Fortbildung: Toxikologie und Allergologie

Aspekte der Titanverträglichkeit

Peter Thomas
,
Burkhard Summer
,
Gerhard Iglhaut
Der vorliegende Beitrag ergänzt den Fortbildungsteil aus zm 24/2016 mit dem Aspekt eines weiteren, in den Organismus eingebrachten „Fremdkörpers“. Die Autoren diskutieren Titan, das allgemein als inert gilt und die Reaktionen des umliegenden Gewebes darauf. Ihr Fazit: Eine Titanallergie ist bislang nicht belegt, Unverträglichkeiten sind jedoch durchaus beschrieben.

Titan ist ein metallisches Element und findet sich an Position 22 im Periodensystem. Es ist das allgemein siebthäufigste Metall [Barksdale, 1968]. Die wichtigste Verbindung mit bis zu 95 Prozent des global verwendeten Titans ist das TiO2. Es ist weit verbreitet in Form von Mikro- beziehungsweise Nanopartikeln in Verbrauchsgütern, zum Beispiel in Kosmetikartikeln oder auch in Lebensmitteln, um beispielsweise UV-Schutz oder Weißfärbung zu vermitteln. Als typische Titandosis über Lebensmittelaufnahme wird für einen erwachsenen US-Amerikaner der Wert von 1 mg Titan / kg Körpergewicht / Tag angegeben [Weir, 2012].

Titan kommt ebenso in leichten Legierungen zum Einsatz, die eine hohe Korrosionsbeständigkeit und Biokompatibilität aufweisen müssen. Aus diesen Gründen werden Titanlegierungen oder auch Reintitan in vielen metallischen Implantaten verwendet [Fage, 2016]. Die hierbei häufigsten Formen sind die TiAl6V4-Legierung beziehungsweise Reintitan. Wichtig hierbei ist zu wissen, dass auch das sogenannte „Reintitan“ Verunreinigungen durch andere Metalle wie zum Beispiel Nickel enthalten kann [Harloff, 2010]. Insgesamt findet in der Mundhöhle Titanexposition über Zahnpasta, Lebensmittel und dentale Titanimplantate statt.

Titanmaterialien im Bereich der Osteosynthese

Ursprünglich wurden nur Osteosynthesematerialien aus rostfreiem Edelstahl (V4A-Stahl) nach ISO 5832–1 verwendet. Zu deren Hauptanteil Eisen kommen noch etwa 18 Prozent Chrom, etwa 15 Prozent Nickel und rund 3 Prozent Molybdän. Dieser Implantat-Edelstahl ist allerdings nicht korrosionsfrei. Obwohl er an sich durch eine Passivschicht geschützt ist, können Reibung an den Schraubenlöchern, Bewegung bei Lockerung, das  pH-Absinken im Wundmilieu oder auch direkte zelluläre Effekte zur Freisetzung löslicher Produkte führen. Deswegen bildet sich oft eine bindegewebige „Kapsel“ aus – manchmal mit seröser Flüssigkeit. In diesem Umfeld könnten Korrosionsprodukte auch eine allergische Sensibilisierung oder Infektentstehung erleichtern.

Ab den 1980er-Jahren wurde von verschiedenen Arbeitsgruppen [Arens, 1996; Gerber, 1980] im Zellkultur- und Tierversuch der vergleichsweise toxische und wachstumshemmende Effekt von verschiedenen Metallen, darunter Eisen, Chrom und Nickel, im Gegensatz zur hohen „Verträglichkeit“ von Reintitan beschrieben.

So wurden dementsprechend vor allem in Europa Titan und seine Legierungen vermehrt bei Osteosynthese eingesetzt. Neben der vergleichsweise geringeren periimplantären „Gewebereaktion“ werden auch die selteneren Artefakte und der geringere Ferromagnetismus durch Titan in der Kernspintomografie als Vorteile genannt. Dazu kommt das bessere Elastizitätsmodul, wodurch bei ähnlichen Belastungen Reintitan fast zweimal elastischer als Stahl erscheint. Ein „knochenähnlicheres“ Schwingen sollte prinzipiell eine bessere Frakturheilung ermöglichen [Gyaneshwar, 2016].

Von orthopädisch-chirurgisch tätigen Kollegen wird andererseits berichtet, dass bei Titanimplantaten mehr Schraubenbruch-Gefahr besteht – beispielsweise beim Festziehen oder noch eher bei Metallentfernung.

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Titan-basierte Dentalimplantate

Enossale Implantate bestehen hauptsächlich aus Reintitan (cpTi) – sogenannte „Grade 4“ – oder einer Titanlegierung (Ti-6Al-4V) – sogenannte „Grade 5“. Die Makrostruktur stellt meist eine Schraubenform dar. Die Mikrostrukturen von Implantatoberflächen weisen geringe (0,5 bis 1 Micrometer), mittlere (1 bis 2 Micrometer) oder große Rauhigkeiten ( 2 Micrometer) auf und werden durch substraktive Maßnahmen (Sandstrahlen, Säureätzen und/oder Laserstrukturierung) hergestellt [Albrektsson, 2004]. Die hervorragenden biokompatiblen Eigenschaften der Titanmaterialien werden auf die Passivierung der Oberfläche mit einer sehr stabilen Oxidschicht aus verschiedenen Oxiden von TiO, TiO2und Ti2O5 zurückgeführt. Die Korrosionsbeständigkeit des Reintitans und von Titanlegierungen kann generell als ausgezeichnet bezeichnet werden [Zitter, 1990].

Obgleich periimplantäre Ablagerungen von Titanpartikeln schon lange beobachtet werden, können keine negativen Auswirkungen durch Korrosion nachgewiesen werden [Fretwurst, 2016; Schliephake, 1989].

Die Integration der Titankörper wird mit einer Erfolgsaussicht 95 Prozent beschrieben und wird als sogenannte Osseointegration definiert. Darunter versteht man die strukturelle und funktionelle Direktverbindung zwischen der alloplastischen Implantatoberfläche und umgebendem, vitalem Knochengewebe. Es kommt dabei zur direkten Knochenapposition an die Titanoberfläche und nachfolgend zu strukturellen Knochengewebeanpassungen an biomechanische Belastungen [Branemark, 1985; Schenk, 2006]. Im Gegensatz dazu wird die bindegewebige Einscheidung als alleinige Folge der Materialanwesenheit als Fremdkörperreaktion angesehen. Die Einwirkung von relativ schwachen Kräften in der Einheilphase kann durch mechanische Schädigung den Prozess der Osseointegration unterbinden und ebenfalls zur bindegewebigen Einscheidung führen. Chemisch-toxische Schädigungen von Lagergewebe im Sinne einer Metalllose wurden bisher unseres Wissens in Verbindung mit Titanimplantaten in der Literatur nicht beschrieben.

Titanunverträglichkeit und Titan-Allergie

Die an sich sehr stabile Oxidschicht kann beeinträchtigt werden und Korrosion ermöglichen. Dieses kann geschehen durch:

  • elektrochemische Faktoren,

  • einen niedrigen pH der Umgebung,

  • einen niedrigen pH der Umgebung,

  • Sauerstoffmangel,

  • eine mechanische Verletzung.

Auch Titan-basierte Implantate setzen bei gelenkbildenden Implantaten Partikel frei, die zu lokalen Gewebereaktionen führen können. Verschiedene Autoren berichten, dass bei Menschen wie bei Versuchstieren Titan periimplantär, in regionalen Lymphknoten oder im Blut nachweisbar ist [Jacobs, 1991]. Dass neben den bei Endoprothetik viel beforschten CoCrMo-Partikeln auch Titanpartikel zu einer periimplantären Entzündung führen können – und eine entsprechende In-vitro-Zytokinfreisetzung zu beobachten ist, wurde schon von etlichen Arbeitsgruppen beschrieben, so beispielsweise von Cadosch und Mitarbeitern in Zürich [Cadosch, 2010; Cadosch, 2009]. In der Mundhöhle besteht ja eher ein Toleranzmilieu [Thomas, 2013]. Allerdings gibt es Patienten mit protrahierter oder wiederholter periimplantärer Entzündung (Mucositis/Periimplantitis).

Hier wird nach Ausschluss von Einflussfaktoren wie bakterielle Besiedelung, Rauchverhalten, verbliebene Zementreste oder Grunderkrankungen [Albrektsson, 2016] auch nach Risikofaktoren für die Entstehung einer „Titanunverträglichkeit“ geforscht. Theoretisch kommen eine unspezifische erhöhte Entzündungsneigung, eine gestörte Entzündungsregulation oder eine spezifische Überempfindlichkeit im Sinne von Allergie infrage.

Bei schwerer Parodontitis – ohne den „confounding factor“ Rauchen – war schon vor Jahren eine genetische Prägung als Teilfaktor beschrieben worden [Kornman, 1997]. Noch ist in unseren Augen allerdings nicht geklärt, welchen Einfluss ein Zytokin-(IL-1ß-)Polymorphismus auf die Standzeit von Titan-Zahnimplantaten hat.

Eine kürzlich erstellte Metaanalyse von Liao et al. hat die Vielzahl der erschienenen, teils kontroversen Publikationen zusammengefasst. Die Autoren betonen die noch unklare Datenlage [Liao, 2014] mit dem Hinweis, dass sich mögliche Assoziationen bei Kombination mehrerer Faktoren ergeben könnten. Viele Patienten fragen vor dem Setzen von Titan-Zahnimplantaten nach einem prädiktiven Test für das Versagen / für vermehrte Komplikationen.

Zusammenfassung und Ausblick

Für die Autoren dieses Artikels ist die diesbezügliche Aussagekraft eines In-vitro-Zytokin-Ausschüttungsverhaltens von Titan-stimulierten Blutzellen noch nicht ausreichend durch große (prospektive) Studien evaluiert. Es gibt derzeit auch noch keine exakte Testmöglichkeit bei Verdacht auf Titanallergie: weder im Lymphozyten-Transformations-Test (LTT) noch im Epikutantest. Auch die histologische Untersuchung kann das nicht klären. Zumindest wird 2017 eine multinationale Multicenterstudie zur Etablierung neuer Metall- (auch Titan-) Epikutantestpräparationen starten. Dementsprechend ist der Begriff „Titanallergie“ in der Allergologen-Fachwelt noch nicht anerkannt und entsprechend skeptisch sollten Publikationen beurteilt werden, die diesen Begriff als gegeben ansehen [Sicilia, 2008]. Natürlich setzt sich das Immunsystem mit im Körper freigesetztem Titan auseinander, wobei es wohl eher zu „Toleranz/Verträglichkeit“ kommt [Thomas, 2013].

Prof. Dr. Peter Thomas,
Dr. Burkhard Summer

Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU München
Frauenlobstr. 9–11, 80337 München
Peter.Thomas@med.uni-muenchen.de

PD Dr. Gerhard Iglhaut

Georg-August-Universität-Göttingen
Abteilung MKG-Chirurgie und zahnärztliche Praxis
Bahnhofstr. 20, 87700 Memmingen

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Prof. Dr. Peter Thomas

Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU München
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80337 München

Dr. Burkhard Summer

Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU München
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PD Dr. Gerhard Iglhaut


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