Herzblatt gesucht!
Die Kandidaten konnten den sogenannten „Picker“ nur durch ihre Antworten auf die vom Picker erdachten Fragen für sich gewinnen. Während der gesamten Befragung waren Picker und Kandidaten durch eine Wand voneinander getrennt und sahen sich zum ersten Mal, wenn der Picker seine Wahl getroffen hatte. Ein manchmal mehr und manchmal weniger erheiterndes Spektakel, immer eingeleitet durch die Stimme von Susi Müller aus dem Off, die erotisch säuselte: „Nun lieber XY, wer soll dein Herzblatt sein?“
Werbepausen wären für Sie okay, oder?
Nun stellen Sie sich vor, Sie wären Kandidat beim Herzblatt. Würde es Sie stören, wenn die Show sich über Werbepausen finanzieren würde, in denen die Produkte Dritter beworben werden? Wohl eher nicht, werden die meisten von Ihnen sagen. Dass eine Show Geld verdienen muss, ist klar, und Ihnen als Kandidat erwächst kein Nachteil daraus.
Aber was wäre, wenn das Herzblatt zur Finanzierung den Kandidaten anbieten würde, dass diese gegen Entgelt zum Beispiel ausführlich und elaboriert auf die Fragen des Pickers antworten dürften, während den nicht-zahlenden Kandidaten nur bestimmte standardisierte Textbausteine zur Verfügung stünden? Vielleicht müssten die zahlenden Kandidaten auch nicht bis zum Schluss hinter der Wand verborgen bleiben oder ihr Bild würde während der Antwort eines Nichtzahlers auf dessen Wand eingeblendet.
Möglicherweise fällt Ihre Antwort nun anders aus. Wenn dies der Fall ist, gibt es für Sie nun verschiedene Möglichkeiten: Sie können zum einen „mitziehen“ und die entgeltlichen Leistungen von Herzblatt ebenfalls in Anspruch nehmen und so die Lücke zwischen sich und den zahlenden Kandidaten schließen. Zum anderen können Sie die Situation einfach hinnehmen und sich sagen, dass es doch schön ist, dass Sie als nicht-zahlender Kandidat überhaupt beim Herzblatt teilnehmen dürfen und so zumindest die Chance erhalten, vom Picker ausgewählt zu werden. Oder Sie entscheiden sich, fortan nicht mehr Teil einer solchen Show zu sein und erklären Ihren Ausstieg. Aber was wäre, wenn Herzblatt diesen Ausstieg mit der Aussage ablehnen würde, dass es nicht hinnehmbar für den Picker sei, nicht aus allen möglichen Kandidaten auswählen zu können?
Wenn Ihnen diese Argumentation ungerecht vorkommt, dann geht es Ihnen wie denjenigen Ärzten, die nichts lieber täten, als ihr Profil bei jameda löschen zu lassen, mit diesem Ansinnen aber bislang bei der Plattform auf taube Ohren stießen. Zwar war 2018 eine Kölner Dermatologin vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erfolgreich mit ihrem datenschutzrechtlichen Löschungsanspruch hinsichtlich ihres jameda-Profils, den sie damit begründete, es sei unzumutbar, als „Werbeoberfläche“ missbraucht zu werden und dabei auf das „Feature“ hinwies, dass jameda auf den Seiten der nicht-zahlenden Ärzte Anzeigen zahlender Ärzte schaltete. Aus Sicht des BGH hatte jameda damit die Rolle als „neutraler Informationsmittler“ verlassen. Wer als Arzt nach diesem Urteil jedoch gehofft hatte, er könne jameda nun den Rücken kehren, irrte sich. Denn jameda entfernte kurzerhand die beanstandete Werbefunktion und verkündete in einer Pressemitteilung:
„jameda hat Anzeigen mit sofortiger Wirkung zur weiteren rechtmäßigen und vollständigen Listung von Ärzten entsprechend angepasst […] Ärzte können sich nicht aus jameda löschen lassen.“
Schon damals wurden allerdings Stimmen laut, die die Löschung nur dieses einen „Features“ als nicht ausreichend erachteten und jegliche, auch subtilere Optimierungs- oder Werbemaßnahmen, mit denen jameda ihre Premium-Mitglieder aktiv unterstützte, als mit einer neutralen Rolle nicht vereinbar ansahen.
Dass zahlende Ärzte 24 Vorteile haben, geht nicht!
Dieser Ansicht hat sich nun auch das Landgericht Bonn (Urteil vom 28. März.2019 – Az.: 18 O 143/18) angeschlossen. Kläger war diesmal ein Facharzt für Oralchirurgie, der neben dem datenschutzrechtlichen Löschungsanspruch auch die Unterlassung der Wiederaufnahme seines Profils verlangte, sollte jameda nicht zukünftig von insgesamt 24 (!) genau beschriebenen Vorteilen für zahlende Ärzte Abstand nehmen. Dazu gehörten etwa die Bereitstellung professioneller Texter oder Veröffentlichungen in einem „Experten-Ratgeber“, aber auch ganz profane Dinge wie die Möglichkeit, ein Porträt-Bild zu verwenden oder die Angabe der eigenen Praxis-Homepage. Mit dieser umfassenden Liste wollte der Kläger offenbar ganz sichergehen, dass jameda nicht, im Sinne der Salami-Taktik, nur wieder einige weitere Werbefunktionen abstellen würde, um dann wieder den neutralen Status für sich zu proklamieren.
Das Gericht sah die Klage des Oralchirurgen als begründet an und gab ihm in allen Punkten recht. Liest man die Entscheidung, wird schnell klar, was das Gericht von jamedas Geschäftsmodell hält, nämlich nicht viel. Unter anderem findet sich die Feststellung:
„Mit ihrer Online-Datenbank verfolgt sie [jameda], wie ausgeführt, privatwirtschaftliche Zwecke. Diese werden – ebenfalls unstreitig – nicht etwa (allein) durch Schaltung von Werbung generiert, das heißt durch Umstände, die mit dem Inhalt der auf der Seite verarbeiteten Daten nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, sondern durch monatliche „Mitgliedsbeiträge“ der gelisteten Ärzte. Diese Beiträge „erkauft“ sich die Beklagte dadurch, dass sie es den Ärzten ermöglicht, ihre Profilseite für Besucher des Bewertungsportals ansprechender zu gestalten. Es ist offenkundig, dass sich aufgrund der mit einer solchen Gestaltung verbundenen psychologischen Wirkmechanismen Besucher des Portals von solchen Profilseiten auf einer – vorwiegend unbewussten – Ebene eher angesprochen fühlen werden als von den „Basis-Profilen“, die – im Gegensatz zu den Profilen zahlender Ärzte – zum Beispiel nur über eine graue Silhouette als Profilfoto verfügen. Das ist unmittelbar einsichtig, weil hierin gerade das Geschäftsmodell der Beklagten besteht, anderenfalls nicht ersichtlich wäre, warum ein Arzt bereit sein sollte, Monatsbeiträge in bis zu dreistelliger Höhe zu investieren.“
Nur einen Tag nach diesem Urteil gaben auch das Landgericht Wuppertal (Urteil vom 29. März 2019 – Az.: 17 O 178/18) und erneut das Landgericht Bonn (Urteil vom 29. März 2019 – Az.: 9 O 157/18) weiteren Ärzten mit ihren datenschutzrechtlichen Löschungsansprüchen recht. In beiden Fällen sahen die Gerichte es als erwiesen an, dass jameda die Rolle des neutralen Informationsmittlers verlassen hatte.
Die Rosinenpickerei muss ein Ende haben
Die Entscheidungen verdienen Zustimmung und zeigen, dass die Gerichte der Meinung sind, dass jameda lange Zeit Rosinen gepickt hat. Man kann sich nicht zum einen darauf berufen, mit einer vollständigen Ärzteliste einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, weil nur so das Recht der im Internet suchenden Patienten auf freie Arztwahl gewährleistet sei und zum anderen von nicht-zahlenden Ärzten verlangen, dass diese akzeptieren, dass ihr Kollege um die Ecke seine Profilbesucher bei jameda mit einem warmen Lächeln und geschliffenen Worten begrüßt, während sie nur eine graue Silhouette und einige Schlagworte auflisten dürfen. Dies ist, um es mit den Worten des LG Wuppertal zu sagen, „ein negativer Anker zur Bewerbung der Konkurrenz“, der so nicht hinnehmbar ist.
Natürlich ist jameda längst gegen die Urteile in Berufung gegangen und dass dieser Fall auch dort nicht zu Ende sein wird, sondern erst beim BGH, ist ein offenes Geheimnis. Sollte der BGH sich den Entscheidungen der Landgerichte anschließen, wird jameda bald am Scheideweg stehen: Vollständige Ärztelisten oder Finanzierung durch Premium-Pakete. Und mit ganz viel Fantasie kann man sich vorstellen, wie sich Susi Müller im Off schon für die große Frage bereit macht.
Dr. Thomas Jochheim
Rechtsanwalt
Klinkert Rechtsanwälte PartGmbB Taunusanlage 15, 60325 Frankfurt am Main
Im 9. Oktober 1987 ging das „Herzblatt“ mit Rudi Carrell auf Sendung. Hera Lind moderierte die Show von Oktober 1997 bis Juli 1998.