Interview mit Dr. Juliane von Hoyningen-Huene

„Man muss politisch brennen, um etwas zu bewegen“

„Congratulations! Dr. Juliane von Hoyningen-Huene, MSc., Vorstandsmitglied VdZÄ [...] ist zur neuen Präsidentin des Women Dentists Worldwide (WDW), Sektion des FDI/World Dental Federation, gewählt worden. Das ist ein grandioser Erfolg. Wir freuen uns sehr mit ihr!“ So lautete kurz und knapp die Botschaft auf Twitter. Die zm fragte die frisch Gewählte, worum es bei WDW geht und wie sie als alleinerziehende Mutter, angestellte Zahnärztin, die zudem im Vorstand der Berliner Zahnärztekammer wie auch im FVDZ aktiv ist, all die Anforderungen erfolgreich unter einen Hut bekommt.

Ein netter Tweet der BZÄK – aber ich glaube, das kaum einer versteht, worum es dabei genau geht.

Dr. Juliane von Hoyningen-Huene: Es heißt auch eigentlich nicht President, sondern Chair – Vorsitzende ist also richtiger. Aber meine Vorgängerin wurde bereits immer so tituliert.

Was muss man sich unter „Womens Dentist Worldwide“ vorstellen?

Es gibt in der World Dental Federation (FDI) drei Sektionen, also Gruppen mit besonderen Interessen. Das ist einmal die Militärzahnmedizin, dort ist Flottenarzt Dr. Helfried Bieber der Chair, dann Dental Public Health, hier vertritt Dr. Sebastian Ziller Deutschland als Chief Dental Officer, und eben die Zahnärztinnen. Man trifft sich einmal jährlich zu einem Programm während des Jahreskongresses und kombiniert wissenschaftliche Vorträge mit Podiumsdiskussionen sowie Berichten aus den Ländern.

Ziel ist, die besonderen kulturellen, gesellschaftlichen und fachlichen Herausforderungen von Zahnärztinnen weltweit zu vergleichen und darzustellen, zu vernetzen und zu unterstützen. Dies kann zum Beispiel sein, mehr Referentinnen in wissenschaftlichen Programmen unterzubringen, auf Hindernisse und spezielle Herausforderungen aufmerksam zu machen und dies zu verbreiten.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten sind mit der neuen Funktion verbunden? Für welchen Zeitraum sind Sie gewählt?

Eine Amtsperiode dauert drei Jahre. Zuvor war ich bereits im Vorstand der Sektion. Ich habe jetzt also drei Jahre, um etwas zu bewegen. Meine Hauptarbeit wird nun sein, die 2. Women Dentists Leadership Conference vorzubereiten, die im Mai in Sankt Petersburg stattfinden wird und auch auf das nächste Forum in Shanghai im nächsten Jahr hinzuarbeiten. Vor allem liegt mir daran, die Informationen, die wir sammeln, weiter zu verbreiten. Wir werden also mehr mediale Kanäle nutzen in Zukunft.

Welche neuen Aufgaben kommen auf Sie zu?

Erst einmal gilt es den Vorstand und die Arbeitsgruppen als Team einzuschwören – was gar nicht so einfach ist. Denn meine Mitstreiterinnen kommen aus Ägypten, China, Georgien, Japan, Korea und den USA. WhatsApp und Facebook fallen also als Kommunikationsmittel aus, das funktioniert in China nicht. Und Vorstandssitzungen per Skype zu ordentlichen Tageszeiten abzuhalten wird eine Herausforderung werden. Dann würden wir gerne Sponsoren gewinnen, um mehr Referentinnen zu den Foren und Kongressen einladen zu können.

Was ist die aus Ihrer Sicht wichtigste Aufgabe?

Die immer noch bestehenden Missstände und Ungleichheiten aufzuzeigen, und dies nicht im Hinterkämmerlein, sondern in Publikationen und auf anderen Kanälen. Vernetzungen sind auch international wichtig, vor allem natürlich für Referentinnen und Wissenschaftlerinnen. In der Standespolitik kommt man in der Regel um die nationalen Kammern und Organisationen nicht herum.

Warum in der Regel?

Ich bin schon immer auf eigene Kosten zum FDI-Kongress gereist und habe dort an den Foren von Women Dentists Worldwide (WDW), Young Dentists Worldwide (YDW) etc. teilgenommen, weil ich vor über zehn Jahren als Vertreterin der International Association of Dental Students (IADS) mich begonnen habe einzubringen. Die meisten Teilnehmerinnen sind entweder Delegierte ihrer Organisationen oder mit der Delegation unterwegs. Ich bin da sozusagen die Quereinsteigerin.

Kann die deutsche Zahnärzteschaft von dieser Tätigkeit profitieren und wenn ja wie?

Selbstverständlich! Zunächst sehe ich es als internationale Anerkennung für die deutsche Zahnärztinnenschaft. Ich gebe meine Erfahrungen gerne im Rahmen meiner Arbeitsgruppe im Vorstand des VdZÄ – Dentista an die deutschen Zahnärztinnen weiter. Einerseits können wir sehen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht, etwa im Hinblick auf Mutterschutz und Elternzeit, aber wie merkwürdig unsere Standespolitik sich international in Hinblick auf Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt. Wenn ich gefragt werde, ob es in Deutschland keine Zahnärztinnen gibt, weil in der Reihe der Delegierten nur Männer sitzen, traue ich mich kaum zu sagen, dass wir fast 50 Prozent ausmachen!

Die internationale Tätigkeit ermöglicht nicht nur neue Perspektiven, sondern verändert auch die eigenen Einstellungen und Sichtweisen. Was sehen Sie beim Blick von außen auf die Situation der deutschen Zahnärzteschaft heute anders als zuvor?

Das kann ich so nicht sagen, denn ich war schon vor dem Physikum auf meinem ersten internationalen IADS-Kongress in Berlin. Es gab seitdem viele inspirierende Momente. Als ich 2008, gerade ein halbes Jahr in der Praxis, Dr. Michéle Aerden aus Belgien – die erste Frau die FDI-Präsidentin war – zuhörte, stand ich in Flammen. So viel Power, Durchblick und Stärke gepaart mit der Grazie einer Grande Dame, solche Vorbilder brauchen junge Zahnärztinnen.

Ich bin auch mal vom indischen Staatsfernsehen gefragt worden, wie die indische Zahnmedizin im Vergleich zu der in Deutschland denn so wäre, da wusste ich kaum, was ich antworten sollte. Spannend finde ich beispielsweise die unterschiedlichen Herangehensweisen, auch politisch. Während Frauen und Männer in Afghanistan politisch relativ gleichgestellt sind, darf man trotzdem nur in Begleitung eines Mannes auf die Straße gehen. Bei uns ist es eher andersherum.

Wie unterscheidet sich die Tätigkeit auf internationaler Ebene von der Tätigkeit im Präsidium bei der Berliner Zahnärztekammer?

Das kann man kaum vergleichen, auch vom zeitlichen Aufwand her. Ein Kongressprogramm zu erstellen ist mit den richtigen Kontakten kein Problem, wenn man ein gutes Netzwerk aufgebaut hat. In der Zahnärztekammer mache ich jede Woche viele Stunden kontinuierliche Sacharbeit.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es?

In Berlin bin ich ja auch für die Fortbildung zuständig, da sind viele Parallelitäten gegeben und ich profitiere in beide Richtungen. Für beides muss man politisch brennen, für beides muss man kommunikativ und gut vernetzt sein und bei beiden gehört neben Sachverstand auch ein wenig Diplomatie dazu!

Nun haben Sie bereits in jungen Jahren den „internationalen standespolitischen Olymp“ erklommen. Großen Respekt dafür! Da Zeit nicht vermehrbar ist: Was war der Preis, der von Ihnen dafür gezahlt wurde? Mussten Sie sich beruflich einschränken? Und Ihre Familie?

Ich möchte meine Antwort auf meine internationale Tätigkeit beschränken. Dort war der Preis wohl die vielen teuren Flüge und Hotels, die ich bezahlt habe. Aber ich sehe das dann immer auch als Zeit für mich. Dann muss mein Sohn mal eine Woche im Jahr auf mich verzichten, und wenn er groß genug ist und ich dann immer noch dabei sein sollte, werde ich versuchen, ihn mitzunehmen. Eine bessere Möglichkeit, Arbeit, Freizeit, Freundschaften und Reisen zu verbinden, gibt es kaum. Ich habe da vor 15 Jahren Blut geleckt, seither bin ich mindestens einmal im Jahr unterwegs.

Die Feststellung, dass die deutsche Zahnmedizin weiblich wird, ist mittlerweile Allgemeingut. Dennoch ist die weibliche Präsenz in der Professionspolitik freundlich formuliert ausbaufähig. Mit Blick auf Ihren Werdegang: Was war für Sie das überzeugendste Argument, sich standespolitisch zu engagieren?

Es macht mir Spaß mich einzubringen. Ich bin sehr gerne in der Praxis, aber wir sind ja doch alle ziemliche Einzelgänger. Wenn wir gemeinsame Ziele haben, also uns beispielsweise berufspolitisch zusammen einbringen, haben wir ein gemeinsames Ziel und wachsen als Gruppe zusammen. Ich halte nichts von Ellenbogen-Taktiken, sondern wir müssen eine Vision zusammen finden, auch zwischenmenschlich und das dann vorleben. Ich stehe für eine Politik auf Augenhöhe, die aber auch empathisch und authentisch ist. Vor fast sechs Jahren war ich die erste Frau, die in einem Kammeramt ein Kind bekommen hat. Ich bin dabei um vorzuleben, dass es geht und zugleich Spass machen kann.

Was hat dieses Engagement Ihnen zurückgegeben?

Das hört sich komisch an: Energie! Wenn ich für eine Sache brenne, stehe ich positiv unter Strom. Wenn ein Kongress inspirierend war, ich tolle Menschen kennengelernt habe, mit denen ich mich verbunden gefühlt habe, dann bin ich richtig glücklich. Auch jetzt nach San Francisco war ich körperlich geschafft, aber sehr froh die Wahl gegen zwei starke Gegenkandidatinnen gewonnen zu haben.

Die Fragen stellte Dr. Uwe Axel Richter.

Eine ausführliche Berichterstattung zum FDI-Kongress in San Francisco folgt im nächsten Heft.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.