Ein Blumenstrauß von der Bundeswehr
Der erste Fachvortrag von Prof. Bilal Al-Nawas aus Mainz thematisierte die „Traumachirurgie unter dem Blickwinkel der späteren Versorgung“. Al-Nawas gab auch für den allgemeinen Zahnarzt einige gute Hinweise, sollte er als erster an einem Unfallort erscheinen oder mit einem Chirurgen posttraumatisch zusammenarbeiten. Mit faszinierenden Bildern zeigte er den hohen Entwicklungsstand moderner, auch CAD/CAM-gestützter Gesichtschirurgie, die nicht nur funktionelle, sondern auch ästhetische Rekonstruktionen ermöglicht.
Einen sehr schönen historischen Abriss bot Oberfeldarzt André Müllerschön, der die Herausforderungen der zahnmedizinischen Versorgung in der Bundeswehr in den vergangenen 60 Jahren Revue passieren ließ. Dabei spannte er den Bogen von den anfänglich großen Personalproblemen bei der Gründung über die Entwicklungen der Konzeptionen während des Kalten Krieges bis hin zu den besonderen Anforderungen des zahnärztlichen Dienstes im Status der Einsatzarmee moderner Prägung, die nicht nur im Inland, sondern immer mehr auch außerhalb der Landesgrenzen tätig wird. Admiralarzt a. D. Dr. Wolfgang Barth ergänzte in seinem Vortrag die Entwicklung der militärischen Zahnmedizin in Kooperation mit den zivilen standespolitischen Organisationen BZÄK und KZBV: Die anfängliche Reserviertheit der Truppe gegenüber wich einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, so dass der Leitende Zahnarzt der Bundeswehr heute stets ein gern gesehener Gast bei allen standespolitischen, aber auch wissenschaftlichen Gesellschaften ist und diese auch umgekehrt die drei großen jährlichen zahnärztlichen Fortbildungsveranstaltungen der Bundeswehr in Banz, Bonn und Damp durch Beiträge bereichern.
Militärische Zahnmedizin mit zivilen Aha-Effekten
Nach der kurzen Pause eröffnete Oberfeldarzt Simon Grammig den Reigen der Kurzvorträge mit einem klinisch problematischen, ja rätselhaften Fall, der eine überraschende Lösung fand und gerade bei den anwesenden zivilen Kollegen zu Aha-Effekten führte, weil auch bei Einzelzahnproblemen eine 3-D-Diagnostik weiterhelfen kann.
Oberfeldärztin Kerstin Kladny berichtete über ein auch im zivilen Leben vorkommendes Übel, nämlich über das Schnarchen bei der Bundeswehr. Ein Schnarcher in einer Zehn-Mann-Stube im Auslandseinsatz oder auf einer Fregatte kann nachvollziehbar „wehrzersetzend“ wirken – und so ist die Behandlung mit einer Apnoe-Schiene eine stetig zunehmende Erweiterung des Therapieportfolios des Truppenzahnarztes, natürlich in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit allgemeinmedizinischen Kollegen.
Oberfeldarzt Michael Lüpke stellte die „Implantatprothetik bei Patienten mit parodontalen Vorerkrankungen“ vor und konnte dank seiner über zwanzigjährigen Tätigkeit am Standort Bundeswehrkrankenhaus Hamburg fundierte longitudinale Aussagen treffen. Er führte aus, dass auch bei schweren PA-Patienten eine implantatprothetische Versorgung möglich ist, als conditio sine qua non aber die vorherige, abgeschlossene Parodontaltherapie stehen muss sowie ein engmaschiges Recallsystem zur Kontrolle des Biofilms, was unter wehrmedizinischen Aspekten eine besondere Herausforderung darstellt, da durch ständige Ortswechsel der Soldaten eine hohe Eigenverantwortlichkeit vonnöten ist.
Mit einer Apnoe-Schiene gegen die „Wehrzersetzung“
Bei Gewährleistung einer regelmäßigen Nachsorge ist aber auch die Behandlung von ausgeprägten Periodontitisfällen mit einer erfolgreichen Implantatversorgung möglich, wie Lüpke eindrucksvoll an zwei Patientenfällen nach 18- beziehungsweise 19-jähriger Beobachtungszeit zeigen konnte.
Ein wissenschaftliches Highlight mit praktisch-klinischem Hintergrund bot dann Oberfeldarzt Christian Kühlhorn, der als begutachtender Zahnarzt der Bundeswehr mit der Untersuchungsmethode der Effektorzelltypisierung auf Mercaptane und Thioether konfrontiert wurde.
Im Rahmen seines Referates wurden anhand eines klinischen Patientenfalles die molekularen Grundlagen dieser Methodik erläutert und deren wissenschaftliche Aussagekraft bezüglich eines daraus folgenden Therapieentscheids unter Betrachtung internationaler Peer-Review-Publikationen eingeordnet und bewertet.
Last, but absolutely not least wies Oberärztin Dr. Gabriele Diedrichs aus Düsseldorf in einem sehr anschaulichen und praxisnahen Vortrag auf die wesentlichen Aspekte der immer noch analogen Präparation auch bei weitergehend digitalem Workflow hin. Da die manuelle Präparation auch wohl noch in den nächsten Jahren die Grundtätigkeit des Zahnarztes darstellt, lohnt es sich auch zukünftig, sich immer wieder einmal mit diesen Grundlagen zu beschäftigen. Im Wesentlichen seien hier die korrekte Auswahl der Instrumente unter dem Stichwort „Formkongruenz“, die korrekten Drehzahlen und die Zusammenstellung eines systematisch angeordneten Schleifsets genannt. Trotz fortgeschrittener Zeit wurde darüber lange diskutiert.
Ein gelungenes verflixtes 7. Jahr
Fasst man dieses Symposium zusammen, kann konstatiert werden, dass es wieder gelungen ist, bundeswehrtypische Probleme auch für die zivile Kollegenschaft interessant darzustellen und durch den bunten Blumenstrauß praxisnaher Vorträge auch für jeden etwas anzubieten.
Man kann sich auf die achte Jahrestagung in diesem Jahr freuen, die auch unter dem Generalthema „Misserfolge“ großen Zuspruch haben wird.
Foto: Von TUBS – Diese Vektorgrafik wurde mit dem Adobe Illustrator erstellt.Diese Datei wurde mit Commonist hochgeladen.Diese Vektorgrafik enthält Elemente, die von folgender Datei entnommen oder adaptiert wurden: Vorlage Schulterklappe für Dienstanzug Lw und H.svg (von TUBS)., CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org/w/index.php
60 Jahre Zahnmedizin in der Bundeswehr
„Der Menschlichkeit verpflichtet“
„Denn dieses ist der Freien einz’ge Pflicht – das Reich zu schirmen, das sie selber schirmt.“ Dieses Zitat aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell passte zur 7. Jahrestagung des Arbeitskreises Wehrmedizin am 10. November nicht nur sehr gut, weil Schiller an diesem Tag Geburtstag hat, sondern auch inhaltich zum Jubiläum „60 Jahre Zahnmedizin in der Bundeswehr“.
Es passte, weil die Aussetzung der Wehrpflicht das Schillersche Zitat geradezu konterkariert und auch der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nicht förderlich ist.
Sehr intensiv wurde im Jubiläumsjahr die Ausbildung von Sanitätspersonal an der Waffe diskutiert, jedoch dient diese Weisung gerade bei den deutschen Streitkräften eindeutig nur zur Selbstverteidigung und zum Schutz der anvertrauten Patienten und folgt damit exakt dem Bundeswehrslogan „Der Menschlichkeit verpflichtet“, der gemäß dem Hippokratischen Eid auch und gerade in Kriegszeiten ein umso höheres Gut ist.
Was die Zahnmedizin in der Bundeswehr betrifft: Sie überzeugt durch ihre hohe Leistungsfähigkeit – auch in Auslandseinsätzen – und braucht den Vergleich mit den Qualitätsstandards im Inland nicht zu scheuen.
Prof. Dr. Peter Pospiech