IQWiG setzt Kritik um
„Meine Meinung zum IQWiG-Vorbericht? Die Wörter, die mir spontan in den Sinn kommen, dürfen Sie gar nicht drucken, so wütend bin ich!“ Nicht nur aus den Büroräumen der Unikliniken hörte man im Frühjahr 2017 solche Ausrufe. Die Reaktionen auf den Vorbericht des IQWiG zu Parodontitistherapien reichten von ungläubigem Entsetzen über Kopfschütteln bis zum Türenknallen. Der Grund: Das IQWiG hatte einen Großteil der Parodontaltherapie mangels Evidenz quasi über Nacht für nutzlos erklärt. Die Zahnärzteschaft wollte sich damit nicht zufrieden geben und hatte deutliche Kritik an den Methoden des IQWiG geübt.
Jetzt wurde in Köln der Abschlussbericht „Systematische Behandlung von Parodontopathien“ veröffentlicht. „Wir begrüßen die Ergebnisse des IQWiG in weiten Teilen, eröffnen sie doch die Möglichkeit, in den anstehenden Beratungen im Gemeinsamen Bundesausschuss substanzielle Verbesserungen im Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis zu erreichen“, sagt dazu Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV).
Erfreulich sei vor allem, dass das IQWiG die seitens der Wissenschaft geäußerten berechtigten Kritikpunkte am Vorbericht aufgegriffen und in weiten Teilen im Abschlussbericht umgesetzt hat. „Das ist eine gute Nachricht für die nachhaltige Verbesserung der Versorgung von Millionen von Patientinnen und Patienten“, stellt Eßer fest. „Als stimmberechtigte Trägerorganisation wird die KZBV die Beratungen im Gemeinsamen Bundesausschuss weiter aktiv mitgestalten. Mitentscheidende Aspekte der Erfahrung von Zahnärzten und der Erwartungen von Patienten werden dabei den nötigen Stellenwert bekommen.“
Die KZBV hatte auf dem Deutschen Zahnärztetag im November 2017 gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ihr neues Versorgungskonzept zur Behandlung parodontaler Erkrankungen vorgestellt. Es basiert auf international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, berücksichtigt den medizinischen Fortschritt und soll die derzeitig geltende Behandlungsstrecke im GKV-System aktualisieren. Damit wären die Voraussetzungen für eine wirksame Bekämpfung der Parodontitis geschaffen.
IQWiG meldet
Laut IQWiG-Abschlussbericht gibt es inzwischen für sechs Therapieansätze einen Hinweis oder Anhaltspunkte für einen (höheren) Nutzen, meist in Hinblick auf den sogenannten Attachmentlevel. Beim Vorbericht waren es lediglich zwei Behandlungsarten gewesen. Das Bewertungsergebnis fällt nun deutlich besser aus, weil dem Institut zusätzliche Studien zur Verfügung standen und weitere Auswertungen möglich waren.
Mehr Studienergebnisse verwertbar: In den Abschlussbericht konnten die Wissenschaftler zum einen zusätzliche randomisierte kontrollierte Studien (RCT) einbeziehen. Zum anderen konnten sie Daten aus bereits eingeschlossenen Studien erstmals verwerten. Möglich war das aus zwei Gründen: Bei der Recherche zum Vorbericht hatte das IQWiG eine ganze Reihe von Studien identifiziert, die die passende Fragestellung untersuchten. Allerdings waren die Ergebnisse in der Art, wie sie in den Publikationen dargestellt waren, bei vielen Studien nicht für die Nutzenbewertung verwertbar. Für den Abschlussbericht konnte das nachträglich korrigiert werden. Grundlage dafür war ein bestimmter statistischer Faktor, den ein Team der Universität Greifswald eigens für diesen Zweck aus einer seiner epidemiologischen Studien berechnete.
Auswertung der Daten zum Attachmentlevel nun möglich: In der mündlichen Erörterung konnten sich Institut und externe Fachleute zudem darauf verständigen, wo die Schwelle liegt, ab der ein Behandlungseffekt als gesundheitlich relevant einzuschätzen ist. Dieser Schwellenwert erlaubte es, Ergebnisse aus einer großen Zahl weiterer Studien zum Endpunkt Attachmentlevel einzubeziehen. Unter Attachment versteht man die „Anheftung“, die den Zahn im Kiefer verankert. Der Attachmentlevel gibt an, in welchem Ausmaß der Zahnhalteapparat erhalten oder zerstört ist.
Relevante Unterschiede bei sechs Behandlungsarten: Aussagekräftige Studiendaten, die gesundheitlich relevante Unterschiede in den Behandlungsergebnissen zeigen, gibt es nun zu insgesamt sechs Therapieansätzen, beim Vorbericht waren es nur zwei gewesen. Und bei diesen beiden hatte das Institut jeweils einen Anhaltspunkt ableiten können, was besagt, dass die Aussagesicherheit relativ niedrig ist. Im Abschlussbericht bescheinigt das IQWiG dagegen vier Therapien einen Anhaltspunkt, zwei weiteren sogar einen Hinweis auf einen (höheren) Nutzen. Konnte zunächst fast ausschließlich der Endpunkt Gingivitis, also Zahnfleischentzündung, beurteilt werden, ist das nun auch für alle Studien beim Attachmentlevel möglich.
GMT: Hinweis statt Anhaltspunkt für Nutzen: Verbessert hat sich das Bewertungsergebnis insbesondere bei der geschlossenen mechanischen Therapie (GMT) im Vergleich zu keiner Behandlung. Bei der GMT werden Zahnstein und Bakterien mit geeigneten Instrumenten aus den Zahnfleischtaschen entfernt und die Wurzeloberflächen geglättet. Hier sieht das IQWiG angesichts des höheren Attachmentgewinns nun einen Hinweis auf einen Nutzen, im Vorbericht war es noch ein Anhaltspunkt gewesen. Kombiniert mit einer systemischen Antibiotikatherapie sind die Behandlungsergebnisse besser als bei einer alleinigen GMT. Auch hier ist das Attachmentlevel ausschlaggebend für den Hinweis auf einen höheren Nutzen. Bei lokal verabreichten Antibiotika sind dagegen keine Unterschiede zwischen den Studienarmen erkennbar.
Chirurgische Maßnahmen ohne Vorteil: Jeweils einen Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen lassen vier weitere Vergleiche erkennen, wobei Laserbehandlung und ein spezielles fotodynamisches Verfahren sowie Mundhygiene-Schulungen zum Einsatz kommen, meist zusätzlich zur GMT. Lediglich bei der chirurgischen Taschenelimination (CTE) manifestiert sich in den Studienergebnissen ein Nachteil (geringerer Nutzen) der Behandlung. Das gilt für die Kombination mit der GMT gegenüber der GMT allein.
Weiterhin kaum Daten zu Zahnverlust oder Nebenwirkungen: Auch die neu verfügbaren Daten, aus denen sich Aussagen zu Nutzen oder Schaden ableiten lassen, beziehen sich ausschließlich auf „Gingivitis“ und „Attachmentlevel“. Zu wichtigen anderen Kriterien, wie etwa Zahnverlust, Nebenwirkungen der Behandlung oder Lebensqualität enthalten die Studien nur vereinzelte Angaben. Und weiterhin gibt es keine Evidenz zur strukturierten Nachsorge in Form von Unterweisungen zur Mundhygiene und einer regelmäßigen instrumentellen Reinigung. Für 2018 ist jedoch die Publikation einer wahrscheinlich maßgeblichen, mit über 1.800 Teilnehmern auch relativ großen Studie angekündigt (Improving the Quality of Dentistry, IQuaD). Das Institut könnte dann diese Daten ergänzend bewerten.
Quelle: IQWiG