Die holländische DH darf jetzt selbstständig bohren
DHs in Holland erhalten ab dem 1. Januar 2020 im Rahmen eines fünfjährigen Modellversuchs mehr Autonomie. Das hat der niederländische Gesundheitsminister Bruno Bruins angekündigt. DHs, die über eine vierjährige Ausbildung verfügen und im nationalen Register für Gesundheitsberufe als zugelassene Dentalhygieniker oder Dentalhygienikerinnen eingetragen sind, dürfen dann selbstständig Leistungen erbringen, die bislang den Zahnärzten vorbehalten waren. Es geht um:
die Verabreichung von Lokalanästhesien,
die Behandlung primärer Karies,
die Anfertigung und Beurteilung von Röntgenaufnahmen in Form von Einzel- und Bissflügelaufnahmen auf eigene Entscheidung.
Die KNMT: „Wir wollen das nicht!“
Der Gesundheitsminister begründet sein Vorhaben mit der demografischen Entwicklung: Die Bevölkerung werde älter, behalte immer länger eigene Zähne und müsse zahnmedizinisch versorgt werden. Der Zahnarzt soll deshalb von einfacheren Behandlungen entlastet werden und sich auf komplexere Fälle konzentrieren können, schreibt Bruins in seinem Papier an das niederländische Parlament. Hinzu kommt, dass die DH-Ausbildung in den Niederlanden in den vergangenen Jahren schrittweise von drei auf vier Jahre ausgeweitet wurde. DHs sind in Holland seit 2006 berechtigt, Lokalanästhesien zu verabreichen und primäre Karies zu behandeln – allerdings nur auf Anweisung des Zahnarztes (ohne die Maßgabe, dass der Zahnarzt die Aufsicht führt).
DH in den Niederlanden
Dentalhygienikerinnen werden an Fachhochschulen (unabhängig von zahnärztlichen Fakultäten an Universitäten) ausgebildet, und zwar in Groningen, Nijmegen, Utrecht und Amsterdam. Abschluss ist ein Bachelor-Examen. Zu den Unterrichtsinhalten gehören zahnärztliche Routineaufgaben wie das Legen einfacher Füllungen, Lokalanästhesien und Röntgenaufnahmen. Die meisten DHs sind in Zahnarztpraxen angestellt, einige arbeiten in Kliniken oder Zentren für Kinderzahnheilkunde. DHs dürfen aber auch unabhängig von einem Zahnarzt Behandlungen durchführen, die zuvor einem Zahnarzt zur Entscheidung vorgelegt wurden. DHs sind auch in der Kinder- und Jugendzahnpflege von Schulen tätig.
Das Berufsbild der DH hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Gestartet wurde 1968 mit wenigen Studierenden und einem zweijährigen Curriculum, später auf drei Jahre aufgestockt. Heute ist es ein vierjähriges Studium mit rund 300 Absolventen pro Jahr. Anfangs arbeiteten die DHs unter Aufsicht eines Zahnarztes. Seit 1992 gilt die Maßgabe „Entscheidung durch einen Zahnarzt“. Seit 2006 kann eine DH vom Patienten auch direkt aufgesucht werden. Eigenständig ist die DH derzeit in der Prophylaxe und in der Parodontologie tätig. Rund ein Drittel der DHs arbeitet heute in eigener Praxis.
Quellen: CED: EU-Manual of Dental Practice, 2015, International Journal of Dental Hygiene Band 10, Ausgabe 3, August 2012 (S. 148–154); KNMT
Aus Sicht der niederländischen Zahnärzteorganisation KNMT (Koninklijke Maatschappij tot bevordering der Tandheelkunde) sind die Pläne des Ministers völlig unverständlich. Sie befürchtet eine Gefahr für die Mundgesundheit der Patienten und für die Qualität der zahnmedizinischen Versorgung insgesamt. „Wir wollen das nicht“, betont der Vizepräsident der KNMT, Dr. Henk Donker (siehe Interview S. 14): „Das Vorhaben der Regierung ist nicht effizient. Der DH bleibt aufgrund der Behandlung weniger Zeit für Prävention. Der Zahnarzt wird nicht entlastet, die Behandlungsabläufe in der Praxis werden lediglich verschoben und es besteht die Gefahr von Doppeluntersuchungen.“ Und von einer Kostenersparnis durch den Einsatz selbstständiger DHs könne keine Rede sein, denn die Gebühren für die Leistung einer DH und die Leistung eines Zahnarztes seien in den Niederlanden gleich.
Die KNMT wird unterstützt vom Council of European Dentists (CED), der jetzt aktuell in die Debatte eingegriffen hat. Er verweist auf die alleinige Verantwortung des Zahnarztes für die Mundgesundheit des Patienten. Nur der Zahnarzt könne entscheiden, welche Leistungen ans Team delegiert werden können.
Im europäischen Vergleich ist der DH-Beruf in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dies betrifft sowohl die Ausbildung als auch den Umfang der Tätigkeiten, die diesem Beruf erlaubt sind sowie die Anzahl der jeweils in einem Land tätigen DH und deren mengenmäßiges Verhältnis zur Zahnärzteschaft. Zudem gibt es, neben Deutschland, mit Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Luxemburg, Österreich und Zypern gleich acht weitere EU-Mitgliedstaaten, in denen die DH nicht als eigenständiger Beruf anerkannt sind.
Daten zur Versorgung in NL
Einwohner: 16.900.726 (2016)
Zahnärzte: 8.712 (2017)
DHs: 2.850 (2016)
Bedarf an Zahnärzten: Es gibt zu wenig Ausbildungsplätze an den Universitäten. Pro Jahr werden 250 Zahnärzte zu wenig ausgebildet, benötigt werden also 250 Zahnärzte aus dem Ausland.
Bedarf an DHs: Es gibt zu wenig. Benötigt werden 3.000 DHs.
Quellen: CED 2017; EU-Kommission (2016); Angaben der KNMT
Die Bundeszahnärztekammer spricht beim Beispiel der DH in den Niederlanden von einer Dynamik, die Sogwirkung auf andere europäische Länder haben könne. „Das ist eine Trivialisierung der Zahnmedizin“, kommentierte der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Prof. Dr. Dietmar Oesterreich. „Patientensicherheit und Qualitätssicherung bleiben mit diesem Modell auf der Strecke.“ Oesterreich hebt die Besonderheiten in Deutschland heraus: „Die Ausübung der Zahnheilkunde ist im Zahnheilkundegesetz klar geregelt. Es gilt das Prinzip ‚Delegation statt Substitution‘.“ Mit der deutschen, kammereigenen Aufstiegsfortbildung zur DH verbindet Oesterreich große Vorteile, vor allem, was Praxisnähe, Patientenorientierung und soziale Kompetenz angeht: „Ob eine Hochschule das mit theoretischem Schulwissen vermitteln kann, ist mehr als fraglich“, erklärt er mit Blick auf die Studiengänge zur DH-Ausbildung im In- und Ausland. „Fest steht: Zahnmedizin ist ein komplexes Feld, das immer mehr Wissen – auch im medizinischen Bereich – erfordert. Deshalb ist es wichtig, dass der Zahnarzt bei der Diagnose und der Therapieentscheidung mit seiner wissenschaftlichen Expertise der entscheidende Ansprechpartner bleibt.“
Die BZÄK: „Das ist eine Trivialisierung der Zahnmedizin“
Die BZÄK hatte sich bereits auf ihrer Klausurtagung im Juni 2016 in Magdeburg mit dem Thema DH in den Niederlanden befasst. Der Kontext: Arztentlastende Strukturen und deren Einflüsse auf die Zahnmedizin. Der Vorstand sprach sich in einem Memorandum klar für Delegation und gegen Substitution aus. Die Diskussion um Arztentlastung spielte auch im EU-Transparenzprozess für regulierte Berufe eine Rolle, bei dem die EU-Kommission einen Vergleich der rechtlichen Rahmenbedingungen für DHs in Europa angestoßen hatte. Zwar kam der Abschlussbericht vom April 2016 zu dem Schluss, dass die Mitgliedstaaten im Großen und Ganzen mit ihren gegenwärtigen Systemen zufrieden sind. Dennoch, so diskutierte der BZÄK-Vorstand in Magdeburg, müssten die Entwicklungen auf europäischer Ebene – wie bei der DH in den Niederlanden – beobachtet werden. Vor allem die Lobbyarbeit von DH-Verbänden in Richtung Akademisierung und Selbstständigkeit auf europäischer Ebene müsse im Auge behalten werden.
Politisch wird die Diskussion um die Selbstständigkeit der DH auch in Deutschland weiter auf der Agenda stehen. So ist etwa im Koalitionsvertrag der GroKo vorgesehen, den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung zu übertragen. Das wirft zahlreiche Fragen auf: Wo sind die Grenzen der Delegation, wo beginnt die Substitution? Wem nützt es eigentlich wirtschaftlich, wenn die DH mehr Autonomie erlangt? Oder: Zeichnet sich gar ein neuer Dualismus im Berufsstand ab, der durch das Zahnheilkundegesetz von 1952 doch überwunden galt?
Interview mit Dr. Henk Donker
„Wir rechnen mit Doppelarbeit und mehr Kosten“
Mehr Autonomie für die DH in den Niederlanden? Für Dr. Henk Donker, Vizepräsident der niederländischen Zahnärzteorganisation KNMT führen die Pläne der Regierung zu weit. Hollands Zahnärzte stehen für Teamwork – für die Arbeit mit der DH gemeinsam unter einem Dach. |
Der niederländische Gesundheitsminister Bruno Bruins will Dentalhygienikerinnen ab 2020 eine größere Autonomie einräumen. DHs können dann selbstständig, also ohne Aufsicht eines Zahnarztes Lokalanästhesien durchführen, primäre Karies behandeln und auf eigene Entscheidung hin Röntgenaufnahmen anfertigen und beurteilen. Welche Absicht verfolgt der niederländische Staat damit?
Dr. Henk Donker:
Die Regierung geht von der Tatsache aus, dass wir in Holland einen großen Zahnarztmangel haben. Die DH soll künftig einfache Tätigkeiten der Zahnheilkunde selbstständig durchführen können, wodurch der Zahnarzt mehr Freiraum für die komplexeren Behandlungsfälle bekommt. Die Politik vergisst dabei jedoch, dass der DH – wenn sie konservierende Behandlungen durchführt – weniger Zeit für die Prävention bleibt. Hinzu kommt: Wir haben DHs mit einer zweijährigen, mit einer dreijährigen und mit einer vierjährigen Ausbildung. Aber nur diejenigen, die vierjährig ausgebildet wurden, haben gelernt, einfache Kavitäten zu füllen.
Wir Zahnärzte haben kein Problem damit, dass die DH die genannten Tätigkeiten ausführt. Das muss aber im Zahnarztteam geschehen. Für uns gilt das Teamkonzept, bei dem alle mitarbeiten. Das bedeutet: Der Zahnarzt ist immer verantwortlich, wir stehen für Delegation statt Substitution. Die Regierung plant jetzt aber, dass die DH eigenständig arbeitet, ohne dass der Zahnarzt draufschaut.
85 Prozent der Zahnärzte in Holland arbeiten heute mit einer oder mehreren DHs. Diese DHs machen auch Röntgenaufnahmen, die allerdings vom Zahnarzt beurteilt werden müssen. Nur ein kleiner Anteil von ihnen, etwa 15 Prozent, legen einfache Füllungen. 98 Prozent der Zahnärzte sind zufrieden mit der Zusammenarbeit mit der DH – so, wie sie jetzt läuft.
Welche Gefahren bergen die Pläne für den zahnärztlichen Berufsstand?
Es gibt vor allem Gefahren für den Patienten! Wir als Berufsstand wollen, dass die Zahnärzte die Diagnose stellen und dann die Behandlung – nach Bedarf – delegieren. Ein Beispiel: Es ist schwierig, vorab zu beurteilen, wie tief eine Kavität ist. Oft erweist diese sich als umfangreicher, als anfangs gedacht. Man kann also nicht vorhersagen, ob es bei der Behandlung Probleme geben wird. Und da ist natürlich der Zahnarzt als Experte gefragt. Hinzu kommt, dass das Bohren immer weniger medizinisch indiziert ist und dass eine präventive Versorgung immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Was ist aus ökonomischer Perspektive von der Maßnahme zu halten – arbeitet eine DH billiger als ein Zahnarzt und können dadurch Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden?
Nein, Kosten werden nicht gespart. In den Niederlanden gibt es ein einheitliches Vergütungssystem für zahnärztliche Leistungen. Das heißt, eine Leistung ist nicht abhängig davon, wer sie macht, sondern davon, was gemacht wird. Mit anderen Worten: Eine einfache Füllung ist beim Zahnarzt ebenso teuer wie bei einer DH.
Wir gehen im Gegenteil davon aus, dass die Behandlungskosten langfristig zunehmen werden – wenn die Pläne ab 2020 greifen. Ein Beispiel: Eine DH macht eine Röntgenaufnahme, begutachtet diese und schickt sie dann an den Zahnarzt. Der Zahnarzt begutachtet dann erneut, bevor er die Behandlung beginnt. Wir rechnen also mit Doppelarbeit und mehr Kosten – nicht mit einer Kostenersparnis.
Also würde es dann in Holland auch nicht zwei Vergütungssysteme geben – eines für die DH und eines für den Zahnarzt? Und für den Patienten wäre es auch nicht billiger?
Genau! Das steht nicht zur Diskussion! Und was hinzukommt: Wir wissen aus Untersuchungen, dass Patienten bei Füllungstherapien lieber zum Zahnarzt gehen als zur DH. Die Versicherungen lehnen die Pläne der Regierung ebenfalls ab. Und auch die DHs selber wollen lieber unter der Aufsicht eines Zahnarztes arbeiten.
Wie kam es denn dazu, dass das Berufsbild der DH in den Niederlanden eine solche Bedeutung erlangt hat? Was sind die Hintergründe?
Wir haben in Holland inzwischen viel zu wenig Zahnärzte. In den 1980er-Jahren gab es noch zu viele. Deshalb wurden einige Universitäten geschlossen und viele Zahnärzte gingen nach Deutschland oder Norditalien, weil sie hier keine Arbeit fanden.
Hinzu kommt: Die damals ausgebildeten Zahnärzte, die im Land geblieben sind, sind inzwischen um die 65 Jahre alt und gehen jetzt in Pension. Es folgen aber nicht genügend von den Universitäten nach. Ein Beispiel: 2016 arbeiteten bei uns 203 neue Zahnärzte mit einem holländischen Diplom und 260 mit einem Diplom aus dem Ausland. Die meisten davon sind junge Menschen aus Spanien und Portugal. In den 1980er-Jahren gab es nur wenig DHs, heute sind es – geschätzt – 3.500. Die sollen den Mangel an Zahnärzten kompensieren.
Ein Problem der zahnärztlichen Versorgung heute ist auch, dass nicht alle Zahnärzte in Vollzeit arbeiten wollen. Der Wunsch nach Teilzeitarbeit und nach einer besseren Work-Life-Balance ist groß. Noch arbeiten die meisten in freier Niederlassung in eigener Praxis, aber größere Klinikketten locken die jungen Menschen zunehmend mit attraktiven Arbeitszeitmodellen in Teilzeit.
Welche Auswirkungen haben die Pläne der Regierung auf andere Länder in Europa – gibt es eine Sogwirkung?
Die Pläne könnten diejenigen europäischen Länder beeinflussen, die von der Überlegung ausgehen, dass eine zahnärztliche Versorgung durch DHs mit weniger Kosten verbunden ist. Dass dies ein Trugschluss ist, habe ich ja schon erwähnt. Wir in Holland sind der Meinung, dass diese Entwicklung aber nicht so schnell erfolgen wird.
Was kann die KNMT gegen die Pläne unternehmen?
Wir von der KNMT lehnen diese Pläne ab! Wir halten sie nicht für kosteneffizient, sondern sie machen die Versorgung teurer. Sie sind auch nicht patientengerecht. Wir setzen vielmehr auf das Team. Zahnärztliche Behandlung ist Teamwork: Zahnärzte im Team mit der DH unter einem Dach! Neun von zehn Zahnärzten sind mit den Plänen der Regierung nicht einverstanden. Auch die Universitäten, die Patienten und die Vertreter der DHs stellen sich dagegen. Und: Es gibt einfach nicht genug zu tun für eine DH, die selbstständig arbeitet.