Tagsüber Kieferbehandlung, abends Hornissenrettung
Die Feuerwehr wollte damals 2.000 DM dafür haben, wenn sie die Wespen vor dem Fenster einer Familie beseitigt, wäre aber erst in zwei Wochen angerückt. Der Dortmunder Abiturient Elmar Billig war da deutlicher preiswerter, zumal nur eine Bambusstange und Insektizid zum Einsatz kamen – und eben keine Feuerwehrleiter.
Offiziell registrierter Wespenumsiedler
„Von den fälligen 1.000 Mark habe ich 500 erhalten, die restlichen 500 wurden für einen sozialen Zweck gespendet. Damit konnte ich mehr als gut leben und hatte noch zu Schulzeiten innerhalb von zehn Minuten ganze 500 DM verdient!“, freut sich Billig noch heute. Was ihm aber damals sofort leid tat, war, dass durch sein Tun alle Tiere verendeten. „Bei den nachfolgenden Einsätzen habe ich immer ungiftige Techniken benutzt. Das klingt zwar nach einem Widerspruch, funktioniert aber wirklich“, erzählt der erfahrene Insektenexperte und promovierte Kieferorthopäde.
Mit 19 ließ sich Billig beim städtischen Gewerbeamt als „Wespenbekämpfer“, später als „Wespenumsiedler“ registrieren. „Auch die IHK hat mich unter der Bezeichnung geführt.“ Aus diesem Namen entstand schließlich seine Firma Hymo-Tec – als Kunstwort aus Hymenoptera, altgriechisch für Hautflügler, und Technik, téchna für Kunstfertigkeit.
Nach einem kurzen Ausflug in die Medizin absolvierte der Sohn eines praktischen Arztes und einer Zahnärztin nach einem Praktikum in einem Dortmunder Dentallabor eine Ausbildung zum Zahntechniker und studierte im Anschluss Zahnmedizin in Freiburg. Sein kleines Unternehmen nahm er mit. Da Billig das Insektizid auf Dauer zu teuer wurde, entwickelte er für das Umsetzen der Insektenvölker einen speziellen Umsiedlungskasten (Foto rechts) – aus einem Bausatz für 42 Euro. „Davon habe ich immer so ein halbes Dutzend im Auto dabei.“
Im Lauf der Jahre hat der Fachmann etwa 1.500 Völker umgesetzt, in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Manchmal bis zu fünf am Tag. „Es gibt vermutlich niemanden, der das so akribisch macht“ , stellt er fest. „Kein Wunder, die Arbeit mit Insekten, inzwischen ausschließlich mit Hornissen, ist schließlich mein zweiter Beruf“, fügt er an. Dabei hat er die einfachen Einsätze längst hinter sich gelassen: „Ich fahre erst los, wenn irgendwo ein halbes Dach abgedeckt werden müsste oder ein Spezialkran erforderlich wäre, um an das Nest zu kommen.“
„Mein Tag hat 48 Stunden“, erzählt er lachend. „Tagsüber widme ich mich acht bis neun Stunden der Kieferorthopädie und meinen Patienten, und danach wochentags sechs bis acht Stunden den Hornissen, an Wochenenden nochmal zwölf Stunden. Die Praxis steht natürlich an erster Stelle. Aber spätestens um 17:30 Uhr bin ich weg, Richtung Hornissen“, beschreibt Billig sein Pensum.
Seit 2002 ist der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie in Utting am Ammersee niedergelassen und auf Erkrankungen des Kiefergelenks spezialisiert. Insgesamt kann er auf eine abwechslungsreiche Laufbahn verweisen, mit Stationen wie der als freier Mitarbeiter in einer Tierklinik (als Spezialist für Tierzahnheilkunde) und dem Grundwehrdienst als Stabsarzt. Er ist in klinischer Hypnose ausgebildet und ließ sich in klassischer Homöopathie schulen.
Seine Patienten kennen seinen zweiten Hauptberuf, auch weil er so häufig in den Medien ist. „Ich war zum Beispiel mal mit einem kleinen Hornissenvolk bei Günther Jauch bei stern TV zu Gast“, berichtet er. „Für die Fahrt brauchte ich von drei Bundesländern Sondergenehmigungen, um mit den Hornissen deren Ländergrenzen zu überqueren.“
Im März dieses Jahres hatte sein Film „Der Hornissensommer – das unbekannte Leben der friedlichen Riesen“ Premiere. Die Dokumentation wurde beim „1. Netzwerktreffen der bayerischen Wespen- und Hornissenberater“ in Eichstätt gezeigt, der von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege ausgerichtet wurde. Billig hat den Film selbst eingesprochen und will ihn jetzt in weitere Sprachen synchronisieren. „Ganz besonders freue ich mich auf eine eigene Tonspur für Kinder. Eine Sprecherin dafür habe ich mir beim bayerischen Vorlesewettbewerb gesucht.“
Sein Hornissenfilm wird gerade synchronisiert
Das gesprochene Wort spielt nicht nur in Billigs Filmen eine wichtige Rolle: Bei seiner Arbeit als Kieferorthopäde setzt er öfter Hypnose ein, wobei er seine Stimme so moduliert, dass sie beim Patienten eine Mundtrockenheit hervorruft, denn dann lassen sich die Spangen besser einsetzen. Billig: „Mit der Methode kommt man eine halbe Stunde ohne Sauger aus. Gerade bei Kindern klappt das gut. Sie bleiben während der kleinen Trance trotzdem ansprechbar. Das sei wie in einem spannenden Film, bekomme ich oft zu hören.“
Die Hornissen begleiten ihn auch in seiner Praxis. „Es hängen viele Fotos von Hornissen an den Wänden. Per Monitor über den Behandlungsstühlen zeige ich einen Livestream von einem Hornissennest.“ Diese Übertragung sehen auch viele Kinder und Jugendliche, berichtet Billig. „Mir haben Lehrer erzählt, dass sie den Livestream zum festen Bestandteil des Lehrplans gemacht haben.“
In seinem zweiten Film wird es um die Techniken und Verfahren zum Umsiedeln von Hornissenvölkern gehen sowie um Ausrüstung und Werkzeug. Was die Arbeit mit den Insekten angeht, setzt er sich für Standards ein: „Beim Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz habe ich schon mal vorgefühlt, um eine einheitliche Ausbildung für Hornissenumsiedler zu etablieren.“
Hornissen sind übrigens weit friedvoller, als ihnen landläufig nachgesagt wird. Sie glauben das nicht? Fragen Sie Dr. med. dent. Elmar Billig, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie – und Hornissenexperte. Wieso er überhaupt lieber Zahnmedizin statt Biologie studiert hat? „Dass ich mal Zahnarzt werde, stand nach einer Frage meines Großvaters schon im zarten Alter von nur sieben Jahren fest.“ Billigs Großvater war – nicht überraschend – Zahnarzt.
„Hornissen sind keine gefährlichen Killer!“
Dr. Elmar Billig
„Anders als die meisten von uns schon in Kindertagen gelernt haben, sind Hornissen keine gefährlichen Killer, sondern die mit Abstand friedlichsten Vertreter aus der großen Gruppe der Wespen. Ihr Gift ist deutlich schwächer als das von gewöhnlichen Bienen. Es gilt heute als wissenschaftlich erwiesen, dass Bienengift circa zehn- bis 15-mal stärker ist.
Da Hornissen kaum natürliche Feinde haben, ist ihre ,Beinahe-Ausrottung‘ nahezu ausschließlich dem Menschen zuzuschreiben. Durch besonderen Schutz erholen sich die Bestände allmählich. Ein Nest im oder am Haus muss in vielen Fällen gar nicht umgesetzt werden, da es bis Ende Oktober sowieso ausstirbt und im kommenden Jahr nicht neu beflogen wird. In den übrigen Fällen werden die Völker von Spezialisten geborgen und in der freien Natur wieder angesiedelt.“
Dr. med. dent. Elmar Billig