Nicht warten, bis der Zahnarzt geht
Mecklenburg-Vorpommern ist das am dünnsten besiedelte Bundesland Deutschlands. Abwanderungsprozesse und der demografische Wandel haben dazu geführt, dass das Land, das 1991 noch die im Durchschnitt jüngsten Einwohner aufwies, sich heute nur noch vor Brandenburg als „zweitältestes“ Bundesland wiederfindet. Diese Gemengelage aus demografischer Entwicklung und großflächiger Verteilung der Einwohner verschärft die auch in anderen Bundesländern bekannten und allmählich in den Fokus geratenden Probleme bei der medizinischen Versorgung auf dem Land.
Der Altersdurchschnitt aller niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte in Mecklenburg-Vorpommern lag im Jahr 2017 bei 53,4 Jahren. Dabei liegen die geburtenstärksten Jahrgänge zwischen 1953 und 1963 (Abbildung 1). Lag 2013 noch der Altersdurchschnitt in 8 von 34 Notfalldienstbereichen bei 50 Jahren und höher, traf das bereits vier Jahre später mit einer Ausnahme auf alle Notfalldienstbereiche zu. Im Notfalldienstbereich Strasburg wird mit einem Altersdurchschnitt von 59,2 Jahren der Spitzenwert erreicht. Auf der Insel Rügen sind von den 43 dort niedergelassenen Zahnärzten 28 älter als 55 Jahre (61,2 Prozent).
In den nächsten zehn Jahren wird voraussichtlich gut die Hälfte aller niedergelassenen Zahnärzte aus dem Berufsleben ausscheiden und damit nicht mehr für die Versorgung zur Verfügung stehen. Die Autoren des Konzepts schreiben dazu: „Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass diese Entwicklung durch angestellte Zahnärzte ausreichend kompensiert werden kann.“ Aus Sicht der Autoren ist das ein Problem, das in erheblichem Maß die Notfalldiensteinteilung, das Versorgungsangebot und die Arbeitsbelastung der Kollegen tangiert.
Die demografische Entwicklung spiegelt sich auch in der Mitgliederstruktur der Zahnärztekammer (Abbildung 2) wider. Fast jedes dritte Mitglied ist inzwischen nicht mehr berufstätig. Die Zahl der niedergelassenen Zahnärzte sinkt seit 1999 kontinuierlich, während sich die Zahl der angestellten Zahnärzte im gleichen Zeitraum annähernd verdoppelt hat – allerdings auf insgesamt noch niedrigem Niveau. „Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Finanzierung der Selbstverwaltung, sondern berührt auch Art und Inhalt der Interessenvertretung“, schreiben die Autoren. Die steigende Anzahl von angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten erfordere ein politisches Umdenken. Auch deren Interessen müssten künftig adäquat vertreten werden, beispielsweise „durch den gezielten Einbezug von Zahnärztinnen und Zahnärzten in die berufspolitischen Gremien der Zahnärztekammer“.
Trend zur Anstellung oder verzögerte Niederlassung?
Bundesweit nimmt die Zahl angestellter Zahnärztinnen und Zahnärzte zu. Auch in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1994 hat sich die Zahl der Zahnärzte im Anstellungsverhältnis hier verdoppelt. Mehrere Ursachen kommen den Autoren zufolge dafür infrage: Deutlich erkennbar sei, dass den nachwachsenden Generationen „offensichtlich Rahmenbedingungen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, wichtiger erscheinen als Rahmenbedingungen für die Praxis selbst“. Gezeigt habe sich auch, dass Zahnärzte häufiger eine Niederlassung anstreben als Zahnärztinnen. Andererseits erfolge der Start in die Niederlassung heute immer später, was die Phase der angestellten Tätigkeit verlängere. „Inwieweit Angestelltenverhältnisse generell Partnerschaften oder Niederlassungen ersetzen oder die eigene Niederlassung im Berufsverlauf nur nach hinten verlagern, lässt sich derzeit noch nicht genau ablesen“, schreiben die Autoren. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen ist diese Einschätzung besonders interessant, wird doch heute meist unhinterfragt die „Feminisierung der Zahnmedizin“ oder die zunehmende Neigung zur „Work-Life-Balance“ als Ursache für die steigenden Zahlen angestellter Zahnärzte gesehen. Möglicherweise spielen diese Effekte jedoch eine nur untergeordnete Rolle und die steigenden Angestelltenverhältnisse sind durch die im Durchschnitt spätere Niederlassung erklärbar. Eine Studie der apoBank hatte beispielsweise zeigen können, dass bei Niederlassungen ab dem 40. Lebensjahr Zahnärztinnen in der Mehrheit sind. Auch Auswertungen der Mitgliederstatistik in der Bundeszahnärztekammer stützen die These, dass sich die Familiengründung bei Zahnärztinnen möglicherweise nur verzögernd auf die Praxisgründung auswirkt.
Gesundheitspolitische Entscheidungen wie die Zulassung arztgruppengleicher MVZ im Rahmen des GKV-Versorgungsstärkungs-gesetzes 2015 haben den Trend zu mehr Angestelltenverhältnissen zweifelsohne befördert. Dabei ist die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, die Versorgung auf dem Land zu verbessern, klar verfehlt worden. Bundesweit befinden sich rund 79 Prozent der zahnärztlichen MVZ in städtischen und nur rund 21 Prozent in – vornehmlich strukturstarken – ländlichen Gebieten. Von den in Mecklenburg-Vorpommern zugelassenen sechs MVZ befindet sich kein einziges auf dem Land.
Z-MVZ sichern nicht die Versorgung auf dem Land
Mit der Zunahme an MVZ zeigt sich bundesweit auch ein verstärkter Trend zur Bildung größerer Dentalketten. So gibt es derzeit in Deutschland mindestens 93 MVZ-Ketten mit insgesamt 296 Standorten. Private-Equity-Gesellschaften stellen ganz offen ihre Investmentpläne für den europäischen und insbesondere den deutschen Dentalmarkt vor. Mit dem Ziel, „allein Kapitalinteressen zu verfolgen und nach Rendite zu streben“, schreiben die Autoren. Weiter heißt es: „MVZ sind gerade gegenüber kleinen Praxen eine große Konkurrenz. Somit erscheint diesen Praxen der Wettbewerb eher als aussichtslos.“ Das habe „Folgen für die wohnortnahe Versorgung, die Qualität der Versorgung“ und generiere „die sich aus dem ungleichen Wettbewerb ergebenden Nachteile für zahnärztliche Niederlassungen“.
Eine potenziell sinkende Versorgungsdichte auf der einen Seite und steigende Zahlen vulnerabler Patientengruppen, die im ländlichen Raum weiträumig über größere Distanzen hinweg versorgt werden müssen, auf der anderen Seite stellen eine besondere Herausforderung in Mecklenburg-Vorpommern dar. Hier stehe die Selbstverwaltung in der Verantwortung, Best-Practice-Modelle zu entwickeln und zu unterstützen. Nachgedacht werden sollte über gegebenenfalls mit anderen medizinischen Disziplinen abgestimmte Transportmöglichkeiten von Patienten und auch über den Einsatz der Telemedizin.
Welcome Nachwuchs! Der Weg in die Kammer
Die Zahnärztekammer sollte laut den Autoren künftig noch stärker auf ihre Neumitglieder zugehen. Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten „im Rahmen von Nachwuchstagungen, Netzwerktreffen, Fortbildungsangeboten, Niederlassungsseminaren oder einem ‚Welcome Day‘ Einsicht in die Arbeit der Zahnärztekammer erhalten.“ Darüber hinaus wird angeregt, dass die Kreisstellen junge Kolleginnen und Kollegen gezielt ansprechen, um sie in bestehende Stammtische und Qualitätszirkel einzubeziehen.
Um Zahnmedizinstudierende besser auf eine künftige Niederlassung vorzubereiten, müsse die Zahnärztekammer künftig enger mit den Fachschaften der Universitäten zusammenarbeiten. Berufskundevorlesungen sollten noch besser an die Bedürfnisse der Studierenden angepasst werden – so wird vorgeschlagen, authentische Berichte junger Zahnärzte und Praxisgründer in die Vorlesungen zu integrieren. Gleichzeitig sollte über eine verpflichtende Teilnahme an diesen Vorlesungen nachgedacht werden.
Zudem wird angeregt, durch Hospitationen von Studierenden in Landpraxen den Berufsalltag dort erfahrbar zu machen und damit auch Anreize für eine spätere berufliche Tätigkeit in diesem Umfeld zu setzen. Vorbild ist hier ein Pilotprojekt der Universität Witten/Herdecke mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe.
Praxisbörse: Treffpunkt für Abgeber und Übernehmer
Ein wichtiger Aspekt bei der Sicherung der Versorgung auf dem Land ist, die bestehenden Praxen abgabewilliger Inhaber zu erhalten – durch die Vermittlung von jungen Interessenten. „Mit der Praxisbörse hat die Zahnärztekammer bereits eine mediale Plattform zur Verfügung gestellt, um die Suche nach potenziellen Bewerbern zu unterstützen. Um das Angebot der Praxisbörse attraktiver zu gestalten, könnten Vorlagen erstellt werden, in denen auch mögliche Bedürfnisse der jungen Zahnärzte/innen direkter abgefragt oder erfasst werden (zum Beispiel Fotos, Umfeldinformationen der Praxis, lokale Bildungsangebote für Kinder etc.).
Eine weiteres Projekt könnte die Entwicklung einer gezielten Assistentenbörse auf der Website der Zahnärztekammer und auf der Website der Fachschaft sein, auf der sich sowohl suchende Praxen wie auch zukünftige Assistenten vorstellen können. So sei es möglich, dass sich „die Kolleginnen und Kollegen direkt an den Nachwuchs wenden“, heißt es in dem Konzept.
Der prozentuale Anteil von Zahnärztinnen an der Gesamtzahl zahnärztlich tätiger Zahnärzte lag 2015 in Mecklenburg-Vorpommern bei 58,7 Prozent. Damit ist Mecklenburg-Vorpommern nach Sachsen (59,4 Prozent) das Bundesland mit dem höchsten Zahnärztinnenanteil [BZÄK, Statistisches Jahrbuch 2016/2017]. Auch hier entscheiden sich Zahnärztinnen durchschnittlich später als ihre männlichen Kollegen für eine Niederlassung. Um diesen Schritt zu unterstützen, regen die Autoren an, über spezielle Fortbildungen mit dem Fokus „Praxisübernahme mit 40“ nachzudenken. Hierin liege auch eine Chance für den Berufsstand, ließen sich doch die über 40-jährigen Zahnärzte zu 75 Prozent in Einzelpraxen nieder.
Der Stress im Berufsalltag macht unzufrieden
„Ökonomisierungstendenzen, Industrialisierung, Bürokratisierung und die Versozialrechtlichung beschreiben im Gesundheitswesen Entwicklungen, die für Ärzte und Zahnärzte mit einem zunehmenden Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Patienten und den Anforderungen des Gesundheitssystems verbunden sind. Der sich daraus ergebende berufsbedingte Stress hat über zahlreiche Reaktionsweisen der betroffenen Gesundheitsberufe unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung und die Qualität der Berufsausübung.
Besonders wird von den Zahnärzten die zunehmende Bürokratisierung im Bereich der kassenzahnärztlichen Tätigkeit aber auch bei Anforderungen durch die Hygiene, beim Qualitätsmanagement und jüngst bei der DSGVO kritisiert. Auch hier wäre für die politische Diskussion und Argumentation ein valider Kenntnisstand von erheblicher Bedeutung“, bilanzieren die Autoren und empfehlen eine Stärkung der Versorgungs- und hier speziell der Berufszufriedenheitsforschung.
Darüber hinaus schlagen sie ein entsprechendes Forschungsprojekt von Kammer, KZV, Landesregierung und der Universitätsmedizin Rostock vor. Vor dem Hintergrund absehbarer Probleme bei der wohnortnahen Versorgung auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern könnten Erkenntnisse darüber, was den Kolleginnen und Kollegen in der Berufsausübung wirklich wichtig ist und zur Berufszufriedenheit beiträgt, sehr hilfreich sein.