Die Arzneimittelkommission Zahnärzte informiert

Metamizol – aktuelle Anmerkungen zu einem „alten“ Arzneimittel

Monika Daubländer
,
Ralf Stahlmann
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat mehrfach auf das Risiko der Agranulozytose nach Metamizol hingewiesen, dennoch sind die Verordnungszahlen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In der Folge wurden die Indikationen eingeschränkt. Durch die strikte Formulierung soll eine breite Verwendung etwa bei Kopf- oder Zahnschmerzen vermieden werden.

Metamizol ist in Deutschland schon seit fast 100 Jahren im Handel. Es wird auch als Novaminsulfon-Natrium bezeichnet, ein bekannter Handelsname ist Novalgin®. Aufgrund der guten Wasserlöslichkeit eignet sich der Wirkstoff gut zur Herstellung flüssiger Arzneiformen: zur oralen Gabe in Form von Tropfen oder zur intravenösen Injektion. Nicht zuletzt wegen dieser Zubereitungsformen ist der Wirkstoff nach wie vor ein beliebtes Arzneimittel. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Verordnungszahlen mehr als verdoppelt, im Jahr 2016 wurden mehr als 200 Millionen Tagesdosen im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. 

Dies ist bemerkenswert, weil es seit Langem Bestrebungen gibt, den Verbrauch von Metamizol einzudämmen, denn Metamizol kann in seltenen Fällen eine immunologisch bedingte Agranulozytose induzieren. Liegt die Anzahl der neutrophilen Granulozyten im peripheren Blut bei weniger als 1.500 pro μl Blut spricht man von einer Neutropenie, bei < 500 pro μl von einer Agranulozytose. Ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen besteht vor allem, wenn weniger als 100 Neutrophile pro μl Blut vorhanden sind.

Ein Mangel an Granulozyten erhöht das Infektionsrisiko. Initial können eine Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Abgeschlagenheit und Fieber auftreten, letzteres auch als einziges Symptom (Tabelle 1). Oft wird fälschlicherweise an einen grippalen Infekt gedacht, da unspezifische Symptome wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Schüttelfrost sowie Muskel- und Gelenkschmerzen auftreten können. Typisch sind auch Entzündungen und Ulzerationen der Schleimhäute (ulzeröse Stomatitis, Pharyngitis, Tonsillitis, Proktitis). Bei Patienten mit einer Agranulozytose kann es schließlich durch das geschwächte Immunsystem zu einer Sepsis kommen.

Maßnahmen zur Einschränkung des Verbrauchs

Wegen des Risikos lebensbedrohlicher Blutbildveränderungen wurden Metamizol-haltige Präparate in den 1970er-Jahren in vielen Ländern vom Markt genommen. Wegen der grundsätzlichen Schwierigkeiten, die bei einer Erfassung von sehr seltenen unerwünschten Wirkungen bestehen, sind die Ergebnisse der epidemiologischen Studien teilweise widersprüchlich. Eine aktuelle Studie aus Deutschland soll hier etwas näher betrachtet werden. 

Zwischen 2000 und 2010 wurden in 51 Berliner Krankenhäusern alle Patienten erfasst, bei denen eine Agranulozytose vorlag. Von insgesamt 88 Fällen wurde bei 26 Patienten – 19 Frauen und 7 Männern – ein Zusammenhang mit Metamizol gesichert. Frauen waren also deutlich häufiger als Männer betroffen. Die Inzidenz der Nebenwirkung lag bei etwa 1 auf 1 Million pro Jahr.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat mehrfach auf das Risiko der Agranulozytose nach Metamizol hingewiesen. Die Kommission betont, dass parallel zur Zunahme der Metamizol-Verordnungen eine Zunahme der Spontanmeldungen von Agranulozytosen durch Metamizol zu verzeichnen ist. Die Zahl der Meldungen lag in den vergangenen Jahren bei über 30 pro Jahr. Insgesamt sind in den vergangenen 20 Jahren etwa 400 Verdachtsmeldungen von Metamizol-induzierten Agranulozytosen erfasst worden, mit einem tödlichen Ausgang in etwa 20 Prozent der Fälle. Der große Anteil von letalen Verläufen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass schwer beziehungsweise tödlich verlaufende Fälle eher als unkomplizierte Verläufe gemeldet werden.

Mögliche Symptome einer Agranulozytose:

  • Typische Symptomtrias

  • Fieber (ggf. als einziges Symptom!)

  • Halsschmerzen, Angina tonsillaris

  • Entzündliche Schleimhautläsionen

  • Weitere Symptome

  • Abgeschlagenheit

  • (schweres) Krankheitsgefühl

  • Schüttelfrost

  • Stomatitis aphthosa

  • Schmerzhafte Schluckstörung

  • Myalgien, Arthralgien

Quelle: mod. nach Stamer et al., 2017

Bereits 1987 hatte das damals zuständige Bundesgesundheitsamt die Zulassung für alle Metamizol-haltigen Kombinationspräparate widerrufen. Darüber hinaus wurden die Indikationen für die Monopräparate eingeschränkt auf

  • akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen,

  • Koliken,

  • Tumorschmerzen,

  • sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind, 

  • hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Anwendung in der Zahnheilkunde

Eine breite Verwendung etwa bei Kopf- oder Zahnschmerzen soll durch diese strikte Formulierung der Indikationen vermieden werden. Ein Einsatz in der Zahnheilkunde sollte sich ebenfalls an diesen Richtlinien orientieren. 

Daher ist primär die Verordnung von Ibuprofen bei milden sowie mittelstarken akuten und postoperativen Schmerzen im ZMK-Bereich zu empfehlen. Bei Vorliegen von Kontraindikationen (beispielsweise Nierenerkrankungen, Cortisonmedikation) oder bestehender Schwangerschaft sollte Paracetamol eingesetzt werden. Liegen Kontraindikationen für Ibuprofen und Paracetamol vor, ist die Gabe von Metamizol indiziert. Auch als Ergänzung zu einer länger dauernden Schmerzmedikation mit Nichtsteroidalen Antiphlogistika (etwa Ibuprofen) und Erreichen der Tageshöchstdosis kann als Reservemedikament (Rescuemedication) Metamizol über einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Zu beachten ist dabei die kurze Wirkdauer von circa vier Stunden. 

Eine rasche Diagnose kann Leben retten!

Gemäß Fachinformation soll bei längerfristiger Behandlung mit Metamizol regelmäßig das Differenzialblutbild kontrolliert werden. Wichtig ist, dass Patienten und das Pflegepersonal über die Symptome einer Agranulozytose aufgeklärt werden müssen. Bei Auftreten von Fieber, Halsschmerzen und entzündlichen Schleimhautveränderungen unter Behandlung mit Metamizol soll der Patient sofort den Arzt aufsuchen; dieser muss eine Agranulozytose in Betracht ziehen, umgehend das Differenzialblutbild kontrollieren und Metamizol absetzen. Wenn eine Agranulozytose rechtzeitig erkannt wird, ist die Prognose gut. 

Eine einmal erfolgte Sensibilisierung besteht wahrscheinlich lebenslang und bei Reexposition kann eine Agranulozytose erneut auftreten. Daher ist es dringend erforderlich, auf Kombinationspräparate zu verzichten und bei der Verordnung des Arzneimittels die strikt formulierten Indikationen zu befolgen. 

Zusammenfassung

Metamizol ist ein lang bekanntes Arzneimittel, das vor allem bei starken Schmerzen indiziert ist. Neben der analgetischen und antipyretischen Wirkung zeichnet es sich durch eine spasmolytische Wirkkomponente aus. Es kommt daher zum Beispiel bei Koliken und Tumorschmerzen zum Einsatz. Aufgrund einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Analyse ist Metamizol bei Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen nicht als Medikament der ersten Wahl indiziert, denn in sehr seltenen Fällen kann der Wirkstoff eine Agranulozytose verursachen. Die detailliert definierten Indikationen sollten daher strikt eingehalten werden. Wichtig ist die Kenntnis der typischen Symptome, die meist bei einer Agranulozytose auftreten: Fieber, Halsschmerzen, Schleimhautläsionen. Ärzte müssen ihre Patienten entsprechend informieren, Pflegepersonal und Angehörige sollten mit der Komplikation vertraut sein. Beim geringsten Verdacht muss ein Differenzialblutbild angefertigt werden. 

Univ.-Prof. Dr. med. Ralf Stahlmann

Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer

Spezielle Schmerztherapie in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Plastische Operationen

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

141800-flexible-1900

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer

Leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde
Augustusplatz 2,
55131 Mainz

Prof. Dr. med. Ralf Stahlmann


Charité Universitätsmedizin Berlin
Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Luisenstraße 7,
10117 Berlin

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