Editorial

Das Geschäft mit der Transparenz

Claudia Kluckhuhn

„Wir wollen ein Gesundheitswesen, in dem es Wettbewerb um die bestmögliche Versorgung gibt“, stellen KZBV und BZÄK in ihrer ‚Agenda Mundgesundheit 2017–2021‘ klar. Der richtige Gradmesser für Wettbewerb ist in der (Zahn-)Medizin also die beste Leistung. Nicht der beste Preis und erst recht nicht die beste Werbung.

Die Realität sieht freilich anders aus: Im Kampf um die Patienten steigt der Druck auf die Praxen immer weiter, „sichtbar“ zu sein. Stadtluft macht frei? In Hamm kommen 1.705 Einwohner auf einen Zahnarzt, in Ulm 621. Angesichts solcher Konkurrenz ist die Luft einfach nur dünn. 

Vorbei die Zeiten, als reine Mundpropaganda die Qualität der Arbeit bezeugte und für volle Wartezimmer sorgte. Geschichte auch die Vorschrift, nach der im exakt vermessenen Praxisschild lediglich Name, Qualifikation und Sprechzeiten Platz finden durften. Natürlich brachte die Lockerung des Werbeverbots neue Freiheiten. Allerdings auch neue Zwänge: Wer den mobilen (und damit flüchtigen) Patienten heute für sich einnehmen und – viel schwieriger – halten will, kommt am professionellen Praxismarketing nicht mehr vorbei. 

Und – womit wir beim Thema wären – wohl auch nicht an jameda. Zehn Prozent Ihrer Kollegen sind schon da – Sie auch? – und zahlen dafür jedes Jahr schätzungsweise 5,47 Millionen Euro, wie unsere Berechnungen ergaben. Insgesamt 25 Millionen Euro geben die Heilberufler demzufolge jedes Jahr für „Deutschlands größte Arztempfehlung“, wie jameda sich selbst bezeichnet, aus. Aber wofür eigentlich genau? Die Plattform selbst preist auf ihrer Website vor allem diese Vorteile: „6 Millionen Patienten suchen jeden Monat einen Arzt auf jameda“, „95 Prozent der der Premium-Einträge sind bei Google auf Seite 1“ und „100 Prozent Seriosität. Wir schützen Sie vor Beleidigungen und Schmähkritik“. Gerade die letzte Zusage mag einigen Praxisinhabern zynisch erscheinen. Im Grunde verspricht das Unternehmen seinen Kunden, sie vor genau jenen anonymen Bewertungen zu schützen, zu denen es die Nutzer beziehungsweise Patienten aufruft. Dabei will jameda uns glauben machen, anonyme Benotungen seien gleichbedeutend mit Transparenz. Das Gegenteil ist der Fall, aber mit diesem System verdienen die Betreiber ihr Geld. Viel Geld. Dass dieses Geschäft aus Sicht vieler Zahnärzte eher einem digitalen Erpressungsversuch anmutet denn einer nützlichen Dienstleistung, zeigen die Briefe unserer Leser: Etliche Praxen sind offenbar in erster Linie bei dem Portal registriert, weil sie Angst haben, ansonsten außen vor zu sein. 

Analysiert wurden derartige virtuelle Marktplätze schon oft. Letztlich ergeben sie für die Betreiber ein bequemes Konzept, stellen diese doch nur die Plattform zur Verfügung und setzen darauf, dass andere die Arbeit erledigen. Amazon macht es so, Ebay genauso. Oder Uber – hat kein einziges Taxi, und Apple – programmiert nicht eine seiner kostenpflichtigen Apps, und airbnb – vermietet Wohnungen, ohne nur ein Zimmer zu besitzen. All diese Konstrukte stehen vorrangig auch deshalb in der Kritik, weil sie eine enorme Marktmacht innehaben, aber keine Werte schaffen. Das spezielle Problem bei den Arzttbewertungsportalen ist aber noch ein anderes: eine Schieflage zulasten der Ärzte – und zwar aufgrund der aus den anonymen Bewertungen resultierenden fehlenden Transparenz. Zwar hat der Bundesgerichtshof jameda erst kürzlich untersagt, bei Nicht-Kunden Werbeprofile der zahlenden Konkurrenz einzublenden, grundsätzlich kann sich jedoch kein Arzt aus der Liste löschen lassen. Nach wie vor müssen auch unfreiwillig gelistete Mediziner damit leben, dass sie bei jameda auftauchen und – vielleicht gut, vielleicht schlecht, vielleicht zu recht, vielleicht nicht, man findet es ja nicht heraus – bewertet werden. Was tun? 

Nun, vielleicht würde ein ‚digitales Vermummungsverbot‘, wie es der ehemalige Ministerpräsident im Saarland, Bundesverfassungsrichter Peter Müller, auf dem diesjährigen Zahnärztetag in Gütersloh forderte, nicht nur der öffentlichen Debattenkultur gut tun, sondern auch auch den Bewertungsportalen mehr Sachlichkeit und Fairness bringen. Bis es soweit ist, werden noch einige Prozesse angestrengt und Urteile verkündet werden. In der Zwischenzeit muss der Zahnarzt selber zusehen, wie er mit jameda & Co. umgeht: Ob er sie strategisch für die eigenen Zwecke nutzt, verklagt oder ignoriert. Fest steht: Noch ist er diesem Phänomen relativ hilflos ausgeliefert.

Claudia Kluckhuhn

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