Wir müssen neue Modelle zur Niederlassung anbieten!
Auch die politischen Rahmenbedingungen für Investitionen und unternehmerisches Handeln im Markt der zahnärztlichen Gesundheitsleistungen haben sich positiv entwickelt. Seitdem mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) im Jahre 2015 auch fachgruppengleiche MVZ zur Versorgung zugelassen wurden, ist erhebliche Bewegung in den Markt gekommen und die Zahl der zahnärztlichen MVZ steigt rasant an – am Ende des ersten Quartals 2018 waren bereits 544 MVZ im zahnärztlichen Bereich zugelassen.
Zahnärztliche MVZ bieten im Unterschied zu den herkömmlichen Praxisformen die Möglichkeit, unbegrenzt Zahnärzte anstellen zu dürfen. Damit können zahnärztliche Großversorgungseinheiten entstehen, deren Größe nicht aufgrund gesetzlicher Regelungen, sondern allein durch die jeweiligen lokalen, regionalen und auch überregionalen Märkte limitiert ist. Wegen dieser neuen, von der Politik eröffneten Möglichkeiten kam es zu einer Dynamik in der Branche, die zu weiteren Konzentrationsprozessen führt. In kurzen Intervallen entstehen heute neue Praxisketten und Franchiseunternehmen.
Zahnmedizin im Fokus von Finanzinvestoren
Inzwischen ist zu beobachten, dass die Gesundheitsindustrie und Finanzinvestoren in den Kern klassischer Bereiche der Gesundheitsversorgung vordringen. Denn Fakt ist: Der stabile und konjunkturunabhängige Gesundheitsmarkt ist für sie sehr attraktiv. Zum einen sorgt die weitgehende Kontinuität von Umsätzen und Gewinnen im Gesundheitsmarkt für einen Ausgleich bei Schwankungen im Beteiligungsportfolio. Zum anderen locken durchaus attraktive Renditen.
Aus der Sicht der Finanzinvestoren stehen die vielen einzelnen ambulanten Praxen in einem fragmentierten Markt: Jede Praxis hat einen eigenen Einkauf und ein eigenes Abrechnungssystem. Eine Konsolidierung verspricht Synergie- und Skaleneffekte und dadurch mehr Wachstum. Vor allem die technik- und kapitalintensiven Facharztdisziplinen erscheinen besonders lohnend. In der Labormedizin und bei Dialyseeinrichtungen findet schon seit 2010 eine weiträumige Industrialisierung statt. Die Radiologie und Augenheilkunde folgten; auch hier sind bereits zahlreiche Kettenbildungen zu verzeichnen.
Da die Zahnmedizin ebenfalls zu den stark technologisch geprägten Fachrichtungen gehört, steht sie zunehmend im Fokus der Investoren. Noch sind sie auf dem deutschen Zahnarztmarkt vergleichsweise selten vertreten, doch ein Blick nach Europa zeigt, dass hier Aufholpotenzial besteht. Der Anteil der Zahnarztketten lag in Finnland schon vor drei Jahren bei 35 Prozent der Zahnarztsitze und in Spanien und Großbritannien machte er etwa ein Viertel des zahnmedizinischen Markts aus. Die Werte beziehen sich zwar auf das Jahr 2015 und Deutschland lag damals laut einer Analyse von KPMG bei einem Prozent. Doch das ändert sich gerade rasant, in den letzten zwei Jahren haben einige Transaktionen stattgefunden, unter anderem mit Investoren, die Vermögen in Milliardenhöhen verwalten.
Für den Einstieg in den ambulanten Gesundheitsmarkt kaufen Investoren häufig Kliniken, um daraufhin MVZ gründen zu können. Üblich ist der Aufkauf von einzelnen Zahnarztpraxen, um so nach und nach das Versorgungsnetz zu erweitern und das Geschäftsfeld zu konsolidieren. Für diese sogenannte Buy-and-Build-Strategie ist die „hochfragmentierte“, also von kleinen Einheiten geprägte ambulante Versorgung prädestiniert. Entstehen daraus größere Versorgungseinheiten oder -ketten, können Skaleneffekte genutzt werden, zum Beispiel über die Bildung von Einkaufsverbünden, übergreifende EDV-und Geräteanschaffungen, gebündelte Rechts- und Steuerberatung oder über den Aufbau eines Marken-images.
Diese Entwicklungen ebnen den Weg für eine quasi-industrielle Leistungserbringung im zahnärztlichen Bereich. Aus den herkömmlichen Praxisformen entstehen zahnmedizinische Unternehmen, die in zunehmend differenzierten, arbeitsteiligen Strukturen in formal durchgestalteten Prozessen industriell Gesundheitsleistungen erbringen – übrigens mit allen Chancen und Risiken, die diese Form des wirtschaftlichen und auch sozialen Handelns mit sich bringt. Wie jede andere Entwicklung am Markt würde auch die Industrialisierung in der Zahnmedizin nicht erfolgen, wenn die Marktteilnehmer keine Vorteile davon hätten. So nehmen junge Zahnärzte gerne die Möglichkeit wahr, zunächst eine Anstellung in einer größeren Einheit anzunehmen. Aber auch die ältere Generation der Inhaber von Zahnarztpraxen ergreift immer häufiger die Chance, ihre Praxis an Investoren zu verkaufen und gegebenenfalls anschließend mit reduziertem Arbeitspensum in der Anstellung noch weiter tätig zu sein. Patienten wiederum nutzen gerne das Serviceangebot beispielsweise in Form von ausgedehnten Öffnungszeiten oder fallweise auch günstigeren Leistungen.
Zahnärzte und Patienten nehmen neue Angebote an
Offensichtlich treffen die neuen Möglichkeiten der Berufsausübung in den MVZ oder größeren Verbünden durchaus auf Resonanz in der jungen Zahnärztegeneration. Sich in modern ausgestatteten Praxen vorwiegend auf die zahnärztliche Tätigkeit zu konzentrieren, ist für einige durchaus verlockend. Denn dort sorgt ein zentrales Management für einheitliche Arbeitsorganisation und Außenwahrnehmung. Dem Zahnarzt werden administrative Pflichten abgenommen und er muss sich auch nicht weiter um die Patientengewinnung kümmern. Allerdings hat das seinen Preis, nämlich den der freien Gestaltung seiner Tätigkeit, der Flexibilität und der Freiräume sowie des höheren Einkommens, das eine eigene Praxis ermöglicht. Was können wir also tun, um denjenigen, die den Wunsch haben, Patienten in einer eigenen Praxis zu behandeln, uneingeschränkt Entscheidungen zu treffen und den Arbeitsplatz selbst zu gestalten, dies auch zu ermöglichen? Was ist an Unterstützungen denkbar und machbar, wenn die Vorstellungen der Zahnärzte von der Berufsausübung unterschiedlich sind und sich im Laufe der beruflichen Karriere auch noch verändern? Klar ist zunächst, die einzig richtige Lösung gibt es nicht, unterschiedliche Modelle müssen her.
Mögliche Lösungsansätze für Zahnarztpraxen
Eine Baustelle ist die Suche nach Praxisnachfolgern, die sich oftmals schwierig gestaltet. Entsprechend wäre ein wesentlicher Ansatzpunkt, den Generationswechsel an dieser Stelle zu fördern. Würde die Praxis zum Zeitpunkt der geplanten Abgabe modernen Standards entsprechen und der Einstieg beispielsweise durch einen Coach begleitet werden, wäre sie für junge Zahnärzte vermutlich auch attraktiver. Auch Maßnahmen, die die administrativen Aufgaben oder die Praxisführung unterstützen würden, könnten die Entscheidung zur Übernahme einer Praxis erleichtern.
Wir müssen also weiterdenken, zum Beispiel über Servicekonzepte mit unterschiedlichen Dienstleistungspaketen und digitalen Lösungen für die zahnärztliche Praxis. Sie könnten entsprechend dem Bedarf des Praxisinhabers modular zur Verfügung gestellt werden, um ihn bei administrativen Tätigkeiten zu entlasten und so mehr Zeit für den Patienten zu gewinnen.
„Jetzt muss gehandelt werden!“
„In Westfalen-Lippe verzeichnen wir mehrere Aktivitäten von Investoren, die mit Fremdkapital in reine Zahnarzt-MVZ investieren wollen.
Ein internationaler Private-Equityfonds hat eine oralchirurgische Privatzahnklinik übernommen und besitzt in Baden-Württemberg eine orthopädische Klinik, die als Trägerin für reinzahnärztliche MVZs dienen soll. In Münster hat sich die Tochtergesellschaft eines großen Kaffeerösters niedergelassen, der international in Europa mit aufgekauften Zahnarztpraxen schon Umsätze über 300 Millionen Euro realisiert, und sucht Praxen zur Übernahme. Münster gehört zu den finanzstärksten und gleichzeitig zahnmedizinisch bestversorgten Regionen in Westfalen-Lippe. Der Zweck ist nicht eine Verbesserung der zahnärztlichen Versorgung, sondern ein maximaler Profit für die Investoren.
Als KZVWL sind wir im Flächenland Westfalen-Lippe nach Kräften bemüht, auch in Zukunft die flächendeckende zahnmedizinische Versorgung sicherzustellen. Wir nutzen intensiv alle Möglichkeiten wie Hospitationen und Patenschaften, unseren beruflichen Nachwuchs für eine selbstständige eigenverantwortliche Tätigkeit niedergelassen in der eigenen Praxis zu begeistern. Gerade jetzt fangen kommerzielle MVZs an, eben diese für die zukünftige zahnärztliche Versorgung wichtige Gruppe in die gutversorgten und finanziell lukrativen Regionen zu locken. Großstrukturen bisher unbekannten Ausmaßes werden gegründet, die die selbstständigen, freiberuflichen und eigenverantwortlich tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte vom Markt drängen werden.
Auf der Strecke bleiben unsere Patienten in schwach strukturierten Regionen wie in Ostwestfalen, dem Sauer- und Siegerland und dem westlichen Westfalen, Praxen dort, die jetzt schon Probleme in dieser Hinsicht haben, werden keine Nachfolger mehr finden und schließen müssen. Die von der Politik immer wieder versprochene wohnortnahe, persönlich individuelle und qualitativ hochwertige Versorgung wird es dann nicht mehr geben. Die für die Zukunft der Versorgung wichtige junge Generation von Zahnärzten findet kein wie heute noch breit gefächertes passendes Angebot an Berufsausübungsmöglichkeiten in niedergelassenen Praxen, das ihren individuellen Vorstellung der viel zitierten Work-Life-Balance gerecht wird, sondern kann sich nur noch für Angestelltenverträge in profitorientierten MVZ mit entsprechenden Behandlungsvorgaben entscheiden.
Auf der Landesebene arbeiten wir gemeinsam mit der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe in einer von Landesgesundheits-minister Karl-Josef Laumann (CDU) gegründeten Arbeitsgruppe zur Thematik mit, an den Bundesgesundheitsminister haben wir uns in einem offenen Brief gewandt, der sehr große Unterstützung aus dem Kreis unserer Mitglieder erfuhr. Trotz dieser vorgetragenen und auch seitens der Politik konzedierten Faktenlage enthält der jetzt vorgelegte Entwurf zum TSVG unverständlicherweise keinerlei Ansätze, die beschriebenen Missstände und Gefahren abzuwenden. Hier ist der Gesetzgeber, der uns den Sicherstellungsauftrag gegeben hat, jetzt in Pflicht, endlich tätig zu werden, bevor Fakten geschaffen sind die nicht mehr revidierbar sind. Die Investoren stehen nicht erst ante portas, sondern sind bereits im Begriff, diese zu durchschreiten.“
Dr. Holger Seib
Vorstandsvorsitzender der KZV Westfalen-Lippe
Vor dem Hintergrund, dass junge Zahnärzte häufig vor der Niederlassung in einer eigenen Praxis zögern, weil sie das finanzielle Risiko scheuen, zu viel Bürokratie fürchten und Respekt vor unternehmerischen Herausforderungen haben, wären aber auch Komplettlösungen eine Alternative. Diese könnten sowohl eine Praxisinfrastruktur als auch die Administration und das Management zur Verfügung stellen. In diesem Fall würde der Zahnarzt ohne Investitionsaufwand und unternehmerisches Risiko, jedoch als eigener Chef agieren können. Solche unterschiedlichen Ansätze von unterstützenden Basislösungen bis hin zu Full-Service-Lösungen könnten die Antwort auf die sich verändernden Strukturen im Gesundheitswesen sein. Da es zu den Kernaufgaben der Deutschen Apotheker- und Ärztebank gehört, die Niederlassungen von Heilberuflern in Deutschland zu fördern, wollen wir in Abstimmung mit den Standesorganisationen ein entsprechendes Modell entwickeln. Ein Modell, das einer eigenen Praxis mit all der Flexibilität und den Freiräumen einer selbstständigen Tätigkeit möglichst nahekommt – nur ohne die anfänglich hohen Investitionskosten und dadurch mit deutlich eingeschränktem persönlichem Risiko. Damit würden wir Selbstständigkeit erlebbar machen, mit dem Ziel verbunden, die Zahnärzte von dem Mehrwert zu überzeugen, den sie als Praxiseigentümer hätten, und ihre Fähigkeiten zu schulen, die Praxis selbstständig zu führen.
Gemeinsam in die richtige Richtung lenken
Die Industrialisierungstendenzen haben die Zahnmedizin erreicht und schaffen hier neue Konkurrenzsituationen. Die herkömmlichen Praxisformen werden gegen eine zunehmend industriell geprägte Leistungserbringung in Praxisketten oder gar Dentalkonzernen antreten müssen. Es entsteht ein Wettbewerb zwischen Groß und Klein, dessen Ausgang offen ist. Denn im Gesundheitsmarkt herrschen in vielerlei Hinsicht besondere „Marktbedingungen“, angefangen von den wechselnden politischen Rahmenbedingungen über wirkmächtige gesellschaftliche Einflüsse bis hin zu den Bedürfnissen der Patienten. Deswegen sind wir nicht handlungsunfähig. Im Gegenteil: Wenn wir die Initiative ergreifen, mit Kreativität und gemeinsamen Anstrengungen neue Ideen entwickeln, dann können wir den Wandel mitgestalten und in die richtige Richtung lenken, beispielsweise mit neuen Versorgungskonzepten. Unser gemeinsames Ziel ist es schließlich, die Freiberuflichkeit im Gesundheitswesen zu erhalten und Heilberufler bestmöglich bei den Veränderungen zu begleiten.