„Es muss ein Bürstenruck durch Deutschland gehen!“
2016 haben Sie die Aktion „Stoppt Parodontitis“ als privates Aktionsbündnis ins Leben gerufen. Nun sind Sie eine gemeinnützige Organisation geworden.
Dr. Volker Storcks: Unsere Motivation bestand darin, die Bevölkerung aufzuklären. Obwohl die Parodontitis die häufigste chronische Entzündungskrankheit in Deutschland ist, weiß kaum jemand etwas darüber. Das ist nicht hinnehmbar, weil die Krankheit, verglichen mit anderen großen Volkskrankheiten, vergleichsweise einfach zu stoppen ist.
Winfried Vosskötter: Daher brachten wir 2016 den Stein ins Rollen und gründeten die Aktion „Stoppt Parodontitis“. Durch die Gemeinnützigkeit erhoffen wir uns nun einen leichteren Zugang zu Partnern und Sponsoren. Wir haben insbesondere durch die Berichterstattung und die Verbreitung unseres Kampagnen-Posters von Zahnärzten und Patienten hohen Zuspruch erfahren.
Vor rund einem Jahr haben Sie den „ParoPass“ entwickelt. Dieser verdeutlicht allen Patienten ihren PA-Zustand, indem der Zahnarzt den PSI-Index in den Ausweis einträgt. Der ParoPass wurde von mehreren Praxen in Schleswig-Holstein getestet. Wie ist er angekommen?
Storcks: Der ParoPass ist sehr gut bei den Zahnärzten und Patienten angekommen. Die Ideen und Anregungen der Anwender sind in eine Weiterentwicklung des ParoPasses geflossen. Der Pass wird mittlerweile sogar in ganz Deutschland und in Österreich von Zahnärzten als Motivationsinstrument eingesetzt. Er ist ein wichtiges Dokument der Aufklärung.
Endlich sieht der Patient es schriftlich: Habe ich Parodontitis oder nicht. Der Zahnarzt muss nun gegenüber seinen Patienten Farbe bekennen und trägt die Befunde in einem einfachen Ampelschema ein: Grün bedeutet das Zahnfleisch ist gesund, ab gelb liegt Gingivitis und ab rot liegt Parodontitis vor. Das Ganze ist für den Patienten einfach verständlich dargestellt und orientiert sich doch an den offiziellen PSI-Codes. Wir haben mittlerweile über 50.000 ParoPässe ausgegeben. Der ParoPass erleichtert die Patientenaufklärung ungemein, auch die Handlungsempfehlungen haben wir mit einfachen Worten erläutert.
Vosskötter: Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen - zum Beispiel von der Zahnärztin Dr. Sabine Stibbe. Sie schrieb uns: „Sehr geehrter Herr Dr. Storcks und Herr Vosskötter, der ParoPass ist deutlich besser verständlich für die Patienten, die Paro-Befunde sind übersichtlich und schnell erkennbar in ihrer Tendenz und mehr Eintragungen pro Pass sind möglich. Die dazugehörige Broschüre ist sehr gut und unterstreicht bzw. erleichtert (Zeitaufwand) dem Zahnarzt die Aufklärung des Patienten!“
Oder: „Die neuen Pässe finde ich für die Patienten verständlicher, anschaulicher und informativer. Kompliment!!“ von Gregor Feuerstein, Zahnarzt/ Implantologie.
„Die Menschen müssen begreifen: Zu 90 Prozent sind sie es selbst, die die Krankheit stoppen, der Zahnarzt macht nur 10 Prozent.“
Mittlerweile haben sich Ihnen rund 150 Zahnärzte angeschlossen, die den ParoPass in ihren Praxen verteilen. Und es sollen noch mehr werden, nehme ich an?!
Storcks: Natürlich haben wir das Ziel, dass möglichst viele Zahnärzte den ParoPass als Aufklärungs- und Motivationsinstrument nutzen. Wir sind auch offen für Kooperationen mit Krankenkassen.
Ab März 2019 wollen Sie eine Online-Kampagne starten. Was bezwecken Sie damit?
Vosskötter: Wir nehmen am Google Ad Grants-Programm teil und bekommen so bis zu 10. 000 virtuelle Dollar im Monat für Ad Words-Anzeigen. Damit haben wir die Chance, die Bevölkerung zu erreichen und aufzuklären, genau das ist ja unsere Absicht. Auf diese Weise können wir mit vergleichsweise wenigen Mitteln Menschen erreichen, die sich im Internet informieren wollen. Denn monatlich werden Begriffe wie Parodontitis und Parodontose hunderttausendfach gegoogelt.
Ihr Wunsch ist es, dass der Patient bei Vorlage seines abgestempelten ParoPasses einen Zuschuss oder eine Erstattung von Prophylaxeleistungen von seiner Krankenkasse erhält. Wie konkret ist dieser Plan?
Storcks: Wir erhoffen uns ein Engagement in diese Richtung. Wir versuchen die Kassen dazu zu bringen, dass vor allem die „Aktivprophylaxe“ honoriert wird. Die neuen S3-Richtlinien der DG Paro zum häuslichen mechanischen Biofilmmanagement besagen ganz deutlich: „Eine Instruktion in die Zahn- und Zahnzwischenraumpflege ist zwingend erforderlich.“
Genau daran hapert es aber in der Zahnarztpraxis. Es fehlt an der Zeit und es wird nicht vergütet. Um Klarheit zu schaffen, haben wir diese Instruktion „Aktivprophylaxe“ genannt, da der Patient dabei selbst aktiv werden muss. Die Menschen müssen begreifen: Zu 90 Prozent sind sie es selbst, die die Krankheit stoppen, der Zahnarzt macht nur 10 Prozent.
„Die Krankenkassen sollten eine Aktivprophylaxe zweimal jährlich über Chipkarte abrechenbar bezahlen.“
Unterstützt wird Ihr Aktionsbündnis von der DG PARO, der AOK Nordwest und TePe. Welche Unterstützung erhoffen Sie sich außerdem?
Storcks: Wir erfahren viel ideelle Unterstützung von der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein und der DG Paro. Um die Aktion richtig groß werden zu lassen, brauchen wir die Unterstützung aus der Industrie oder von Krankenkassen. Um Printmedien zu verteilen oder gute Aufklärungsvideos zu produzieren, braucht es einfach Geld. Wir erhoffen uns schon, dass wir in diesem Jahr einen oder mehrere finanzstarke Investoren finden.
Warum informieren ausgerechnet Sie die Menschen über Parodontitis? Wäre dies nicht eigentlich auch Aufgabe der Krankenkassen?
Vosskötter: Die AOK hat bereits mit unserer Unterstützung einen großen Beitrag in ihrer Mitgliederzeitschrift veröffentlicht. Der hat mit Sicherheit schon einiges bewirkt, da hier die neuen Richtlinien der European Federation of Periodontology deutlich und verständlich geschildert wurden.
Storcks: Wir hoffen sehr, dass sich Krankenkassen an unserer Kampagne beteiligen. Gemeinsam hätten wir die einmalige Chance, als erstes Land der Welt die Volkskrankheit deutlich zurückzudrängen. Mit dem ParoPass und der Aktivprophylaxe wäre das möglich.
Was müssen die Krankenkassen besser machen?
Storcks: Es ist eigentlich ganz einfach: Die Krankenkassen sollten eine Aktivprophylaxe zweimal jährlich über Chipkarte abrechenbar bezahlen. So wie es ja schon seit über 20 Jahren erfolgreich mit den IP-Positionen und demnächst auch verstärkt bei den FU-Untersuchungen stattfindet. Wir sehen bei den Kindern und Jugendlichen kaum noch Karies, wie aus der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie hervorgeht. Dort wirkt also die Individualprophylaxe.
Die Aktivprophylaxe beim Erwachsenen soll nicht die professionelle Zahnreinigung ersetzen. Die Aktivprophylaxe könnte als BEMA-Position beinhalten: Zwei mal jährlich 20 Minuten Motivation und Instruktion in Mundhygienetechniken mit dem besonderen Fokus der Interdentalraumpflege mit Zahnzwischenraumbürsten. Diese Gebührenposition wäre delegierbar an eine fortgebildete ZFA.
„Dem Patienten werden bei der PZR meist einfach nur die Zähne gereinigt. Gemeinsames Üben? Fehlanzeige!“
Was müssen Zahnärzte besser machen?
Storcks: Die Zahnärzte können eine Aktivprophylaxe nicht kostenlos erbringen, daher findet sie in den Praxen außerhalb der PZR kaum statt. Bis die Aktivprophylaxe eine BEMA-Position wird, sollten die neuen EFP-Richtlinien in die PZR einfließen: Die EFP hat festgestellt, dass die Instruktion am Patienten einen viel höheren Zeitwert einnehmen muss.
In der Praxisrealität sieht die PZR doch oft so aus, dass dem Patienten einfach nur die Zähne gereinigt werden. Gemeinsames Üben, bis die Interdentalbürste auch zwischen 6er und 7er vom Patienten eingeführt werden kann, ist oft Fehlanzeige. Nur bringt die alleinige Reinigung doch sehr wenig, der Biofilm ist 24 Stunden später doch wieder da. Der Patient muss verstehen, dass er selber täglich den Biofilm entfernen muss, und wir müssen ihm bewusst machen, dass er das auch schaffen kann.
Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, ein Aktionsbündnis gegen Parodontitis zu gründen? Welche Motivation haben Sie dabei verfolgt?
Vosskötter: 2008 war ich bei Dr. Storcks in der Erstbehandlung. Ich berichtete, dass ich täglich mit Zahnseide meine Interdentalräume reinigte und wog mich in Sicherheit. Dr. Storcks stellte jedoch eine mittelschwere Parodontitis fest mit Taschentiefen approximal bis 7 mm und einem Attachmentverlust von circa 30 Prozent. Ich als Biologielehrer war entsetzt, dass ich fast nichts über diese Krankheit wusste!
Storcks: Zur damaligen Zeit erfüllte er einige Risikofaktoren für Parodontitis wie Rauchen und Stress. Dennoch konnte die Entzündung bereits nach wenige Wochen vollständig abklingen.
Vosskötter: Offensichtlich ist die tägliche vollständige Reduktion von Plaque entscheidend. Es wäre jedoch ohne die vorbildliche Instruktion von Dr. Storcks und eine fachgerechte PA Behandlung nicht möglich gewesen. Bis heute bin ich parodontal gesund.
Storcks: Und so überzeugte er mich mit einer Kampagne bundesweit Aufklärung zu schaffen, da sich bislang niemand ernsthaft diesem Thema angenommen hatte.
„Um die Volkskrankheit zurückzudrängen muss ein Bürstenruck durch Deutschland gehen.“
Sie wollen nicht nur über Parodontitis aufklären, sondern auch der Interdentalbürste zum Durchbruch verhelfen. Mit welchen Mitteln beziehungsweise Maßnahmen wollen Sie das schaffen?
Storcks: Die Interdentalbürste ist ganz klar der Goldstandard der Interdentalraumpflege. Das zeigt auch die S3-Leitlinie der DG Paro. Nur Patienten mit sehr engen Zahnzwischenräumen wird noch Zahnseide empfohlen. Daher sagen wir: Um die Volkskrankheit zurückzudrängen muss ein Bürstenruck durch Deutschland gehen. Aber die Menschen dürfen damit nicht alleingelassen werden.
Wir wollen möglichst viele Bürger mit einem ParoPass ausstatten und erhoffen uns, dass die Zahnärzte sich die Zeit nehmen, ihre Patienten zu informieren. Mit dem Dokument wird jedem Patienten klar, dass er in die Prophylaxe muss. Wenn wir in breiter Front mit unserer Kampagne Beachtung finden, wird dies der Prophylaxe in Deutschlands Zahnarztpraxen einen großen Schub verleihen.
Sie kritisieren, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ihrer 50-jährigen Geschichte noch nicht einmal über Parodontitis aufgeklärt hat. Was wünschen Sie sich von der Politik?
Vosskötter: Die Politik ziert sich anscheinend dieses Thema anzugehen. Wahrscheinlich liegen verschiedene Interessenlagen vor. Seit Jahren verspricht die Bundeszahnärztekammer, mit einer großen Aufklärungskampagne an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir sehen nur nichts davon. Alles ist angeblich immer so furchtbar kompliziert, dabei fehlt es einfach an Mut.
Der Europäische Dachverband der Parodontologischen Fachgesellschaft hat bereits eine Aufklärungskampagne über Parodontitis ins Leben gerufen. Warum reichen bisherige Aufklärungsmaßnahmen nicht, um das Problem Parodontitis in den Griff zu bekommen?
Vosskötter: Eine erfolgreiche Kampagne ist nicht leicht umzusetzen. Ein Grund ist, dass wir in einer Zeit der Medienüberflutung leben. Zudem ist in der Bevölkerung das Thema Zahngesundheit nicht wirklich beliebt. Man möchte gar nicht so genau wissen, was da alles in den Tiefen des Mundes vor sich geht. Lieber zum Zahnarzt und der macht das schon.
Storcks: Daher wollen wir eine Kampagne ins Leben rufen, die nicht nur passiv konsumierend ausgerichtet ist. Der ParoPass ist ein aktiver Beitrag, der jedem zeigt, wie es mit der parodontalen Gesundheit aussieht. Zusätzlich wollen wir im Internet die Rat suchenden Menschen abholen und exakt auf die Fragen eingehen.
Nicht zu vergessen ist auch die Darstellung. Bilder von Parodontitis-Erkrankungen schrecken ab. Wir arbeiten bewusst mit Comic-Elementen. Auf diese Weise können wir die Krankheit darstellen, ohne in die Ekelschublade zu fallen. Das ist ein wichtiges Schlüsselelement.
Inwiefern profitieren Zahnärzte von Ihrer Kampagne?
Storcks: Unser Aufklärungsmaterial nimmt den Zahnärzten viel Arbeit ab. Die Zahnärzte dürfen kostenlos unser Material und insbesondere die Zeichnungen zum Beispiel für ihren Webauftritt nutzen. Die Befürchtung, dass unsere Maßnahmen für das „Geschäft” nicht gut sind, teilen wir nicht. Auch die allerbeste Kampagne wird längst nicht jeden überzeugen und es wird immer genug Putzunwillige geben, bei denen noch zu bohren ist. Nur müssen wir uns fragen, was wir als Zahnärzte für unsere Gesellschaft wollen: „Gesund beginnt im Mund” darf kein Lippenbekenntnis unseres Standes sein, wenn wir ehrlich zur Bevölkerung sein wollen.
Wir wissen, wie wir Zähne gesund halten können, also tun wir es auch! Wir müssen weg von der bohrenden zur präventiven Zahnheilkunde. Auch dieser Weg ist teuer und wir brauchen die deutschen Zahnärzte bei der Umsetzung dieses Ziels.
Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, werden wir uns in einigen Jahren vorwerfen lassen müssen, wir hätten nicht alles für die Zahngesunderhaltung unserer Bevölkerung gegeben und schielen wieder neidvoll in die Niederlande, die uns im Gesundheitsmanagement regelmäßig den Rang ablaufen. Die Menschen wollen keine Implantate oder schöne Prothesen, sie wollen ein Leben lang mit ihren eigenen Zähnen kauen - helfen wir ihnen bei diesem Ziel!