Die Dinge ans Fliegen bringen
„Zu einer guten Debatte gehört, dass man – selbst am Ende – nicht immer einer Meinung sein muss“, setzte Spahn an. „Ich persönlich fühle mich immer herausgefordert, tiefer über eine Sache nachzudenken, wenn der Gegner gute Argumente hat. Wenn man Probleme so löst, dass das Ergebnis den Bürgern hilft, haben Sie mich immer an Ihrer Seite! Mir geht es darum, die Dinge ans Fliegen zu bringen!“
Der Berliner Flughafen des Gesundheitswesens
Negativbeispiel ist für ihn die elektronische Gesundheitskarte: „Mit der eGK geht es doch auch deshalb kaum voran, weil mittendrin ständig die Verfahren geändert werden“, verdeutlichte Spahn. Die eGK sei für ihn „der Berliner Flughafen des Gesundheitswesens“. Klar sei die Karte nur Mittel zum Zweck, die Patientenakte das eigentliche Ziel. „Aber wenn Sie jetzt sagen, die ePA gibt es ja noch gar nicht, sind wir beim Henne-Ei-Problem – was muss zuerst da sein: das Netz oder die Akte? Und Sie können einfach keine Anwendung flächendeckend einführen, wenn nicht alle Leistungserbringer an die Infrastruktur angeschlossen sind.“ Das BMG werde eine sichere Anbindung für die Praxen gewährleisten. Dass der Großcousin nebenbei die TI in der Praxis installiert und wartet, sei heutzutage einfach nicht mehr angezeigt. Spahn: „In der Pflicht für einen korrekten Anschluss sind die Praxen, Kliniken und Apotheken – nicht die gematik! Doch werden wir abschließend klären, welche Verantwortung die gematik datenschutzrechtlich hat.“ Dass man auf dem Land – hallo Funkloch! – per se vom Internet abgehängt ist, müsse sich dringend ändern: „Natürlich brauchen wir in ganz Deutschland Breitband und Sendemasten, aber die Genehmigungsverfahren dauern und die Bau-Industrie hat Engpässe. Deshalb heißt es in Schritt eins: Alle werden angeschlossen, und in Schritt zwei: Die Plastikkiste hat ausgedient, es wird auf Software umgestellt!“
Ziel der Telemedizin sei, Digitales nutzbar zu machen. Spahn: „Ich möchte Sie einladen, diesen Prozess gemeinsam zu gestalten.“ Apple, Google, Amazon & Co. investierten Milliarden in die Gesundheitsbranche, um mit den gesammelten Daten Profit zu machen. China horte Informationen, um seine Bürger zu überwachen.
Spahn: „Ich möchte nicht, dass wir die eine oder die andere Variante erleiden, sondern dass wir mit unseren Vorstellungen von Datenschutz und -sicherheit eine eigene Infrastruktur und eigene Angebote für unser Gesundheitswesen entwickeln.“
Spahn gab sich erneut als „Fan der Selbstverwaltung“. Über seine Begründung mussten freilich viele Delegierte schmunzeln: „Wir haben fast kein Gesetz vorgelegt, in dem wir die Selbstverwaltung nicht gestärkt und Ihnen nicht neue Aufgaben zugewiesen hätten – eben weil wir Ihnen das zutrauen!“ So leiste der Gemeinsame Bundesausschuss zu 95 Prozent gute Arbeit. Aber: „Es gibt auch Fälle, in denen die gemeinsame Selbstverwaltung alleine nicht zu Entscheidungen kommt.“ So etwa bei der Methodenbewertung – für Spahn ein Thema, wo es ums Vertrauen geht: „Wenn Bürger mit Behandlungsfragen auf mich zukommen, und man als Gesundheitsminister sagt, da gebe es einen Gemeinsamen Bundesausschuss – den müssen Sie nicht kennen –, wann die aber zu einem Ergebnis kommen, weiß ich nicht und zu welchem auch nicht. Stärkt das das Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Politik? Ich denke nicht. Und mal ehrlich: Die Torte kriege ich sowieso ins Gesicht – dann aber wenigstens zu Recht!“
„Dialogbereit sind Sie!“, bestätigte der KZBV-Vorsitzende Eßer. „Was Ihre Liebe zur Selbstverwaltung angeht, würde ich gern noch einfügen: Sie sind Fan der FUNKTIONIERENDEN Selbstverwaltung! Was uns eint, ist: Wir wollen Gesundheit gestalten und die Dinge nach vorn bringen.“ Aktuell habe die KZBV jedoch große Sorge, ob die im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hinterlegte Steuerungswirkung bei den MVZ überhaupt eintrete. Eßer: „Gerade hat wieder ein belgischer Investor ein Minikrankenhaus mit 15 Betten nahe Stuttgart gekauft, um dann am Starnberger See – nicht gerade eine unterversorgte Gegend – ein MVZ gründen zu können. Das sind Fehlsteuerungen, die gesetzlich untersagt werden müssen.“ Ein räumlich-fachlicher Bezug bei der Gründung sei daher vielleicht doch ein sinnvolles Steuerungsinstrument, über das man noch mal nachdenken könne. „Denn wenn wir es nicht schaffen“, führte Eßer aus, „die Versorgung auf Basis freiberuflich tätiger Praxen zu erhalten, fürchte ich, dass unser System seine Grundstruktur verliert und ein Rendite-orientiertes System sich Bahn schlägt.“ Im Gegenzug bedeute das auch, dass die Zahnärzte ihre Praxen wettbewerbsfähiger machen müssen. Eßer: „Wir brauchen hier eine Willkommenskultur und bessere Vergütungsangebote. Es kann doch nicht sein, dass wir unsere jungen Leute an I-MVZ verlieren!“
Zum Thema TI-Anbindung entgegnete Eßer: „Wir wollen keine Torte ins Gesicht, wenn nicht wir die Misere zu verantworten haben, sondern die Industrie. Über 90 Prozent der Zahnärzte sind mittlerweile an die TI angeschlossen. Was wir in den den Praxen jetzt möglichst schnell brauchen, ist Anwendernutzen, keine Sanktionen.“
Die Krankenkassen dürfen Daten sammeln
Zum gerade verabschiedeten Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) nahm der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer Stellung: Positiv sei, dass auch im zahnärztlichen Bereich Telekonsile erbracht und über den Bema abgerechnet werden können. Ebenfalls klargestellt habe der Gesetzgeber, dass den Krankenkassen bei der Förderung von Versorgungsinnovationen Eingriffe in die Therapiefreiheit genauso untersagt sind wie eine Beschränkung der Wahlfreiheit der Versicherten. In einem anderen Bereich sei man jedoch auf taube Ohren gestoßen: Während die Latte für IT-Dienstleister und Praxen in Sachen Datenschutz und IT-Sicherheit hoch gehängt werde, dürfe der GKV-Spitzenverband nun massenhaft Gesundheitsdaten für Forschungszwecke sammeln. Nach einer letzten Änderung des Gesetzestextes würden diese Daten zwar pseudonymisiert – das sei vorher gar nicht vorgesehen gewesen – allerdings sei eine kassenübergreifende Identifizierung im Berichtszeitraum auch jetzt noch möglich, rügte Pochhammer.
Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Martin Hendges nahm unter anderem die Entwicklung der Zahnärztezahlen unter die Lupe: So waren 2018 insgesamt 49.679 Vertragszahnärzte (-1,9 Prozent gegenüber 2017) in der Versorgung tätig, 11.752 Zahnärzte in Praxen angestellt (+4,8 Prozent) und 2.082 Zahnärzte in einem MVZ beschäftigt (+53,9 Prozent). Gab es Ende 2018 noch 699 zahnärztliche MVZ in Deutschland, davon 52 in den neuen Bundesländern, sind es Ende 2019 voraussichtlich 950, davon 66 im Osten. Ende 2018 waren 111 all dieser MVZ von Fremdinvestoren geführt, Ende 2019 schon 185. „Tendenziell geht die Zahl der Vertragszahnärzte durchgängig zurück, während die Zahl der angestellten Zahnärzte steigt und in der Folge die Praxen über alle Praxisformen hinweg größer werden“, bilanzierte Hendges.
Auch stritt man sich im Sommer vor dem Bundesschiedsamt mit den Kassen um die Einführung einer „lebenslangen“ Zahnarztnummer im Bundeszahnarztverzeichnis und in der Abrechnung, wie sie im ärztlichen Bereich schon länger existiert. Die Einführung war nicht zu verhindern, doch war die KZBV was die Ausgestaltung angeht erfolgreich. Hendges: „Hier konnte die KZBV vor dem Bundesschiedsamt unter anderem erreichen, dass in der Abrechnung keine Einzelleistungskennzeichnung der Zahnärzte erfolgt, sondern dass bezogen auf den gesamten Behandlungsfall die Zahnarztnummern aller am Behandlungsfall beteiligten Zahnärzte angegeben werden. Ebenso wenig konnte sich der GKV-Spitzenverband mit seiner Forderung durchsetzen, dass künftig der Name der Betriebsstätte und der Name des Verantwortlichen der Betriebsstätte im Bundeszahnarztregister geführt werden; vielmehr wird der Name der Praxis beziehungsweise der Einrichtung sowie im MVZ der Name der zahnärztlichen Leitung übermittelt.“
Bericht der AG Frauenförderung
„Jede Frau sollte auch die Chance haben, sich zu engagieren!“
„In unserer AG sind wir der Frage nachgegangen, warum Frauen sich nicht stärker in der vertragszahnärztlichen Selbstverwaltung engagieren“, berichtete die AG-Vorsitzende Dr. Ute Maier, KZV-Chefin in Baden-Württemberg, auf der VV. „Wir haben einen Frauenanteil von 50 Prozent in der Versorgung, aber in den Gremien spiegelt sich das nicht wider.“ Während es für die Frauen offenbar kein Problem sei, den Beruf auszuüben, scheint eine standespolitische Karriere schwierig realisierbar zu sein. „In erster Linie gilt es also, die Strukturen, die bisher eine Beteiligung der Frauen erschweren, aufzubrechen“, postulierte Maier. Beispielsweise könne man Mentoringprogramme aufbauen und Veranstaltungen ins Leben rufen, mit dem Ziel, den Nachwuchs zu fördern.
Helfen würden auch familienfreundliche Sitzungszeiten. Oder die KZBV könne steuernd eingreifen, indem sie Listen aufstellt oder in der Satzung bestimmte Mechanismen vorsieht. „Im Moment gehen wir davon aus, dass wir letzteres nicht benötigen“, sagte Maier. „Wir wollen auch keine Quote. Wir wollen, dass die Selbstverwaltung den Wandel aus sich heraus stemmt, indem wir uns als KZV-System selbst verpflichten.“ Doch habe die Politik das Thema aufgegriffen, auch mit der Initiative Spitzenfrauen Gesundheit. Maier: „Wir müssen aus der Mitte der Zahnärzteschaft eine breite Basis schaffen: Jede Frau, die standespolitisch aktiv werden möchte, sollte auch die Chance haben, dies zu tun. ‚Fachliche Expertise‘, höre ich gerade aus dem Publikum, müsse sie aber haben. Dasselbe gilt für einen Mann auch!“
Die AG Frauenförderung richtet sich an den weiblichen und an den männlichen Nachwuchs, fokussiert sich aber aktuell aufgrund ihrer fehlenden Repräsentanz auf die Frauen. Auf der Sommer-VV 2020 wird die AG ihr Gesamtkonzept vorstellen.