Zahnarzt darf ausnahmsweise auf Kofferdam verzichten
Der Fall
Eine Patientin verklagte ihren Zahnarzt wegen einer angeblich fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung auf Schmerzensgeld.
Zahn 38 der Patientin wies eine gebrochene zweiflächige Amalgamfüllung auf, die der beklagte Zahnarzt unter Einsatz von zwei Saugern entfernte und durch eine Kunststofffüllung ersetzte. Zudem entfernte er an dem Zahn Karies. Die gesamte Behandlung an Zahn 38 erfolgte ohne Kofferdam.
Die Klägerin warf dem Zahnarzt danach vor, er habe beim Aufbohren behandlungsfehlerhaft unsorgfältig gehandelt, da er mit Kofferdam hätte arbeiten müssen, um die Aufnahme giftiger Substanzen beim Aufbohren der Amalgamfüllung zu vermeiden. Bei der Behandlung sei es zu einer Amalgam- beziehungsweise Quecksilbervergiftung gekommen.
Die Klägerin habe nach der Behandlung schwarz-silberne Amalgamstücke ausgespuckt und zunehmend unter massiven körperlichen Beeinträchtigungen gelitten, wie geschwollenen Gliedmaßen und geschwollenem Gesicht, starkem Husten, erheblichen Bewegungseinschränkungen, starken krampfartigen Schmerzen im Brustkorb sowie Taubheitsgefühlen in Fingern und Füßen. Sie bedürfe der Pflege bei 100-prozentiger Behinderung.
Praxisanmerkung
Es ist nicht fehlerhaft, wenn der Zahnarzt in Ausnahmefällen keinen Kofferdam verwendet, soweit er dies - am besten ordentlich dokumentiert - anhand der anatomischen Lage begründen kann. Amalgam kann weiterhin verwendet werden. In der Regel weist die Rechtsprechung Klagen gegen die Verwendung von Amalgam ab.
Rechtsanwalt Philip Christmann - Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin
Die Entscheidung
Das Landgericht wies die Klage der Patientin auf Zahlung von 50.000 Euro Schmerzensgeld als unbegründet ab. Der medizinische Sachverständige führte aus, dass die Verwendung von Amalgam weiterhin dem medizinischen Standard entspricht. Dem schloss sich dem Landgericht an.
Dass ausnahmsweise keine Abschirmung des Mundraums (Kofferdam) verwendet wurde, sah das Gericht ebenfalls nicht als Fehler an, denn der behandelte Weisheitszahn 38 wies eine weit distale Lage auf und der zu sanierende Defekt des Zahns reichte ausweislich der Röntgenbilder sehr weit interdental in den unter dem Zahnfleisch liegenden Wurzelbereich des Zahns. Aus technischen Gründen war daher eine regelgerechte Anwendung des Kofferdam mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich.
Landgericht Aachen
Az.: 11 0 97/16 Urteil vom 22. März 2018
Quelle: Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de