Denken Sie wie Jogi Löw!
Die Erwartungen sind vielfältig – welche Eigenschaft sollte ein guter Chef dennoch zwingend mitbringen?
Regina Först: Ich glaube fest an den Satz „Aus Haltung entsteht eine Handlung“. Darum denke ich, dass die Haltung, die ein Chef gegenüber seinen Mitarbeitern hat, entscheidend dafür ist, ob er als guter Chef wahrgenommen wird. Eine Führungskraft muss Menschen mögen. Punkt. Und sie muss daran interessiert sein, Menschen zu entwickeln – also die Mitarbeiter zu fördern und zu fordern.
Fußballtrainer Joachim Löw ist dafür ein gutes Beispiel. Er guckt vor allem neugierig auf seine Spieler: Sind sie in der richtigen Position? Muss ich sie umbesetzen? Brauchen sie eventuell ein anderes Training? Seine Haltung gegenüber der Mannschaft ist: „Ich mag jeden einzelnen meiner Spieler und will jeden von ihnen weiter nach vorne bringen.“ Solch eine positive Haltung zu haben, ist unglaublich wichtig. Denn nur dadurch werden Führungskräfte auch authentisch.
Wie muss ich vorgehen, wenn ich solch eine positive Haltung gegenüber meinen Mitarbeitern gar nicht habe?
Wir alle kommen – das ist klar erwiesen – als soziale Menschen auf die Welt. Schon als Säuglinge sind unsere Sozialkompetenzen wahnsinnig hoch entwickelt, ohne könnten wir gar nicht überleben. Leider werden diese Sozialkompetenzen jedoch meist in der Schule, in der Lehre und während des Studiums wieder systematisch abtrainiert.
Jeder Mensch trägt zwei neurobiologische Grundbedürfnisse in sich. Sie entscheiden, ob der präfrontale Kortex gut arbeiten und Potenziale entfalten kann, oder nicht: Das sind Verbundenheit und Gestaltbarkeit. Wenn diese Bedürfnisse durch schlechte Führung unerfüllt bleiben, sind die dort liegenden Fähigkeiten nicht abrufbar.
Früher wurden Soft Skills ja eher belächelt. So ganz hat sich dieses Bewusstsein immer noch nicht geändert, oder?
Das stimmt. Nachdem wir die Schule, eine Ausbildung oder ein Studium durchlaufen haben, sind wir alle mit einem „Expertenwissen“ ausgestattet. Bei Zahnmedizinern ist dieses Expertenwissen sogar besonders umfassend. Ihnen wird im Studium ein so enormes Detailwissen vermittelt, dass man nur staunen kann. Was dabei allerdings immer noch viel zu kurz kommt, ist die Frage, wie man Führungskompetenz für die eigene Praxis erlernen kann. Das ist unglaublich schade. Denn ich erlebe immer wieder, dass die Konflikte später in der Praxis fast ausschließlich auf dem Miteinander (WIE – Beziehungsebene) und nicht auf der Sachebene (Was – Expertenwissen) liegen.
Wie kann ich mir Sozialkompetenz am besten aneignen? Haben Sie einen praktischen Tipp?
Einer der Hauptfehler von Führungskräften ist, dass sie Mitarbeitern nicht RICHTIG zuhören. Folgende Situation ist ganz typisch: Der Mitarbeiter kommt mit einem Anliegen zum Chef, der Chef hört mit einem Ohr zu, tippt derweil aber weiter an seinen E-Mails oder schaut aufs Handy. Am Ende verabschiedet sich der Mitarbeiter mit einem „ne“, „gell“ oder „ja“ und geht mit dem Gefühl „mir wurde gar nicht richtig zugehört“. Und der Chef fragt sich, „was hat der denn jetzt eigentlich gewollt?“. Das ist eine unbefriedigende Situation für beide Seiten.
Dieses „Nicht-zuhören-wollen“, also sich nicht wirklich Zeit für den anderen nehmen zu wollen, ist einer der schlimmsten Fehler, die sich aus nicht vorhandener Sozialkompetenz ergeben. Aufgebrochen wird die Situation erst in dem Moment, in dem der Chef den Mitarbeiter tatsächlich als Mensch und nicht nur als Mitarbeiter in seiner Funktion sieht. Denn erst dann hat er ECHTES Interesse daran, ihm zuzuhören. Mein Tipp für Sie: Blicken Sie immer auf die Stärken und Werte Ihres Mitarbeiters: Was ist er für ein Mensch? Und was kann ich ihm geben, damit er in meiner Praxis Vollgas gibt?
Sie coachen seit vielen Jahren Zahnarztpraxen. Welche strukturellen Veränderungen konnten Sie dabei feststellen?
Durch die Generation Y hat sich schon viel geändert. Die Hierarchie in der Praxis wird zunehmend flacher – ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, dass „Chef-Sein“ dann in der Form stattfindet, dass der Chef derjenige ist, der die Fragen stellt. Aktuell sind wir aber noch in der Situation, dass „Chef-Sein“ heißt am Steuer zu sein. Der Chef ist der Leuchtturm, er übernimmt die Vorbildfunktion. Er gibt Orientierung und Sicherheit. Gleichzeitig ist Führung aber auch Dienstleistung. Und diese Dienstleistung sollte nicht nur zweimal im Jahr anlässlich des Sommerfests und der Weihnachtsfeier stattfinden. Diese Dienstleistung sollte jeden Tag erbracht werden – und zwar bevor der Stress des Alltags losgeht.
Folgende Situation wäre meiner Meinung nach wünschenswert: Der Zahnarzt kommt morgens in die Praxis, begrüßt jedes Teammitglied – wichtig: mit Augenkontakt –, fragt jeden Einzelnen, wie es ihm geht, und stellt kurz vor, wie der Tag vermutlich ablaufen wird. Dies muss keine lange Ansprache sein. Eine zehnminütige – wichtig: menschliche! – Begegnung morgens beim Kaffee ist ausreichend. Danach düst der Behandler doch sowieso nur noch von Behandlungszimmer zu Behandlungszimmer.
Vom ICH zum DU zum WIR
Regina Först hat das E-Learning-Training „Führerschein für Führungskräfte“ entwickelt, das (vor allem) Sozialkompetenzen nachhaltig vermitteln soll. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund:
ICH-Training: Durch innere Klarheit die ICH-Kompetenz schärfen, Weitsicht entwickeln und mit natürlicher Autorität vorangehen. Themen: Gedankenmuster, Energiemanagement, Ziele.
DU-Training: Intrinsische Motivation bei Mitarbeitern fördern, wertschätzend führen und sie optimal in Positionen und Projekten einsetzen. Themen: Die Kunst des Zuhörens, Authentische Kommunikation, Motivation, ...
WIR-Training: Das ICH-DU-WIR-Gefühl an Bord holen und diesen Erfolgsfaktor als Führungskraft gezielt für Umsatzentwicklung und Qualitätssicherung einsetzen. Themen: Kräfte bündeln, Image nach außen, Erfolg.
Mehr Infos: www.people-foerst.de
Es ist wie beim Fußball: Der Trainer muss seinen Job VOR dem Anpfiff machen! Erst in der Pause kann er – gegebenenfalls – korrigieren und eingreifen. Beim Zahnarzt ist es ähnlich: BEVOR der erste Patient kommt, bringe ich mein Team zusammen. In der Mittagspause kann ich korrigieren und das Feintuning machen. Abends muss ich dann einmal innerlich mit meinem Team – oder besser noch tatsächlich abklatschen. Am nächsten Tag wird das Spiel wiederholt. Das funktioniert übrigens auch, wenn ich in meiner Praxis einen Schichtdienst anbiete!
Sie sagen, der Chef ist der Leuchtturm und übernimmt die Vorbildfunktion. Führen macht also einsam?
Ja, ganz klar! Der Zahnarzt in der Praxis steht in der Regel alleine seinem Team gegenüber. In einer Gemeinschaftspraxis hat man vielleicht noch die Möglichkeit, sich auszutauschen, aber sonst stimmt das: Führen macht einsam. Leider ist dies ein Problem, das sich kaum ein Praxisinhaber eingesteht.
Wie sollte eine Führungskraft damit umgehen?
Führung heißt in erster Linie Selbstführung. Das heißt, ich als Chef muss erst einmal mein bester Freund sein und über eine gute Ich-Kompetenz verfügen. Habe ich Spaß an meinem Job? Habe ich ausreichend Freude und Freunde in meinem Leben? Und die vielleicht wichtigste Frage: „Von wem werde ICH eigentlich für meine Arbeit gelobt?“ Dieses Bedürfnis, dass auch ich gelobt werden will, muss ich mir erst einmal bewusst machen – anschließend kann ich mir dann ein Umfeld schaffen, wo ich mich austauschen kann.
Dieser Austausch mit Personen, die in einer ähnlichen Situation sind, ist unglaublich wichtig, um die Ich-Kompetenz zu stärken. Dies können auch branchenfremde Kollegen sein.
Wie werde ich nun ein guter Chef? Kann man das in einem Satz sagen?
Authentizität ist das wichtigste. Ich als Führungskraft muss selber authentisch sein, muss selber intrinsisch motiviert sein und mit Freude der Selbstständigkeit begegnen.
Natürlich muss ich auch klar, wertschätzend, berechenbar und so weiter sein. Aber dies sind sowieso alles Beschreibungen für einen guten Chef. Wenn Sie außerdem noch Menschen mögen, werden Sie wirklich ein gute Chef! Oder eine gute Chefin.