Zahnversorgung in den USA: Eine Frage des Geldes
Während es vor dieser Altersgrenze darauf ankommt, ob man durch einen Arbeitgeber oder eigene finanzielle Mittel Zugang zu einer guten Krankenversicherung hat, steht Medicare jedem Senior zu – unabhängig von Einkommen und Vermögen.
Als Medicare 1965 ins Leben gerufen wurde, gab es einen konkreten Grund dafür, dass die Zahnbehandlung älterer Bürger keine Priorität hatte: Fast die Hälfte der 65- bis 74-Jährigen besaß keinen einzigen eigenen Zahn mehr. Dies hat sich aber in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert. Laut dem „National Center for Health Statistics“ hatten zwischen 2011 und 2012 87 Prozent der Senioren in dieser Altersgruppe noch eigene Zähne. Der Trend setzt sich bis ins hohe Alter fort: Unter Pflegeheimbewohnern verfügen immer noch mehr als 60 Prozent über eigene Zähne.
Die Medicare-Versicherung ist dieser neuen Realität allerdings nicht angepasst worden. Das trifft insbesondere Senioren mit bescheidenem Einkommen hart:
Rund ein Fünftel der über 65-Jährigen leidet unter unbehandelter Karies (laut National Health and Nutrition Examination Survey 2011–2012).
Bei Senioren unter beziehungsweise nahe der Armutsgrenze (11.880 Dollar pro Ein-Personen-Haushalt) liegt die Rate für unbehandelte Karies mit 40 beziehungsweise 33 Prozent wesentlich höher.
Weniger als die Hälfte der über 65-Jährigen sucht wenigstens einmal im Jahr einen Zahnarzt auf (ermittelte die Johns Hopkins-Universität im vergangenen Jahr). Unter Senioren nahe der Armutsgrenze sinkt diese Rate auf erschreckende 27 Prozent.
Nur zwölf Prozent der Rentner sind durch eine Zahnversicherung abgedeckt (so ebenfalls Johns Hopkins).
737 Dollar bezahlten Senioren bei Medicare für Zahntherapien aus eigener Tasche
Obwohl unbestritten ist, dass unbehandelte Zahnerkrankungen schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen mit sich bringen, bleibt die Zahnversorgung ein Stiefkind der amerikanischen Gesundheitspolitik. Das hat sich auch mit der umfassenden Gesundheitsreform unter Präsident Obama nicht geändert. Im Ringen um Reformprioritäten wurde in der Seniorenversicherung einer besseren Abdeckung von Medikamentenkosten und Vorsorgeuntersuchungen Vorrang eingeräumt. Die Zahnversorgung blieb dagegen wieder einmal außen vor.
Amerikanische Senioren im traditionellen Medicare-Programm bezahlten im Jahr 2012 durchschnittlich 737 Dollar für Zahnbehandlungen aus eigener Tasche, berichtet Tricia Neuman, die das Programm für Medicare-Politik bei der Kaiser Family Foundation leitet.
Die finanzielle Belastung sei aber wesentlich höher für diejenigen, die Kronen, Implantate oder ähnliche restaurative Maßnahmen benötigen, äußerte sich Neuman im Oktober 2016 Kaiser Health News gegenüber. In solchen Fällen könne der selbst zu tragende Betrag bei über 10.000 Dollar liegen.
Da laut Urban Institute, einem in Washington, D.C. ansässigen Thinktank und unabhängigen Forschungsinstitut, 50 Prozent der Medicare-Versicherten im vergangenen Jahr mit einem Einkommen unter 26.200 Dollar auskommen mussten, ist vielen der Zugang zu zahnerhaltenden Behandlungsmaßnahmen verstellt. Selbst Routineuntersuchungen, Zahnreinigungen und Füllungen können bei niedrigem Einkommen ein Kostenproblem darstellen. Dass unter den Medicare-Versicherten so viele nicht einmal jährlich zum Zahnarzt gehen, ist ein klares Indiz.
In der politischen Arena gibt es aber durchaus Bestrebungen, die zahnärztliche Versorgung von Senioren zu verbessern. Eine Lobby, die sich intensiv dafür einsetzt, dass Zahnbehandlungen in den Leistungskatalog von Medicare aufgenommen werden, ist etwa die „Santa Fe Group“ (santafegroup.org).
Die gemeinnützige Organisation, die sich aus akademischen, politischen und wirtschaftlichen Meinungsführern aus dem Feld der Zahnmedizin und Gesundheitspolitik zusammensetzt, lud im Herbst 2016 zu einem Forum mit dem Titel „Expanding Oral Healthcare Access for America‘s Seniors“ ein.
Die Zahnmedizin bleibt Stiefkind
Doch seit den Wahlen im November sind die Chancen für eine Medicare-Erweiterung nicht besser geworden. Die republikanische Mehrheitspartei unter Präsident Trump arbeitet derzeit daran, ihr Wahlversprechen einzulösen und die als „Obamacare“ bekannt gewordene Gesundheitsreform rückgängig zu machen. Sollte das gelingen, würden Krankenversicherungsleistungen und -finanzhilfen nicht erweitert, sondern gekürzt. Die Gruppe will aber weiter Meinungsarbeit betreiben, damit das Thema bei der nächsten Wahl nicht ignoriert werden kann. Dr. Claude Earl Fox, der in den 90er-Jahren leitend für das Gesundheitsministerium der Clinton-Regierung tätig war und jetzt die Bemühungen der Santa Fe Group vorantreibt, sagte im März zu Kaiser Health News: „Wir haben einen weiten Weg vor uns, sind aber zuversichtlich, dass es zu schaffen ist.“ Fox verlieh seinem Glauben Ausdruck, dass die mangelhafte Zahnversorgung in der Öffentlichkeit mehr und mehr Interesse finden wird. Dafür spricht zweifelsohne die Tatsache, dass in den USA monatlich rund 25.0000 Babyboomer ihren 65. Geburtstag feiern und neu mit dem Problem konfrontiert werden.
Claudia Pieper,
pieper@cablespeed.com