vitro effect of different implant angulations and cyclic dislodgement on the retentive properties of an overdenture attachment system. J Prosthet Dent 2009;102:140-147.
Belser UC, Mericske-Stern R, Bernard JP, Taylor TD. Prosthetic management of the partially dentate patient with fixed implant restorations. Clin Oral Implants Res 2000;11 Suppl 1:126-145.
Brandt J, Brenner M, Lauer H-C, Brandt S. Risikofaktor Bruxismus in der Implantatprothetik. Implantolgie 2015;23:51-65.
Cavallaro J, Jr., Greenstein G. Angled implant abutments: a practical application of available knowledge. J Am Dent Assoc 2011;142:150-158.
Chen Y-Y, Kuan C-L, Wang Y-B. Implant occlusion: biomechanical considerations for implantsupported protheses J Dent Sci 2008;3:65-74.
Clelland NL, Lee JK, Bimbenet OC, Brantley WA. A three-dimensional finite element stress analysis of angled abutments for an implant placed in the anterior maxilla. J Prosthodont 1995;4:95- 100.
Coray R, Zeltner M, Ozcan M. Fracture strength of implant abutments after fatigue testing: A systematic review and a meta-analysis. J Mech Behav Biomed Mater 2016;62:333-346.
Dittmer S, Dittmer MP, Kohorst P, Jendras M, Borchers L, Stiesch M. Effect of implant-abutment connection design on load bearing capacity and failure mode of implants. J Prosthodont 2011;20:510-516.
Duyck J, Ronold HJ, Van Oosterwyck H, Naert I, Vander Sloten J, Ellingsen JE. The influence of static and dynamic loading on marginal bone reactions around osseointegrated implants: an animal experimental study. Clin Oral Implants Res 2001;12:207-218.
Duyck J, Van Oosterwyck H, Vander Sloten J, De Cooman M, Puers R, Naert I. Magnitude and distribution of occlusal forces on oral implants supporting fixed prostheses: an in vivo study. Clin Oral Implants Res 2000;11:465-475.
Enkling N, Heussner S, Nicolay C, Bayer S, Mericske-Stern R, Utz KH. Tactile sensibility of singletooth implants and natural teeth under local anesthesia of the natural antagonistic teeth. Clin Implant Dent Relat Res 2012;14:273-280.
Enkling N, Nicolay C, Utz KH, Johren P, Wahl G, Mericske-Stern R. Tactile sensibility of singletooth implants and natural teeth. Clin Oral Implants Res 2007;18:231-236.
Escalante Vasquez R. Management of occlusion over implants, part 2: three 10-year case follow-ups and evaluations. Dent Today 2013;32:132, 134-135.
Escalante Vasquez R. Management of occlusion over implants, Part I. Three 10-year case follow-ups and evaluations. Dent Today 2013;32:106, 108, 110-101.
Farias-Neto A, Carreiro Ada F. Complete denture occlusion: an evidence-based approach. J Prosthodont 2013;22:94-97.
Foong JK, Judge RB, Palamara JE, Swain MV. Fracture resistance of titanium and zirconia abutments: an in vitro study. J Prosthet Dent 2013;109:304-312.
Fu JH, Hsu YT, Wang HL. Identifying occlusal overload and how to deal with it to avoid marginal bone loss around implants. Eur J Oral Implantol 2012;5 Suppl:91-103.
Graves CV, Harrel SK, Rossmann JA, et al. The Role of Occlusion in the Dental Implant and Periimplant Condition: A Review. Open Dent J 2016;10:594-601.
Gross MD. Occlusion in implant dentistry. A review of the literature of prosthetic determinants and current concepts. Aust Dent J 2008;53 Suppl 1:60-68.
Heitz-Mayfield LJ, Schmid B, Weigel C, et al. Does excessive occlusal load affect osseointegration? An experimental study in the dog. Clin Oral Implants Res 2004;15:259-268.
Isidor F. Histological evaluation of peri-implant bone at implants subjected to occlusal overload or plaque accumulation. Clin Oral Implants Res 1997;8:1-9.
Kao HC, Gung YW, Chung TF, Hsu ML. The influence of abutment angulation on micromotion level for immediately loaded dental implants: a 3-D finite element analysis. Int J Oral Maxillofac Implants 2008;23:623-630.
Kim Y, Oh TJ, Misch CE, Wang HL. Occlusal considerations in implant therapy: clinical guidelines with biomechanical rationale. Clin Oral Implants Res 2005;16:26-35.
Klineberg I, Kingston D, Murray G. The bases for using a particular occlusal design in tooth and implant-borne reconstructions and complete dentures. Clin Oral Implants Res 2007;18 Suppl 3:151- 167.
Klineberg I, Murray G. Osseoperception: sensory function and proprioception. Adv Dent Res 1999;13:120-129.
Koutouzis T, Wennstrom JL. Bone level changes at axial- and non-axial-positioned implants supporting fixed partial dentures. A 5-year retrospective longitudinal study. Clin Oral Implants Res 2007;18:585-590.
Kozlovsky A, Tal H, Laufer BZ, et al. Impact of implant overloading on the peri-implant bone in inflamed and non-inflamed peri-implant mucosa. Clin Oral Implants Res 2007;18:601-610.
Lin CL, Wang JC, Ramp LC, Liu PR. Biomechanical response of implant systems placed in the maxillary posterior region under various conditions of angulation, bone density, and loading. Int J Oral Maxillofac Implants 2008;23:57-64.
Lotzmann U. Die Gestaltung der Okklusion in der Implantatprothetik. In Bücking W, Suckert R (Hrsg.): Implantatprothetik. Verlag Neuer Merkur GmbH, München 1995, S. 372.
Mattheos N, Schittek Janda M, Zampelis A, Chronopoulos V. Reversible, non-plaque-induced loss of osseointegration of successfully loaded dental implants. Clin Oral Implants Res 2013;24:347-354.
Mericske-Stern RD, Taylor TD, Belser U. Management of the edentulous patient. Clin Oral Implants Res 2000;11 Suppl 1:108-125.
Miyata T, Kobayashi Y, Araki H, Ohto T, Shin K. The influence of controlled occlusal overload on peri-implant tissue. Part 3: A histologic study in monkeys. Int J Oral Maxillofac Implants 2000;15:425-431.
Muddugangadhar BC, Amarnath GS, Sonika R, Chheda PS, Garg A. Meta-analysis of Failure and Survival Rate of Implant-supported Single Crowns, Fixed Partial Denture, and Implant Toothsupported Prostheses. J Int Oral Health 2015;7:11-17.
Naert I, Duyck J, Vandamme K. Occlusal overload and bone/implant loss. Clin Oral Implants Res 2012;23 Suppl 6:95-107.
Peroz I, Leuenberg A, Haustein I, Lange KP. Comparison between balanced occlusion and canine guidance in complete denture wearers--a clinical, randomized trial. Quintessence Int 2003;34:607- 612.
Schierz O, Reissmann D. Influence of guidance concept in complete dentures on oral health related quality of life - Canine guidance vs. bilateral balanced occlusion. J Prosthodont Res 2016;60:315- 320.
Schunke S. Das biomechanische Prinzip nach Zahntechnikermeister M.H. Polz. Quintessenz Zahntech 2010; 36:50-60
Sethi A, Kaus T, Sochor P. The use of angulated abutments in implant dentistry: five-year clinical results of an ongoing prospective study. Int J Oral Maxillofac Implants 2000; 15:801-810.
Shabanpour R, Mousavi N, Ghodsi S, Alikhasi M. Comparative Evaluation of Fracture Resistance and Mode of Failure of Zirconia and Titanium Abutments with Different Diameters. J Contemp Dent Pract 2015; 16:613-618.
Sheridan RA, Decker AM, Plonka AB, Wang HL. The Role of Occlusion in Implant Therapy: A Comprehensive Updated Review. Implant Dent 2016;25:829-838.
Singh RG, Sinha P. Functional and Aesthetic Full Mouth Rehabilitation of a Severely Worn Dentition to Restore Vertical Dimension: A Case Report. J Indian Prosthodont Soc 2014; 14:210- 214.
Tian K, Chen J, Han L, Yang J, Huang W, Wu D. Angled abutments result in increased or decreased stress on surrounding bone of single-unit dental implants: a finite element analysis. Med Eng Phys 2012; 34:1526-1531.
Tokmakidis K, Wessing B, Papoulia K, Spiekermann H. Belastungsverteilung und Belastungskonzepte auf Zähnen und Implantaten. Z Zahnärztl Impl 2009;25:44-52.
Weinberg LA. Reduction of implant loading using a modified centric occlusal anatomy. Int J Prosthodont 1998;11:55-69.
Weinberg LA. Reduction of implant loading with therapeutic biomechanics. Implant Dent 1998;7:277-285.
Weinberg LA. Therapeutic biomechanics concepts and clinical procedures to reduce implant loading. Part I. J Oral Implantol 2001;27:293-301.
Weinberg LA. Therapeutic biomechanics concepts and clinical procedures to reduce implant loading. Part II: therapeutic differential loading. J Oral Implantol 2001;27:302-310.
Zipprich H, Weigl P, Lange B, Lauer HC: Erfassung, Ursachen und Folgen von Mikrobewegungen am Implantat-Abutment-Interface. Implantologie 2007;15:31-46.