Nachblutung nach Zahnentfernung aus einer tumorösen Raumforderung
Der Patient gab an, dass bereits seit einigen Wochen rezidivierende Blutungen in diesem Bereich aufgetreten seien. Daneben würden Schwierigkeiten beim Essen sowie eine Appetitlosigkeit bestehen.
Die allgemeine Anamnese ergab einen Zustand nach Nephrektomie links mit hilärer Lymphadenektomie aufgrund eines papillären Nierenzellkarzinoms (pT3, pN0, M0, L1, V1, Pn0, R0, G2) fünf Jahre zuvor. Daneben bestanden eine chronische Polyarthritis, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, ein Zustand nach Knie-TEP sowie ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Der Patient nahm unter anderem ASS und Prednisolon ein, Allergien bestanden nicht.
Bei der extraoralen Untersuchung fand sich ein ausgedehntes Weichteilhämatom submental und submandibulär beidseits (Abbildung 1), der Unterkieferrand war durchtastbar. Daneben bestand eine Hypästhesie im Bereich der Unterlippe mit erhaltener Spitz-Stumpf-Diskrimination rechts bei ansonsten unauffälligem Neurostatus. Die Mundöffnung war regelrecht. Lymphknoten waren nicht palpabel.
Intraoral fand sich eine ausgedehnte, ulzeröse, druckdolente, erhabene Raumforderung regio 44–33 mit Übergang ins Vestibulum und in den Mundboden (Abbildung 2). Die Zunge und die Unterlippe waren frei. Zudem zeigte sich eine profuse Blutung aus den Extraktionsalveolen regio 31 und 41. Die Zähne 32, 33, 42 und 43 standen in der tumorösen Raumforderung und zeigten eine Lockerung dritten Grades. Die Sensibilitäts- und Perkussionsproben dieser Zähne waren negativ. Daneben fand sich eine starke Blutungsneigung auf Sondierung.
Die Notfall-Labordiagnostik ergab einen HB-Abfall auf 8,1g/dl (Referenz 13,5–16,9 g/dl), erhöhte Leukozyten mit 11,6/nl (Referenz 3,9–10,9 /nl) sowie ein erhöhtes Creatinin von 1,37 mg/dl (Referenz 0,67–1,17) bei ansonsten unauffälligen Routine-Parametern. Daher erfolgte die stationäre Aufnahme und die Entfernung der Zähne 32, 33, 42 und 43 bei Aspirationsgefahr sowie die Blutstillung mittels Koagulation, adaptierenden Nähten und lokalen hämostyptischen Maßnahmen. Anschließend sistierte die Blutung.
In der durchgeführten OPG-Aufnahme fand sich bei mäßiger Aufnahmequalität eine schüsselförmige osteolytische Raumforderung im Bereich der Unterkieferfront (Abbildung 3) sowie der Verdacht auf einen zusätzlichen osteolytischen Prozess im Ramus mandibulae rechts. In der durchgeführten Computertomografie zeigte sich eine ausgedehnte, kontrastmittelaufnehmende Raumforderung (3,8 cm x 4,1 cm x 3,6 cm) mental mit knöcherner Destruktion und Infiltration des Mundbodens (Abbildung 4). Daneben fand sich eine Raumforderung im Collum mandibulae (2 cm x 2,2 cm x 2,4 cm). Die Hals-Sonografie ergab vergrößerte Lymphknoten zervikal rechts (Level III und Level V), die Abdomen-Sonografie zeigte eine Raumforderung am unteren Pol der rechten Niere.
Die bioptische Sicherung erbrachte den histologischen Nachweis einer Nierenzellkarzinom-Metastase. Der Patient wurde daraufhin von der Klinik für Onkologie und Hämatologie übernommen.
Das Re-Staging (PET-CT, MRT-BWS, MRT-LWS, Röntgen-Thorax) erbrachte neben dem oralen Befund (Abbildung 5) multiple zusätzliche Metastasen im Bereich der Rippen, der BWS, der LWS, der Lungen, der Schilddrüse, der Mamma, des Beckens, der rechten Nebenniere, der Leber sowie verdächtige Lymphknoten mediastinal, hilär und zervikal. Daraufhin wurde eine palliative Chemotherapie mit Temsirolimus eingeleitet. Im Rahmen des palliativen Konzepts erfolgte zudem eine Mitbetreuung durch Logopäden, Physiotherapeuten, Ernährungsberatung und Psychoonkologen.
Bei rezidivierendem Schmerzen erfolgte im Verlauf die erneute Vorstellung des Patienten mit der Fragestellung eines Tumordebulkings / einer Unterkieferteilresektion. Aufgrund der schlechten Prognose und der geringen Schmerzproblematik nach Einstellung der Medikation durch die Schmerztherapeuten entschied sich der Patient gegen eine operative Behandlung. Eine Pflegestufe wurde beantragt. Der Patient verstarb schließlich drei Monate nach der Diagnosestellung aufgrund einer Sepsis bei Pneumonie im Rahmen der Chemotherapie.
Diskussion
Das Nierenzellkarzinom macht etwa zwei bis drei Prozent aller malignen Tumore und 85 bis 95 Prozent der primären bösartigen Nierentumore aus [Higuera et al., 2018] aus. Vor allem Männer im Alter zwischen 30 und 60 Jahren sind betroffen [Morita et al., 2018]. Nierenzellkarzinome metastasieren häufig und in unterschiedliche Regionen, was mit der großen Durchblutung der Niere zusammenhängt. Die häufigsten Lokalisationen für Metastasen sind Lunge, Leber, ZNS, Haut, Knochen, kontralaterale Niere und das Retroperitoneum [Miah et al., 2010]. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose liegen bereits bei 25 Prozent der Patienten Fernmetastasen vor, 50 Prozent entwickeln diese im Verlauf der Erkrankung [Serouya et al., 2012].
Fernmetastasen im Kopf-Hals-Bereich sind generell aber selten und machen nur etwa ein Prozent der Kopf-Hals-Tumore aus. Männer und Frauen sind dabei gleich häufig betroffen mit einem Altersgipfel zwischen dem fünften und dem siebten Lebensjahrzehnt [van der Waal et al., 2003]. Auch wenn prinzipiell jeder maligne Primärtumor in diese Region metastasieren kann, so zeigen einige Tumore eine Präferenz. Die häufigsten Primärtumore mit Metastasen im Kopf-Hals-Bereich bei Frauen sind Tumore der Mamma, der Genitalorgane, der Nieren und des Gastrointestinaltrakts, bei Männern hingegen Tumore der Lunge, der Niere, der Leber und der Prostata [Beena et al., 2011]. Diese machen etwa 70 Prozent der Primärtumore aus. Fernmetastasen des Nierenzellkarzinoms im Kopf-Hals-Bereich stellen somit einen Anteil von acht bis 15 Prozent der sekundären Tumore.
In unserer eigenen Kohorte fanden sich bei 91 Metastasen im Kopf-Hals-Bereich neun Absiedlungen (9,9 Prozent) des Nierenkarzinoms [Baum et al., 2018]. Dabei traten drei Metastasen im Unterkieferkorpus auf, jeweils zwei im Kiefergelenk und in der Orbita sowie jeweils eine in der Glandula parotis und im Mittelgesicht. Dies stimmt auch mit der Literatur überein, wobei die meisten oralen Absiedlungen knöcherne Strukturen betreffen, davon in 60 bis 80 Prozent der Fälle den Unterkiefer [Pretzl et al., 2014].
Die klinische Symptomatik von Fernmetastasen in der Mundhöhle ist meist unspezifisch und aufgrund von multiplen Differenzialdiagnosen nicht immer einfach. Aus zahnärztlicher/oralchirurgischer Sicht sollte eine Abklärung oder Überweisung zu einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen bei folgenden Symptomen erfolgen: größenprogrediente Schwellung oder Knochenauftreibungen mit oder ohne Schmerzen, Ulzeration der Schleimhaut, Vincent-Symptomatik, intermittierende Blutungen, persistierende Dysphagie / Kaubeschwerden, Verdacht auf pathologische Fraktur, progrediente Kieferklemme / Trismus, Wundheilungsstörung nach Zahnextraktion oder Zahnlockerungen ohne parodontale Ursache [Baum et al., 2016]. Differenzialdiagnostisch kommen eine Vielzahl an benignen und malignen Tumoren sowie entzündliche Erkrankungen, Zysten und Systemerkrankungen des Knochens (zum Beispiel fibröse Dysplasie) in Betracht [de Vicentel et al., 2001].
Zusätzlich zur klinischen Untersuchung sollte neben dem OPG auch eine CT- oder DVT-Bildgebung erfolgen. Daneben können weiterführende Untersuchungen, wie ein PET-CT zur Abklärung zusätzlicher Metastasen oder ein MRT bei Weichteilmetastasen, genutzt werden. Im Rahmen der knöchernen Bildgebung zeigen Metastasen meist ein osteolytisches Bild, können aber auch osteoblastisch oder gemischt erscheinen [Salapura et al., 2014]. Zur definitiven Diagnose einer metastatischen Absiedlung sollte schließlich eine bioptische Sicherung in Absprache mit dem Onkologen (wenn vorhanden) durchgeführt werden.
Die Erstellung der anschließenden Therapieempfehlung nach Sicherung einer Fernmetastase ist abhängig von multiplen Faktoren und daher sehr individuell, sodass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Erstellung von multimodalen Konzepten unter Leitung eines Onkologen oder einer Tumorkonferenz erforderlich ist. Dies ist umso mehr sinnvoll, da die Prognose bei Auftreten von Fernmetastasen schlecht ist [van der Waal et al., 2003]. Dennoch hat die funktionelle und ästhetische Rehabilitation im Kopf-Hals-Bereich in den vergangenen Jahren exzellente Fortschritte gemacht, sodass auch chirurgische Schritte unter palliativen Aspekten zu diskutieren sind. In dieser Hinsicht wurde im vorliegenden Fall ein Tumordebulking zur Schmerzlinderung und zur besseren Kontrolle der rezidivierenden Blutungen durch den Patienten abgelehnt.
Dr. Dr. Sven Holger Baum, M.Sc.
Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen
Kliniken Essen-Mitte
Henricistr. 92, 45136 Essen
s.baum@kliniken-essen-mitte.de
Prof. Dr. Dr. Christopher Mohr
Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen
Kliniken Essen-Mitte
Henricistr. 92, 45136 Essen
Fazit für die Praxis
Zahnsanierungen bei unklaren Raumforderungen sollten in einer weiterführenden Klinik erfolgen. Dabei sollten zur definitiven Abklärung auch repräsentative Gewebeproben genommen werden.Eine spontane intraorale Blutung, eine Wundheilungsstörung nach Zahnextraktion oder Zahnlockerungen ohne parodontale Ursache können Hinweise auf eine maligne Erkrankung sein.
Orale Nierenzellkarzinom-Metastasen sind selten und treten vor allem im Unterkiefer auf.
Nach der Diagnosestellung einer Fernmetastase im Kopf-Hals-Bereich sollte eine interdisziplinäre Therapie in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.
Literaturliste
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