Mit Dental Volunteers e. V. in Tansania

„Deutsch“ planen funktioniert nicht immer

Charlotte Hüsch
Charlotte Hüsch studiert in Münster Zahnmedizin im neunten Semester. Februar/März dieses Jahres machte sie eine Auslandsfamulatur in Tansania. In ihrem Bericht schreibt sie von Behandlungen bei den Massai in offener Steppe, beobachtet von Giraffen, von der Utopie der absoluten Trockenlegung und von blutigem Ziegendarmgulasch.

Meine Planung für eine Auslandsfamulatur begann circa sieben Monate zuvor in Kooperation mit der deutschen Hilfsorganisation „Dental Volunteers e. V.“ – und sollte sich als weniger gradlinig gestalten als erwartet. So hatten eine Kommilitonin und ich nach einigen Monaten plötzlich doch unterschiedliche Vorstellungen von einer Famulatur (auf Madagaskar), und am Ende wusste ich erst fünf Wochen vorher, dass ich in naher Zukunft einen Flieger nach Tansania besteigen würde. Alleine.

In diesem Sinne: Eine Auslandsfamulatur lässt sich nicht immer so „deutsch“ planen, wie wir es gern hätten. Also: Bleibt spontan und versteift euch nicht auf ein Ziel oder ein Projekt. Manchmal wird eure Hilfe eben an einem anderen Ende der Welt mehr gebraucht.

Zum Einsatz: Mit Ethiopian Airlines landete ich am 10. Februar am Kilimandscharo-Airport, wurde von einem Fahrer eingesammelt und nach Mamza, einem Dorf nördlich von Arusha, gebracht. Dort liegt das kleine Pfarrhaus einer ehemaligen Mission, in dem Pat Patten lebt. Dieser Mann in den 70ern, ein wahrer Menschenfreund, kam vor fast 50 Jahren aus Detroit nach Tansania, um dort über die Jahre eine kleine Ambulanz, eine Behindertenwerkstatt und den Flying Medical Service aufzubauen. Diese Projekte, die allein durch Spenden und Ehrenämter ermöglicht werden, bringen Unterstützung dorthin, wo sie sonst niemals hinkäme. Meine am Abend angereisten Kollegen und ich wurden für die nächsten Wochen Gäste und Bewunderer dieses besonderen Ortes.

Am nächsten Tag begann unsere Arbeit. Das Team bestand zu Beginn aus einer angehenden MKG-Chirurgin, einem examinierten Zahnarzt und zwei Zahnmedizinstudierenden. Wir sichteten und sortierten unser Material und versorgten in den ersten zwei Tagen die Schüler der dortigen Behindertenwerkstatt und stellten uns in den umliegenden Schulen als „Daktari wa meno“ (Zahnarzt) vor. Seit Jahren besteht ein enger Kontakt zwischen Dr. Agnes Wagner und Dr. Ole Kuney, einem der acht Massai-Häuptlinge, der uns sehr gastfreundlich bat, ihn in seinem Dorf zu besuchen.

Mitte der ersten Woche mieteten wir schließlich einen Jeep und reisten in die Massai-Steppe. In dieser entlegenen Gegend, wo die Menschen allein für Wasser bis zu 60 Kilometer gehen müssen, liegt ein Zahnarztbesuch nicht nur gedanklich in weiter Ferne. Mit zwei Übersetzern an unserer Seite schickte uns Ole die nächsten vier Tage zu verschiedenen Dörfern in der Steppe, wo wir Füllungen legten und etliche Zähne zogen. Wir besuchten Schulen, um Mundhygiene zu demonstrieren, Zahnbürsten zu verteilen – und mussten uns auch bei allgemeinmedizinischen Fragen beweisen. Am Ende dieser intensiven Zeit waren wir medizinisch gewappnet für die kommenden Wochen.

Ein Zahnarztbesuch liegt wahrlich in weiter Ferne

Nun lag unser Ausgangspunkt wieder in Mamza. Wir arbeiteten bei Bedarf in der kleinen Ambulanz und screenten die Kinder von drei Schulen in der Umgebung, um im Anschluss alle nötigen Behandlungen durchzuführen. Die Arbeit mit den Schülern war besonders herausfordernd. Ihr Englisch war meist sehr schwach, sie waren ängstlich und verschüchtert. Die Kinder werden in der Schule oft brutal geschlagen, weshalb wir Ruhe und Geduld brauchten, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Viele noch sehr junge Kinder benötigten bereits Extraktionen und bewiesen echten Löwenmut. Mich beeindruckte die Weitsicht und Vernunft dieser kleinen Menschen, die schon zu begreifen schienen, welche Chance sich ihnen gerade bot.

Während der eine Teil der Gruppe in den Schulen arbeitete, flogen jede Woche jeweils zwei mit dem Flying Medical Service zusammen zu sehr entlegenen Orten. Nachdem das Flugzeug irgendwo zwischen „allerhand Nichts und ein paar Giraffen“ gelandet war, strömten von überall bunt behangene Massai herbei, um hinter einem Busch, unter dem Flugzeugflügel oder auch einfach in der prallen Sonne die meist erste zahnärztliche Behandlung ihres Lebens zu erhalten – eine unbeschreibliche und extrem anstrengende Erfahrung. Rückblickend kann ich kaum glauben, wieviel ich in dieser scheinbar kurzen Zeit erleben durfte.

Absolute Trockenlegung? Absolute Utopie!

Die Art zu arbeiten unterschied sich sehr davon, wie ich es von zu Hause gewohnt bin. Absolute Trockenlegung wurde zur absoluten Utopie. Man brauchte oft Nerven aus Stahlseilen und Muskeln aus Beton, musste schnell und öfter auch sehr kreativ handeln. Fachlich habe ich besonders im Bereich der Chirurgie enorm viel lernen dürfen. Auch meine allgemeine Sicherheit und Orientierung bei der Arbeit im Mund hat sich über die Zeit deutlich gesteigert.

Aber im Grunde waren es die zwischenmenschlichen Erfahrungen, die mich am meisten prägten. Wenn man eine halbe Stunde an nur einem entzündeten Zahn mit divergierenden Wurzeln zieht, wegen der Entzündung keine Anästhesie wirkt, man schwitzt, der Patient weint und fleht – und dann genau dieser Patient am nächsten Tag wiederkommt, mit seiner Frau an der Hand, sich bedankt und einen bittet, doch auch seiner Gattin zu helfen, dann ist das ein unfassbares Gefühl von Dankbarkeit und Stolz.

Charlotte Hüsch
Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Reisevorbereitungen

Lernt die Basiscs in Suaheli!

Die Kommunikation mit der Organisation fand im Wesentlichen über E-Mail und Telefon mit der Vorsitzenden des Vereins „Dental Volunteers“, Dr. Agnes Wagner, statt (mit einem Betrag von 50 Euro wird man Mitglied). Sie übernimmt die Vermittlung und unterstützt einen im Hintergrund. Über sie konnte ich auch bereits im Vorfeld Kontakt zu meinen Mitreisenden aufnehmen und mich bei wichtigen Fragen kurzschließen. In unserem Fall mussten wir im Vorhinein keine Spenden in Form von zahnärztlichen Materialien sammeln, da vor Ort neben der Basisausrüstung noch ausreichend Verbrauchsmaterialien vom vorigen Einsatz vorhanden waren.

Die Flüge nach Tansania sind relativ teuer. Hier lohnt es sich in jedem Fall, früh zu buchen. Zur weiteren Vorbereitung empfehle ich einen Besuch beim Hausarzt. Da ein großer Teil der Arbeit in Schulen stattfindet, sollte die letzte Boostrix-Impfung nicht allzu lang her sein. Wer im Nachhinein noch einen Abstecher nach Sansibar plant, benötigt eine Gelbfieberimpfung. Des Weiteren empfehle ich dringend vorab Grundlagen in Suaheli zu erlernen, weil es die Kommunikation enorm vereinfacht beziehungsweise in vielen Fällen überhaupt erst ermöglicht. Bedenkt beim Kofferpacken auch, dass in ländlichen Regionen Tansanias nackte Haut fast an einen Skandal grenzt. Die Beine sollten immer bedeckt und die Kleidung nicht zu eng anliegend sein. Stirnlampe nicht vergessen, dann kann es losgehen.

Bilanz

„Hapa kazi tu“

Ich empfehle jedem, der die Chance zu einer Famulatur im Ausland hat, sie zu ergreifen. Ich habe in den paar Wochen mehr an Erfahrung gewonnen als in den beiden letzten Behandlungssemestern zusammen. Uns hat vor Ort kein perfekt durchorganisiertes Projekt erwartet. Es gibt sehr viel Behandlungsbedarf überall, aber man muss darauf gefasst sein, sich die Arbeit auch einmal selbst zu suchen. Man braucht oft eine hohe Frustrationstoleranz und viel Zeit, denn wenn gerade die Rinder eingetrieben werden müssen, dann gibt es halt auch mal eine Stunde keinen Patienten. Man sollte keine Angst vor Körperkontakt haben, bereit sein, die eigenen Hygienestandards neu zu definieren und offen sein für andere, unbekannte Sitten. Beim blutigen Ziegendarmgulasch war mir auch nicht besonders wohl, doch dahinter stehen Menschen, die für uns aus größter Dankbarkeit eines ihrer Tiere geschlachtet haben und ein besonderes Essen zubereitet haben.

„Hapa kazi tu“ – so lautet das Motto des aktuellen Präsidenten John Magufuli. Es bedeutet so viel wie „nur Arbeit hier“. In Teilen mag er recht haben: Es gab wirklich jede Menge zu tun, meist keine Wochenenden, und nach Feierabend kamen dann doch noch drei Patienten, aber dieses Land macht darüber hinaus noch so viel mehr aus. Es lebt von seinen Menschen, von ihrer Herzlichkeit, ihrem Witz und ihrer sehr eindrucksvollen Kultur. Ich kann abschließend nur sagen: Es lohnt sich.

Charlotte Hüsch

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

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